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LIBRARY
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University OF California.
Class
i.
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Die Beziehungen des klassischen
Altertums zu den hl. Schriften
des Alten und Neuen Testamentes.
Für die Freunde der antiken Literatur
aus den Quellen dargestellt
Michael KröU,
Pfarrer a. D. zu Hönningen a. Rh.
Erster Band.
Zweite, vollständig umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Bonn.
Carl Georgi, Universitäts-Buchdruckerei und Verlag
1907.
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J.-Nr. 4213.
Imprimi permittitur.
Coloniae, die 2. m. Octobris 1906
De mandato Archiepiscopi Coloniensis
(L. t S.) Hespers
Canonicus Ecciesiae metropolitanae.
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Dem Andenken
meiner
verstorbenen Eltern
gewidmet.
2; '^909
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Vorwort zur ersten Auflage.
yy Ignoratio scripttirarutn ignoratio Christi est."
S. Hieronymi praefatio in Isaiam Prophetam.
„Die Schriften nicht kennen, heisst Christus
nicht kennen."
„Erat (Christus) lux vera, quae illuminat omnem
hominem venientem in hunc mundum."
Evgl. S. Johannis I., 9.
„Er (Christus) war das wahre Licht, welches jeden
Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt."
Nach dem durch eigene Schuld herbeigeführten Verluste
des Paradieses war der erste Tag für die Menschheit zu Ende:
ihr Glück war dahin. Es wurde trüber Abend, welcher aber
durch den milden Stern der V^erheissung auf den kommenden
Erlöser in etwa erleuchtet war: „ipse conteret caput tuum!**
Nach dem Hebräischen (LXX.) (Genesis 3, 15.) „Er wird dir
(der Schlange) den Kopf zertreten!" Nun brach die Nacht an,
die lange Nacht, welche 4000 Jahre i) dauern sollte, bis der
Heiland erschien.
Um die Zeit der Gründung Roms, 753 Jahre vor Christus,
rief Isaias der Prophet aus: „Wächter, wie weit ist es in der
Nacht? Wächter, wie weit in der Nacht?!" (Isaias 21, 11.) Und
ferner: „Tauet, Himmel! aus der Höhe, und Wolken! regnet
^) 4000 Jahre. Nach dem hebräischen Texte der Bibel, welchem
die Vulgata folgt, rechnet man gewöhnlich 4000, oder auch 4225 Jahre
von Erschaffung der Welt bis auf Christi Geburt. Nach der griechischen
Übersetzung der Septuaginta dagegen werden hierfür 5000 Jahre (vielleicht
auch etwa 5700 Jahre) angenommen. (Vgl. Schanz „Das Alter des Menschen-
geschlechtes." Bibl. Studien I., 2.)
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VI
den Gerechten, auftue sich die Erde und lasse erblühen den
Heiland!" (Isaias 45, 8.)
Während der langen Nacht, welche der Geburt Jesu Christi
vorausging, liess Gott der Herr Licht in der Finsternis auf-
strahlen, indem er, als sich die Trennung der Völker auf der
Ebene von Sennaar vollzogen hatte, den Heiden die Gnade
der Vernunft leuchten liess, vergleichbar dem Sternen-Glanze
nach Untergang der Sonne. Hierdurch wurde es nicht völlig
dunkel bei ihnen i). Als solche von der Vorsehung bestellten
Lichter strahlten Cadmus, Lykurg, Solon, Sokrates, Plato, sowie
Perikles unter den Griechen, und Romulus, Numa Pompilius,
die Scipionen, Caesar, Cicero und Virgil bei den Römern 2).
Unter dem Kaiser Augustus aber ging die 4000jährige Nacht
schon ihrem Ende zu: der helle Morgen-Stern brach an, und
Jesus Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, wurde zu Bethlehem
in Judäa geboren.
Das Volk der Juden erhielt ausser dem Lichte der Ver-
nunft auch noch eine Erleuchtung durch die Offenbarung. Gott
selbst trat seinem Volke am Berge Sinai entgegen, und, Mark
und Bein erschütternd klang aus der Wolkensäule die Stimme
Jahves: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine fremden
Götter neben mir haben!** (L. Exodi 20, 2 sq.) Die Israeliten
besassen Moses sowie die Propheten als Zeugen Gottes. Und
zum Zeichen der himmlischen Erleuchtung brannte der sieben-
^) Gott gab den Heiden das Licht der Vernunft (Ad Romanos 1,19 sq.),
die Stimme des Gewissens (ibid. 2, 14 sq.) und das Unterpfand dei religiösen
Überlieferungen (die Uroffenbanmg : Genesis 10, i sq., sowie 11, 6. 8.).
^) Was immer der historische Untergrund der alten Überlieferungen
sein mag, welche Titus Livius in so anziehender Erzählung verewigt hat;
ihre drastischen Gestalten: Romulus und Remus, Numa Pompilius, Tullus
Hostilius, Ancus Martins, Tarquinius Priscus, Servius Tullius, Tarquinius
Superbus usw., haben sich in der prosaischen und poetischen Literatur
der Römer so festgesetzt, dass keine aktenmässige Kritik sie je aus diesem
Besitzstande verdrängen wird. (Vgl. Baumgartner, S. J., „Weltliteratur",
III. Band, 3. u. 4. Auflage, S. 348, Freiburg (Breisgau) bei Herder 1902.) —
Zudem hat man im Januar 1899 auf dem Forum Romaniun das ..Romultis-
Grab'', und noch Gräber aus älterer Zeit entdeckt. (Vgl. Richard Thiele
„Das Forum Romanum" Programm des Gymnasiums zu Erfurt 1904, S. 45 f.,
und Ch. Hülsen „Die Ausgrabungen auf dem Forum Romanum". Rom 1905,
Seite 40 — 46.)
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VII
armige Leuchter Tag und Nacht im Tempel zu Jerusalem. Die
Juden hatten ein Licht gleich dem Glänze des Vollmondes,
welcher das Leuchten der Sterne weit tibertrifft.
Wir Christen dagegen besitzen in Jesus Christus die Sonne
der Gerechtigkeit, welche auch das Licht des Mondes noch
zurücktreten lässt. (Ad Hebr. 1 , 1 sq.) Wenn nun schon mancher
Ausspruch im Alten Testamente, weil noch Prophezeiung und
nicht Erfüllung, den Juden selbst unklar und dunkel war, wie
auch das Licht der Mond-Nacht traumhaft erscheint; wie viel
mehr noch sind Sentenzen der griechischen und römischen
Klassiker den Heiden unverstanden und rätselhaft geblieben,
bis die Sonne des Christentums alles mit klarem Lichte über-
goss: „Der Gerechten Weg ist wie ein strahlend Licht; es bricht
hervor und wächst bis zu dem vollen Tage.** (Proverbiorum 4, 18.)
Um nun der studierenden Jugend bei Lesung der heid-
nischen Klassiker eine Führung zu bieten, haben wir Tatsachen
und Personen, sowie Aussprüche derselben mit der hl. Schrift
verglichen. Auf diese Art erkennen wir, dass die Weisheit der
alten Völker ein Licht war, welches Gott zu deren Erleuchtung
und Leitung ihnen angezündet hatte, damit auch sie den Weg
zur vollen Wahrheit im kommenden Christentume finden könnten.
„Erat lux vera, quae illuminat omnem hominem venientem
in hunc mundum."
Oder, wie der Sänger Homer sagt:
edpaei intti'- iixex oötoi äv€u Geou i^be t€ ßouXri. (Odysseos2, 372.)
Zur leichteren Einführung haben wir unserem Haupt-Thema
zwei Abschnitte vorausgehen lassen, in welchen dargelegt wird,
dass die christliche Theologie seit den frühesten Zeiten es sich
angelegen sein Hess, die Schriften der alten Klassiker zu durch-
forschen, und dass der hl. Schrift (der Bibel) wegen ihres ehr-
würdigen Alters und um ihres vortrefflichen Inhaltes willen der
vorzüglichste Rang in der ganzen Welt-Literatur gebührt.
Hönningen a, Rh., 29. Januar 1901,
am Feste des hl. Kirchenlehrers Franz v. Sales.
Michael KröU, Pfarrer.
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Vorwort zur zweiten Auflage.
"Etib iLice' ö|Liiv €i|Lii: Ego vobiscum sum! Ich bin
bei euch! L. Evangelii S. Matthaei 28, 20.
„Hoc enim est Ecclesiae proprium, ut tunc vincat
quum laeditur, tunc intelligatur, quum arguitur, tunc
obtineat, quum deseritur." S. Hilarii de Trinitate
1. VII, c. 4. Migne Patrum Latinorum Tom. X Col. 202.
Das ist der Kirche eigentümlich, dass sie dann
siegt, wenn sie angegriffen wird; dann verstanden
wird, wenn man sie tadelt; dann sich behauptet,
wenn sie verlassen wird!
Jedem, welcher die heutigen Zeitbestrebungen unbefangen
erwägt, wird es offenbar, dass ein grosser Kampf gegen Christus
und seine Kirche sich erhoben hat. Während es viele gibt,
welche die Gottheit Jesu Christi geradezu leugnen, versuchen
andere, die fünf Bücher Moses, die Grundlage des alten und
neuen Testamentes, in Zweifel zu ziehen. Christus, der Herr,
sagte zu seinen Zeitgenossen: „Würdet ihr dem Moses glauben,
so würdet ihr auch wohl mir glauben; denn Moses hat von mir
geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubet, wie
werdet ihr meinen Worten Glauben schenken?!" Evgl. S. Joh. V,
46 und 47. Darum entstand eine grosse Erregung in weiten
Kreisen, als der bekannte Professor Dr. Friedrich Delitzsch
in der Sing-Akademie zu Berlin am 13. Januar 1902 einen Vor-
trag über „Babel und Bibel" hielt, um die aufgeworfenen Gräber
zu Babylon und Ninive das Grab der Bibel werden zu lassen.
Am 12. Januar 1903 hielt derselbe Gelehrte sodann in der
Sing-Akademie in Gegenwart hoher Persönlichkeiten einen
zweiten Vortrag über dasselbe Thema. Er führte darin aus:
es gebe keine grössere Verirrung des menschlichen Geistes, als
den Glauben, die Bibel sei eine persönliche Offenbarung Gottes!
Er meinte, ausser der Gottes-Offenbarung, welche jeder Mensch
in sich trage, brauchten wir keine andere.
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IX
Am 28. Oktober 1904 hielt er nun in der literarischen
Gesellschaft zu Cöln einen dritten (Schluss-) Vortrag über „Babel
und Bibel**. Gleich im ersten Satze betonte Delitzsch, dass
die assyrisch babylonischen Forschungen uns nötigten, unsere
bisherigen Auffassungen vom Alten Testamente ihrem Wesen
nach zu ändern, und zweimal kam er darauf zurück, wir seien
in unserem Religions- Unterrichte gans falsch belehrt worden.
Gewiss um diese falschen Auffassungen zu berichtigen,
brachte die Monats- Schrift für höhere Schulen, welche von den
vortragenden Räten des Kultus-Ministeriums Dr. Koepke und
Dr. Matthias zu Berlin herausgegeben wird, im 10. Hefte
1902 schon einen Aufsatz über den alttestamentlichen Geschichts-
unterricht in der Sexta von dem Oberlehrer R. H aasen zu
Düsseldorf. Derselbe scheint von der Richtigkeit der Behaup-
tungen des Berliner Professors Delitzsch ganz überzeugt zu
sein. Er beantragt nämlich, ^,die Sagen^^ des alten Testamentes
aus dem biblischen Unterrichte herauszulassen. Auch machen
,,die vielen Wunder^^ des alten Testamentes nach Haasens
Arfsicht den Unterricht in der biblischen Geschichte für die
Sextaner ungeeignet. Die Folgezeit lehrte, dass Herr H aasen
viele Gesinnungsgenossen hat.
Deswegen drängt er uns, an den biblischen Spruch zu
erinnern: ,jWächter/ wie weit ist es in der Nacht? !^^ (Cf. 1.
Isaiae prophetae c. 21, 12 sq.)
Um so freudiger aber begrüssen wir es, dass die kühnen
Behauptungen des Prof. Delitzsch von den verschiedensten
Seiten, auch von protestantischen Hochschullehrern, die schärfste
Kritik erfahren haben. Wir nennen u. a. :
Professor J. Barth zu Berlin; C. Budde in Marburg;
Fr. Kaulen zu Bonn; P. Keil in London; Ed. Koenig zu
Bonn; C. Bezold in Heidelberg; P. Jensen zu Marburg;
H. Grimm in Freiburg (Schweiz) ; Fr. Hommel zu München;
Fr. Xav. Kugler, L. J. in Valkenburg (Holland); Vinc. Zaple-
taly Ordinis Praedicatorum zu Freiburg (Schweiz); sowie die
beiden Pastoren : Alfred und Johannes Jeremias zu Leipzig
und Gottleuba (Sachsen); schliesslich Dr.J. Döller zu Wien i).
1) I. „Babel und israelitisches Religionswesen." Vortrag von Professor
Dr. J. Barth. Berlin bei Mayer und Müller 1902. 36 S.
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Das allgemeine Urteil über Proifessor Delitzsch lautet
dahin, dkss er als Assyriologe zwar Tüchtiges leisten könne,
dass aber seine theologischen Kenntnisse vielfach der Ergänzung
bedürftig seien.
Sehr treffend sprach sich daher Kaiser Wilhelm II. in
seinem Schreiben d. d. 15. Febr. 1903 an den Admiral Holl-
mann aus, wenn er darin sagte: „Er (Professor Delitzsch)
verliess in seinen Ausführungen leider den Standpunkt des
strengen Historikers und Assyriologen und geriet dabei in theo-
logischreligiöse Schlüsse, welche doch recht nebelhaft und
gewagt waren." Und ferner: „Der Theologe ist mit dem
Historiker auf und davon gegangen — ; derselbe möge uns
Laien, und besonders die Orient-Gesellschaft, mit seinen theo-
logischen Thesen verschonen." Diese Worte hatten den Erfolg,
dass der dritte Vortrag über „Babel und Bibel" nicht zu Berlin,
sondern zu Cöln a. Rh. gehalten wurde.
2. „Das alte Testament und die Ausgrabungen". Vortrag von Professor
Dr. C. Budde aus Marburg, gehalten zu Giessen. Giessen, Rickersche
Buchhandlung. 1902, 39 S. (besonders S. 35).
3. „Der biblische Schöpfungsbericht" von Professor Dr. Fr. Kaulen zu
Bonn. Freiburg (Breisgau) bei Herder 1902, 93 S.
4. „Babel und Bibel" von demselben. Literarischer Handweiser Nr. 766 u.
767 zu Münster (Westfalen) 1901/1902. Theissingsche Buchhandlung.
5. „Babel und Bibel von Professor P. Keil zu London. Pastor Bonus,
Trier 1902/3. Heft i — 4. Paulinus-Druckerei.
6. „Babel und Bibel" von Professor Dr. Ed. Koenig zu Bonn. Berlin
bei Martin Wameck 1902. 50 S. (mehrere Auflagen).
7. „Bibel-Babel", oder „Babel- Bibel", Gutachten von Gerhard Rauschen
zu Bonn. Literarische Beilage der K()ln.- Volkszeitung 1902, N. 20 (S. 148
figd.).
8. „Der Schöpfungsbericht" erklärt von Professor Vinc. Zap letal, O. Pr.
Uni versitäts- Buchhandlung, Freiburg (Schweiz) 1902, 104 S.
„Im Kampfe um Babel und Bibel" von Dr. Alfred Jeremias, Leipzig
bei Hinrich, 1903, 45 S.
„Moses und Hammurabi" von Dr. Johannes Jeremias. Leipzig bei
Hinrich. 1903, 47 S.
yjUnbewiesenes.^^ Bemerkungen eines Philologen zu Fr. Delitzsch
„Babel und Bibel". Münster (Westf.) bei H. Schoeningh 1903.
„Das Gesetz Chammurabis und Moses" von Professor Dr. Hubert
Grimme zu Freiburg (Schweiz). Cöln a. Rh., bei J. P. Bachern 1903.
45 Seiten. Derselbe ist auch Verfasser von „Unbewiesenes" (11).
10
II
12
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xr
Aus der ganzen Sachlage aber wird es klar, dass es zeit-
gemäss ist, daran zu erinnern, was Professor Dr. Heinrich
zu Mainz im II. Teile seiner speziellen Dogmatik, § 294, S. 16
Anm. 1, über das Verhältnis der heidnischen Mythen zur gött-
lichen Offenbarung mitteilt. Der Mainzer Gelehrte schreibt 1. c:
„Dass die religiösen Überlieferungen aller Völker mehr
oder minder klar die Grund-Wahrheiten und Haupt-Tatsachen
der Ur-Offenharung enthalten, kann keinem Zweifel unterliegen
und findet um so mehr Bestätigung, je vollkommener man die-
selben kennen lernt. Insofern hat die in neuester Zeit mit
so viel Eifer betriebene vergleichende Religions-Geschichte nicht
nur eine grosse kulturhistorische, sondern auch eine grosse
apologetische Wichtigkeit. Dass die katholische Wissenschaft
sich des zutage geförderten ungeheueren Materials bemächtige
und dasselbe im Lichte des Glaubens und einer gesunden Philo-
sophie beurteile, ist um so notwendiger, als nicht nur eine
oberflächliche, ungläubige Populär-Wissenschaft dasselbe in
ihrer Art ausbeutet, sondern auch die meisten, zum Teil wissen-
schaftlich bedeutenden Forscher (vgl. Delitzsch), auf diesem
Gebiete nur zu sehr an den Tag legen, dass sie der echten
und gründlichen theologischen und philosophischen Schulung
entbehren. Die Folge davon ist, dass dieselben mehr oder
w^eniger von naturalistischen und ungläubigen Grund- Anschau-
ungen ausgehen und darnach die Ergebnisse ihrer Forschungen
deuten. Gewiss bilden auch natürliche Ursachen einen wichtigen
Faktor in der Entwickelung der heidnischen Religionen; aber
ebenso gewiss sind dieselben nicht der einzige oder wichtigste
Faktor darin und daher auch keineswegs imstande, den wirk-
lichen Inhalt der mythologischen Religion genügend su erklären.
Das ist nach den Grundsätzen sowohl des Glaubens als auch
der echten Wissenschaft nur möglich, wenn wir anerkennen,
dass alle Religionen in ihrem ersten Ursprünge aus der in
der Bibel uns rein bewahrten Uroffenbarung hervorgegangen
sind. Was Lücken in seiner Abhandlung über vergleichende
Mythologie als Resultat seiner Forschungen ausspricht, ist im
wesentlichen unanfechtbare Wahrheit. yyDer Kern des Heiden-
tums ist überall derselbe und ist entnommen aus der Ur-
tradition der Menschheit, wie die Bibel sie aufbewahrt hat.
Die reine geoff'enbarte Religion im Anfange, und der
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XII
spätere Verfall derselben im Heidentume das ist die historische
Tatsache^), welche das Heidentum auch jetzt noch aufweist.
Alle Spekulation und philosophische Deutung, welche diesen
historisch- christlichen Standpunkt verlässt und alle Religionen
a priori als gleich und sämtlich als eigenes Produkt des Volkes
und seines nationalen Geistes betrachtet, kann nur auf gänz-
lichen Irrweg führen. Wollen wir aber eine wahre vergleichende
Religions-Wissenschaft aufstellen, so muss dieselbe von dem
christlich-historischen Standpunkt ausgehen. Ferner muss sie
die Religionen der Welt um die Uroffenbarung als ihrem Ur-
grund und Mittelpunkt gruppieren, und von dieser aus das
Licht und die Aufklärung in den Kreis der Religionen und
Mythologie des Heidentums hineinleuchten lassen. Das allein
führt zum Ziele! Die naturalistische, wie sprachliche Mythen-
deutung aber ist, wenn sie auch einzelne Aufschlüsse gibt, im
ganzen nur ein willkürliches und subjektives Verfahren, das
aller Wirklichkeit widerspricht."
Ebenso hat Dr. Fischer in seinem verdienstvollen Buche
„Heidentum und Offenbarung*' zahlreiche und unzweifelhafte
Berührungspunkte der ältesten hl. Bücher der Inder, Perser,
Assyrer, Babylonier und Aegypter mit der Bibel auf Grund
der neuesten Forschungen nachgewiesen. Er kommt zu dem
Schlüsse, dass die dogmatischen und geschichtlichen Berührungs-
punkte zwischen den verschiedenen Völkern untereinander
und mit der Bibel, als Reste und Erinnerungen aus der allen
gemeinsamen Urseit und Uroffenbarung zu betrachten seien.
Die ethnologischen und vergleichenden Sprachforschungen
weisen ja immer mehr die Abstammung aller Völker von ein-
ander und die ursprüngliche Einheit des Menschengeschlechtes
nach. Stammen aber wirklich alle Völker wie Zweige von
1) Dr. Hugo Winkler berichtet in seinem Vortrage „Die baby-
lonische Kultur in ihren Beziehungen zur unsrigen" betreffend, S. lo flgd.:
„Die Zeit des Anfanges unserer Kenntnis von Babylon (um 3000 vor
Christus) ist nicht der Anfang einer höheren Kultur (Religion usw.); sondern
diese steht im Gegenteil mit ihren Lehren schon damals hoch entwickelt
da und verfällt seitdem.^' Als Grund dieser Erscheinung können wir hin-
zufügen: Je weiter nämlich die Völker nach dem Turmbaue zu Babel von
dem Lichte zurücktraten, desto tiefer sanken sie in den Schatten. (Verlag
der J. C. Hinrichschen Buchhandlung, Leipzig 1902.)
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XIII
einem Urstamme ab, dann könnte letzterer die bedeutungs-
vollen Ereignisse der Vorzeit wie : Paradies, Sündenfall, Sünd-
flut ^) usw. durch mündliche Überlieferung (Tradition) während
der langen Lebensdauer der ersten Menschen auf die Nach-
kommen vererbt haben. Und so wäre die Übereinstimmung
hinsichtlich der Urgeschichte erklärt. Es bleiben nun noch die
dogmatischen Konkordanzpunkte übrig. Wir haben aber im
Laufe unserer Darstellung gefunden, dass, je mehr man in die
Vorseit eines Volkes zurückgeht, desto reiner und geklärter
dessen Religionsanschauungen sich darbieten. So sagt Cicero
„Tusculanarum Disputationum" 1. L, c. 12, n. 26: „Auetoribus
quidem ad istam sententiam, quam vis obtineri, uti optimis
possumus, quod in omnibus caussis et debet et solet valere
plurimum; et primum quidem omni antiquitate: quae quo pro-
pius aberat ab ortu et divina progenie, hoc melius ea fortasse,
quae erant vera, cernebat." Um die Meinung („Unsterblichkeit
der Seele**), von welcher ihr überzeugt zu werden verlangt,
zu bekräftigen, will ich euch das ganze Altertum nennen,
welches, Je näher es dem Ursprünge und der göttlichen Ab-
stammung war, desto besser die Wahrheit erkennen konnte.
Diese Beweismethode ist nämlich die beste, welche man an-
wenden kann, die ja auch bei allen streitigen Fragen nach
Pflicht und Herkommen grösste Bedeutung hat.
De legibus 1. II., c. 11, n. 27 sagt derselbe: „quoniam anti-
qiiitas proxime accedil ad deosl^' Es ist ja uns allen bekannt,
dass die Menschen der Vorzeit zunächst an die Gottheit hinauf-
reichten (der Gottheit am nächsten waren).
Wir haben ferner gesehen, dass alle Völker, wie ihre
ältesten hl. Schriften ausweisen, den Ursprung des Menschen
unmittelbar von Gott ableiteten (vgl. Cicero 1. supra c. „divina
progenie" = göttlichen Ursprunges), und eine ursprüngliche
göttliche Offenbarung annehmen. So sagt Aristoteles „Meta-
physicae*^ 1. XII, c. 8 in fine: TTapab^boTai be irapa tOüv dpxaiujv
Ktti TTaiUTTaXaiiJüv ev jniiGou C)iy\\iaT\ KaTaXeXei|Lija^va Toiq öarepov öti
öeoi xe eicTiv outoi Kai irepiexei tö GeTov Tfjv oXtiv q)U(Tiv • xd hk Xonra
)Liu0iKUJ^ fibri TTpocTnKxai irpö^ xfjv ireiGib xuiv ttoXXiuv Kai irpö^ xf|V
^) Sünd-Fliit = Flut um der Sünden der Menschen willen.
Sint'Flut = grosse Flut.
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XIV
€i^ vöfiou^ Ktti 7rp6^ TÖ (Tufiq)dpov XPH^^iv . . . uiv ei ti^ x^9^^^^ o.mö
Xdßoi |Li6vov TÖ irpiüTOV, 8ti Geouq iIiovto xd^ irpiira? ou(Tia^ elvai,
0€id»^ av eipficTGai vofii(T€iev . . . Taura^ id? boiaq dKCivuJV
o\'ov Xeiipava TrepicTecTiJüCTGai juexpi tö vöv f| |Litv oöv irdipio^
böEa Ktti i\ irapd tiIiv irpiuTiuv em toctoOtov fjfiiv q)av€pd ^övov
Von den Alten und aus grauer Vorzeit ist den Nach-
kommen im Gewände des Mythus (Fabel) tiberliefert worden,
dass sowohl Götter seien, als auch, das Göttliche die ganze
Natur umfasse. Das übrige ist mythische Zutat zur Über-
redung der Menge, zum Behufe der Gesetzgebung und um der
Zuträglichkeit willen .... Wenn man nun hier eine Schei-
dung vornimmt, und nur das Erste, das Ursprüngliche, fest-
hält, nämlich die Ansicht, dass die ersten Substanzen Götter
seien (die ersten Menschen Kinder Gottes seien); so wird man
wohl diese Lehre für göttliche Offenbarung halten müssen . . .
und annehmen, dass jene Vorstellungen gleichsam Trümmer
einer uralten, untergegangenen Weisheit seien^ welche sich bis
auf die Gegenwart gerettet haben. Nur insoweit ist uns die
Ansicht unserer Väter und die Überlieferung der Urseit ver-
ständlich.
Ähnlich, drückt sich Plato, der Lehrer des Aristoteles,
aus: TTeiOecTGai be outu)^ aTei XP^ toT<; iraXaioi? t€ xai lepoT^ Xoyoi?,
Ol bf] jUTivucucTiv fi^Tv dGdvaTov xrysf ipuxHV elvar biKacTTd? t€ icTx^iv,
Ktti Tiveiv Td<; \kv^\aTaq Ti^iiüpia«;, öxav ti<; diraXXaxGq toO criu^iaTO?'
Piatonis Epistolae VII. (n. 335. a.).
Man muss immer zuversichtlich der alten und heiligen
Überlieferung glauben, welche uns lehrt, dass die Seele unsterb-
lich ist, und nach ihrer Trennung vom Leibe ein unerbittliches
Gericht zu bestehen hat, welches ihr die verdienten Strafen
auferlegt/
Auch der Philosoph Seneca (Epistola XC.) spricht von den
„viri a diis recentes"; die ersten Menschen waren unmittelbar
von Gott entsprossen (und standen ihm am nächsten).
Hierin nun: in der anfänglichen sittlich-religiösen Er-
ziehung durch Gotty oder in der Uroffenbarung^ kann allein
die Ursache gefunden iverden, dass die alten Weisen in so vielen
ethischen Grund- Wahrheiten miteinander übereinstimmen.
Die ursprünglichen göttlich geoffenbarten Religions- Wahr-
heiten sind in der Folgezeit durch Überlieferungen von den
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XV
Erzvätern auf ihre Nachkommen übergegangen, erlitten aber
im Laufe der Jahrhunderte (nach dem Turmbaue zu Babel—)
mehrfache Wandlungen und Trübungen, ohne jedoch den Kern
und die Grundelemente einzubüssen. Nur die ursprüngliche
Einheit des Menschengeschlechtes und die Uroffenbarung bieten
uns feste Anhaltspunkte Bur Lösung dieses Problems, Mit Recht
sagt daher der Aegyptiologe SeyfTarth: „Es gibt eine Uroffen-
barung, welche mit der Gerechtigkeit des Noe nicht unter-
gegangen sein kann; sie muss vielmehr von ihm auf seine
Kinder und die Völker seiner Nachkommen sich fortgepflanzt
haben.** Dieses ist das Urteil, welches die natürliche, unbefangene
Wissenschaft fällen muss.
Dass nun aber Moses bei Abfassung der Genesis (Buch
der Ursprünge) göttlich erleuchtet war und die Urgeschichte
der Menschheit aus der unter Gottes besonderem Schutze im
Hause der Patriarchen rein bewahrten Uroffenbarung geschöpft
hat, ist eine Wahrheit, für welche alle äusseren und inneren
Glaubwtirdigkeitsgründe sprechen.
Rechnen wir hierzu, dass die Literatur von Babylon,
Aegypten, Assyrien, Phoenicien und Persien bis auf wenige
Bruchstücke der Vernichtung anheimgefallen ist, während das
unscheinbare Volk Israel allein uns eine zusammenhängende
Darstellung seiner ganzen Entwicklung vom Anbeginn der
Tage (Genesis usw.) hinterlassen hat, so müssen wir hierin
eine besondere Fügung Gottes anerkennen. Die israelitische
Gesamtliteratur ist längst in das geistige B^sitstum der christ-
lichen Menschheit übergegangen; so dass heute nach so langer
Zeit die sämtlichen christlichen Völker mit der biblischen
Geschichte vertrauter sind, als mit ihren eigenen Überlieferungen.
(Vgl. Joseph Schreiner „Elysium und Hades" S. 3 und 4; Braun-
schweig und Leipzig bei Richard Sattler 1902.) Trotz aller
Angriffe werden die fünf Bücher Moses (und die ganze hl. Schrift)
ununterbrochen seit 3400 Jahren durch Millionen von Menschen
auf der ganzen Welt als von Gott eingegeben verehrt und
betrachtet. Wo gibt es in der ganzen Weltliteratur ein zweites
Werk, dem eine solche allgemeine Hochschätzung und Bedeu-
tung zukommt? Schon als Geschichtsbuch angesehen, ist die
Genesis der älteste, authentischste und lehrreichste Bericht,
welcher unter göttlicher Autorität für die Menschen aller Zeiten
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XVI
geschrieben wurde. Sie enthält die einzige, zuverlässige Dar-
stellung der Begebenheiten in der ganzen Welt vor der Sünd-
flut, und sie umfasst hierbei einen Abschnitt von mehr als
1500 Jahren (nach der Septuaginta von mehr als 2000 Jahren),
nämlich die Zeit von Erschaffung der Welt und der ersten
Menschen bis Noe.
Besässen wir den hebräischen Chronisten nicht, so wäre
die ganze vorsündflutliche Geschichte der Menschheit uns ein
unbeschriebenes Blatt, ein Gegenstand blosser Spekulation für
alle folgenden Zeitalter.
Der Dekalog (die hl. 10 Gebote Gottes), im 20. Kapitel
des II. Buches Moses (Exodus), ist um 700 Jahre älter, als die
Lykurgische Gesetzgebung zu Sparta (c. 800 a. Chr.); um
900 Jahre älter, als die Gesetzgebung des Solon in Athen (c. 504);
2000 Jahre älter, als das Corpus Juris Civilis unter dem ost-
römischen Kaiser Justinian (a. 533 p. Chr.); 2700 Jahre älter,
als die Charta Magna Libertatum in England (a. 1215); 3300
Jahre älter, als der Code Napoleon (code civil des Frangais
d. d. 29. October 1804), und ebenso viele Jahre älter, als die
Nordamerikanische Konstitution; endlich um 3400 Jahre älter,
als das Deutsche bürgerliche Gesetzbuch (a. 1900). Und doch
ist dieser Dekalog besser gekannt und wird allgemeiner dem
Gewissen eingeschärft, als irgend welche Gesetze, die von
Menschen jemals in Worte gefasst worden sind. (Vgl. Card.
Gibbons, Erzbischof von Baltimore, ,,Der Gesandte Christi",
New- York 1902, S. 228^).
^) Das Gesetz Hammurabis geht dem Sinaitischen des Moses um
500 Jahre voraus und enthält manche Bestimmungen, welche wir später
auch bei Moses wiederfinden. Was folgt daraus?
1. Gott der Herr gab den Heiden das Licht der Vernunft, durch
welches sie die natürlichen Wahrheiten und Gesetzmässigkeiten erkennen
und als Regenten auch zum Wohle ihrer Untertanen anwenden konnten.
2. „Gratia non destruit naturam, sed supponit et elevat." S. Thomae
Aquinatis I., quaest. i. art. 8. ad secundum, und I., quaest. 2., artic. 2. ad
primum.
Die Gnade zerstört nicht die natürlichen guten Eigenschaften (eines
Menschen oder eines ganzen Volkes) ; sondern setzt dieselben voraus, und
erhr>ht sie.
3. Demgemäss erhielten manche weise Bestimmungen der früheren
Zeit im Gesetze Mosis eine Aufnahme und dadurch einen hr>heren Wert
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|.
Um daher den Gebildeten unserer Zeit eine angenehme
und im christlichen Glauben stärkende Gabe zu bieten, hat der
und eine Bedeutung, weil sie eben nützliche Anordnungen waren, welche
sich bei dem Volke Israel ebensogut verwenden Hessen, als bei den
Heiden in Babylon usw.
4. Durch die Aufnahme von 'so allgemein brauchbaren Institutionen
wurde das Gesetz Mosis auch den Heiden verehrungswürdig („rationabile
obsequium vestrum" Ep. ad Romanos c. XII., v. i : euer vemunftgemässer
Gottesdienst), und konnten um so leichter als Proselyten zum Judentume
übergehen; als sie nichts von demjenigen aufzugeben hatten, was sie an
wirklich Gutem besassen. Aus diesem Grunde befand sich im Tempel zu
Jerusalem auch ein Vorhof für die Heiden. Cf. III. Regum c. 8, v. 41 — ^44:
Das Gebet Salomos für die Heiden: „Wenn auch ein Fremder, welcher
nicht zu deinem Volke Israel gehört, aus fernem Lande kommt um
Deines Namens willen (z. B. die Königin Balkis aus Saba : III. Regum c. 10 ;
femer die Heiden am Palmfeste zu Jerusalem: Evgl. S. Joh. 12, 20; am
Pfingstfest daselbst: Actus Apostolorum II., sq; auch der Kämmerer der
Königin Lakosa aus Äthiopien: 1. c. cap. 8, 26 — 40.); denn kund wird dein
Name, der grosse, und deine Hand, die mächtige, und dein Arm, der aus-
gestreckte, allenvärts) wenn er also kommt und betet an dieser Stätte: erhöre
du ihn im Himmel in deiner festen Wohnung, und gewähre alles, um was
der Fremde dich anfleht, auf dass alle Völker der Erde deinen Namen fürchten
lernen, gleich deinem Volke Israel, und erfahren, dass dein Name über dieses
Haus ausgesprochen sei, welches ich erbaut habe." (Cf. auch Evgl. S.
Matthaei c. 8, v. 10 — 14).
5. Schliesslich waren manche Rechtsbegriffe der alten Hebräer ein
Gemeingut des ganzen semitischen Stammes, waren schon seit Jahrhunderten
im praktischen Leben angewendet, und den Juden sowohl, als auch den
Babyloniem, lange vorher bekannt, ehe sie auf dem Berge Sinai eine
feierliche Bestätigung vom Himmel her erhielten. Die mosaische Offen-
barung war nämlich, in dem, was sie Allgemeingültiges enthält, nur eine
zweite Verkündigung der Uroffenbarung Gottes. Die Propheten verkün-
digten Chi is tum, und der ganze alte Kultus war nur ein Vorbild von ihm.
Ein durchgreifender Untersrchied aber zwischen beiden Gesetzgebungen
l)esteht darin, dass Hammurabi in seinem Werke den Grundgedanken der
Verweltlichung des Rechtes mit bewusster Absicht durchführte, während Moses
das Recht in die Bahnen eines von Gott ausgehenden, von Gott geleiteten, das
Göttliche im Menschen fördernden Gesetzes einlenkte, und dadurch das
christliche Gesetz der Sitte und Moral vorbereitete. In dieser Beziehung hat
keine Ideenübertragung stattgefunden. (Vgl. Hubert Grimme „Das Gesetz
Chammurabis und Moses", Cöln a. Rhein, 1903.)
7. Hieraus erklärt sich die Tatsache, dass im Gesetze Hammurabis
nur das strenge, unerbittliche Recht zur Geltung kommt, während von
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 2
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XVIII
Verfasser die Neubearbeitung seiner 1901 erschienenen Ab-
handlung „Die Beziehungen des klassischen Altertums zu den
hl. Schriften des Alten und Neuen Testamentes" unternommen.
Barmherzigkeit auch nicht eine geringe Spur zu entdecken ist. Dagegen
im Gesetze Moses, als von Gott, dem Allgütigen und Barmherzigen, aus-
gegangen, finden sich auch folgende Bestimmungen: Einen Fremden
bedränge nicht; ihr wisset ja, wie es Fremdlingen zumute ist, da ilir
selbst Fremdlinge wäret im Lande Ägypten! 1. Exodi 23, 9.
Ferner: Verdrehe nicht das Recht dem Fremden oder der Waise,
und nimm nicht an Pfandes Statt das Kleid einer Witwe. Gedenke, dass
du Knecht wärest in Ägypten, und dich befreit hat von da der Herr,
dein Gott. Darum gebiete ich dir, dass du dieses tuest.
Wenn du die Saat von deinem Felde erntest und aus Versehen
eine Garbe zurücklässl, so kehre nicht zurück, dieselbe zu holen; sondern
überlasse sie zum Aufheben dem Fremden, der Waise und der Witwe;
damit dich segne der Herr, dein Gott, bei allen Unternehmungen deiner Hände.
Sammelst du die Früchte der Ölbäume, so kehre nicht zurück, zu
nehmen, was noch an den Bäumen blieb; sondern lasse es den Fremden,
Waisen und Witwen.
Liesest du deinen Weinberg ab, so sammele nicht übersehene
Trauben; sondern sie sollen zur Verwendung heimfallen dem Fremden,
der Waise und Witwe.
Gedenke, dass auch du Knecht wärest in Ägypten; und darum
gebiete ich dir, dass du dieses tuest! L. Deuteronom. 24, 17 — 22,
Ausser diesem inneren sachlichen Unterschiede zwischen den beiden
Gesetzgebungen besteht auch eine einschneidende äussere formale Ver-
schiedenheit. Wie Heinrich Müller „Die Gesetze Hammurabis" usw.
Wien, A. Holder, 1903, nachgewiesen hat, kann nicht geleugnet werden,
dass die Gesetzgebung des Moses einen grossen Vorzug vor den Gesetzen
Hammurabis hat, weil die Formulierung und Gruppierung derselben viel
ursprünglicher sind, als die Hammurabis. Darum kann auch Moses keine
Entlehnung von Hammurabi gemacht haben. Beide Gesetze müssen viel-
mehr aus einem Urgesetze geschöpft haben, welches in seiner Fassung,
Gruppierung und Reihenfolge dem Mosaischen Gesetze näher stand, als
dem Hammurabis. Als der einzig wahrscheinliche und mögliche Weg,
auf welchem dieses mündlich oder schriftlich fixierte Gesetzessystem aus
dem Osten nach dem Westlande gekommen ist, kann wohl der geschicht-
lich bezeugte Zug (Genesis 11, 31 f. und 12, i f.), Abrahams aus Ur-Kasdim
und Harran, dem Heimatlande Hammurabis, nach Kanaan angesehen werden.
Auf einem Seitenwege kam das Gesetz, sei es von Babylon, sei es von
Kanaan, nach Griechenland, beeinflusste daselbst die hellenischen Legis-
lationen und erreichte dann Rom, wo ein starker Niederschlag des
Systems sich in den „Zwölf Tafeln" noch erhalten hat.
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XIX
Möge dieselbe etwas dazu beitragen, um die grossen Vor-
züge der antiken Zeit in ein helleres Licht zu stellen, damit
wir die Weisheit derselben nach Gebühr hochschätzen und als
eine Vorstufe zum Christentume betrachten. Zu dieser Auf-
fassung leitet uns der tiefere Sinn jener Worte: ^0 XpicTTÖq fjv
TÖ qpuj^ TÖ dXriBivöv ö qpuixiZiei iravTa ävBpujTrov dpxö^ievQV ei^ töv
KÖcTjLiov (Evgl. S. Johannis I, 9.) Christus war das wahre Licht,
welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.
Um nun den Gedankengang unseres Buches kurz an-
zugeben, so sei bemerkt, dass wir zuerst die allen Völkern bis
zu ihrer Trennung auf der Ebene von Sefiaar gemeinsame
Uroffenbarung besprechen, welche späterhin von Moses auf
Befehl Gottes in ihrer Reinheit und Unversehrtheit nieder-
geschrieben wurde.
Wir gehen dann zur Entstehung des Heidentums über,
in welchem sich die hl. Überlieferungen der Vorzeit allmählich
verdunkelten und in Mythen und Fabeln auflösten ; so dass nur
mehr einzelne Bruchstücke derselben im Gedächtnisse der
Völker zurückblieben.
Hierauf legen wir die Bemühungen der Theologie (der
christlichen Kirche) dar, um den noch vorhandenen Resten und
Trümmern der alten Traditionen nachzuspüren, sowie die
klassische Literatur des antiken Heidentums zu sammeln und
praktisch zu verwerten.
Daran knüpft sich eine Vergleichung der hl. Schiiften des
alten Bundes (zunächst der fünf Bücher Moses) mit den Er-
zeugnissen der antiken Literatur in bezug auf das Alter ihrer
Entstehung und die Wertschätzung ihres gegenseitigen Inhaltes.
Dieses bildet den grundlegenden oder allgemeinen Teil
unserer Arbeit.
Es folgt nun der zweite oder spezielle Teil, in welchem
an mehreren Beispielen (biblische Tatsachen und Personen be-
treffend) die einzelnen Beziehungen zwischen Bibel und klas-
sischem Altertume in geschichtlicher Reihenfolge vorgeführt
und auf ihre Bedeutung geprüft werden.
Es werden sich nun im Laufe der Darstellung gewisse
Berührungspunkte ergeben: in literarischer, stofflicher, idealer
und geschichtlicher Beziehung, die gegenseitig abzuwägen und
gemäss ihrem Werte genauer zu besprechen sind.
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XX
Es handelt sich daher um die Beantwortung nachstehender
Fragen :
I. Sind es Beziehungen der Abhängigkeit, sei es nach der
Uterarischen oder bloss stofflichen Seite hin?
II. Sind es Beziehungen der Beeinflussung des klassischen
Schriftentums durch biblische Ideen, oder umgekehrt?
III. Sind es Beziehungen der religiösen Beeinflussung des
Heidentums durch die hl. Schrift oder durch die Überlieferung
ihres Inhaltes?
IV. Sind es Beziehungen der geschichtlichen Parallel-
bezeugung?
Mit diesen prinzipiellen Unterschieden haben wir zugleich
auch die leitenden Grundsätze unserer Abhandlung dargelegt,
und werden an den einzelnen Beispielen darauf hinweisen,
unter welche der angeführten Kategorien dieselben einzureihen
sind. Unser Verhalten wird dabei zumeist ein referierendes sein.
Hönningen a, Rh., den 30. September 1906,
am Feste des Kirchenlehrers S. Hieronymus.
Der Verfasser.
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Die Ur-Offenbarung.
Inhalt, Erhaltung und Aufzeichnung derselben durch Moses.
„Aus Einem schuf Gott, der Herr des Himmels
und der Erde, das ganze Menschengeschlecht, zu
wohnen über die weite Oberfläche der Erde hin,
indem er festsetzte geordnete Zeiten und Grenzen
für ihre Wohnstätten: auf dass sie Gott suchen
sollten, -ob sie Seiner etwa inne würden, oder
Ihn fänden."
Rede des hl. Apostel Paulus auf dem Areopage
zu Athen. Actus Apostolorum c. 17, v. 26 u. 2^,
Unter „Uroflfenbarung" verstehen wir die gesamten Be-
lehrungen und Veranstaltungen, durch welche Gott das Menschen-
geschlecht von seinem Ursprünge an bis zu seiner Zerstreuung
in verschiedene Völker (Turmbau zu Babel) in religiöser Hin-
sicht erzogen und geleitet hat. — Dahin gehören die Wahr-
heiten :
1. Es ist nur ein einziger wahrer Gott, der allmächtige
Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde. Alles, was er
erschaffen hat, war gut. (Sechstage- Werk.)
2. Der Mensch ist ein besonderer Gegenstand seiner väter-
lichen Liebe und Fürsorge. Ihn hat Gott als die Krone der
sichtbaren Schöpfung nach seinem Ebenbilde erschaffen, mit
Vernunft und Freiheit geziert.
3. Die übrige Schöpfung vollzieht mit Notwendigkeit
Seinen Willen; der Mensch sollte es mit Freiheit tun: darum
gab Er ihm ein Gebot und die Sabbatfeier.
4. Der Mensch, vom Satan verführt, übertritt das Gebot
des Herrn. Daher verliert derselbe die Liebe und Gnade
Gottes. Er bringt hierdurch Unordnung und Zwiespalt in sein
eigenes Wesen, und fällt nun allen Strafen anheim, welche
Gott ihm angedroht hatte. Gott ist nämlich heilig und gerecht,
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— 2 —
wahrhaft und getreu. Alle Übel, welche in der Welt bestehen,
sind Folgen der Sünde.
5. Gott ist aber auch barmherzig: er nimmt sich des
gefallenen Menschen wieder an und verheisst ihm einen Erlöser.
6. Gott bleibt auch ferner der Erzieher des Menschen
und ordnet die Opfer an, damit sein Name erkannt und ge-
heiligt werde.
7. Die Sünde, welche als Erbschuld auf alle Menschen
übergeht, zeigt sich in fortschreitender Entwickelung. Gott
lässt das Böse zu, weil er dem Menschen einen freien Willen
gegeben hat. Gott aber bleibt nicht gleichgültig dagegen,
sondern mahnt, warnt und straft. (Die Sündflut.)
Diese religiösen Wahrheiten und Tatsachen wurden nun
durch mündliche Überlieferung von Adam usw. auf die Nach-
kommen vererbt. Da nämlich das Leben der ersten Menschen
eine sehr lange Dauer hatte, so konnte die Uroffenbarung auch
nur in wenigen Personen sich von Adam bis auf Moses rein
und unverfälscht erhalten und mitteilen lassen. Nach der
gewöhnlichen Annahme lebte Adam 930 Jahre, Seth wurde 912,
sein Sohn Enos 905 Jahre alt. Henoch lebte 365 Jahre und
dessen Sohn Methusalem 969 Jahre. Dieser wurde von allen
Menschen, welche auf Erden lebten, am ältesten. Man nennt
diese Männer der Urzeit auch Urväter oder Patriarchen. Es
konnte nun Adam, welcher mit Lamech .noch 50 Jahre zu-
sammen lebte, diesen über die göttlichen Offenbarungen be-
lehren: Lamech (777 Jahre) war der Vater des Noe (950 Jahre).
Er konnte nicht nur diesen, sondern auch dessen Sohn Sem
(600 Jahre), mit welchem er noch 93 Jahre zusammen lebte,
unterrichten Sem aber lebte noch 50 Jahre mit Isaak (180 Jahre),
dieser nun noch 33 Jahre mit seinem Enkel Levi. Der ist
aber schon Stammvater des Moses, welcher die Urgeschichte
schriftlich niederlegte, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass er
bereits frühere Aufzeichnungen benützt hat. (Vgl. Hugo Weiss
„Moses und sein Volk", S. 143 f., Freiburg i. Breisgau 1885,
Herder.)
(Abstammung: Levi — Kaath — Amram u. Jochabed — Moses.)
Wenn wir nun die Personen: Adam, Lamech, Sem, Isaak,
Levi und Moses nennen, so haben wir damit eine Reihenfolge
der mündlichen Überlieferung bezeichnet, welche von den
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— 3 —
Ereignissen im Paradiese bis zur Gesetzgebung auf Sinai
hinreicht.
Von Adam bis auf Moses wurde die göttliche Offen-
barung i) zumeist mündlich fortgepflanzt. An eine Fälschung
derselben war nicht zu denken. Dies würden die Erzväter,
welche entweder Augenzeugen der göttlichen Offenbarung
waren oder von Augenzeugen die Überlieferungen empfangen
hatten, nicht geduldet haben. Moses, welcher am Hofe des
Pharao in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet worden
war (Act. Apostolorüm 7, 22), hat das grosse Verdienst, die
Offenbarungen Gottes gesammelt und schriftlich aufgezeicMnet
zu haben.
Der Pentateuch ist von ihm während des Wtistenzuges
und vor dem Einzüge der Israeliten in das gelobte Land ver-
fasst worden. Das geht u. a. schon aus den geographischen
Angaben desselben hervor. Dieselben betreffen Ägypten, die
sinaische Halbinsel und Palästina. Die Kenntnis über die zwei
ersten Länder wird vorausgesetzt, während Palästina als un-
bekanntes Land behandelt wird.
Am Schlüsse nämlich seiner 40jährigen Wtistenfahrt legte
Moses auf Befehl des Herrn (Deuteronomii c. 31, 1 — 9) sein Führer-
amt endgültig in die Hände des Josua nieder, um sodann den
Rest seiner Tage ungestört einem stilleren, wenngleich nicht
weniger wichtigen und für alle Folgezeit hochbedeutsamen
Werke hingeben zu können: dem Abschlüsse und der Über-
gabe seines Gesetzbuches. „Sofort schrieb Moses dieses Gesetz
und übergab es den Priestern, den Söhnen Levi, welche die
1) Was nun die Fortpflanzung der Geschichte durch mündliche
Überlieferung anbelangt; so sei hier noch auf eine Sitte der Indianer in
Amerika hingewiesen, welche sich von den ältesten Zeiten bis zur Gegen-
wart unverändert erhalten hat. Der Häuptling eines jeden Stammes hält
es für strenge Pflicht, in seinen letzten Lebensjahren den ältesten Sohn,
oder in Ermangelung desselben, die erstgeborene Tochter über die ganze
Geschichte seines Stammes mündlich zu unterrichten, ohne etwas Schrift-
liches darüber zu hinterlassen. Einem nur aus der Familie wird die Über-
lieferung anvertraut, damit dieselbe sich rein und unverfälscht von Jahr-
hundert zu Jahrhundert erhalten könne. (Gemäss Bericht des 1896 zu
Saint Cloud, Minnesota, Nordamerika, verstorbenen Missions- Bischof Dr.
M. Marty.)
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— 4 —
Bundeslade des Herrn tragen, und allen Ältesten des Volkes."
(L. c. c. 31, 9 sq.)
Wie er schon während des Zuges wiederholt die ihm kund
gewordenen göttlichen Offenbarungen nebst gewissen geschicht-
lichen Ereignissen unmittelbar nach deren EintreflFen eigen-
händig aufgezeichnet (Exodi c. 24, 4 sq.; c. 34, 27; c. 17, 14;
Numeri c. 33, 2), und sich bei Abfassung solcher Schriftstücke
der Unterstützung anderer, besonders der Priester, in deren
Beruf es lag (Levitici c. 10, 11 ; Deuteronomii c. 17, 11), bedient
hatte; so zögerte er jetzt, am Schlüsse seiner Amtstätigkeit,
nidit länger mit einer getreuen schriftlichen Fixierung der-
selben. (Deuteron, c. 31, 9, 24.) Denn wenn schon jede rein
menschliche Gesetzgebung nicht nur für die Gegenwart, son-
dern auch für die Zukunft gelten, und deshalb auf Erz und
Stein usw. verewigt sein will; so durften noch viel weniger
göttliche Befehle und Offenbarungen einer bloss mündlichen
Fortpflanzung überlassen bleiben. Darum stellte Moses wahr-
scheinlich gerade in dieser Zeit alle seine früheren tagebuch-
artigen Aufzeichnungen zu einem fester geschlossenen Buche
zusammen. (Vgl, Hugo Weiss „Moses und sein Volk" S. 143 sq.
Freiburg i. Breisgau, bei Herder 1885.)
Um aber dem eigenen Berichte über das Verhältnis Gottes
zu dem auserwählten Volke eine passende Einleitung zu
geben, schrieb er ausserdem auf Grund vieler im Volke
verbreiteten hl. Überlieferungen und Schriftquellen die in
der Genesis enthaltene Vorgeschichte der Gesetzgebung und
Theokratie^).
^) Die Kunde dessen, was der unmittelbaren Augenzeugenschaft des
Moses fem lag, empfing der hl. Seher aus göttlicher Mitteilung und An-
schauung. Irdischerseits waren seine Quellen : Überlieferungen und Zeug-
nisse der Familie Jakob und deren Nachkommen im Volke Israel, und
aus deren Schosse Moses selbst entsprossen war. Gemäss der Ansicht
älterer jüdischer, wie auch christlicher Ausleger (u. a. Theodoret) verfasste
Moses dieses Buch „der Ursprünge" (Genesis) bald nach der Gesetz-
gebungen auf Sinai, geleitet von Offenbarungen, welche ihm während seines
40tägigen Weilens im (ekstatischen) Verkehre mit Gott zuteil geworden
waren: TTioTci vooö|üi€v KaTr\pTiaQai roix; aliüva^ ()fmaTi 06oö* ad Hebraeos
c. II, 3. Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch das
Wort Gottes erschaffen ist.
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— 5 —
Die Geschichte der Welt (Genesis c. 1,; 1—2, 3) dann die
der Erde (1. c. c. 2, 4—14); hierauf die Geschichte der Mensch-
heit (1. c. c. 2, 15 — c. 11, 9); endlich die Schicksale der semi-
tischen Linien, speziell der Familie Abrahams (c. 11, 10 —
c. 50, 25 ibid.) schildert er nach einem durchaus einheitlichen
Plane und stellte damit das anbetungswürdige Walten Gottes
bei der fortwährenden Aussonderung kleinerer Kreise, sowie
zuletzt bei der Vorbereitung der israelitischen Nation für ihren
hochbedeutsamen Beruf in das klarste Licht. Unbedenklich
nahm er übrigens hierbei, der im Altertum allgemein gebräuch-
lichen Sitte folgend, die vorhandenen Quellen mitunter wört-
lich in seine Darstellung auf. Hierdurch wurde zwar manche
Wiederholung sowie Ungleichmässigkeit in Stil und Schreib-
weise veranlasst, aber auch ein ganz volkstümliches Werk ge-
schaffen. (Vgl. Fr. Kaulen „Einleitung in die hl. Schrift",
S. 157 f.; Roos „Die Geschichtlichkeit des Pentateuchs" S. 157
und folgende.)
Durch die vielfachen unwillkürlichen Anklänge seiner
Sprache an die Sprache des soeben verlassenen Pharaonen-
landes drückte er schliesslich seinem Werke ein deutliches
Siegel seiner schriftstellerischen Hand auf, was auch in der
Folgezeit um so weniger verkannt werden konnte, je seltener
in der ganzen späteren Literatur des Alten Testamentes wieder
eine Berührung der hebräischen mit der ägyptischen Sprache
vorkam. (Vgl. Vigouroux „La Bible et les d^couvertes mo-
dernes*' IL p. 619 sq.) — Dieses ganze Buch nun übergab Moses
in Gegenwart der Ältesten Israels (Deuteron, c. 31, 9, 25 sq.)
den Priestern, welche den Transport der Bundeslade zu be-
sorgen hatten, und befahl ihnen, dasselbe an der Seite der
Bundeslade zum Zeugnisse gegen das vielleicht öfters noch
widerspenstige Volk aufzubewahren. Daselbst hatte es auch
als Kommentar und weitere Ausführung zu dem Zweitafel-
gesetz seinen angemessensten und würdigsten Platz. „Nach-
dem nun xMoses die Worte dieses Gesetzes in ein Buch ge-
schrieben und sie vollendet hatte, befahl er den Leviten, welche
die ßundeslade des Herrn tragen, und sprach: „Nehmet dieses
Buch und leget es neben die Bundeslade des Herrn, eures
Gottes, dass es dort gegen dich, Israel, sei zum Zeugnisse!*^
(Deuternom. c. 31, 24—27.) Leopold von Ranke sagt in
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— 6 —
seiner Weltgeschichte (1., 42): „Moses ist die erhabenste Per-
sönlichkeit der ältesten Zeit!''^)
1) Wenn Professor Hugo Weiss in seinem Werke „Moses und sein
Volk" S. 145 sq. annimmt, dass das Original des Moses nur bis zur Zer-
störung des salomonischen Tempels (ac. 588 a. Chr.) existiert habe, so scheint
er zu übersehen, dass die Bundeslade und das hl. Zelt vor jener Zer-
störung im Auftrage Gottes durch den Propheten Jeremias in einer Höhle
des Berges Nebo verborgen wurde. Nach der Überlieferung sollen sie
daselbst bis zum Ende der Zeiten aufbewahrt bleiben. (Vgl. II. Macha-
baeorum c. 2, 4 — 9.) Es ist anzunehmen, dass Jeremias bei dieser Gelegen-
heit auch für die Sicherstellung des neben der Bundeslade hinterlegten
Mosaischen Gesetzbuches gleichmässig Sorge getragen habe, welches unter
der Regierung des Königs Josias (ca. 629 vi Chr.) in der Urschrift („von
der Hand des Moses": II. Paralipomenon 34, 14) wieder aufgefunden
worden war. (Vgl. auch IV. Regum c 22, 8 f.) Mach Neteler „Abriss
der alttestamentlichen Literatur" S. 63; Reischl u. a. Jenes Original war
bei der Zerstörung Jerusalems annähernd 850 Jahre alt, was bei Pergament-
schriften keine ungewöhnliche Erscheinung ist. Das Coblenzer Staats-
Archiv besitzt eine Urkunde d. d. Pfingstfest 1019, in welcher Heinrich II.
(1002 — 1024) den Hof Hohingen in der Grafschaft Hammerstein a. Rh.
dem Domstifte zu Bamberg in Bayern zu eigen übergab. Dieser Schenkungs-
brief des deutschen Kaisers ist gegenwärtig bereits 886 Jahre alt, aber
noch so gut erhalten, dass man glauben sollte, ein Dokument aus vorigem
Jahre vor Augen zu haben. Daselbst ist auch die älteste Originalurkunde,
welche die deutschen Archive aufzuweisen haben, nämlich ein Schenkungs-
akt von dem fränkischen Könige Pipin dem Kurzen aus dem Jahre 760
in welchem das Kloster zu Fulda Güter erhält. Jetziges Alter = 1 145 Jahre.
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Die Entstehung des Heidentums.
„Obgleich die Menschen den wahren Gott eikannt
hatten^ so verehrten sie ihn dennoch nicht als Gott
und sagten ihm nicht einmal Dank; sondern sie wurden
ganz töricht in ihrer Gesinnung, und es verfinsterte sich
ihr unverständiges Herz. Sie glaubten zwar, weise zu
sein, wurden aber Toren, indem sie die Herrlichkeit
des unvergänglichen Gottes mit Bildnissen von sterb-
lichen Menschen, von Vögeln, vierfüssigen und kriechen-
den Tieren vertauschten/' Ad Romanos c. i, 21 sq.^)
Ungefähr 1500 Jahre nach Erschaffung der Welt ereignete
sich die Stindflut. Um 170 Jahre später geschah der Turmbau
zu Babel 2).
Wie nämlich Josephus Flavius „Antiquitatum Jud." 1. I.
c. 4, n. 2 sq. berichtet, hatten die Söhne des gerechten Noe :
Sem, Cham und Japhet sich einer zahlreichen Nachkommen-
schaft zu erfreuen, welche aber, ungewarnt durch die Strafe
der grossen Flut („Sintflut*'), von Gott abfielen. Zu ihrer
Lebenserhaltung wollten sie sich einen grossen Turm bauen,
^) „Heidentum" bedeutet so viel als Zustand der Götzendiener. Das
Wort „Heide" leitet sich her von „Haide"- (Wald), oder „Feldbewohner*',
(Lateinisch: paganus, von pagus = Landgemeinde: Codex Theodosianus),
wie es die alten vorchristlichen Deutschen waren. Von den nachchrist-
lichen Zeiten würde der Ausdruck mit homo non christianus, und „Götzen-
diener" mit falsorum deorum cultor, gentilis, ethnicus, wiederzugeben sein.
(Gemäss Tertullian und Augustinus.)
2) Ganz genaue Zahlen können nicht angegeben werden, weil die
Art und Weise der Berechnung nicht überall gesichert scheint. Überdiess
weichen die Zeitbestimmungen des hebräischen und griechischen (Septua-
ginta) Textes um mehrere Jahrhunderte voneinander ab. Vgl. „Schöpfung,
Bibel und Inspiration" von Prof. Dr. Holzhey; Stuttgart 1902, bei Joseph
Roth, S. 20 u. 22 \ sowie Prof. Dr. Schanz „Das Alter des Menschen^
geschlechtes." Freiburg, Herder, 1896.
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— 8 —
um gegen eine neue Überschwemmung sicher zu sein. Ihr
Anführer bei diesem Werke hiessNemrod, ein Enkel des Cham i).
Derselbe verleitete die Menschen, nicht von Gott, dem
Herrn, sondern nur von ihrer eigenen Kraft das Heil zu er-
warten. Er gilt als Erbauer des babylonischen Turmes und
Begründer des Götsendienstes, Vgl. Augustinus „de civitate
Dei" 1. 16, c. 4; auch Genesis c. 10, 8—10. Gott, der Herr,
aber Hess während jenes Turmbaues die Sprachverwirrung
entstehen, so dass die Völker von dem Werke ablassen und
sich zerstreuen mussten. Die Überlieferung (Augustinus „de
civitate Dei" 1. 16, c. 11) nennt Babel („Verwirrung", Genesis
c. 11, 8) als Ausgangspunkt von 72 Nationen und Sprachen.
Diese Zersplitterung hatte ausser dem Charakter einer Strafe
für den Ungehorsam und die Überhebung der Menschen, auch
noch den Zweck, das zunehmende Böse in der Welt zu lokali-
sieren und damit in bestimmten Schranken zu halten. Sie war
ein Damm gegen eine allgemeine geistige Überschwemmung
von Sünden und Lastern^).
Nach der Stindflut ging das hohe Lebensalter der Menschen
schnell zurück. Während Noe ein Alter von 950 Jahren er-
reichte, wurde dessen Sohn Sem nur 600 Jahre, dessen Nach-
komme Phaleg 239 Jahre alt. (Bei seiner Lebenszeit geschah
*) Nemrod heisst in der hebräischen Sprache „der Empörer"; im
Assyrischen kann sein Name (Nebrodes bei Josephus Flavius) „Held",
„Tapferer" bedeuteten. Nach den assyrischen Keilinschriften wird seine
Wirksamkeit um das Jahr 2250 v. Chr. angesetzt, was mit der biblischen
Zeitrechnung sich vereinigen lässt.
^) Bei dem Studium der alten Geschichte ist die Jugend vorwiegend
geneigt, sich für Hannibal und gegen die Römer zu entscheiden. Und
dennoch war der Sieg des Scipio Africanus über Chartago bei Zama
(202 V. Chr.) von unberechenbarem Nutzen für die Kultur der ganzen
Menschheit. Hätte nämlich Afrika den endgültigen Triumph über Italien
erreicht, so wäre der blutige und grausame Molochdienst der Punier auf
Jahrhunderte im römischen Reiche zur Herrschaft gelangt und hätte in
der Folgezeit von hier aus das ganze Abendland wie eine Sündflut über-
schwemmt. Auf unabsehbare Zukunft wäre damit die Entwickelung der
Menschheit zurückgedrängt worden, und die Einführung des Christentums
hätte ungeahnte Schwierigkeiten gefunden. Auch waren die Römer allein
imstande, die Einheit auf dem bekannten Erdkreise herbeizuführen und
dem Christentum© die Strassen für seine rasche Ausbreitung zu bauen.
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- -
der Turmbau zu Babel: Genesis 10, 25). Nachor erreichte
148 Jahre; Abraham 175; Isaak 180 Jahre; Jacob 147 Jahre;
Joseph 110 Jahre; Moses 120 Jahre. Er sagte aber: „Die Tage
unserer Jahre sind 70 Jahre; wenn aber in Kraft, dann 80 Jahre,
und was darüber ist Mühsal und Schmerz.'* Psl. 89, 9 sq.
Diese Altersverhältnisse sind auch jetzt nach bereits 3400
Jahren noch zutreffend: zum Nutzen der Menschheit. Welch
eine Ausdehnung hätte nicht das Böse gewonnen, wenn ein
Pharao der Verfolgung in Ägypten, ein Antiochus in Syrien,
ein Herodes in Judäa und ein Nero im römischen Reiche die
Lebensdauer von 900 Jahren hätte erreichen können! Wie
unbeschreiblich gross wären dann die Prüfungen für die Gerech-
ten geworden!
Freilich war es auch eine Folge jener Spaltung, dass das
Band der Eintracht, welches früher alle Menschen umschloss,
nunmehr sich löste, so dass die einzelnen Nationen sich gegen-
seitig entfremdeten und in feindseliger Gesinnung gegenein-
ander auftraten: Anfang des Krieges.
So berichtet Cicero „de officiis" 1. I., c. 12, n. 1 sq. ;
„Hostis (Nebenform von hospes, = Gast und Gastfreund) enim
apud majores nostros is dicebatur, quem nunc peregrinum dici-
mus. Quamquam id nomen durius effecit vetustas. A peregrino
enim recessit, et proprio in eo, qui arma contra ferret, remansit".
Der Ausdruck „hostis*^ hatte bei unsern Vorfahren die Bedeutung,
welche wir jetzt mit dem Worte „peregrinus" = ein Fremder,
verbinden. Indessen hat sich in der Zeitenfolge der Sinn des
Wortes verschärft. Denn die früher übliche Bedeutung „hostis^'
= „Fremder" verlor sich, und man bezeichnet mit dem Worte
„hostis*^ jetzt nur mehr einen ^Feind'-'-^ welcher im Kriege die
Waffen gegen uns führt! — Dieser Sprachgebrauch aber bildete
sich, weiljederFremdefür einen Feind angesehen und als solcher
behandelt wurde. — Ähnlicher Weise bezeichnet das Wort ßdpßapo^
bei den Griechen ursprünglich einen Ausländer, einen Fremden.
Später jedoch änderte sich die Bedeutung in ttoX^ilug^, dviaTu)-
vi(7Tr|q = Feind, Widersacher. So heisst es bei Herodot
,,Historiarum** 1. I. c. l,initio: „''EXXeveq Kai ßdpßapoi diroXeiiTi^yciv
dXXnXuiv^'; die Griechen und Barbaren führten Krieg mitein-
ander; wobei der Ausdruck ßdpßapoi sowohl die ausländischen
Perser, als auch „die Feinde" der Griechen bedeutet. Ebenso
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— 10 -*■
erzählt Cornelius Nepos in der vita Miltiadis c. VII. : „Post hoC
proelium (apud Marathona) classem LXX navium Athenienses
eidem Miltiadi dederunt, ut insulas, quae barbaros (= Feinde:
adversarios, dvTaTOVKTTd^) adjuverant, bello persequeretur. Nach
der Schlacht bei Marathon (490 a. Chr.) gaben die Athener
dem Milthiadis eine Flotte von 70 Schiffen, damit er die Inseln,
welche die Barbaren (= Feinde und Gegner der Griechen)
Hülfe geleistet hatten, mit Krieg tiberziehe.
„Mit dem Wurfspiess, mit dem Bogen,
Schritt der Jäger durcli das Land:
Wek' dem Fremdlinge den die Wogen
Warfen an den Unglücksstrand!"
Fr. V. Schiller, „Das eleusische Fest'^ I798. Iphigenie auf
Tauris (Krim) II. Auftritt. Arkas:
„Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich,
Das jedem Fremden sonst voll Grausens war\
Weil niemand unser Reich vor dir betrat,
Der an Dianens heil'gen Stufen nicht
Nach aliem Brauch zum Opfer fiel.^*^)
Der Fremde wurde als Feind behandelt, weil das Bewusst-
sein einer gemeinsamen Herkunft von Einem Stammvater bei den
Völkern sich nach und nach verloren hatte. Die Überlieferungen
der Vorzeit („die Urofifenbarung"), ihrer festen Unterlage beraubt,
trübten sich bei dem gottentfremdeten Sinne der Menschen bis
zu nur dunkelen Erinnerungen und kamen allmählich fast ganz
in Vergessenheit. Aristoteles nennt daher dieselben in seiner
Metaphysik (12. Buch 8. Kapitel in fine) „Trümmer einer unter-
gegangenen Weisheit, welche sich noch bis auf unsere Tage
gerettet haben.** Es waren eben nur einzelne missverstandene
Bruchstücke übrig geblieben, von denen er (1. c.) sagt: „Nur
insofern (d. h. teilweise) ist uns die Vorstellung unserer Väter
und die Überlieferung der Urzeit noch verständlich." Vgl.
Vorwort S. XIII.
Bis zum Turmbau zu Babel nämlich hatte noch die
Gesamtheit der Menschen den einen wahren Gott anerkannt
und verehrt: man wusste es noch, dass von Ihm alles Gute
1) Wolfgang von Goethe schrieb dieses Werk unter Anlehnung an
Euripides im Jahre 1779 zuerst in Prosa; später aber während seiner
italienischen Reise brachte er dasselbe in Verse: 1786.
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— 11 -—
herkomme, und dankte Ihm auch dafür in gemeinsamem Gottes-
dienst. (Genesis c. 4, v. 26.) Nemrod überredete dieselben,
Gott, den Herrn, in Zukunft nicht mehr als Spender aller Wohl-
taten anzusehen, sondern nurmehr auf ihre eigne Kraft zu ver-
trauen. Damit kam die wahre Gottesverehrung ausser Übung,
und der Turm zu Babel hatte die Bestimmung, ein Trutzveste
zu sein, welche bis zum Himmel reichen sollte. Die natürliche
Folge aber war, dass, je weiter die Menschen vom Lichte
zurücktraten, desto tiefer sie in den Schatten, d. h. in die Ver-
finsterung sanken. S. Paulus charakterisiert den Verfall der
höheren Kultur jenpr Zeit historisch und psychologisch sehr
genau, wenn er im Römerbriefe (c. 1, v. 21 f.) ausführt: „Obgleich
die Menschen den wahren Gott erkannt hatten, so verehrten
sie ihn dennoch nicht als Gott und sagten ihm nicht einmal
Dank (für seine Wohltaten); sondern sie wurden ganz töricht
in ihrer Gesinnung, und es verfinsterte sich ihr unverständiges
Herz. Sie glaubten zwar, weise zu sein, wurden aber Toren."
Obgleich nun die Menschen in der Mehrzahl den wahren
Gott verleugnet hatten, so fühlten sie sich dennoch, wie durch
einen geheimen Instinkt ihrer Natur, dazu gedrängt, irgend ein
höheres Wesen anzuerkennen und zu verehren. Damit aber
waren die Bedingungen gegeben, aus denen sich das Heidentum
(d. h. der Zustand der vom wahren Gott abgefallenen Mensch-
heit) mit einer Art von Notwendigkeit entwickeln musste.
Hatten sie sich nämlich durch ihren Willen mit Gott in
einen so hartnäckigen Widerspruch versetzt, wie derselbe nach
dem Stidenfalle offenbar geworden und bei Errichtung der
Trutzveste in Babel zur Vollendung gekommen war, so lag nichts
näher, als dass sich bei ihnen auch allmählich die wahre Er-
kenntnis trübte, so dass sie, durch ihren freien Willen von
Gott abgehalten^ nunmehr auch mit ihrem Verstände von ihm
abfielen. Weil aber der menschlichen Natur das Bedürfnis
angeboren ist, etwas Höheres zu verehren, so suchte man, statt
des wahren Gottes, welchem man sich entfremdet hatte, andere
Wesen auf, denen nun der Name Gottes beigelegt und eine
religiöse Verehrung gewidmet wurde. Statt des Einen, wahren
Gottes schufen sich die Menschen aber mehrere falschen Götter.
Alles nämlich, was nicht der wahre Gott ist, kann nur beschränkt,
unzureichend und endlich sein ; es kann daher dem menschlichen
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— 12 —
Herzen, welches unendliche Bedürfnisse hat, nie vollkommen
gentigen. Was ihnen nun die eine Gottheit nicht gewähren
konnte, das suchten sie bei einer anderen. Damit war die
Vielgötterei gegeben. Nun wählte man sich die Götter selbst
aus nach dem eigenen Sinne und nach dem verkehrten Herzen.
Abgefallen nämlich von dem übersinnlichen, unsichtbaren
und rein geistigen Gott, fielen die Menschen dieser sichtbaren
Welt der Geschöpfe ganz anheim, so dass sie jene Verehrung^
welche nur dem unsichtbaren Schöpfer gebührte, zuerst auf
die Geschöpfe in der Sinnenwelt (die Gestirne usw.), sodann auf
die Werke der eigenen Hände (Bilder von Holz und Stein), und
zuletzt noch auf die verkehrten Leidenschaften übertrugen. In
dieser Weise entstand das Heidentum mit seinen unsähligen Ver-
irrungen im Götzendienste: „Facilis descensus Averno!** Virgilii
„Aeneidos" 1. VI., 126. „Leicht ist das Hinabsteigen zur Tiefe!"
Sehr anschaulich wird die Entstehung des Heidentums
und die hierauf folgende Entartung im 12. und 13. Kapitel des
Buches der Weisheit (über Sapientiae) beschrieben; desgleichen
im L Kapitel des Römerbriefes (epistola ad Romanos). Es
heisst in demselben: „Die Heiden glaubten zwar weise zu sein,
wurden aber Toren, indem sie die Herrlichkeit des unver-
gänglichen Gottes mit Bildnissen von sterblichen Menschen,
von Vögeln, vierfüssigen und kriechenden Tieren vertauschten."
(L. c. c. 1,22 sq.) Der griechische Kirchenvater Athanasius
(296—2. Mai 373) erklärt diese Stelle in folgender Weise: „Von
dem wahren Gotte abgefallen, erwiesen die Menschen zuerst
den Gestirnen, der Sonne und dem Monde, eine göttliche Ver-
ehrung. In noch grösserer Verirrung hielten sie die Elemente
der Dinge für göttliche Wesen: Feuer, Wasser, Luft und Erde
(Vulkan, Poseidon, Aegir usw. Neptun, Oceanus); die Gestalten
der Menschen sowohl lebender als auch verstorbener, versetzten
sie unter die Götter (der Heroenkultus); sogar die sinnlichen
und kriegerischen Gelüste, wie Aphrodite (Venus) und den
Mars. Ihre Herrscher und dessen Söhne machten sie zu Göttern;
sei es aus Furcht vor ihrer Tyrannei oder aus Ehrfurcht : wie
die Bewohner der Insel Greta den Zeus^) und die Ägyptier
^) Der Philosoph Euhemerus (300 v. Chr.) aus Messene wies in
einer ausführlichen Schrift nach, dass die Götter des Volkes dadurch
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— 13 —
den Osiris. Noch kürzlich geschah es so mit Antinous aus
Furcht vor dem Kaiser Hadrian, dessen Genosse er war." S.
Athanasii „adversum Gentes" 1. I. c. 8.
Über die vielen Ausschweifungen, welche mit dem Götzen-
dienste der Heiden verbunden waren, berichtet Arnobius (a. 327)
in seinem 7 Bücher umfassenden Werke ^adversus nationes",
und S. Augustinus (a. 13. Novbr. 354—28. Aug. 430) „de civitate
Dei" 1. VI. und VII.
Die tiefe Erniedrigung^ welche durch den Götzendienst
für die Menschen entstand, können wir aus dem Tierdienst bei
den Ägyptiern (Apis, Ibis usw.) und Babyloniern (Schlange,
Drache); aus dem iBnstern und grausamen Molochdienst der
Phönizier und Punier (Menschenopfer) zur Genüge erkennen.
Auch die alten Deutschen brachten Menschenopfer dar. So
berichtet Julius Caesar „de hello Gallico" 1. VI., c. 16: „Natio
est omnis Gallorum admodum dedita religionibus, atque eam
ob caussam qui sunt adfecti gravioribus morbis quique in
proeliis periculisque versantur, aut pro victimis homines immo-
lant aut sc immolaturos voventy administrisque ad ea sacrificia
druidibus utuntur, quod, pro vita hominis nisi hominis vita
reddatur, non posse deorum immortalium numen placari arbi-
trantur, publiceque ejusdem generis habent instituta sacrificia."
Die gesamte Nation der Gallier ist den religiösen Gebräuchen
entstanden seien, dass man Leute, welche sich in der Vorzeit grosse Ver-
dienste um die Menschen erworben hätten, zu übernatürlichen Wesen erhoben
habe. So seien die Götter ursprünglich menschlicher Natur gewesen; ihre
Tempel wären nichts anders, als die Gräber solcher verstorbenen Menschen,
und die Mythologie nur die sagenhaft ausgestaltete Geschichte ihres Lebens.
In seiner lepdt dvatpaqpri; Fragm. XIL sagt er: „Jovis sepulchrum in Greta
est et in oppido Cnosso, et dicitur Vesta hanc urbem creavisse inque
sepulchro ejus est inscriptum antiquis litteris Graecis: ZAN KPONOY,
id est Latine: Juppiter Saturni (filius)!" Das Grab des Zeus befindet sich
auf der Insel Greta, in der Stadt Gnossus, und man sagt, Vesta habe
diese Stadt erbaut. An dem Grabmal ist eine Inschrift angebracht mit
alt-griechischen Buchstaben: ZanKronoy; das heisst in lateinischer Sprache :
Juppiter Saturni (filius) — Zeus, Sohn des Satumus. Gicero „de natura
Deorum" 1. L, c. 42 behauptet von dem Philosophen Euhemeros: „Ab
Euhemero et mortes et sepulturae demonstrantur Deorum!" Euhemerus
beweist die Todesfälle und die Begräbnisse der Götter (,,der vergötterten
Menschen").
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 3
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-^ 14 —
sehr ergeben, und das ist auch die Ursache, warum die Schwer-
erkrankten sowie diejenigen, welche sich im Kampfe oder in
Gefahren befinden, entweder Menschenopfer darbringen oder
doch solche darzubringen geloben) sie bedienen sich hierbei
der Druiden (von „Derwydd" oder „Dryod", altbritisch = weiser
Mann). Ihr Spruch aber lautet: ^Wenn nicht für das (schuld-
volle) Leben eines Menschen das {reine) Leben eines Menschen
geopfert wird, so kann der Zorn der unsterblichen Götter nicht
besänftigt werden^. (Numen deorum imm. = Die (beleidigte)
Majestät der Gottheit.) Im öffentlichen Interesse haben sie
Opfer dieser Art („Menschenopfer") eingesetzt. (Cf. Flav.Josephi
„de Bello Judaico" 1. VII., c. 6.)
Die Römer pflegten bei ihren Triumphzügen nach der
Hinrichtung der Kriegsgefangenen zu sagen: „actum est!" =
„es ist vorbei damit!" (Das Menschenopfer ist vollbracht). Die
Griechen waren nicht besser.
Der Heroenkultus mit seiner Menschen Vergötterung (Apo-
theose) wird schon von Titus Livius in seiner „Römischen
Geschichte" : ab urbe condita 1. 1., c, 16 in bezug auf Romulus
erwähnt: „Quum Romulus ad exercitum recensendum con-
tionem in campo ad Caprae paludem haberet, coorta tem-
pestas cum magno fragore tonitribusque tam denso regem
operuit nimbo, ut conspectum ejus contioni abstulerit: nee
deinde in terris Romulus fuit. Romana pubes sedato tandem
pavorCj postquam ex tam turbido die serena et tranquilla
lux rediit, ubi vacuam sedem regiam vidit, etsi satis cre-
debat patribus, qui proxumi steterant, sublimen raptum pro-
cella, tarnen velut orbitatis metu icta moestum aliquamdiu
Silentium obtinuit. Deinde a paucis initio facto deum deo natum,
regem parentemque urbis Romanae salvere universi Romulum
jubent\ pacem precibus exposcunt, uti volens propitius suam
semper sospitet progeniem. Fuisse credo tum quoque aliquos,
qui discerptum regem patrum manibus taciti arguerent —
manavit enim haec quoque, sed perobscura fama — ; illam alteram
admiratio viri et pavor praesens nobilitavit. Et consilio etiam
unius hominis addita dicitur rei fides. Namque Proculus Julius,
soUicita civitate desiderio regis et infensa patribus, gravis ut
traditur, qamvis magnae rei auctor, in contionem prodit. 'Romu-
lus', inquit, 'Quirites', parens urbis hujus, prima hodierna luce
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- IS -
coelo repente delapsus se mihi obviam dedit. Quum perfusus
horrore venerabundus adstitissem, petens precibus ut contra
intueri fas esset, 'abi', inquit, 'nuntia Romanis coelestes ita
velle, ut mea Roma caput orbis terrarum sit ; proinde rem mili-
tarem colant sciantque et ita posteris tradant nuUas opes hum-
anas armis Romanis resistere posse'. Haec inquit locutus^
sublimis abiit.^
Als Romulus bei Gelegenheit der Heerschau im Marsfelde
in der Nähe des Ziegenteiches eine Rede hielt, entstand plötz-
lich ein Ungewitter: Mit grossem Krachen und furchtbaren
Donnerschlägen umhüllte eine so dichte Nebelwolke den König,
dass sein Anblick der Versammlung des Heeres entzogen
wurde; von dieser Zeit an weilte Romulus nicht mehr auf
Erden, (Cf. L. Genesis c. 5, v. 2B sq. : „Und Hennoch ward nicht
mehr gesehen".) Als nun die römische junge Mannschaft, so-
bald sich ihre Bestürzung infolge der nach einem solchen
Sturmwetter am Himmel zurückgekehrten Ruhe, gelegt hatte,
den königlichen Sitz leer sah, schenkte sie zwar den Patri-
ziern, welche zunächst gestanden hatten, Glauben: Romulus
sei im Sturm wetter zum Himmel entrückt worden; aber sie be-
obachtete doch im bangen Gefühle der Verwaisung ein tief-
trauriges Stillschweigen. Hierauf sodann, als einige den Anfang
gemacht hatten, fingen alle an, den Romulus als Gott, von
einem Gott [dem Mars) entsprossen^ als König und Vater der
Stadt Rom qu begrüssen und bu verehren. Flehentlich baten
sie um Heil, dass er seine Nachkommen huldreich und gnädig
allezeit beschirmen woUe.^
Damals schon, so glaube ich, gab es einige, welche im
stillen den Vorwurf erhoben, Romulus sei von den Händen
der Patrizier erschlagen worden — denn auch dieses wenn-
gleich sehr dunkele Gerücht verbreitete sich — ; die erste An-
nahme jedoch hat mehr Gewicht wegen der Bewunderung,
welche man jenem augezeichneten Manne zollte und auch wegen
der gegenwärtigen Verehrung desselben. — Und durch die
staatsmännische Entschliessung eines Einzigen erhielt gemäss
der Überlieferung dieser Vorgang eine Bestätigung. Proculus
Julius nämlich, ein unanfechtbarer Gew^ährsmann für die wenn-
gleich wunderbare Sache, kam zur Versammlung, als die Bür-
gerschaft um den König trauerte und Sehnsucht nach ihm
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— i6 -
hatte, den Patriziern aber feindselig gesinnt war, und sprach:
„Quiriten! Romulus der Vater dieser Stadt, fuhr heute morgen,
als der Tag eben graute, urplötzlich vom Himmel und kam
mir entgegen. Als ich nun von heiligem Schauer durchbebt
stillstand, bat ich flehentlich, ihn anschauen zu dürfen. Er
aber gab mir zur Antwort : *Gehe und verkündige den Römern,
die Himmlischen wollten es also, dass mein Rom die Haupt-
stadt des ganzen Erdkreises werde. Daher sollten sie das
Kriegswesen eifrig pflegen und wissen und ebenso ihren Nach-
kommen überliefern, dass keine menschliche Gewalt den römi-
schen Wafien widerstehen könne!' Als er das gesagt hatte^
fuhr er wieder sunt Himmel .^
Livius fügt hinzu : mirum, quantum illi viro nuntianti haec
fides fuerit quamque desiderium Romuli apud plebem exerci-
tumque facta fide immortalitatis lenitum sit. Es ist wunderbar,
wie schnell man der Mitteilung dieses Mannes Glauben schenkte,
und wie rasch die Sehnsucht nach Romulus bei dem Volke und bei
dem Heere sich milderte, nachdem (durch die Verkündigung des
Proculus) eine Beglaubigung seiner Unsterblichkeit erfolgt war.
Der vergötterte Romulus, der Stammheros der Ramnes
(der latinischen Untertanen), identifiziert mit dem sabinischen
Quirinus (Mars), wird gemeinsamer Schutzgott der Ramnes
und Tities (Sabiner) d. h. Quirlten: Romulus Quirinus l Sein
Fest die Quirinalia, wurde am 17. Februar (XIII. Calendas
Martias) mit grossem Prunk gefeiert. Cf. Ciceronis ad Quintum
fratrum epistola 2, 3, 4 und 13, 3. Derselbe berichtet „de re-
publica" 1. 1., c. 25: Romulus sei während einer Sonnenfinsternis
zu den Himmlischen entrückt worden. Vgl. auch „de natura
Deorum** 1. IL, c. 24, und „de senectute" 1. III., c. 2.
Von Julius Caesar bringt Suetonius Tranquillus folgende
Nachricht („Divi Julii" c. 88) : „Periit (interfectus est) sexto et
quinquagesimo aetatis anno atque in Deorum numerum relatus
est, non ore modo decernentium sed etiam persuasione vulgi."
„Plebs solidam columnam in foro statuit scripsitque: Parenti
Patriae! Apud eam longo tempore sacrificare, vota suscipere,
controversias quasdam interposito per Caesarem jurejurando
distrahere, perseveravit." L. c. c. 85. Er starb (d. i. er wurde
ermordet) in seinem 56. Lebensjahre und wurde unter die Zahl
der Götter versetst, nicht bloss durch den Ausspruch des
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— 17 —
Senates, sondern auch gemäss der Überzeugung des Volkes.
Dasselbe errichtete ihm eine gediegene Säule auf dem Markte
mit der Inschrift: „Dem Vater des Vaterlandes!" Und lange
Zeit war es gewohnt, daselbst zu opfern, Gelübde zu machen
und gewisse Streitigkeiten zu schlichten, indem unter Anrufung
des Caesar der Eidschwur abgelegt wurde.
Ebenso berichtet er von Augustus.
„Verum adhibito honoribus modo bifariam laudatus est : pro
aede divi Julii a Tiberio et pro rostris veteribus a Druso Tiberii
filio, ac senatorum humeris delatus in Campum (Martium) cre-
matusque. Nee def uit vir praetorius, gut se effigiem crentati eun-
tem in coleuni vidisse juraret.^ L. c. Divi Augusti c. 100.
Man setzte aber ein festes Programm für die Leichenfeier
des Augustus auf: an zweien Stellen wurde ihm eine Leichen-
rede (laudatio funebris) gehalten, und zwar vor dem Tempel
des göttlichen Julius (Caesar) durch Tiberius und auf der alten
Rednerbtihne von Drusus, dem Sohne des Tiberius. Auf den
Schultern der Senatoren wurde seine Leiche zu dem Marsfeld
getragen und dort verbrannt. Auch trat ein früherer Praetor
auf, welcher unter einem Eidschwur beteuerte, er habe die
verklärte Gestalt des Caesar sum Himmel aufsteigen sehen.
Desgleichen von Claudius.
„Vita cessit IIL Idus Octobres Asinio Marcello, Acilio
Aviolo consulibus, sexagesimo quarto aetatis, imperii quarto
decimo anno, funeratusque soUemni principum pompa et in
Deorum numerum relatus est.^
Er schied am 13. Oktober (54 n. Chr.) aus dem Leben,
unter dem Konsulate des Asinius Marcellus und Acilius Avi-
olus, in seinem 64. Lebens- und 14. Regierungsjahre. Die
Leichenfeier wurde nach dem für die Kaiser festgesetzten
Programme gehalten und er seiher unter die Zahl der Götter
aufgenommen.
Auch die alten Deutschen versetzten ihre Helden und
Könige zu den Himmlischen nach Walhalla, und der ihnen
geweihte Tempel stand nach Olaus Magnus („De gentibus
Septentrionalibus etc." Romae 1855: Über die nordischen Völker)
schon seit Ninus (a. 1250 a. Chr.) auf der Stelle, wo sich später
die Stadt Upsala erhob. Gemäss der Überlieferung war der
Tempel ein Werk des Yngwe-Freyr, des H. Königs von Schweden,
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— i8 —
dessen Vorgänger: König Odin als 1, Regent in Upsala sunt
Gott erhoben wurde. Auf einer hochgelegenen und schönen
Ebene bei seiner ehemaligen Hauptstadt, nahe den drei, auch
heute noch von den Reisenden mit Verehrung besuchten
Riesengräbern Odins, Thors und FreyrSy erglänzte in alt-
asiatischer Pracht, gleich den indischen am Strande des
Ganges, dieses uralte Heiligtum. Während der ganzen Dauer
des Heidentums im Norden war der Tempel zu Upsala die
Zentralstätte, zu welcher das schwedische Volk selbst und die
übrigen umherwohnenden Nationen, wie die Norweger und
Dänen, sowohl zur Feier ihrer jährlich wiederkehrenden heiligen
Tage, als auch zur gemeinsamen Beratung in sonstigen wichtigen
Angelegenheiten zusammenkamen i).
Cicero „de natura Deorum" 1. II., c. 24 sagt: „Suscepit
autem vita hominum consuetudoque communis, ut beneficiis
excelentes viros in coelum fama ac voluntate toUerent."
Diese klassische Sentenz gibt Friedrich von Schiller mit
folgenden Versen wieder:
^,Was leisteten die tapferen Helden,
Von denen uns die Lieder melden,
Die zu der Götter Glanz und Ruhm
Erhob das blttide Heidentum /"
(Kampf mit dem Drachen 1798.)
Hier nun ist eine Gelegenheit, das Walten der göttlichen
Vorsehung zu erkennen^ welche zwar die Heiden ihre eigenen
Wege gehen Hess (Apostelgeschichte c. 17. 26 f.), das Volk
Israel aber hütete wie den Augenapfel. (V. Buch Moses 32, 14.)
Die Leiche des Moses nämlich überliess Jehova nicht seinem
Volke zur abgöttischen Verehrung (Deuteronomii c. 34, v. 5
sq.); sondern entrückte dieselbe difrch den Erzengel S. Michael
(Ep. S. Judae, v. 9), so dass „kein Mensch sein Grab weiss bis
auf den heutigen Tag." Darin liegt auch die Bedeutung des
Kampfes, welchen der Engelfürst mit dem Satan um die Leiche
1) Upsala ist der Genitiv des Wortes Upsalir = Hohe Säle, wie
der berühmte Tempel selber hiesS;, und demnach buchstäblich = die Stadt
des Tempels. Vgl. Esaias Tegners „Frithjofs-Sage". Übersetzt durch
Gottfried Freiherr von Lüttgendorf- Leimburg. 15. Auflage. Halle bei
Hermann Gesenius. Sr. Majestät Oskar H., König von Schweden, gewid-
met. Anmerkung zum 24. Gesänge. S. 269 f.
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— 19 —
des Moses zu führen hatte (Ep. S. Judae Ap. v. 9); um so mehr,
als in derselben Gegend ein Tempel dem Götzen Phogor sich
befand. L. Deuteronomii c. 3, v. 29: „Und wir blieben im Tale,
gegenüber dem Götzentempel Phogor.^ (Cf. Dr. Hugo Weiss
„Moses und sein Volk", S. 157, f. Freiburg, Breisgau, bei
Herder 1885.)
Bisher haben wir das Heidentum in seinem Entstehen
und in seinen Verirrungen betrachtet, es erübrigt noch, auch
die Vorzüge und Lichtseiten desselben zu behandeln.
Athen und Rom waren durch Geist und Schwert die
Wegebahner für das Christentum, wie es in höherem Masse
durch Erhaltung und Verbreitung der göttlichen Offenbarung
das Judentum war. Vgl. L. Sapientiae c. 18, v. 4. Das klas-
sische Altertum, besonders jene Zeit, in welcher Hellas und
Hesperien die grossen Dichter und Denker wie einen duftigen
Blütenstrauss hervorbrachte, ist ein leuchtendes Glied in der
Entwickelung der Menschheit. Auch flir uns Christen ist dasselbe
ein herrliches Licht, besonders durch sein immer mehr gestei-
gertes Verlangen nach höherer Erleuchtung. Wenn auch das
Heidentum sehr entartete, so nimmt aber auch sein Verlangen
nach Erlösung aus diesen Zuständen in gleichem Masse zu.
Das Gefühl des Bedürfnisses einer göttlichen Befreiung aus
seinem tiefen Elende durchdringt wie ein wehmütiger Hauch
mehr oder weniger das ganze Altertum. Interessant ist das
Bekenntnis des Cicero („Tusculanarum Disputationum'^ 1. III.
c. 1): „Nunc autem simulatque in lucem editi et suscepti sumus,
in omni continuo pravitate versamur, ut paene cum lacte
nutricis errorem suxisse videamur. Quum vero parentibus
redditi, deinde magistris traditi sumus, tum ita variis imbuimur
erroribus, ut vanitati veritas, opinioni confirmatae natura ipsa
cedat."
Sobald wir das Licht des Lebens erblickt haben und als
Kinder aufgenommen worden sind, befinden wir uns sogleich
schon in aller Verdorbenheit, so dass es scheint, wir hätten
den Irrtum bereits mit der Milch unserer Amme eingesogen.
Wenn wir aber (aus der Pflege unserer Amme) den Eltern
übergeben und sodann (zur Erziehung) den Lehrer anvertraut
worden sind, dann aber werden wir in so verschiedene
(mannigfache) Irrtümer eingeführt, dass dem leeren Scheine
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— 20 —
die Wahrheit und dem eingefleischten Vorurteil die Natur selber
weichen muss. L. c. 1. I., c. 11 n. 23 sagt er von den Ansichten
über die Unsterblichkeit der Seelen: „Harum sontentiarum,
quae vera sit deus aliquis viderit: quae veri simillima, magna
quaestio est**. — Welche nun von den angeführten Meinungen
die wahre ist, kann nur Gott entscheiden] welche aber der
Wahrheit am nächsten kommt, darüber besteht eine grosse
Streitfrage. — Wahrhaft rührend ist das Flehen des Euripides
(Fragmentorum Nr. 667. Edito Wagneri II. Vol. p. 475. Breslau
1844) :
TleiLiviiov )iev cpujq vp^X«^ dv^piuv
Toi^ ßouXo)ievoi^ äOXou^ irpoiiiaGeTv
TTöGev ^ßXacTTOv, Tiq ^\la KaKOüv
Tiva bei jiiaKdpuüV ^KÖuaaiiievouq
Eupeiv )iöxöu)V dvdirauXav
Emitte lucem, quae clarescere faciat animas,
Quaerentibus pugnae cognoscere originem,
Quae turbat animam. dolorisque radicem,
Vimque coelestem, quae hostiis placata
Pressam redimat animam!
O, send' ein Licht, zu erhellen den Geist,
Der den Ursprung sucht zu erfahren des Kampfs,
Der die Seele bewegt, und die Wurzel des Leides
Und die himmlische Macht, die durch Opfer versöhnt,
Die bekümmerte Seele erlöse I^)
Die Kunstkenner bemerken, dass selbst den vollendetsten
plastischen Gebilden der Griechen ein Zug stiller Wehmut ein-
geprägt sei, welcher in der Gruppe des Laokoon, worüber
später noch mehr gesagt werden soll, den ergreifendsten Aus-
druck gewinnt. Winkelmann (9. Dezbr. 1717 bis 8. Juni 1768),
der Begründer der neuen Kunstgeschichte, sagt von dieser
Statue: ^,Die Augen des leidenden Vaters sind nach der höheren
Hülfe gewandt. ^^ Sodann sind Griechen und Römer unerreichte
Vorbilder für Kunst und Literatur. Diese Nationen werden
^) In den Versen des Euripides (ca. 480 a. Chr. zu Athen) liegt ein
Anklang an den Hymnus : „ Veni Sancte Spiritus Et emitte coelitus Lucis
tuae radium etc.", welcher dem Papste Innozenz IIL (a. iiq8 — 12 16)
zugeschrieben wird.
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die Bannerträger der literarischen Vortefflichkeit bleiben, wie
sie bis zum heutigen Tage noch die ersten Modelle für Archi-
tektur und Skulptur uns bieten. Die Reden eines Cicero und
Demosthenes können, was Stil und Aufbau angeht, immer als
die ersten Muster für die christliche Rhetorik gelten. Salomon
schmückte den Tempel des Herrn mit heidnischem Golde aus
Ophir, und Judas Machabäus zierte dessen Mauern mit den
Trophäen der überwundenen Syrer. Die Kirchenväter (Basi-
lius u. a.) versichern uns, dass, wie die Kinder Israels von dem
allmächtigen Gott die Erlaubnis erhielten, die Familienkleinode
der Ägypter zu entnehmen, so auch den Christen es gestattet
sei, sich die geistigen Reichtümer des klassischen Altertums
anzueignen, und damit die Lehren der Kirche zu beleuchten
und in einem gefälligen Sprachgewande darzustellen, ^fioldene
Früchte in silbernen Schalen y- Proverbiorum c. 25, v. 11. Und
wirklich ist heutzutage die Beredsamkeit von Hellas und
Hesperien (vom alten Rom und Athen) im Besitze der christ-
lichen Welt, während das Heidentum und der Mohammedanismus
im geistigen Verfalle sich befinden. Der königliche Sänger
sagt im 110. Psalme v. 6 sq.: „Der Herr gab seinem Volke das
Erbe der Heiden** = Kunst, Literatur und Wissenschaft. Die-
jenigen, welche Müsse haben, die lateinischen und griechischen
Klassiker zu pflegen, werden auch belohnt durch die Schätze
natürlicher Weisheit und bezaubert durch die poetischen Bilder,
von welchen dieselben überfliessen. Wenn wir dieselben in
unserem reifen Alter lesen, so befähigt uns die gewonnene
Lebenserfahrung, ihre vielseitige Vortrefflichkeit weit besser
zu würdigen, als zu jener Zeit, in welcher das Studium der-
selben unserem noch unentwickelten Geiste als Schulpensum
auferlegt wurde. Keine Wahrheit nämlich ist für die Christen
ein Fremdling: Die Religion eignet sich jede Wahrheit an
und heiligt sie; denn ihr Urheber ist die Quelle der Wahrheit.
(Cf. Evgl. S. Johannis c. 14, v. 6.) Moses war unterrichtet in
aller Weisheit der Ägypter (Act. Apostolorum c. 7, v. 22). Er
war zu Hause in allen Wissenszweigen, welche dieselben
betrieben : in der Astronomie, in der Naturkunde und Mathema-
tik sowie auch in der einheimischen Literatur. Gerade um
dieses alles lernen zu können, hatte die Vorsehung Gottes ihn
an den Hof des Pharao kommen lassen. So wurde er hin-
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reichend vorbereitet, ein Führer,. Gesetzgeber und Geschicht-
schreiber seines Volkes zu werden. — Daniel tibertraf an Wissen
alle Magier und Weisen des chaldäischen Reiches um das Zehn-
fache. (S. Danielis c. 1, v. 20.) Aus diesem Grunde war er
befähigt, die Stelle eines obersten Statthalters aller 120 Provinzen
der babylonischen Monarchie zu bekleiden. (Ibidem c. 2, v. 48.)
Wenn nun Moses und Daniel in der Wissenschaft der Ägypter
und Chaldäer hervorragten; so lehrt uns das: wir sollen die
weltliche Gelehrsamkeit nicht verachten, sondern dieselbe viel-
mehr ehren und pflegen. (Cf. Cardinal Gibbons „Der Gesandte
Christi", S. 245 sq.) Darum war es auch keine vermessene
Überhebung, sondern nur ein klares Erkennen des eigenen
Wertes, wenn Horatius sang:
„Exegi monumentum aere perennius
Regalique situ pyramidum altius,
Quod non imber edax, non Aquilo impotens
Possit diruere aut innumerabilis
Annorum series et fuga temporum!'^
(L. Carminum III., 30.)
Aufgerichtet ein Werk^ dauernder als von Ers^
Das noch höher empor als Pyramiden ragt,
Hab' ich mir; und des Nords Toben, und des Regens Zahn
Bringen es nicht zu Fall, noch der Jahrhunderte
Unabsehbare Zahl und der Zeiten Flucht!
In ähnlicher Weise verkündet der Dichter Ovidius Naso:
(Metamorphoseon 1. 15, v. 869—877.)
„lamque opus exegi, quod nee lovis ira nee ignis
Nee poterit ferrum nee edax abolere vetustas.
Quum volet, illa dies, quae nil insi corporis hujus
lus habet, incerti spatium mihi finiat aevi:
Parte tarnen meliori mei super alta perennis
Astra ferar, nomenque erit indilebile nostrum.
Quaque patet domitis Romana potentia terris,
Ore legar populi, perque omnia saecula fama,
Si quid habent veri vatum praesagia, vivam!**
Und nun hab* ich ein Werk vollbracht, das Feuer und
Eisen
Nimmer zerstört, noch Jupiters Zorn, noch zehrendes
Alter:
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Mag dann kommen der Tag, der nur an vergänglichem
Leibe
Recht ausübt, und den Raum unsicheren Lebens be-
schliessen:
Trotz wird bieten der Zeit und über die hohen Gestirne
Schweben mein besseres Ich, und nie mein Name
getilgt sein.
Rings, soweit Roms Macht sich erstreckt in bezwungenen
Ländern,
Wird mich lesen das Volk, und wofern nicht trügen
der Dichter
Ahnungen, werd' ich im Ruf fortleben in ferneste
Zukunft!
In noch höherer Weise sagt der Priester und gesetzes-
kundige Nehemias (1. II. Esdrae c. 13, v. 14 und 31):
MvrjcrOriTi |liou ö Geö^ iv xauTri Kai juri ^EaXeiqpGrjxo eXeö^ |liou 8
€7roiTi(Ta ^v oTku) Kupiou tou eeoö* Mvr|<T9TiTi |liou 0€Ö^ f||Liuiv ei^ dya-
OiüiJuvTiv (Septuaginta). Die Vulgata übersetzt nach dem
masoretischen Texte des Hebräischen: ^Memento mei, Deus
meus pro hoc, et ne deleas miserationes meas, quas feci in
domo Dei mei et in ceremoniis ejus!" „Memento mei Deus in
bonum!'* (Amen). Gedenke meiner, mein Gott, deshalb, und
lösclie nicht aus meine Erbarmungen, welche ich geübt habe
am Hause meines Gottes und an seinem Dienste (Ceremonien)!"
„Gedenke meiner, mein Gott, zum Guten!*' (Amen).
Aus allem nun geht hervor, dass es den Theologen wohl
ansteht, die Studien des klassischen Altertums zu pflegen, und
dass sie auch eine Pflicht der schuldigen Dankbarkeit erfüllen,
wenn sie zeitlebens derer am Altare eingedenk bleiben, welche
ihnen die Kenntnis der antiken Sprachen und Literaturschätze
vermittelt haben.
„Körper und Stimme verleiht die Schrift dem stummen Gedanken:
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt."
(Friedrich von Schillers „Spaziergang" 1795.)
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Die Beschäftigung der Theologie mit der klassischen
Literatur der Vorzeit ist uralt.
. . . „Quanta est ubertas condita in illis
„Areis divitibus, terrae bona semina doctis
„Mandare!"
Dantis Alligherii Parad. cant. XXIII, v. 109 sq.
O, welche Fülle in jenen überreichen
Kornspeichern aufbewahrt wird, die hienieden
Im Sä'n so gute Feldbesteller waren!
Weil das Evangelium Gottes gleich im Anfange schon die
Aufgabe hatte, eine Weltkirche zu gründen (Matth. 28, 18 u. 19);
so sahen sich die ersten Verkündiger desselben einer Gesell-
schaft gegenüber, welche ihre ganze Bildung aus der römischen
und griechischen Literatur vorzugsweise gewonnen hatte. Da-
her trat die Notwendigkeit an sie heran, aus der Zeit^ für die
Zeit und an die Zeit sich zu wenden. Der Völker-Apostel
S. Paulus nimmt deswegen im Briefe an die Korinther (I. Kor. 9,
24 sq.), von den auf dem Isthmus gefeierten Fest- und Kampf es-
Spielen die Veranlassung, seine Christen zum Wettlaufe auf
der Bahn der Tugend zu ermahnen. In seinem Schreiben an
die Ephesier (Ad Eph. 6, 10 sq.) nimmt er von der antiken
Waffenrüstung ein Beispiel, um das Bild der christlichen Ritter-
schaft zu zeichnen.
In dem I. Briefe an die Korinther (14, 8) spricht derselbe
von den Kampf es-Signalen : „Etenim si incertam vocem proferat
tuba, quis bellum parabit?"
„Denn wenn die Kriegs-Trompete einen unsicheren (keinen
hellen, deutlichen und unterschiedenen) Klang gibt, wer soll
sich dann zum Streite rüsten?'*
Um nämlich die Pflicht einzuschärfen, herzhaft und über-
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zeugungsvoll das Wort Gottes zu predigen, nimmt er ein Bei-
spiel von den militärischen Kriegs-Signalen.
Auch die Kampfes-Gesetse^ in Glaube und Treue für Christus
zu streiten, erwähnt S. Paulus in seinem Schreiben an Timo-
theus (II. Tim. 2, 5): „Nemo coronabitur nisi legitime certaverit !" ^)
„Niemand wird gekrönt, welcher nicht gesetzmässig ge-
stritten hat!**
Die Kampfes- Ausdauer empfiehlt derselbe (II. ad Tim. 2, 2)
„Labora sicut bonus miles Christi!*' „Arbeite (ertrage die
Mühen) wie ein guter Soldat Jesu Christi!**
Und die völlige Hingabe an den Kriegsdienst macht er
seinem Schüler zur Pflicht (II. Tim. 2, 4) mit den Worten:
„Nemo Deo militans implicat se negotiis saecularibus!** „Nie-
mand, der für Gott Kriegsdienste tut, darf sich in weltliche
Geschäfte einmischen — ut ei placeat, cui se probavit — , da-
mit er dem genehm sei, welchem er sich verpflichtet hat!**
Die Folgezeit legte den Aposteln und ihren Nachfolgern
ein noch tieferes Eingehen auf die Zeitbestrebungen um so
näher, als das junge Christentum in der neuen Platonischen
Philosophie einer gelehrten Bestreitung sich gegenüber fand 2).
^) ,jLegittme certantibus'^ : Wahlspruch des Kaisers Ferdinand II.
(1619— 1637).
2) Damit nämlich alle menschlichen Kräfte an dem siegreich auf-
strebenden Christentum sich versuchten, um im Kampfe mit demselben
ihre Ohnmacht zu offenbaren, sollte auch die Wissenschaft noch mit ihm
in die Schranke treten. x\ls solche, welche das Christentum mit den Waffen
der Gelehrsamkeit bestritten, haben sich besonders hervorgetan:
1. Celsus (um 150 p. Chr.) in seiner Schrift: dXrief|^ Xöyo^.
2. Lucianus (ca. 200) in dem Buche: de morte peregrini, in welchem
die Christen als törichte Menschen verspottet werden; er bezeugt aber ihre
Bruderliebe und ihren Todesmut.
3. Poiphyrius (233 — 305), welcher besonders gegen die Weissagungen
des alten Testamentes seine Angriffe richtete.
4. Hierocles (ca. 300), von dem Kaiser Diocletian zum Statthalter
von Bithynien und Präfekten von Alexandrien bestellt. In seiner Ab-
handlung: XÖToi <piXaXrie€l(; Trpö<; XpKJTiavoOq („Wahrheitsliebende Reden
gegen die Christen") nimmt derselbe alle früheren Beschuldigungen gegen
die Christen wieder auf, und stellt dem Leben Jesu den Wandel des
abenteuerlichen Apollonius von Tyana entgegen.
Diese Streitschriften sind uns nur bruchstücksweise in den Wider-
legungen der Apologeten enthalten, welche die darin aufgestellten Behaup-
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Daher nahmen die christlichen Apologeten lustinus, TertuUian,
Origenes, Clemens von Alexandrien und Eusebius von Cäsarea
ihre Waffenrtistung mit Vorliebe aus den alten Klassikern, um
nach dem Ausdrucke des Kirchenlehrers S. Hieronymus (340
bis 420) „den Goliath mit seinem eigenen Schwerte zu er-
schlagen". Ein Brief dieses gelehrten Streiters für das Christen
tum an den römischen Redner Magnus gibt eine gute Über-
sicht über die Bemühungen der lehrenden Kirche in bezug auf
das Studium und die Verwendung der heidnischen Literatur.
Wir wollen denselben ganz mitteilen.
Hieronymus Magno, Oratori Romano, S. D. P.
Sebesium nostrum tuis monitis profecisse, non tam epistola
tua, quam ipsius poenitentia didicimus. Et mirum in modum
plus correptus placuit, quam errans laeserat. Certaverunt inter
se indulgentia patris et filii pietas: dum alter praetcritorum non
meminit, alter in futurum quoque officia pollicetur. Unde etiam
mutuo nobis tibique gaudendum est: quia nos filium recepimus,
tu discipulum comprobasti.
Quod autem quaeris in calce epistolae tuae, cur in opus-
culis nostris saecularium interdum ponamus exempla, et can-
dorem Ecclesiae ethnicorum sordibus polluamus, responsum
breviter habeto:
Nunquam hoc quaereres^ nisi te totum Tullius (Marcus
Tullius Cicero) possideret^ si scripturas sanctas legeres, st inter-
pretes earum^ omisso supercilio, evolveres.
Quis enim nesciat, et in Moyse et in prophetarum volu-
minibus quaedam assumpta esse de gentilium libris, et Salo-
monem philosophis Tyri et nonnuUa proposuisse et aliqua
respondisse? Unde in exordio Proverbiorum commonet, ut
intelligamus sermones prudentiae versutiasque verborum, pära-
bolas et obscurum sermonem, dicta sapientum et aenigmata,
quae proprie dialecticorum et philosophorum sunt. Sed etiam
Paulus Apostolus Epimenidis poetae usus est versiculo scribens
ad Titum (1, 12): Kpfixeq dei ipeucrrai KaKa Gripia Tucjx^peq dpTai,
tungen in ihrer ganzen Gehaltlosigkeit aufgedeckt haben. Zur Widerlegung
bedienten sich dieselben mit Vorliebe der heidnischen Klassiker, um die
Gegner mit ihren eignen Waffen zu schlagen. ^Vgl. Brief des hl. Hiero-
nymus an den Redner Magnus.)
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— 27 —
id est: „Cretenses semper mendaces, malae bestiae, ventres
pigri." Cujus versus heroici hemistichium postea Callimachus
usurparvit. Nee mirum est, si apud Latinos metrum non servet
ad verbum expressa translatio, quum etuim Homerus eadem
lingua versus in prosam vix cohaereat.
In alia quoque epistola (cf. II. Tim. 2, 16) Menandri ponit
Senarium: (pGeipoudi yoip fOn XPn^^Ta öjLiiXiai KttKai. Id est: „Corrum-
punt enim bonos mores colloquia prava.** Et apud Athenienses
in Martis curia diputans Aratum testem vocat: ^Ipsius enim
etiam genus sumus**, quod Graece dicitur: Tou yctp Km t€vo^
ea^ev. (Actus Apost. 17, 28), et est clausula versus heroici. Ac
ne parum hoc esset, ductor Christiani exercitus et orator in-
victus pro Christo caussam agens, etiam inscriptionem fortuitam
arte torquet in argumentum fidei: 'AtviIkttiij Oeiji (Ignoto Deo!)
Actus Apost. 17, 23. Didicerat enim a vero David, extorquere
de manibus hostium gladium et Goliae superbissimi caput proprio
mucrone truncare. Legerat enim in Deuteronomio domini voce
praeceptum esse, mulieris captivae radendum caput et sie eam
habendam esse in conjugio (legitimo). Quid igitur mirum est,
si etiam ego sapientiam saecularem propter eloquii venustatem
et membrorum pulchritudinem de ancilla atque captiva Israe-
litidem facere cupio. Et si quid in ea mortuuni est Idololatriae,
voluptatis, erroriSy libidinum^ vel praecido vcl rado.
Esechi'el propheta in typo fornicantis Hierusalem tondet
cesariem suam: ut quidquid in ea absque sensu et vita sit,
auferatur.
Cyprianus vir et eloquentia poUens et martyrio, Firmini-
ano narrante mordetur, cur adversus Demetrianum scribens testi-
moniis usus sit prophetarum et apostolorum, quae ille ficta et
commentitia esse dicebat, et non potius philosophorum et poe-
tarum, quorum ille auctoritati, ut ethnicus, contraire non pote-
rat. Scipserunt, contra nos Celsus atque Porphyrius. Priori
Origenes^ alteri Methodius^ Eusebius, Apollinarius fortissime
responderunt. Quorum Origines octo scripsit libros, Methodius
usque ad decem millia procedit versuum. Eusebius et Apolli-
narius viginti quinque et triginta volumina condiderunt. — Lege
eos et invenies nos comparatione eorum iraperitissimos esse:
atque post tanti temporis otium vix quasi per somnium, quod
pueri didicimus, recordari.
.\KV
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Julianus Augustus in expeditione Parthica (363) Septem
libros adversum Christum evomuit potius, quam scripsit: et
secundum fabuias poetarum suo se ense laceravit. Si contra
hunc scribere tentavero, puto interdices mihi, ne in canem
rabidum Philosophorum et Stoicorum doctrinis, id est Herculis
clava, repercutiam. Quamquam ^Nasarenum nostrum^ et velut
ipse solebat dicere ^Galilaeum'^ statim in proelio senserit atque
mercedem linguae pudidissimae contumeliis perfossus acceperit.
Josephus (Flavius) antiquitatem approbans populi Judaici
duos libros scripsit contra Appionem. Grammaticum Alexan-
drinum, et tanta saecularium profert testimonia, ut mihi miraculum
subeat, quomodo vir Hebraeus et ab infantia sacris litteris eru-
ditus, cunctam Graecorum bibliothecam evolverit.
Quid loquar de Philone quem vel alterum vel secundum
Platonem Judaeum critici pronuntiant. Curram per singulos.
Quadratus Apostolorum discipulus et Atheniensis pontifex eccle-
siae, nonne Hadriano principi Eleusinea sacra invisenti librum
pro nostra religione (defendenda) tradidit? Et tantae admirati-
oni Omnibus fuit ut persecutionem gravissimam illius excellens
sedaret ingenium.
Aristides philosophus^ vir eloquentissimus, eidem principi
librum apologeticum pro christianis obtulit contextum philoso-
phorum sententiis: quem imitatus postea Jusiinus ipse quoque
philosophus, Antonino Pio et filiis ejus Senatuique librum contra
gentes tradidit, defendens ignominiam crucis et resurrectionem
Christi tota praedicans libertate.
Quid loquar de Af elttone Sardensi episcopo?
Quid de Apollinario^ Hierapolitanae ecclesiae sacerdote,
Dionysioque^ Corinthiorum episcopo, et Tatiano et Bardesane
et Irenaeo Photini martyris successore ? Qui Origenis haereseon
singularum venena, ex quibus Philosophorum fontibus emana-
rint, multis voluminibus explicaverunt.
Pantaenus sectae Stoicae philosophus ob praecipuae erudi-
tionis gloriam a Demetrio, Alexandriae Episcopo, missus est in
Indiam, ut Christum apud Brachmanos et illius gentis philoso-
phos praedicaret.
Clemens Alexandrinae ecclesiae hresbytery vir meo judicio
omnium eruditissimus, octo scripsit Stromatum libros et totidem
u7TOTU7TU)<T€iuv, id est dispositionum, et alium contra gentes, Paeda-
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gogi quoque tria Volumina. Quid in illis indoctum? Imo quid
non e media philosophia est? Hunc imitatus Origines decem
scipsit Stromateas, Christianorum et Philosophorum inter se sen •
tentias comparans, et omnia religionis nostrae dogmata de Pia-
tone et Aristotele, de Numenio Cornutoque confirmans.
Scripsit etiam Miltiades contra gentes Volumen egregium.
Hippolytus quoque et Apollonius, urbis Romanae senatores, pro-
pria opuscula condiderunt.
Exstant etiam Julii Africani libri, qui temporum scripsit
historias: et Theodoriy qui postea Gregorius appellatus est, viri
Apostolicorum signorum atque virtutum, et i)/o«ys// Alexandrini
Episcopi, AnatolUy quoque, Laodicaenae ecclesiae sacerdotis,
quin etiam presbyterorum Pampkth\ Pierii, Luciani^ Malchionis,
Eusebii, Caesarensis Episcopi et Eustathii Antiocheni et Athanasii
Alexandrini: Eusebii quoque Emiseni, et Triphylii Cyprici et
Asterii Scythopolitae, et Serapionis confessoris: Titi quoque
Bostrensis, Episcopi Cappadocumque Basilii^ Gregorii, Amphi-
lochii.
Qui omnes in tantum philosophorum doctrinis atque sen-
tentiis suos refarciunt libros, ut nescias, quid potissimum admi-
rari debeas in illis eruditionem saeculi, an scientiam scriptura-
rum. Veniam ad Latinos.
Quid Tertulliano eruditius? quid acutius? Liber ejus Apolo-
geticus et contra gentes libri cunctam saeculi obtinent dis*
ciplinam.
Minutius Felix, causidicus fori Romani, in libro, cui titulus
est Octavius et in altero contra Mathematicos, si tamen in-
scriptio non mentitur* auctorem, quid gentilium scripturarum
dimisit inf actum?
Septem libros ad versus gentes Arnobius edidit, totidemque
discipulus ejus Lactantius, qui de Ira quoque et Opificio Dei
duo Volumina condidit, quos si legere volueris, Dialogorum
Ciceronis in eis ^7riT0|Lir|v reperies.
Victor ino martyri in libris suis licet desit eruditio, tamen
non deest eruditionis voluntas.
Cyprianus, quod idola dii non sint, qua brevitate, qua
historiarum omnium scientia, quoque verborum et sensuum
splendore perstrinxit?
Hilarius meorum confessor temporum et episcopus duodecim
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 4
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— 30 -
Quintiliani libros et stilo imitatus est et numero, brevique
libello, quem scripsit contra Dioscurum medicum, quid in litteris
possit, ostendit.
Juvencus presbyter sub Constantino historiam Domini Sal-
vatoris versibus explicavit: nee pertimuit, evangelicam majesta-
tem sub metri leges mittere.
De ceteris vel mortuis vel viventibus taceo, quorum in
scriptis suis et vires manifestae sunt et voluntas. Nee statim
prava opinione falleris, contra gentes hoc esse licitum, in aliis
disputationibus discimulandum : quia omnes paene omnium libri,
exceptis bis, qui cum Epicuro litteras non didicerunt, eruditionis
doctrinaeque plenissimi sunt. Quamquam ego illud magis reor,
quod dictanti venit in mentem, non te ignorare quod scmper a
doctis viris usurpatum est: sed per te mihi proponi ab alio
quaestionem, qui forte propter amorera historiarum Salustii,
Calpurnius cognomento Sanarius sit. Cui quaeso ut suadeas, ne
vescentium dentibus edentulus invideat et oculos caprearum
talpa contemnat. Dives, ut cernis, ad disputandummateria; sed
jam epistolarum angustia finienda est. Vale!^)
Hieronymus entbietet dem römischen Redner Magnus
seinen Gruss.
Dass unser Sebesius infolge deiner Ermahnungen sich
gebessert hat, habe ich nicht so sehr aus deinem Briefe, als
durch seine Reue erfahren. Und wunderbar: nach seiner Zu-
rechtweisung hat er uns mehr Freude bereitet, als er in seinem
Irrtume uns Verdriesslichkeiten gemacht hatte. Es entstand
nämlich ein Wettstreit zwischen der Nachgiebigkeit des Vaters
und der Anhänglichkeit des Sohnes: indem der Vater das
Vorgekommene mit dem Mantel der Liebe zudecken wollte,
und der Sohn seine Dienstleistungen für die Zukunft in Aus-
sicht stellte. Daher haben wir Grund, uns gegenseitig zu freuen;
ich freue mich, dass ich meinen (geistlichen) Sohn wieder-
gewonnen habe, und du wirst dich freuen, weil dein Schüler
den Erwartungen entsprochen hat.
^) Epistolae Beati Hieronymi Stridonis, Ecclesiae Doctoris, in libros
tres distributae. Praefatus est B. Petrus Canisius, S. J., Dilingae anno Do-
mini M. D. LXV., libri IL, epistola L, p. 55 — 59. Zum leichteren Ver-
ständnis ist die alte Schreibweise der heutigen angepasst. Scriptor.
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- 31 -
Am Schlüsse deines Briefes aber stellst du die Frage,
aus welchem Grunde ich wohl bei meinen schriftlichen Arbeiten
mitunter auch Beispiele aus den heidnischen Klassikern anführe
und es so zulasse, dass der Glanz der christlichen Kirche durch
die niedrigen Anschauungen der Heiden verdunkelt werde.
Hierauf will ich dir in Ktirze eine Antwort geben. Set ver-
sichert: niemals würdest du eine solche Frage gestellt haben,
wenn du nicht gans und gar von Cicero eingenommen wärest;
wenn du vielmehr statt dessen die hl. Schriften fleissig gelesen
und ihre Ausleger ohne Selbstüberhebung gründlich studiert
hättest. (Trifft auch heute noch zu!)
Denn wer sollte nicht wissen, dass bei Moses und den
Büchern der Propheten manches aus den Schriften der Heiden
entlehnt ist, und dass Salomon den Philosophen von Tyrus
sowohl einige Fragen vorgelegt, als auch selbst deren Fragen
beantwortet hat!
Daher gibt er zu Anfang der „Sprüchwörter" uns die Er-
mahnung, wir sollten uns Mühe geben, dass wir die Reden
der Weisheit verstehen, den verborgenen Sinn der Aussprüche
erforschen, die Redewendungen und dunklen Ausdrücke er-
gründen, sowie die Sprüchworte der Weisen und ihre Rätsel
begreifen lernen; obgleich dies eigentlich Sache der Rede-
künstler und der Philosophen ist.
Sogar der Apostel Paulus bedient sich im Briefe an Titus
(c. 1, v. 12) eines Verses von dem Dichter Epimenides (6. Jahr-
hundert V. Chr.) : „Die Kreter sind allezeit Lügner, böse Tiere
und auch faule Bäuche.*' Von dem Halb-Verse dieses Spruches
machte später Callimachus (Dichter aus Cyrene a. 250 v. Chr.)
seine Anwendung. Man darf sich aber nicht wundern, wenn
bei einer wörtlichen Übertragung des griechischen Textes in
die lateinische Sprache das Versmass verloren geht, wie ja
auch die homerischen Gesänge bei ihrer Übersetzung ins
Lateinische den Rhythmus einbüssen. Auch in einem anderen
seiner Briefe (I. ad Corinthios 15, 33; vgl. II. Timothei 2, 16)
zitiert er einen Vers des Menander (Dichter der Thais, 342 — 291
zu Athen): „Gute Sitten werden durch schlechte Reden (schlechten
Umgang) verdorben!** Und als er zu Athen auf dem Areopage
einen Vortrag hielt, rief er den Aratus als Zeugen an (Aratus
aus Soli in Cilicien, geboren um 270 v. Chr., Dichter der Oaivö-
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-- 32 -
jLieva Kai Aio(TTiM€Ta „Stern-Erscheinungen'^ und „Wetter-Zeichen'*):
„Denn wir sind ja seines Geschlechtes!" (Nach Gottes Eben-
bild und Gleichnis.) Cf. Apostel-Geschichte c. 17, 28. Diese
Worte bilden den Schlussatz eines heroischen Verses. Und
gleichsam als genüge dies noch nicht, wendet jener berühmte
Führer „der streitenden Kirche" und niemals besiegte Redner
in seiner Tätigkeit für die Sache Christi sogar eine zufällig
gelesene Denkmal-Inschrift kunstgerecht zu einem Glaubens-
beweise an: „Dem unbekannten Gott!'' (Ap.-G. c. 17, 23). Denn
er hatte es von dem echten David („der Geliebte") gelernt,
wie man das Schwert aus den Händen der Feinde entwinden,
und den Kopf des hochmütigen Goliath mit dessen eigener
Degenschneide abhauen könne. Auch hatte er im 5. Buche
Moses (Deuteronomium) gelesen, dass nach der Vorschrift des
Herrn das Haupt eines gefangenen Weibes zu scheren sei,
und sie hierauf rechtmässig zur Ehe genommen werden dürfe.
Wer kann sich nun darüber wundern, wenn ich die Weisheit
der heidnischen Klassiker wegen ihrer Feinheit im Ausdrucke
und wegen der Schönheit in der Darstellung gleichsam aus
einer dienenden und gefangenen Magd zu einer freien Israelitin
zu machen suche?!
Und sollte sich darin etwas Bedenkliches vorfinden in besug
auf den Götsendienst^ die Sinnlichkeit, irrtümliche Grundsätze,
oder was Ausschweifungen angeht; so beschneide ich einfach
den Ausdruck^ oder unterdrücke ihn gans.
Der Prophet Esechiel (blühte um 590), schor sein Haar,
um das treulose Jerusalem damit zu versinnbilden, und anzu-
deuten, dass alles, was Sinn und Leben für Gott verloren habe,
gänzlich vernichtet werden müsse.
Cyprian (Bischof von Carthago ca. 200—258), berühmt
wegen seiner grossen Beredsamkeit und seines glorreichen
Martyr-Todes (f 14. September 258), wird nach dem Zeugnisse
des Firmianus Lactantius deswegen getadelt, weil er in der
Bekämpfung des Demetrianus (eines heidnischen Philosophen)
sich nur auf das Zeugnis der Propheten und Apostel berufen
habe, welches jener für erdichtet und unecht betrachtete; und
nicht vielmehr auf die heidnischen Philosophen und Dichter,
deren Beweiskraft er als Heide nicht habe anfechten können.
Es schrieben gegen uns Christen die heidnischen (Neu-)Plato-
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- 33 -
niker Celsus (178) und Porphyrius (233—305). Dem ersten
antwortete Origenes (185—254), dem zweiten Methodius (f 311),
Eusehius (265—340), und Apollinarius junior (f 390) in sehr
kräftiger Weise. Origines schrieb acht Bücher gegen Celsus,
Methodius gegen 10000 Verse. Eusebius verfasste 25, und
Apolhnarius 30 Bücher. Lese dieselben, und du wirst finden,
dass ich im Vergleiche mit jenen sehr unerfahren bin, und
dass ich mich nach so langer Ruhe nur traumhaft dessen noch
erinnere, was ich früher als Knabe gelernt habe.
Der Kaiser Julian (der Abtrünnige) schrieb während
seines Kriegszuges gegen die Perser (363) sieben Bücher gegen
Christus, oder spie sie vielmehr aus; er hat aber, wie die
Fabeln der Dichter lauten, sich mit seinem eigenen Schwerte
verwundet. Wenn ich nun versuchen würde, gegen ihn schrift-
lich aufzutreten, so wirst du mir vielleicht verbieten wollen,
wider diesen rasenden Hund mit den Lehrsätzen der Philosophen
und Stoiker, d. h. mit der Keule des Hercules, loszuschlagen!
Freilich hat jener die Macht „unseres Nasareners'^ oder,
wie er sich selbst auszudrücken pflegte, „des Galiläersf' sofort
empfinden müssen, und die Strafe für seine blasphemische
Zunge sehr bald empfangen, als er im Kampfe schmählich
durchschossen wurde und mit dem Ausrufe zusammenbrach:
„Galiläer, du hast mich überwunden^) f'^ Josephus Flavius
(37—101) hat zum Beweise für das hohe Altertum seines Volkes
zwei Bücher gegen den Apion, einen alexandrinischen Gram-
matiker, geschrieben und dabei so viele Zeugnisse aus den
heidnischen Schriften angeführt, dass ich mich in der Tat
wundern muss, wie ein hebräischer Mann, welcher doch von
Jugend auf in den hl. Büchern unterrichtet war, die ganze
Bibliothek der griechischen Schriftsteller durchstudieren konnte.
Was soll ich nun sagen von Philo (20 vor Christus bis
54 nach Christus zu Alexandrien), welchen die Kritiker einen
zweiten, oder den jüdischen, Plato nennen?
Nunmehr will ich einzelne durchgehen.
Hat nicht Quadratus (126 n. Chr.), ein Apostel-Schüler
und Bischof der Kirche zu Athen, dem Kaiser Hadrian (117
*) „Galiläer, du hast mich überwunden, oder: du hast gesiegt!",
ist historisch nicht ganz sicher.
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- 34 -
bis 138), als derselbe die Eleusinischen Feste dort besuchte,
eine (die erste) Schutzschrift für unsere hl. Religion über-
reicht ? Und so grosse Bewunderung erregte er bei allen, dass
jener furchtbaren Christen- Verfolgung durch sein hervorragendes
Genie bald hierauf Einhalt geboten wurde.
Der Philosoph Aristides (126 zu Athen), ein sehr beredter
Mann, legte demselben Fürsten eine Schutzschrift zugunsten
der Christen vor, welche ganz aus Gedanken der heidnischen
Philosophen zusammengestellt war.
Ihm folgte später Justinus nach (ca. 110 — 165), auch ein
Philosoph, welcher (150) dem Kaiser Antoninus Pius, seinen
Söhnen und dem Senate eine Schrift gegen die Heiden über-
gab, in welcher er die Schmach des Kreuzes verteidigte und
die Auferstehung Christi mit aller Freiheit verkündigte.
Was soll ich nun sagen von Melito (170), Bischof von
Sardes? Was von Apollinarius (161—180 ca.), Priester der
Kirche zu Hierapolis in Klein-Phrygien ; was von Dionysius^
(wie vorhin), Bischof von Korinth, von Tacian (152), von
Bardesanes (2. Jahrhundert), von Irenaeus (130—202, f 3.1s
Bischof von Lyon den Martyr-Tod), dem Nachfolger des Pho-
tinus, welcher ebenfalls Blutzeuge war (f 177)?
Diese alle haben in zahlreichen Schriften nachzuweisen
gesucht, aus welchen philosophischen Anschauungen das Gift
der einzelnen Irrtümer des Origenes hervorgegangen ist.
Panthaenus (f ca. 212), ein Philosoph der stoischen Schule,
erhielt wegen des Ruhmes seiner ausgezeichneten Wissenschaft
von seinem Bischöfe Demetrius zu Alexandrien eine Sendung
nach Indien, um bei den Brahmanen und Philosophen dieses
Volkes Christum zu verkündigen.
Clemens, Priester der Alexandrinischen Kirche (f ca. 217),
welcher nach meinem Urteile alle vorgenannten an Bildung
und Kenntnissen übertraf, schrieb acht Bücher Stromata =
„Teppiche", wegen ihres mannigfachen Inhaltes so genannt,
und ebensoviele, welche er Dispositionen („Ermahnungen")
hiess; ein anderes „gegen die Heiden", ebenso den „Erzieher**
in drei Bänden. Jede Zeile in denselben verrät die grösste
Gelehrsamkeit und ist gleichsam aus dem Herzen der Philo-
sophie geschrieben.
Diesem ahmte Origenes nach und schrieb 10 Bücher
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- 35 -
(TTpiDjüiaTeTq = „Vermischten Inhaltes". Er war der glänzendste
Vertreter der Theologie in seiner Zeit und brachte die christ-
liche Lehre mit den Ansichten der Philosophen in Vergleich
und hat alle Dogmen unserer Religion aus Plato, Aristoteles,
Numenius und Cornutus zu begründen versucht.
Es schrieb auch Mütiades (unter Marc Aurel und Lucius
Verus) ein vorzügliches Buch gegen die Heiden; auch Hippo-
lytus (t 235) und Apollonius, Senatoren der Stadt Rom, haben
besondere Werke verfasst.
Vorhanden sind auch noch die Bücher von Julius Afri-
canus (t ca. 237) in 5 Bänden über die „Zeit Geschichte", in
welcher er von Erschaffung der Welt oder 5499 Jahren vor
Christus bis zu 221 nach Christus ging, und die biblische
Geschichte mit der Geschichts-Überlieferung der heidnischen
Völker in Zusammenhang zu setzen und in Einklang zu bringen
suchte. Eusebius machte das Werk zur Grundlage seiner Chronik.
Ebenso besitzen wir noch die Werke von Theodorus^
welcher später Gregorius genannt wurde (f 363), eines Mannes
von apostolischen Wundertaten und Tugenden; auch von
DionysiuSy Bischof von Alexandrien (f 265); von Anatolius^
Bischof von Laodicaea (270), einem ausgezeichneten Kenner
der mathematischen Wissenschaften.
Ferner sind die Priester Pamphilus (f 309 als Märtyrer),
Pierius, Lucianus, Malchion; Eusebius, Bischof von Caesarea
(265 — 340), Vater der Kirchengeschichte und christlicher Hero-
dot ; Eustathius von Antiochien (f 360 im Exil) ; Athanasius,
Bischof von Alexandrien (296—2. Mai 373), „die Säule der
Kirche in sturmvollen Tagen", war auch 335 su Trier in der
Verbannung; ein Banner-Träger der Katholiken des ganzen
Morgenlandes, in hervorragender Weise zu nennen. Desgleichen :
Eusebius von Emesa, Triphylius von Cypern, Asterius von
Scythopolis und Serapion, der Bekenner; Titus, Bischof von
Bostra (f 374), und die drei grossen Kappadocier : Basilius
(331— I.Januar 379); Gregorius von Nasians (330—390); Gre-
gorius von Nyssa (f ca. 394), „das hehre Dreigestirn am Himmel
der Kirche"; „in diese Dreiheit laufen alle Strahlen des Herr-
lichen zusammen, was jene Zeit in der Christenheit erzeugte**.
Ebenso: Amphilochius (f ca. 394). Basilius gilt als Mann der
Tat; Gregor v. Hamann als Meister des Wortes; Gregor v. Nyssa
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- 36 -
als tiefer Denker. Diese vorgenannten haben ihre Bücher alle
so sehr mit den Lehren und Grundsätzen der Philosophen an-
gefüllt, dass man nicht leicht unterscheiden kann, was bei
ihnen am meisten zu bewundern ist: ihre grossen Kenntnisse
in der klassischen Literatur oder ihr umfassendes Wissen in
den Büchern der hl. Schrift.
Nun komme ich zu den lateinischen christl. Schriftstellern.
Wer ist gelehrter als Tertullian? (160—240). Seine
Apologie und die Bücher gegen die Heiden, repräsentieren die
gesamte Wissenschaft jener Zeit.
Minutius Felix, Sachwalter an dem Forum Romanum, hat
in seinem Buche, welches den Namen „Octavius" führt (180
bis 192) und nach dem Dialoge Ciceros „De natura deorum" be-
arbeitet ist, sowie in einem anderen „Gegen die Mathematiker",
wenn nämlich die Inschrift den Autor nicht verleugnet, die
ganze Literatur der heidnischen Klassiker benützt, und hat
damit zwei der vorzüglichsten Werke der christlichen Apolo-
getik geschaffen.
Arnohius schrieb sieben Bücher „Gegen die Heiden*' (f 327);
ebensoviele sein Schüler Lactantius (f 340 zu Trier); auch über
den „Zorn" und das „Werk Gottes" schrieb er zwei Bücher.
Wenn du dieselben lesen willst, so kannst du in ihnen einen
Auszug aus Ciceros Dialogen finden. Er wird auch „der christ-
liche Cicero" genannt.
Wenn nun aber in den Schriften des Martyrs Victorinus
(t 303 als Bischof von Pettau in Steiermark) eine umfassendere
Gelehrsamkeit vermisst wird, so zeigt er doch den guten
Willen dazu. Er ist der älteste Exeget der lateinischen Kirche
und besitzt eine grosse Selbständigkeit, sowie ein gesundes
Urteil.
Cyprian (f 14. September 258), Martyr-Bischof von Car-
thago, hat in seiner Schrift : „De idolorum vanitate", Über die
Torheit der Götzenbilder, in gedrängter Kürze, mit ausgezeich-
neter Geschichtskenntnis, in glänzender Darstellung und geist-
reicher Ausführung den Beweis erbracht, dass die Götzenbilder
keine Götter sein können.
Hilarius (ca. 315 — 366) „ein gedankentiefer und sprach-
gewaltiger Theologe", ein „Athanasius des Abend-Landes", ein
Bekenn er (confessor) in meiner Zeit und Bischof von Poitiers,
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— 37 —
hat die 12 Bücher des Quintilian (f 118 nach Christus, „Insti
tutio Oratoria^S „Über die Anleitimg zur Beredsamkeit* sowohl
im Stile als auch in der Anzahl der Bücher nachgeahmt, und
in einer kleinen Schrift „Gegen den Arzt Dioscurus'* gezeigt,
wie Bedeutendes er in der Wissenschaft zu leisten imstande war.
Juvencus, Priester in den Tagen des Kaisers Constantin,
schrieb ca. 330 eine Art Evangelien-Harmonie in Hexametern
unter dem Titel: „Evangeliorum libri quattuor" (früher: historia
Evangelica genannt = Lebens-Geschichte unseres Herrn und
Heilandes); und scheute sich nicht, die Majestät der evangelischen
Ausdrucksweise unter das Gesetz des Vers-Masses zu bringen.
Von den übrigen, welche zum Teil noch leben, zum Teil aber
schon gestorben sind, will ich schweigen: in ihren Schriften
offenbart sich sowohl ein tüchtiges Können, als auch ein ent-
schiedener Wille dazu.
Du aber täuschest dich durchaus nicht in der Annahme,
gegen die Heiden sei zwar eine solche Kampfes- Weise gestattet,
in anderen Abhandlungen dagegen müsse man davon absehen:
denn alle Bücher aller heidnischen Schriftsteller, mit alleiniger
Ausnahme derer, welche mit Epicur die Wissenschaft vernach-
lässigt haben, bieten eine reiche Fülle von Gelehrsamkeit und
Kenntnissen.
Obgleich ich nunmehr das vermute, was mir bei dem
Diktieren in den Sinn kam, es sei dir nämlich nicht unbekannt,
was alle Gelehrten zu tun pflegen (d. h.: die Klassiker zu
zitieren); so glaube ich doch, unter deinem Namen hat ein
anderer mir eine Frage vorgelegt, welcher sich vielleicht aus
Liebe zu den Geschichts- Werken des Sallustius (87 — 35 a. Chr.)
Calpurinius, mit dem Zunamen: Sanarius (gens indocta) nennt.
Ich bitte dich, ihn zu überreden, er möge, wenn er auch
selbst keine Zähne mehr hat, doch nicht die Speisenden um
ihre guten Zähne beneiden, und bedenken, dass ein Maulwurf
die Augen der wilden Ziegen (Rehe) verachtet.
Du siehst, wir hätten noch viel Stoff zur gegenseitigen
Unterhaltung; aber die engen Grenzen, welche einem kurzen
Briefe zugemessen sind, dürfen nicht überschritten werden.
Lebe wohl!
Aus vorstehendem Briefe des hl. Hieronymus geht zur
Gentige hervor, dass die christlichen Schriftsteller der alten
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~ 3« -
Zeiten die Literatur der Griechen und Römer mit grossem
Fleisse studierten und sehr gut anzuwenden verstanden.
Das Studium der klassischen Schriftsteller des Altertums,
das man gewöhnlich als der neueren Zeit angehörig betrachtet,
(renaissance), wurde von den Apologeten an durch das ganze Mittel-
alter hindurch eifrig betrieben. Wie sehr die christliche Kirche
schon in den ersten Zeiten ihres Bestehens die Wissenschaft
hegte und pflegte, bewiesen die sog. Katechetenschulen zu Alexan-
drien, Cäsarea, Antiochien, Edessa, Carthago, Mailand usw.,
welche sowohl ausgezeichnete Lehrer hatten, als auch ebenso
tüchtige und scharfsinnige Schüler ausbildeten. Diese leuchteten
als Redner, als Schriftsteller und auch selbst wieder als Lehrer
hervor, in deren Schulen das Studium der klassischen Literatur
einen Teil des Lehrplans ausmachte. So bewahrte das auf-
blühende Christentum die Geistesschätze des Altertums und
förderte dessen Wissenschaft selbst während der zerstörenden
Kämpfe in dem römische Reiche und in den Stürmen der
Völkerwanderung, in welcher die alte Welt unterging. Bis
zum Ende des weströmischen Reiches nämlich hatte die Kirche
teils gegen das Heidentum zu kämpfen gehabt, teils auch ihre
grösste Kraft darauf 'gewandt, die rohen Völker, welche als
wilde Meereswogen ganz Europa überfluteten und hin- und her-
zogen, zu besänftigen und zu beruhigen und zum Stillstande
zu bringen. Endlich hatte sie auch hier den Sieg über die
unruhigen und tobenden Massen erlangt.
Hierbei nahm zu Anfang des Mittelalters das aus dem
Geiste des Christentums hervorgegangene Mönchtiim eine
führende Stellung ein. Im Abendlande erhielt diese religiöse
Einrichtung einen höheren Aufschwung, als der grosse Staats-
mann Cassiodorus, welcher seinem Könige Theodorich, dem
Ostgoten, 50 Jahre als Präfekt von Unteritalien (494) gedient
hatte, sich in die Einsamkeit zurückzog und bei seinem Geburts-
orte Vivarium ein Kloster mit mehreren gleichgesinnten Männern
gründete. Schon er gebot seinen Mönchen nicht nur die
Pflege der Wissenschaft, sondern legte auch eine Bibliothek
in seinem Kloster an: „Cassiodorus nämlich", sagt der Protestant
Weber in seinem Lehrbuche der Weltgeschichte, „gründete noch
in seinem Alter ein Kloster in Calabrien, welches neben der
Beschäftigung mit geistlichen Dingen und mit nützlichen Hand-
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— 39 —
arbeiten auch das Muster einer geistlichen Schule werden
sollte. Zu diesem Ende gab er die Anweisung, wie die Kloster-
bewohner die dürftige allgemeine Bildung jener Zeit durch
die Pflege gewisser Teile der antiken Wissenschaft mit dem
asketischen Leben und den körperlichen Arbeiten verbinden
könnten. Er empfahl hierzu neben dem Schulunterricht nament-
lich Bücherabschreiöenj Landwirtschaft, Viehzucht und Obst-
kultur.'*
Etwas später gründete der hl. Benedictus von Nursia ein
Kloster auf dem Monte Cassino, dem Sinai für das Mönchtum
im Abendlande (529), und gab durch seine fast überall an-
genommene Regel dem klösterlichen Leben eine festere Ein-
richtung und Verfassung, Die Regula Sancti Benedicti be-
zeichnete der protestantische Professor H ü 1 1 m a n n vom Katheder
herab als Meisterstück einer weisen Gesetzgebung, in welcher
Milde und Strenge in der schönsten Harmonie verbunden seien.
Er schrieb seinen Mönchen die Beschäftigung mit Handarbeit,
Lesen und Unterricht für die Jugend vor, und bestimmte,
dass in jedem Kloster eine Bibliothek sein sollte. Somit vvurde
das, was Cassiodorus empfohlen hatte, zur Regel erhoben, und
sein Gedanke erhielt fundamentale Bedeutung für das spätere
Klosterwesen. ^Die Benedictiner, so sagt der protestantische
Minister Guidzot, haben Europa urbar gemacht^ nicht bloss,
was den Ackerbau betrifft, sondern auch in wissenschaftlicher
Beziehung." Cf. „Die Zivilisation in Europa", 1828; 10. Auflage
1868; deutsch 1844. — „La civilisation en Europe.*^ (Vgl.
F. W. Weber, „Dreizehn -Linden" S. 10—17.)
Der oben genannte Professor Weber spricht sich über
die Klöster in folgender Weise aus: „Die Klöster waren in
jenen Zeiten (und auch heute noch) eine Wohltat für die Menschen.
Sie schufen Wälder und Haiden in blühendes Ackerland um;
sie veredelten die rohen Gemüter durch die Verkündigung des
Evangeliums ; sie legten durch ihre Schulanstalten in die Herzen
der Jugend den Keim zur Sittigung und Bildung; sie bewahrten
die Reste der alten Literatur und die Elemente der Wissen-
schaft vor gänslichem Untergänge.^
„Die Benediktinerklöster w^urden die Pflanzschulen der
Bildung, Wissenschaft und Künste: so in Tours, St. Gallen,
Hirschau, Reichenau, Weissenburg im Elsass, Corwey an der
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— 40 —
Weser usw. Die wenigen Überreste aus germanischer, skan-
dinavischer und britischer Vorzeit verdanken wir grösstenteils
dem Fleisse und dem Interesse der Mönche.'* Dieselben waren
auch gehalten, mit Abschreiben von Werken der alten Klassiker
sich zu befassen. Auf diese Weise sind uns dieselben erhalten
geblieben. Wer Gelegenheit hatte, sich Mönchshandschriften
anzusehen, wird aus der Festigkeit, Eleganz und Flüssigkeit
der Schriftzüge sich leicht überzeugen, dass dieselben wie
gelehrte und in die Sache eingeweihte Männer geschrieben
haben. Erwägen wir zudem, dass die Mönche auch Hand-
schriften der früheren, sogar heidnischer Vorzeit abschrieben,
welche gewiss nicht immer leicht zu lesen und entziffern waren,
auch einzelne wohl Lücken enthielten, welche man durch Ver-
gleichung mit anderen zu ergänzen suchte, so müssen wir
ihren Fleiss und ihre Geduld bewundern, sowie eingestehen,
dass solche Männer zugleich von wahrem Eifer für die Wissen-
schaft beseelt sein mussten. Um nämlich der Nachwelt die
Geist eS'Schätse der Vorzeit bu retten^ war ihnen keine Mühe
zu gross.
Mit Recht sagt daher Friedrich Wilhelm Weber, der
Sänger von „Dreizehn-Linden":
„Preis den braven, schwarzen Mönchen,
Preis den wackem Kutten-Trägem,
Alles menschlich schönen Wissens
Frommen Hütern, treuen Pflegern!"
„Was auf Hellas' blauen Bergen,
Was einst am Tyrrhener Meere
Dichter sangen, Denker dachten,
Später Welt zu Lust und Lehre;"
„Was der Geist geweihten Sehern
Offenbart in Sturm und Stille,
Wort und Werk des Gottes-Sohnes
Als er ging in Mannes-HüUe":
„ Von der Mönche Hand geschrieben,
Blatt auf Blatt mit Müh' und Sorgen,
In den Truhen der Abteien
Lag es liebevoll geborgen."
j^Solch ein kostbar Gut zu sichern
Treu dem künftigen Geschlechte,
Schrieben sie die braven Mönche: Sommertag und
Wintemächte.
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- 4t —
„Sei gedenk der wetterfesten
Lanzen- Knechte der Konvente,
Sei gedenk der schwarzen Krieger
Auf dem weissen Pergamente!"
,Ja sie sind*s, die schwarzen Krieget,
Die von einer weggestürmten
SchönheitS'Well die letzten Inseln
Kettend vor den Wogen schirmten.'''
„Aber noch ein andrer Acker
Blieb den Vätern, reicher Boden,
Tiefer Grund, doch schwer zu bauen
Und voll heidnisch wilder Loden:
jjEmstlich galt's der Römer- Runen
Fremden Zauber zu ergründen usw.''
Cf. „Dreizehn-Linden", IL Gesang: Das Kloster, S. 12 f.
5. Auflage. Paderborn 1880.
Gegenüber diesen auf gründlichen Studien beruhenden
Zeugnissen, nimmt sich die Aussage, welche der Professor
Ladenburg aus Breslau auf dem 75. Naturforscher- und
Ärzte-Tag im Herbste 1903 zu Cassel getan hat, sehr seltsam
aus. Er stellte nämlich die Behauptung auf: das Christentum
sei ein Toten-Gräber der klassischen Kultur geworden,
Professor Hermann Schell aus Würzburg hat das Ver-
dienst, in einem Vortrage, den er im Dezember 1903 in dem
kaufmännischen Verein Mercuria zu Bamberg gehalten hat, die
ganze Rückständigkeit sowie Unkenntnis, welche sich in der
These des Professors A. Ladenburg kundgab, wissenschaft-
lich beleuchtet zu haben. Der Breslauer Professor hat wohl
keine Ahnung von den jahrhundertelangen Bemühungen der
christlichen Ordens Genossenschaften, speziell der Benediktiner,
um die Erhaltung und Verbreitung der literarischen Schätze
des klassischen Altertums. Ihm sind z. B. die im Vatikan zu
Rom aufbewahrten Kultur-Denkmale der alten Griechen und
Römer ganz unbekannt, er weiss auch nicht, dass der grösste
Theologe des Mittelalters, S. Thomas Aquinas, bei dem formalen
Aufbau seiner unsterblichen Werke den klarsten und schärfsten
Denker des Altertums, nämlich Aristoteles, sich zum Muster
nahm. Ihm ist es gewiss verschlossen, dass die christliche
Basilika nach der Ähnlichkeit der antiken römischen, für die
Rechtspflege bestimmten Gebäude, konstruiert ist und sowohl
Namen wie Form daher entlehnt hat. Wo werden die Reden
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— 4ii —
eines Demosthenes und Cicero mehr studiert, als gerade in
den christlichen Schulen, z. B. in den Jesuiten- Schulen? Rück-
ständige Thesis aus Breslau! A. Ladenburg ging in seinem
Vortrage noch einen Schritt weiter und verwarf die gan.^e
Offenbarung des alten und neuen Testamentes. Die beiden
Worte am Beginn der Weltschöpfung: „Fiat Lux!" (Es werde
Licht!) deutet er höchst willkürlich: „Licht ist geworden durch
die Entdeckung der griechischen Kultur und des im Westen
liegenden Erdteils. Was dazwischen liegt, ist im Banne des
alten und neuen Testamentes, d. h.: im Banne des Dunkels
und der Finsternis. Nicht Israel ist das auserwählte Volk ge-
wesen, sondern Griechenland. Und doch hat Griechenland,
das klassische Volk der Schönheit, der Philosophie und der
Naturwissenschaft, einen Gott der Offenbarung nicht gekannt."
Leider! — Es setzte aber diesem „unbekannten Gott" (dTvai-
axu) 8eai: Apostelgeschichte c. 17, v. 23) einen Altar, und der
Völkerapostel S. Paulus bahnte durch seine Predigt auf dem
Areopage die Bekehrung dieses Volkes zum Christentume an:
,,Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, dies verkündige
ich euch. Und die Zeiten dieser Unwissenheit nachsehend, ver-
kündigt Gott jetzt den Menschen, dass sie allerwärts Busse
tun sollen." L. c. v. 22 — 32. Das ist der geschichtliche Verlauf.
Das Glaubensbekenntnis des Professors Ladenburg ist
wohl in dem Gedichte Friedrichs v. Schiller niedergelegt: „Die
Götter Griechenlands".
„Da ihr noch die schöne Welt regiertet
An. der Freude leichtem Gängelband,
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach! da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte:
Venus Amathtisia!
„Schöne Welt, wo bist du? — Kehre wieder
Holdes Blülenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feen-Land der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach! von jenem lebenswarmem Bilde
Blieb der Schatten nur zurück!"
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- 43 -
S. Paulus, ein berufener Kenner und Zensor der hellenischen
Kultur (Actus Apostolorum c. 17, 16 sq.; ad Corinthios ep. I,
c. 1, 18 — 21), redete auf dem Areopage von den Zeiten der
Unwissenheit, in welcher Griechenland sich über den wahren
Gott, das höchste Gut, befand. Aus den Worten des Breslauer
Professors geht nun hervor, dass jene Zeiten bei manchen
noch nicht vorüber sind.
Der Herr aber spricht zu seinen Zeitgenossen: 'Eyiw €l^l tö
qpüjq ToO KÖaiLiou* '0 dKoXou9a»v ^0l ou \xi\ TrepiTrarrjcnj dv tri aKOTi(jf
„Ich bin das Licht der Welt: 'wer mir nachfolgt, wird nicht in
der Finsternis wandeln!^' r?Ego sum lux mundi: qui sequitur
me, non ambulat in tenebris." Evgl. S. Johannis c. 8, v. 12.
Professor Hermann Schell wies in seinem Vortrage
überzeugend nach, dass der menschliche Geist gerade durch
die Erziehung im Christentum befähigt wurde, sich auf die
weltlichen Dinge der Vergangenheit und Gegenwart zu ver-
breiten, und dass die Männer, welche hier bahnbrechend
wirkten, Männer des Glaubens waren.
Wenn Ladenburg aber behauptet, von der Wieder-
belebung der klassischen Literatur nach dem Falle von Kon-
stantinopel 1453 komme im Gegensatze zum Christentum das
Heil der Welt; so widersprechen ihm die vorzüglichsten Kenner
jener Bewegung. Marcus Antonius Muretus (1526 — 1585)
Philolog und ausgezeichneter Latinist, schrieb an seinen Freund
Franciscus Vinierius (Opp. T. I, Epp. III, 56): „Bene facis, quod
Te latine scribendo quotidie exerces, ut praestantiam in eo
genere consequaris. Non enim dubito, quin et cetera vita, et
istud tuum Studium, eo quo debet, id est ad propagandam
gloriam Christi et ad ecclesiam pro tua virili parte ab insul-
tibus inproborum defendendam dirigatur, „Du tust gut daran,
dass du dich täglich im Lateinschreiben übest, damit du
hierin einen Vorzug gewinnst. Ich zweifle nämlich nicht,
dass dein ganzes Leben und dieses dein besonderes Studium
einzig nur den Zweck hat, die Ehre Jesu Christi .^u verbreiteny
und seine Kirche gegen die Angriffe gottloser Menschen mit
Energie bu verteidigend Weitere Zeugnisse führen wir noch
später an.
Auffallen der weise sucht A. La den bürg den Entdecker
Amerikas in einen Gegensatz zum christlichen Glauben zu
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— 44 —
bringen. Hierbei offenbart sich seine ganze Oberflächlichkeit
und Unsicherheit in der Geschichte.
Gerade aus christlichen Motiven unternahm der edle
Genuese Christoph Columbus seine Entdeckungsreise. Er be-
sweckte^ den Völkern der neuen Welt das Licht des hl, Evan-
geliums Bu bringen und mit den Schätzen Amerikas (Indiens^
wie er meinte) das Grab des Erlösers in Jerusalem su befreien.
Sobald er in der neuen Welt gelandet hatte, liess er das
Zeichen des hl. Kreuzes errichten, und bei seiner ersten Rück-
kehr aus Europa brachte er Benedictiner^ Dominikaner und
Franziskaner als Glaubensboten mit. In aller Munde sind die
Verdienste des grossen Dominikaners Las Casas für das zeit-
liche und ewige Wohl der neubekehrten Völker Amerikas.
Noch unvergessen sind die Bemühungen der Dominikaner und
Franziskaner um das Zustandekommen jener kühnen Seefahrt.
Ohne dieselben wäre, nach menschlichem Ermessen, Amerika
nicht entdeckt worden.
Nach Widerlegung dieses ungerechten Einwandes aus der
Gegenwart nehmen wir den Faden unserer Darstellung wieder
auf. In den Mönchsschulen wurden viele der alten Klassiker,
lateinische sowie griechische, gelesen und erklärt ; auch wurden
Kommentare zu denselben geschrieben und ihre Werke sogar
glücklich nachgeahmt. So geschah es selbst in Nonnenklöstern!
In dem Konvente zu Gandersheim (im Herzogtum Braunschweig
gelegen und im Jahre 842 durch Graf Liutolf als adeliges
Frauen-Stift gegründet) verfassteHroswitha (Helena vonRossow),
eine der grossartigsten Erscheinungen des Mittelalters, sechs
Komödien geistlichen Inhaltes in lateinischer Sprache^ um das
Lesen des Terentius, welches sie für die Nonnen unpassend
hielt, zu beseitigen. Sie dichtete auch lateinische Gesänge auf
die Himmelfahrt Christi, das Leben der allerseligsten Jungfrau
und anderer Heiligen. Überdies schrieb sie in Versen das
Leben Kaisers Otto I. („De gestis Odonis I. imperatoris") und
die Geschichte ihres Klosters („De primordiis coenobii Ganders-
heimensis"). Ihre Werke sind in dem 6. Bande der Monumenta
Germaniae enthalten. Sie lebte von 930—980 und war eine
gelehrte Benediktiner-Nonne, welche die lateinischen und grie-
chischen Klassiker, sowie die christlichen Dichter Prudentius und
Sedulius fleissig studiert hatte. Zum ersten Male werden ihre
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- 45 —
Dichtungen von Johannes Trithemius („Catalogus scriptorum
eccl." ed. Coloniae 1531, Fol, 76 b) erwähnt. Fast gleichzeitig
machte der Humanist Conradus Celtes auf diese Dichterin auf-
merksam, als er am 24. Januar 1494 aus dem Kloster S. Emmeran
zu Regensburg eine Handschrift mit ihren Werken entnommen
hatte 1).
Die klassischen Studien waren, wie selbst Professor
Hagen gesteht, in der christlichen Kirche nie völlig unter-
gegangen, selbst nicht in den Zeiten der grössten Bedrängnis,
vielmehr in der richtigen Weise betrieben worden (f 1880 zu
Königsberg). Nachdem aber ein Dante, Petrarca und Boccaccio
das Studium derselben, vorzüglich durch das Ansammeln von
Handschriften noch mehr anregten ( — der Cardinal Nicolaus
von Cusa: Cues a. d. Mosel, brachte im Auftrage des Papstes
Eugen IV. (1431-1447) eine grosse Menge derselben aus
Konstantinopel mit — ), nahm dasselbe einen grossartigen Auf-
schwung. Hierzu kam noch der glückliche Umstand, dass
nach Erfindung der Buchdruckerkunst die Werke der Klassiker
leichter vervielfältigt werden konnten. Zudem flüchteten sich
die byzantinischen Gelehrten nach der Eroberung von Konstan-
tinopel durch die Türken im Jahre 1453 in grosser Anzahl mit
ihren reichhaltigen Schätzen der Literatur aus Hellas und
Latium nach dem Zentrum der ganzen Christenheit: nach Rom.
Hier wurden sie mit offenen Armen aufgenommen, und ihre
Unternehmungen fanden allseitige Unterstützung, besonders am
päpstlichen Hofe. Von Rom aus verbreiteten sie sich über die
ganze apenninische Halbinsel. Jetzt begann in diesem Lande
die Blütezeit der neubelebten klassischen Literatur (Renaissance).
Aus Italien nahm bezeichnenderweise das regere Studium der-
selben, so wie früher das Schulleben, seinen Ausgang. Gleich-
zeitig waren die tätigsten und tüchtigsten Buchdrucker eben-
daselbst mit dem Drucken der klassischen Werke beschäftigt.
In Rom selbst waren zwischen 1465—1480 gegen 26 Buch-
drucker, welche teils andere teils klassische Werke verviel-
fältigten; in Venedig wurden besonders die drei Manutius:
1) Über die zahlreichen Gesamt- und Sonder- Ausgaben, die Über-
setzungen und kritischen Urteile handelt Potthast „Bibliotheca historica
medii aevi", 2. Auflage. Berlin 1896, S. 621 f. und Otto Schmitt „All-
gemeine deutsche Biographie" XXIX, S. 292 f.
KrOll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 5
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- 46 -
Vater, Sohn und Enkel, als Gelehrte und Buchdrucker berühmt.
(Aldus Manutius 1446—1516; Paulus Manutius 1512—1573;
Aldus Manutius 1547—1597.) An dieselben schliesst sich die
Einführung der Antiqua (1495): die Erfindung der lateinischen
Kursiv-Schrift sowie die Anwendung der Unterscheidungs-
Zeichen: Colon, Semi-Colon usw. an.
Die ersten Beförderer des Studiums der altklassischen
Literatur und die bedeutendsten Männer unter den sog. Huma-
nisten (studia humaniora tractantes) hielten zum grossen Teile
das christliche Bewusstsein in hohen Ehren, Papst Nicolaus V.
sowie Leo X. waren eifrige Beförderer des Humanismus, und
zwar in der Art, dass klassische Bildung eine Empfehlung war,
um zu kirchlichen Würden zu gelangen. Nicolaus V. (1447
bis 1455) und Sixtus IV. (1471 — 1484) legten auch die grosse
Vatikanische Bibliothek an, welche, von späteren Päpsten reich
vermehrt, ungefähr 24000 Handschriften, darunter gegen 16000
Pergament-Handschriften, und gegen 30000 Druckwerke ent-
hält. Leo XIII. machte sie den Gelehrten aller Nationen und
Konfessionen 1885 allgemein zugänglich.
Papst Leo X., am 15. März 1513 erwählt, ernannte noch
im Conclave die vorzüglichen Latinisten: Petrus Bembus und
Jacobus Sadoletus, die späteren Kardinäle, zu Sekretären seiner
apostolischen Briefe. So berichtet Petrus Bembus am Schlüsse
seiner historia rerum Venetarum 1. XII : „Johannem Mediceum
annos natum triginta septem Pontificem Maximum creaverunt,
isque priusquam e conclavi exiret, me et Jacobum Sadoletum,
qui Romae tunc eramus, sibi ab epistolis adscivit. Man wählte
Johannes aus dem Hause der Medizäer in einem Alter von
37 Jahren zum Papste, Dieser nun ernannte noch im Conclave
mich (Pietro Bembo) und Jacobus Sadoletus, die wir gerade zu
Rom anwesend waren, zu seinen Sekretären.
Ähnlich heisst es in der Vita Jacobi Sadoleti, von Antonius
Florebelli, p. XIsq. : „Leo Papa decimus, acerrimo ingenio et
gravissimo judicio princeps, simul atque creatus est Pontifex
Maximus, Jacobum Sadoletum et Petrum Bembum ex omni
doctorum hominum copia delegit, quorum in conscribendis
epistolis opera et ingenio uteretur, quod apud Pontifices Roma-
nos munus est longe honestissimum."
Leo der Zehnte, ein Fürst von ungemeinem Scharfsinn
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— 47 —
und sehr reifem Urteile, war kaum zum Papste erwählt, als
er sofort schon den Jacobus Sadoletus und den Petrus Bembus
aus der ganzen Gelehrten Schar für die Abfassung seiner
Schreiben ernannte. Dieses Amt nun bei den römischen
Päpsten ist ein sehr ehrenvolles.
Dieselben haben auch als Denkmal ihrer Tätigkeit im
apostolischen Palaste zu Rom ihre Briefe gesammelt und heraus-
gegeben. So Petrus Bembus a. 1536 zu Venedig: Petri Bembi
Epistolarum Leonis X, Pontificis Maximi nomine scriptarum
libri XVI ad Paulum ill, Pontificem Maximum Romam missi;
impressi Venetiis ab Johanne Patavino et Venturino de Refi-
nellis X. Cal. Sextiles M. D. XXXVI (1536), Cola Bruno pro-
curante i).
Die Sammlung des Jacobus Sadoletus führt den Titel:
Jacobi Sadoleti Epistolae Leonis X., Clementis VII., Pauli III.*
nomine scriptae. Sie wurden einzeln und mit seinen übrigen
Werken vereinigt herausgegeben: Lyon bei Sebastian Gry-
phius 1550 und 1554 in octavo; in derselben Form bei Petrus
Horst 1575 und bei Petrus Colinus zu Cöln 1608; alle Werke
zusammen: Mainz bei Balthasar Lippius 1608 in octavo; zu
Verona bei Tumermanus 1737, 4 Bände in quarto; seine Briefe
zusammen: Rom 1759 bei Generosus Salomonius. Unter seinen
im Auftrage des Papstes Leo X. geschriebenen Briefen befindet
sich einer (Nr. LXXV) an Johannes von Eck zu Trier, den
Official des Erzbischofs und Kurfürsten Richard von Greifen-
klau, d. d. Villa Malliana bei Rom, 1. Mai 1522, in welchem
demselben wegen seiner vorzüglichen Haltung auf dem Reichs-
tage zu Worms hohes Lob gespendet wird.
Ein anderes Schreiben ist an Hermann von Wicd, den
Erzbischof und Kurfürsten zu Cöln, gerichtet. Derselbe hatte
nämlich 1536 daselbst ein Provinzial-Konzilium abgehalten, an
welchem die Bischöfe von Leyden, Utrecht, Münster, Osna-
brück und Minden teilnahmen. Die Konzils-Akten halte nun
der Metropolit Hermann von Wied nach Rom zur Revision
eingeschickt. Jacobus Sadoletus, als berufener Zensor, gibt
hierauf seine Antwort von Carpentoras bei Avignon, seinem
^) Neu aufgelegt: Lyon 1540; Basel 1539 und 47; Venedig 1552;
Cöln 1559; Basel 1556 und 67; Strassburg 1562 und 161 1; Venedig 1729.
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- 48 --
inzwischen erhaltenen Bischofssitze aus. Er lobt zwar die
Abhaltung der Cölner Kirchenversammlung, findet aber das
gänzliche Auslassen einer doctrina de purgatorio (Lehre vom
Fegftuer) in derselben höchst befremdend: D. d. III. Calendas
Dezembres M. D. XLI. (29. Nov. 1541). Unter der Nummer
CXIII. enthält die Sammlung des Sadoletus ein päpstliches
Schreiben an den Erzbischof und Kurfürsten von Trier : Johann
Ludwig von Hagen, in welchem demselben nahe gelegt wird,
dem deutschen Kaiser Karl V. in seinen Kämpfen beizustehen.
(Schmakaldischer Krieg.)
Die beiden Kardinäle Petrus Bembus und Jacobus Sado-
letus haben in ihrer hohen Stellung am päpstlichen Hofe viel
dazu beigetragen, die Latinität ihrer Zeit zu verbessern, indem
sie sich Julius Caesar, Cicero sowie Livius, jene klassischen
Schriftsteller, zum Vorbilde nahmen. Nachstehend geben wir
einige Urteile über ihre Leistungen.
Der Kardinal Reginald Pole sagt in seiner Lebensbeschrei-
bung des Christoph Longolius: Longolius (orator clarissimus
Mechliniae natus, qui eloquentiae laude omnes Romae aequales
facile superavit) plurimum vero ex omnibus detulit Jacobo
Sadoleto et Petro Bembo, viris quum auctoritate et gratia inter
eos qui tunc Romae erant maxime florentibus, tum vero doc-
trina et omni politiori humanitate prope singularibus. Quorum
opibus et gratia quamdiu Romae fuit, in omnibus rebus usus
est. Longolius (ein berühmter Redner aus Mecheln übertraf
zu Rom alle seine Zeitgenossen durch die Eleganz seines Vor-
trages) hielt die grössten Stücke auf Jacobus Sadoletus und
Petrus Bembus, welche an Ansehen und Gunst alle Männer zu
Rom weit überragten, und auch, was Kenntnisse und feinere
Bildung angeht, fast einzig dastanden. Ihrer Beihülfe und
Gewogenheit bediente er sich durchgehends während seines
ganzen Aufenthaltes in Rom.
Johannes Casa in seiner vita Petri Bembi drückt sich
folgendermassen aus: Proficiscitur Romam Bembus, quum annos
natus esset tres et quadraginta, proponiturque epistolis Ponti-
ficis Maximi nomine scribendis; eoque in munere gerendo datur
illi socius et quasi coUega Jacobus Sadoletus, is, qui post ea
Cardinalis factus est. Scripsit eorum uterque eas epistolas
quum plane Latine, tum vero summa a doctissimis exercitatissi-
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— 49 —
misque hominibus adhibita est elegantia summaque dignitas.
Bembus reiste nach Rom, als er 43 Jahre alt war, und
erhielt das Amt eines päpstlichen vSekretärs, wobei ihm Jacobus
Sadoletus als Gehilfe und Kollege zur Seite gegeben wurde,
derselbe, welcher später Kardinal wurde. Sie beide nun
schrieben die päpstlichen Briefe in vollendeter klassischer
Latinität, und verwendeten auf dieselben, wie das von so ge-
lehrten und tüchtigen Männern zu erwarten war, die höchste
Eleganz und Würde des Ausdruckes.
tJber die ganze damals blühende Pflege der klassischen
Literatur fällt lanus Vincentius Gravina („De conversione doc-
trinarum" Editio Neapolitana), ein vorzüglicher Philologe, nach-
stehendes Urteil: Porro quum hi horumque similes (Erasmus,
Reuchlinus, Budaeus, Morus, ceteri) illustrandae antiquitati
operam darent, exstitere in Italia Bemhus^ Sadoletus^ Bartho-
lomaeus Riccius, Jovius, Julius Camillus, Majovagius, Nava-
gerius, Sigonius, Paullus Manutius; in Germania Longolius,
in Gallia Muretus^ aliique complures, qui prae ceteris studiis
Latinam eloquentiam complexi sunt, et Ciceronis in dicendo
praestantiam (divinitatem ut ita dicam) adeo suspexerunt, ut ei
se totos dederint, atque in eorum ore temporibus alienissimis
non modo germana et nativa Latinitas, sed vox etiam Tulliana
resonarit. Zur Zeit als Erasmus, Reuchlin, Budaeus, Morus
und noch andere, das klassische Altertum bearbeiteten, waren
es in Italien: Bembus, Sadoletus, Bartholomaeus Ricci, Jovius,
Julius Camillus, Majoragius, Navagerius, Sigonius, Paulus Manu-
tius; in Deutschland: Longolius; in Frankreich: Marcus Anto-
nius Muretus und noch viele andere, w^elche vor allen Studien
sich die lateinische Beredsamkeit erwählten, und bei ihren
Vorträgen der Ausdrucksweise des Cicero sich bedienten in
einem Masse, dass sie diesen allein zum Vorbilde nahmen,
und aus ihrem Munde bei so verschiedenen Zeiten nicht bloss
ein ausgezeichnetes Latein, sondern gleichsam die Stimme eines
TuUius zu vernehmen war. (Operum Tom. IT, p. 150.)
Vorzügliche Humanisten waren noch: Leonardo Bruni^
Nicolaus Perrotus, Beroaldus, Merula, Pharorinus, Lascaris und
Gaza, ferner die Kardinäle: Carolus Borromaeus, Alexander
Farnese, Gabriel Paleoti und Reginaldus Pole. Ausserdem sind zu
nennen : die Franziskaner Grocyn, Tinacer und Tilly in England.
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- so -
Was die einsichtsvolleren und besonneneren Männer jener
Renaissance anstrebten, und in welchem Geiste sie die Literatur
der Griechen und Römer studierten, spricht Erasmus Rotero-
damus in einem Briefe an Albertus Pius, den Fürsten von
Carpi aus : „Ich begünstige, sagt er, die Sprachen und die alte
Literatur, um durch sie die bisher gebräuchlichen Studien su
verbessern j und um die Ehre Jesu Christi su fördern; nicht
aberj um das alte Heidentum mirücksurufen,'^ Auch erklärte
er denjenigen, welche mit Verleugnung des christlichen Geistes
nur auf die Sprache Ciceros hielten, offen heraus: ihm sei die
rohe Tiefe des Mittelalters mehr wert, als die gedankenlose
Glätte ihrer Phrasen.
In diesem Sinne des Erasmus hatte längst zuvor die christ-
liche Kirche die sog. Humanitätsstudien gefördert. Schon ehe
Petrarca auftrat, hatten viele die Werke des hl. Johannes
Chrysostomus, des Johannes Climacus, des Macarius, sowie die
Reden des Demosthenes aus dem Griechischen in das Lateinische
übertragen. Durch die Zusammenkunft der Griechen und
Lateiner auf dem Konzil zu Florenz-Ferrara (1439) wurde das
Interesse für das klassische Altertum noch mehr angeregt.
Denn, wie Papst Pius IX. sagt: ^Durch die Erkenntnis der
göttlichen Dinge wird die menschliche Vernunft in wunder-
barer Weise erleuchtet^ gestärkt und vollendet.^ Die Flücht-
linge aus Konstantinopel (1453), welche zum grossen Teile
auch Geistliche und Mönche waren und manche Schätze der
griechischen Literatur nach Italien überbrachten, fanden seitens
der Kirche eine freundliche Aufnahme und Unterstützung.
Dass die Kirche in dieser Hinsicht die geistige Tätigkeit ge-
fördert hat, erhellt schon daraus, weil die in Italien seit 1450
besonders aufblühenden Akademien aus allen Ländern Europas
zahlreich besucht wurden, um an denselben die neuen Studien
zu betreiben. Ebenso auf den Schulen der geistlichen Genossen-
schaften in den Niederlanden, besonders in Deventer, dem
Kollegium des seligen Thomas von Kempen, und in ZwoUe usw.
wurden die klassischen Studien gepflegt und kamen von da
nach Deutschland. Hier waren es ebenfalls die geistlichen
Bruderschaften in Schwaben, den Rheinlanden und Westfalen,
welche unter lebhafter Teilnahme von Fürsten, Stiftsgeistlichen,
sowie Mitgliedern der höchsten Adels- und Würdenträgern, der
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- 5' -
Kirche, z. B. des Langen in Münster, des Dompropstes Hermann
Grafen von Neuen-Aar u. a. das Studium der altklassischen
Literatur förderten.
Die verkehrte Richtung des Humanismus zeigte sich
zuerst bei Laurentius Valla, der zwar in guter Latinität, aber
seichte und oberflächliche Anmerkungen zum Grundtexte des
neuen Testamentes und eine Moral mit sklavischer Nach-
ahmung des Altertums im heidnischen Geiste schrieb. Die
NeU'Platoniker an der Akademie, welche Genustius Pletho
(1440) gegründet hatte, verteidigten zwar noch einige religiöse
Ideen des Christentums; vielen unter ihnen jedoch stand die
platonische Philosophie höher als das Christentum. Ganz
anders dachten S. Justinus und Augustinus! Durch die An-
hänger des aristotelischen Systems, die Neu-Peripatetiker, bildete
sich eine gefährliche Zweifelsucbt aus, wie bei Petrus Pom-
ponatius (f 1526).
Selbst die Politik wurde durch den Historiker Macchia-
velli (t 1530) in eine dem Christentum widersprechende Bahn
der egoistischen Klugheit gelenkt. Da diese Richtungen um
sich griffen, so ist es nicht auffallend, dass manche bei der
überhandnehmenden Gleichgültigkeit in religiösen Dingen über
der schönen Form der Klassiker den Geist des Christentums
aufgaben, und in dieser heidnischen Anschauung vom Glauben
selbst ablenkten. Schon Vincentius Ferrerius aus dem Domini-
kanerorden (11419) klagt im Anfange des 15. Jahrhunderts:
„Das Gold des guten Lebens ist In der Welt verblichen; die
beste Farbe: die evangelische Lehre, welche die Seelen mit
mannigfacher Zierde schmückt, ist verwandelt. Die Auslegung
der hl. Schrift hat jetzt einen poetischen und philosophischen
Anstrich, so dass wenige Prediger das Evangelium mehr ver-
kündigen, wohl aber den Cicero und Aristoteles." Und wirk-
lich gefiel man sich darin, auf der Kanzel eine Menge von
Beispielen aus den heidnischen Klassikern anzuführen und
selbige sogar zu erklären. Das war allerdings vom Übermass ;
wir führen es aber an, um zu zeigen, welch ein reger wissen-
schaftlicher Geist damals tätig war.
Auch während der sog. Reformationsepoche blieben die
klassischen Studien in Übung: Martin Luther, Philipp Melanch-
thon, Calvin und Ulrich von der Hütten sprachen und schrieben
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- 52 -
ein gutes Latein ; Melanchthon schrieb sogar griechische Briefe ;
aber sie verliessen den Glauben ihrer Väter.
Zu jener Zeit entstanden die Jesuitenschulen, welche zu
einer hohen Blüte gelangten. In ihnen war es Grundsatz:
Klassische Bildung mit christlicher Tugend su verbinden und
auf diese Weise zu einer christlichen Humanität zu erziehen.
Die Summa doctrinae christianae und die Institutiones christianae
pietatis (Vindebonae 1554; Antverpiae 1587 usw.) von Petrus
Canisius, dem ersten deutschen Jesuiten, sind in vorzüglicher
Latinität verfasst, was Leo XIIL in der Encyclica zur 300jährigen
Todesfeier (121. Dezember 1597) desselben besonders rühmend
hervorgehoben hat.
Die alte Mutterkirche hielt die klassischen Studien stets
in grossen Ehren, so dass bei der Stilisierung der Canones et
Decreta Concilii Tridentini (1545— 1563) und der Redaktion des
Catechismus Romanus auf Vorschlag des Kardinals Carolus
Borromaeus die tüchtigsten Latinisten, wie der Kardinal Gabriel
Paleotti, Paulus und Aldus Manutius, sowie Julius Pogianus zu
Rate gezogen wurden. Auch das Missale und Breviarium
Romanum geben hiervon Zeugnis. Die Päpste S. Pius V.,
Clemens VIIL und Urban VIH. scheuten keine Mühe, auch die
formale Seite dieser Werke mustergültig zu gestalten.
Es wurde eine Kommission ernannt, um nach den Be-
stimmungen des Konziliums von Trient eine neue Ausgabe des
Missale und Breviarium Romanum zu veranstalten. S. Pius V.
bestätigte die neuen Editionen am 9. Juli 1568 und am 14. Juli
1570. Clemens VIIL Hess diese liturgischen Bücher nochmals
revidieren und approbieren am 10. Mai 1602, resp. 7, Juli 1604.
Die letzte verbessernde Hand legte Papst Urban VIIl. an.
Drei Dezennien waren nämlich seit der Clementinischen Revision
des hl. Officiums verflossen, als Urban eine neue Durchsicht
für nötig erachtete. Er wollte vor allem eine genauere Inter-
punktion der Lektionen und Cantica herstellen und die Hymnen
nach den Regeln des Metrums und der Latinität einer strengen
Zensur unterwerfen, damit „die Psalmodie der streitenden
Kirche, welche eine Tochter der himmlischen Hymnodie sei,
dieser auch (durch die Vollendung der Form) ähnlicher werde
und durch keine Mängel die Gemüter der Betenden von Gott
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— 53 —
und den göttlichen Dingen ablenke.*^ (Cf. Bulla Urbans d. d.
25. Januar 1631: „Divinam psalmodiam".)
An die Spitze der zu diesem Zwecke bestimmten Rezension
stellte sich der Papst persönlich; nur wählte er die als vor-
zügliche Kenner der lateinischen Sprache und der kirchlichen
Hymnologie bekannten Gelehrten: Famianus Strada, Tarquinius
Galuzzi, Petruzzi und den Dichter Matthias Casimir Sarhiewskiy
den Vorläufer Jacob Baldes, S. J., zu Mitarbeitern. Dieselben
lösten ihre Aufgabe, soweit dies möglich war. (Es finden sich
nur wenige Stellen, an denen sie aus Liebe zur Klassizität
allzuviel opferten.) Sie gaben dem Ausdruck eine grössere
Glätte und Feinheit, ohne ihm die frühere Salbung zu rauben.
Nach Gavanto („Thesaurus Sacrorum Rituum" Tom. II, Sect. V.,
Caput VI.) wurden nicht weniger als 900 metrische Fehler ver-
bessert, 30 Hymnen ganz umgearbeitet und mehrere neu
gedichtet. Unverändert blieben nur die Sakramentshymnen
des hl. Thomas Aquinas, das „Ave maris Stella", und einige
andere^ Daniel in seinem Werke über die klassischen Studien
berichtet, dass die Umänderung des Osterhymnus „Ad regias
agni dapes" dem Matthias Casimir Sarbiewski, S. J., zugeschrieben
werde. Die neue Ausgabe des verbesserten Breviariums erhielt
am 25. Januar 1631 und des revidierten Missale Romanums am
2. September 1634 die Bestätigung durch Urban VIII. Das
ganze Bestreben zeigt die Erfüllung des biblischen Spruches:
„Goldene Früchte auf silbernen Schalen/' Proverbiorum 25, 11.
Hier ist auch die Stelle, an welcher das Andenken nach-
stehender Philologen gefeiert werden soll, welche sich durch
Herausgabe und Erklärung der lateinischen und griechischen
Klassiker besonders verdient machten: Leonardus Coquaeus,
Johannes Ludovicus Vives, Heinrich Valesius, Robert und
Heinrich Stephanus. Ihnen schliessen sich in der Folgezeit
würdig an: Johann August Ernesti, Matthias Joseph Gesner,
Tiberius Hemsterhusius, Johannes Jacobus Reiskius, Johannes
Daniel Ritter, David Ruhnkenius, Friedrich August Wolf, Daniel
Wyttenbach u. a., die als tüchtige Latinisten einen Ruf haben.
Um nun zur neueren Zeit rasch überzugehen, bemerken wir
noch, dass es vielfach Übung war, auf der Unter- und Ober-
Prima der Humanisten Gymnasien lateinische Aufsätze zu
schreiben, lateinische Disputationen abzuhalten und die grie-
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- 54 -
chischen sowie lateinischen Klassiker in der Sprache .Latiums
zu erklären: auch bei dem Abiturienten- Examen.
Diese Einrichtung erwies sich den angehenden Philologen
und Theologen als sehr nützlich für ihre Fachstudien. Mancher
schöne lateinische Kommentar zu den Klassikern wurde damals
verfasst, wie von Raphael Kühner zu Ciceros „Tusculanarum
Disputationum libri quinque** (Philosophische Untersuchungen
zu Tusculum in 5 Büchern) 1835 usw. Auch wurden den
Herbst-Programmen gewöhnlich lateinische Abhandlungen bei-
gefügt, z.B.: „De rebus divinis quid senser it Euripides" *) von
Gymnasial-Oberlehrer Pohle zu Trier 1868 usw.
Papst Leo XIII. pflegte wie seine Vorgänger, besonders
Leo X., die antiken Studien in vorzüglicher Weise. Die Kenner
der alten Literatur sind über die klassische Latinität seiner
Gedichte und apostolischen Rundschreiben ganz entzückt. Fürst
Otto Bismarck, der geniale Reichskanzler, hat das seiner Zeit
offen ausgesprochen und besonders gewürdigt. Eine vornehm
ausgestattete Publikation der Carmina Leos XIII. veranstaltete
Friedrich Pustet in Regensburg 1881, und in neuester Zeit
Johann Peter Bachem zu Cöln a. Rh. 1903, welche, mit Ge-
nehmigung Sr. Heiligkeit versehen, eine vollständige Ausgabe
der Carmina. Inscriptiones. Numismata. Leonis XIII. P. M. nebst
Einleitung und Anmerkungen von Dr. Joseph Bach enthält.
Der Verleger hatte die Freude, dem Papste noch kurz vor
dessen letzter Erkrankung das vollendete Werk durch einen
Vertreter seiner Firma überreichen zu lassen.
Auch der neuerwählte Papst Pius X. spricht und schreibt
ein klassisches Latein.
1) Wie war Eurpides in religiöser Beziehung gesinnt?
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Die hl. Schrift, zunächst die 5 Bücher Moses (Penta-
teuch), gehört zu den vorzüglichsten und ältesten
Büchern der Welt.
„Um das Urbild unter einer Menge von Nach-
bildern zu finden, muss man dasjenige Bild suchen,
welches durch die Einheit und Vollkommenheit
seiner Teile den Geist des Meisters bekundet."
Chateaubriand „Genie du Christianisme" i. III. c. i.
Die christliche Religion erfüllt in unleugbarer Kontinuität
alle verflossenen Jahrhunderte; erwartet zu sein, zu kommen,
anerkannt zu werden von einer Nachkommenschaft, welche bis
zum Ende der Welt dauert : das ist der Charakter desjenigen,
an den wir glauben, welcher, weil er alles in der Hand hält
(Matth. 28, 18), allein einen Plan anfangen und durchführen
konnte, der alle Jahrhunderte umfasst. (Cf. Bossuet „Discours
sur Thistoire universelle IL vers la fin.) Zu diesem Zwecke
hat Gott selbst ein heiliges Denkmal als Erinnerung an die
Offenbarung der Religion gesetzt, damals als der grosse Abfall
der Völker zum Heidentum begann (Genesis X.— XIII.).
Die hl. Schrift hat in der ganzen Weltliteratur den Vor-
zug, dass sie den höchsten Grad von Vielseitigkeit und grosser
Lebendigkeit darstellt. Sie bewahrt nicht nur die Erinnerung
an einen gemeinsamen Ursprung aller Völker der Erde (Genesis
c. XLv. 8sq., und Apostelgeschichte 17, 26); sondern bewegt
sich unter dem Einflüsse aller Kultur-Perioden und Kultur-
Systeme der ganzen alten Menschheit i).
^) Dazu kommt noch der wichtige Umstand, dass in der kurzen
Darstellung, welche die hl. Schrift von der Urzeit gibt, bedeutende Wahr-
heiten ausgesprochen werden, deren wissenschaftliche Ermittelung ein
Ruhm der Gegenwart ist, hingegen im Altertume unmöglich war. So ist
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- 56 -
Nichts tritt in der Geschichte der alttestamentlichen Offen-
barung, welche zugleich die Geschichte des Volkes Israels ist,
so auffallend hervor, als eben die Bestimmung, mit allen Haupt-
erscheinungen der antiken Menschenbildung in Berührung 3u
kommen. Soweit wir mit irgend welchen Mitteln die Geschichte
des Altertums von der zweiten Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.
rückwärts tiberschauen können, finden wir keinen grossen Fort-
schritt; keine einflussreiche Veränderung in der Bildung der
Völker, mit welchem die Israeliten nicht in lebendigen Ver-
kehr getreten wären. Es ist eine auffallende Tatsache, dass
das hebräische Volk, öfters auf sehr schwierigen Wegen, aus
dem Heimatlande fortgeführt wurde, um unmittelbar und per-
sönlich dort zugegen zu sein, wo ein neuer Tag der Völker-
bildung anbrach.
Nach der älteren babylonischen Kultur, aus deren Ein-
wirkung Abraham, der Stammvater des jüdischen Volkes, um
des dort entstandenen Heidentums willen von Gott weggeführt
wurde (Genesis c. 12, 1, und c. 12,8), treffen wir als die nächst
älteste Bildung der alten Menschheit die ägyptische. In dem
Kreise dieser Bildung (Apostelgeschichte c. 7, 22) brachte die
jüdische Nation gleichsam ihre Kindheit zu : hier wuchs sie aus
kleinen Familien zu Stämmen, und aus diesen zu einem Volke
im Schöpfungs- Bericht eine Reihenfolge der organischen Wesen aufgestellt,
deren Nachweisung die Geognosie und Naturgeschichte zu ihren schönsten
Resultaten rechnet. In der „ Völker- Tafel'' sind Nationen als Verwandte
bezeichnet, welche erst durch die neuesten Ergebnisse vergleichender
Sprachforschung auf einen gemeinsamen Stamm zurückgeführt werden
konnten: Griechen, Germanen, Arier und Slaven. (Vgl. Baumgartner,
S. J. „Weltliteratur", III. Bd., S. 3 und 4, Auflage 1902.) — Genesis c. X,
V. 22, werden die Bewohner Elams (des heutigen Persiens) zu den Se-
miten gerechnet. Nim hat man im Jahre 1898 in Susa von französischer
Seite her viele Inschriften entdeckt, welche von elamitischen Herrschern
verfasst sind, deren Regienmgszeit sogar noch dem Anfange des 3. Jahr-
tausends vor Christus angehört, und die alle in semitischer Sprache ge-
schrieben sind. Es ist dies ein sicherer Beweis dafür, dass zu jener Zeit
in Elam das semitische Element am stärksten vertreten wai. (Vgl. Dr. H.
Lindl, Privatdozent in München „Wissenschaft und Kritik der Neuzeit
und das Alte Testament", S. 102; 1903; Cöln bei J. P. Bachem. Abge-
druckt in dem 4. Hefte (April) der Monats-Blätter für den katholischen
Unterricht.)
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- 57 -
heran. In den Jahrhunderten, in welchen die Phönizier das lebens-
volle Mittelglied zwischen der Kultur des inneren Asiens und
Ägyptens sowie des Abendlandes (Griechenland, Spanien usw.)
bilden, sind die Hebräer im Lande Kanaan, von ihren Bergen herab
die nächsten Zeugen des regen Treibens jener Zeit, Sie standen
mit den Phöniziern stets in gutem Einvernehmen und kommer-
ziellem Verkehre. Unter David und Salomon war die Glanz-
Periode des hebräischen wie des phönizischen Volkes (1055 — 975).
Die Königshäuser von Jerusalem und Tyrus standen in freund-
schaftlicher Verbindung; die Bewohner beider Länder waren
zugleich bei dem Bau des königlichen Palastes zu Jerusalem
beschäftigt. Auch gingen die Handelsschifi'e beider Nationen von
Ezeon-Geber (Asiongaber), einem Hafen am Ufer des roten
Meeres, nach Ophir (Sofala) im südöstlichen Afrika (lU. Regum
c. 9, 26—28) und nach Tharsis (Thartessus) in Spanien (III. Regum
c. 10, 22), um Gold und Silber zu holen. In drei Jahren vollen-
deten sie die Reise. Ursprünglich waren auch die hebräischen
Schriften des alten Testamentes mit den alt-semitischen, phöni-
m sehen Buchstaben geschrieben.
Ehe noch Babylon unter der vereinigten Macht der Meder
und Perser zusammenbrach, wurden die Israeliten dorthin
geführt (606 — 536), um mit der untergehenden Bildung der
Chaldäer in ebenso nahen Verkehr zu treten, wie mit der
persischen, in welcher die indische zum grössten Teile mit ein-
geschlossen war. Was von der indischen Bildung im Persischen
nicht gegeben ist, war für die Hebräer im ägyptischen und
phönizischen Kulturkreise schon da, oder kam im griechischen
nach. Das Buch des Propheten Daniel, dessen Hauptwirksamkeit
in die Zeit des babylonischen Exils fällt, ist c. II., 4 — 49 ; c. III,
1 — C. VII., 28 ursprünglich rein chaldäisch geschrieben; das
ganze Buch aber ist stark chaldäisch -mundartlich gefärbt,
wie der Pentateuch des Moses viele Anklänge an die ägyptische
Sprache in sich trägt.
Bis zur Zeit, dass Alexander der Grosse kam undPhönizien,
Palästina sowie Ägypten eroberte (332), wo^nrch der griechischen
Bildung im Morgenlande die Bahn gebrochen wurde, hatten
die Juden wieder Besitz vor ihrem Heimatlande genommen
'536), und bald gründeten sich zahlreiche Kolonien mit jüdischer
Bevölkerung in allen durch griechische Kultur bedeutenden
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- 58 -
Orten. (Vgl. Josephi Flavii „Antiquitatum Judaicarum" 1. XII,,
c. 14, n. 10 sq., und Philonis Judaici vet Alexandrini „Legationis
ad Cajum** § 36.) Kurz hierauf erfolgte zu Alexandrien die
Übersetzung der hebräischen Bücher des alten Testamentes in
die griechische Spruche. (Jos. Flav. Antiq. 1. XII., c, 2 und Phil,
lud. „De Vita Moysis" 1. II. c. 5—8.)
Vom Tierdienste in Ägypten bis herab zu der Naturphilo-
sophie Epicurs ist auf geistigem Gebiete von den alten Völkern
nichts Wichtiges erlebt worden, was nicht das Volk Israel mit
hätte erleben müssen. Um nun das Volk Gottes gegen die
Gefahren, welche in der griechisch römischen Philosophie für
den wahren Glauben einbeschlossen waren, zu stärken, wurde
in der Zeit von 300—200 v. Chr. das ^Buch der Weisheit"^,
ursprünglich schon in griechischer Sprache zu Alexandrien
verfasst. C. 15, 17 f. warnt es vor dem Tier- und Fetischdienst.
Das Buch lehnt sich an den Namen des weisesten aller Sterb-
lichen : Salomo, an und zeigt der erträumten und ohnmächtigen
Weisheit der Heiden gegenüber die Weisheit aus Gott; es
offenbart den Ursprung und die Nichtigkeit des Götzendienstes
unter jeder Gestalt. Vgl. c. 13, v. 14 f. und c. 14, 1 f.
Die Berührung aber mit so verschiedenen Völkern und
so mannigfachen Arten der Kultur gibt der Geschichte des
Volkes Israels von aussen her eine Vielseitigkeit, mit welcher
im ganzen Altertume nichts verglichen werden kann.
Von innen wird diese Geschichte belebt durch den natür-
lichen Reichtum an geistigen Gaben, welcher dieses Volk bis zur
Stunde auch in den Augen seiner Feinde auszeichnet. Alle
Leidenschaften, alles Ringen und Streben im Guten, wie im
Bösen, stellt sich auf dem Grunde des hebräischen Volkslebens
in den klarsten und schärfsten Umrissen dar. Würden wir
dieses Volk auch nur für sich ohne seine Offenbarung, bloss
in seiner allgemein menschlichen Erscheinung auffassen, so
würden wir es wegen seiner geistigen Begabtheit als eine Art
Mustervolk gelten lassen müssen. Es mag sein, dass einzelne
Fähigkeiten unter anderen Völkern des Altertums weiter aus-
gebildet wurden, als bei den Hebräern: das reine Denken usw.
bei den Griechen ; die Kunst des Herrschens bei den Römern (cf .
Virgilii Aeneidos 1. VI. v. 847 — 854.); aber eine solche Vereini-
gung aller Tätigkeiten, welche der Mensch darstellen kann,
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- 50 -
möchte wohl nirgends gefunden werden, wie im hebräischen
Volke 1).
Man vergegenwärtige sich den Umfang allgemein mensch-
hcher Ausbildung, welcher schon durch einige Männer gegeben ist,
wie Abraham, Joseph, Moses, Josua, Jepthe, Samson, Samuel,
David, Salomon, Elias, und Achab, Isaias und Ezechias, Daniel,
sow^ie Judas Machabaeus und ähnliche; man stelle den Fürsten
und Königen die Propheten und Dichter gegenüber; man messe
den Abstand zwischen dem Kriegsliede der Debbora (1. Judicum
V., 1 sq.) und dem „Hohen Liede" Salomons; zwischen dem
Stile der mittleren Bücher Moses, des Buches Job, sowie in
den Psalmen Davids, und man wird keinen Zug zu einem
vollständigen Bilde alles Menschenvermögens vermissen. So
verdiente die Geschichte und Literatur dieses Volkes als
Muster aller menschlischen Bildung erwählt zu werden. —
(Cf. Haneberg „Bibl. Offenbarung« 4. Aufl. S. 2 sq. 1876.) Leo-
pold von Ranke, der gefeierte Gelehrte und Forscher unserer
Tage, sagt in seiner Weltgeschichte (I., 42): ^Moses ist die
erhabenste Persönlichkeit der ganzen ältesten Geschichte.« —
Vgl. S. 5 f.
Wenn der Botaniker eine Pflanze untersuchen oder erklären
will, so wählt er gerne ein vollkommenes Exemplar, d.h. ein
solches, in welchem nicht bloss der eine oder andere Teil der
Pflanze, sondern alle klar und ganz enthalten sind. So hat
^) Excudent alii spirantia moUius aera:
Credo equideiii, vivos ducent de marmore vultus,
Orabunt causas melius, coelique meatus
Describent radio et surgentia sidera dicent:
Tu regere imperio populos, Romane memento
Hae Tibi sunt artes, pacisque imponere morem,
Parcere subjectis et debellare superbos!"
Virgiiii Aeneidos 1. VI, v. 847 — 854.
Weicher im Guss mag mancher die Erze gestalten,
Oder belebtere Bilder aus dem Marmor schaffen — ich glaube es —
Besser für Recht handhaben das Wort, mit dem Stabe genauer
Zeichnen die Bahnen des Himmels und Sternaufgänge verkünden,
(Griechen) ;
Du, o Römer, gebiete des Erdballs Völkern als Obherr!
Darin zeige die Kunst, und ordne Gesetze des Friedens;
Schon' den bezwungenen Feind, und die Stolzen kämpfe zu Boden!
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— 6o —
das Urteil einer halben Welt unter allen Heldengeschichlen
des Altertums die Gesänge des Homer und Virgil erkoren,
weil hier ein gewisser Kreis menschlicher Kräfte mit unüber-
trefflicher Klarheit, Ganzheit und Einheit geschildert ist.
Was aber den Sängern der Ilias und Aeneis nur in dem
engerem Kreise des Heldenlebens, und nur als Dichtung gelang,
das steht gemäss dem Zeugnisse der Bibel in der Geschichte
des israelitischen Volkes für alle Lebensverhältnisse als Wirk-
lichkeit vor uns: ein deutliches und vollkommenes Muster des
Menschenlehens ^).
Deswegen gibt die Stellung des Volkes Israel zu den
anderen Nationen und der angeborene Reichtum an Talenten,
welchen wir in der hebräischen Nation selbst beobachten, eine
Antwort auf die wichtige Frage: wie sollen wir in den geisti-
gen Anschauungen und Erlebnissen eines so kleinen Volkes
etwas finden, was allen Menschen der ganzen Welt genügen
könnte? Man überschaue nur die Karte der alten Welt! In
Mesopotanien ist Babylon das kulturelle Zentrum von Vorder-
asien ; schon 2250 v. Chr. sehen wir hier das Reich Hammurabis
(Genesis 14, 1 sq.), dessen Gesetzbuch auf der französischen
Expedition (1897 — 1899) aufgefunden wurde*). Es zeigt uns
dieses Reich als hochentwickelten Kultur- und Rechts-Staat.
Hierauf entsteht das gewaltige assyrisch-babylonische Welt-
reich, das ganz Vorderasien in sich schliesst und zeitweise
bis nach Arabien und Ägypten sich ausdehnt. Der Prophet
Daniel war daselbst Reichskanzler und Statthalter über alle
120 Provinzen. (L. Danielis II, 48.) Nach ihnen kommt Hellas
und Rom auf die Weltbühne.
Was ist dagegen Israel? — Es ist nie mehr als ein kleines
Fürstentum gewesen! (I. ad Corinthios 1, 27 — 30.) Wie konnte
nun das Christentum auf dem Grunde eines so kleinen und im
Vergleiche mit den riesigen Weltmächten so geringen Israeli-
^) „Hona^re a fait Virgile, dit-on; et Virgile a fait Dante, disons
nous; si cela est, c'est sans deute son plus bei ouvrage." Voltaire, Homer
hat den Virgil geschaffen, so sagt man; und wir sagen: Virgil hat den
Dante hervorgebracht; wenn sich das so verhält, dann ist er ohne Zweifel
sein vorzüglichstes Werk.
2) Delegation en Perse. Memoires. Tom. IV, Textes elamites semi-
tiques par V. Scheil, Ordinis Praedicatorum. Deutsch von Hugo Winckler,
Leipzig 1902.
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~ 6i -
tischen Volkslebens erwachsen, den Beruf erhalten, die ganze
Welt mit Einschluss aller Denker und Schulen sich zu unter-
werfen? (I. ad Corinthios 1, 19—26.) Mit gutem Rechte; denn
alle Völker der Erde können keinen Charakter aufweisen,
welcher nicht in der Reihe der bedeutendsten Menschen vom
Volke Israel schon dagewesen, und mit den Vorbereitungen
zur christlichen Offenbarung, oder mit dieser selbst in Beziehung
getreten wäre. Andererseits kann kein Studium, keine Er-
fahrung zu den Haupterscheinungen des ägyptischen, phönizisch-
babylonischen, persischen und endlich griechischen Kulturkreises
etwas wesentlich Neues hinzufügen. Die abenteuerlichen Vor-
stellungen moderner Theosophie und Kabbala sind im wesent-
lichen in jenen grossen Geistesgebieten des Altertums ebenso-
gut zu finden, wie die feinste Dialektik eines Philosophen des
20. Jahrhunderts.
So nahe indes von innen der eigentümliche Charakter
des israelitischen Volkes überhaupt, und einzelner Personen
insbesondere, und von aussen der Einfluss der heidnischen
Kultur mit der göttlichen Offenbarung in Berührung kommt,
so ist beides doch voneinander zu unterscheiden. Das erstere
dient zur Unterlage, zum Stoffe, welcher die höhere Gestaltung
empfangen muss ; das letztere nur zur Weckung und Bewährung
im Glauben. Wie gross auch der Einfluss des Heidentums
auf die Geschichte der Offenbarung war ; so hat er dem Offen-
barungsvolke doch keine neuen Religionsideen geliehen. Die
neuen Entdeckungen zu Babylon, Ninive und Susa, z. B. die
Gesetze des Königs Hammurabi, des biblischen Amraphel
(Genesis 14, 1 sq.), um 2250 vor Christus, ein Zeitgenosse des
Abraham, zeigen nur, dass die darin niedergelegten Rechts-
begriöe aus der menschlichen Vernunft-Tätigkeit überhaupt
hervorgegangen sind; dass sie diese natürliche Sphäre aber
nicht übersteigen und ein Gemeingut des ganzen semitischen
Stammes sind, zu welchem die Babylonier sowohl, als auch die
Israeliten gehören. Auch ist ja die assyrisch-babylonische
Sprache mit dem Hebräischen sehr nahe verwandt.
Das Wanderleben der Israeliten durch alle Kultur- und
Religionssysteme des Altertums hatte nicht die Bestimmung,
von allen Seiten her Belehrungen su sammeln, so dass Israel
nur der sinnige Sammler oder bald mehr oder weniger glück-
KröU, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. ^
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— 62 -^
liehe Bearbeiter der bedeutendsten Anschauungen des Alter-
tums, und seine Kultur und Religion daher nur das Gesamt-
ergebnis der Haupterscheinungen des antiken Geisteslebens
wäre; Israel tritt vielmehr im Besitze der Lehre von dem einen,
wahren, persönlichen, ewigen und allmächtigen Gott unter die
Naturreligionen der Heiden, um unter mannigfachstem Wider-
Spruch sein Glaubensbekenntnis su bewähren^). Die Geschichte
kennt keinen anderen Einfluss auf das Innere der israelitischen
Religion, als den, dass der Widerspruch und der Gegensatz
zur gründlichen Durchübung und Durchempfindung der heiligsten
Wahrheiten führte, auch wohl neue Offenbarungen hervorrief.
Ausserdem machen sich die heidnischen Religionen in der
Geschichte der Offenbarung nur insofern geltend, als sie über-
ivunden werden^).
Wir werden zwar in allen Perioden des Verlaufes der
Ofi'enbarung Spuren des Heidentums finden; jedoch immer nur
so, dass der Kern der Offenbarung und die göttliche Ein-
wirkung zur Fortführung und Forterhaltung deutlich zu unter-
scheiden ist. Die göttliche Offenbarung überwindet der Reihe
nach die Erscheinungen der Heidenwelt. Dieselben sind etwa
^) „Nach der Gewohnheit des Landes Ägypten, in welchem ihr ge-
wohnt habt, sollet ihr nicht handeln, und nach der Sitte des Landes
Chanaan, in welches ich euch einführen will, sollet ihr nicht tun und
nicht nach ihren Satzungen wandeln; meine Gesetze sollet ihr beobachten
und nach ihnen wandeln; ich bin euer Herr und Gottf^^ Cf. L. Levitici
c. i8, V. 3 sq. Daher sagt Tacitus von Moses („Historiarum" 1. V, c. 4):
Moses, quo sibi in posterum gentem firmaret, novos ritus contrariosque
ceteris morlalibus indidit. Moses gab seinem Volke, um sich dessen für
die Zukunft zu versichern, ganz neue Religions gebrauche, welche von denen
aller anderen Völker ganz verschieden waren.
^) Cf. Libri Exodi c. 20, i — 7; Levitici c. 17, 7; c. 18, 3, 4, 5, 30;
c. 22, 25, 32; c. 26, i; Numeri c. 25, 18; Deuteronomii c. 4,6 — 9, 15 — 20;
25—41; c. 5, 6— 11; c. 6, c. 14—19; c. 7, 1—9; 25 u. 26; c. 12, 2—5;
29 — 32; c 13, 12 — 18; IL Regum c. 5, 21 und I. Paralip. 14, 12; IIL
Regum c. 18, 36; Psalmi 113. B., 3 — 9; Jeremiae Prophetae c. 10; Ba-
ruchi c. 3 u. 6; Libri Sapientiae Salomonis c. 13 u. 14. — Ebenso die
2 Bücher der Machabäer. — Diesen Zeugnissen schliesst sich das Neue
Testament an: Actus Apost. c. 14, 10, besonders v. 14; I. ad Corinthios
c. 8, 4—7; c. 10, 19 — 23; c. 12, 2; IL ad Corinthios c. 6, 16 — 18; I. S. Jo-
hannis c. 5, 2 1 : T^Kva qpuXdHcTe ^auToO<; dirö tujv eiöuüXiüv. Filioli custodite
vos a simulacris! „Kindlein, hütet euch vor den Götzen!"
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- 63 -
SO der Geschichte des Glaubensvolkes eingefügt, wie die Über-
reste überwältigter Pflanzen- und Tierarten in manchem Gestein.
Es bleibt dem Heidentum indessen immerhin ein sehr
grosser Einfluss auf die Geschichte der Ofl'enbarung, da seine
Erscheinungen ein Gegenstand des Widerspruches und des
Widerstandes seitens der Ofl'enbarung wurden. Das Heidentum,
zusammengehalten mit der Kulturgeschichte der von demselben
beherrschten Völker wird hierdurch, teilweise wenigstens, sunt
Zeitmasse für die Offenbarung. Diese ist an und für sich
über der Zeit; aber insofern sie geistigen Bedürfnissen ent-
spricht, welche durch diesen oder jenen Zeitgeist hervorgerufen
waren (cf. Liber Sapientiae Salomonis), so muss sie bestimmte
Epochen haben. Da ferner der heidnische Irrtum zum grossen
Teil ein Suchen des sich selbst überlassenen Menschengeistes
nach Wahrheit darstellte (cf. Actus Apostolorum c. 17, 23—32,
besonders v. 27); so muss in der Aufeinanderfolge seiner
Epochen ein Fortschritt sein. Dem menschlichen Geiste ist es
nämlich unmöglich, ohne alles Gesetz eine bestimmte Form
der Bildung zu * verlassen. Wie die versteinerten Tiere und
Pflanzen in den Felsen der Berge in einer gewissen Ordnung
aufeinander folgen: die weniger entwickelten zuerst, die voll-
kommeneren später, so auch die Erscheinungen des Heidentums.
Es herrscht ein Gesetz des Fortschrittes von dem mehr Äusser-
lichen, Stofflichen zum Innerlichen, Geistigen und vom Viel-
fältigen zum mehr Vereinfachten in dem Verlaufe jener grossen
Religionsepochen, an welchen das Volk Israel der Reihe nach
vorübergehen musste. (Cfr. Ciceronis „De natura Deorum"
libri tres.) Darum dienen die Epochen der heidnischen Kultur
von der Zeit an, dass wir sie geschichtlich festhalten können,
nicht etwa bloss als zufällige Bezeichnung von Abschnitten in
der Geschichte der Offenbarung, sondern auch als Mass für
die Fortschritte der Zeit bis zu jener Grenze, über welche
hinaus es nur Wiederholungen geben konnte, also bis zu jener
Steigerung menschlicher Bildung, welche die hl. Schrift mit
dem Namen ^Fülle der Zeit'' bezeichnet. (Cf. ad Galatas 4, 4;
ad Ephesios 1, 10; I. ad Corinthios 10, 11; ad Hebraeos 9, 26.)
Das ägyptische, phönizisch-babylonische, persische und
spätere griechische Religionssystem folgen sich nach einem
inneren Gesetze der Fortbildung, bis das letztgenannte sich
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- 64 -
zur Unmöglichkeit eines Fortschrittes auf geradem Wege
steigert.
Das ägyptische System ist von einem Naturkulte beseelt,
den ein getrennt dastehendes, vom Glauben nicht unterstütztes
Sittengesetz einzäunt. Der phantastische Naturkult steht hier
unvereint und unnatürlich neben einem ziemlich reinen Sitten-
gesetze in dualistischer Nebeneinanderstellung.
Das phönisisch-syrische System, mit welchem das baby-
lonische verwandt war, löst diesen Widerspruch dadurch, dass
es die Sittlichkeit dem Naturkulte und den phantastischen
Erscheinungen desselben zum Opfer bringt.
Das persische System reinigt das Sittengesetz durch edle,
angeborene, oder wie immer erhaltene Ideen und stellt das-
selbe neben einen gereinigten Naturkult, in welchem ein gött-
liches Wesen nahezu monotheistisch hervortritt. Dadurch
kommt der ägyptische Dualismus wieder auf, aber vergeistigt.
Bei den Griechen^) hält es zwar schwer, ein bestimmtes
religiöses System festzustellen, da ihr geistiges Leben seit der
Berührung mit den Persern die verschiedenartigsten Um-
änderungen erlitten hat. Doch stehen drei Dinge fest:
1. Die Griechen streifen immer mehr und mehr das Ausser-
menschliche an der Naturreligion ab. Wenn auch an einzelnen
Orten sich Mysterien erhielten (mysteria Attica, sacra Eleusina ;
'EXeud? = Adventus: Ankunft), welche den phönizischen gleich-
standen; so waren sie doch aus dem Leben der gebildeten
Gesellschaft ausgeschlossen. Nur was menschenähnlich und
menschlich war, konnte sich bei ihnen im Besitze göttlicher
Verehrung erhalten.
2. Jede materielle Vorstellung wird immer mehr von der
Idee Gottes ausgeschlossen. Die Abstraktionen des menschlichen
Geistes werden auf das Göttliche tibertragen.
3. Jedes Sittengesetz, welches nicht klar und deutlich mit
dem der damaligen menschlichen Natur übereinstimmte, hörte
^) Die griechische Religion, welche wie jede heidnische die Natur-
kräfte göttlich verehrte und in weiterer Fortbildung denselben auch sitt-
liche Mächte anreihte, konnte sich wegen des Mangels einer eigentlichen
Priesterschaft und heiliger Bücher nicht zu einer systematischen Einheit
ausbilden.
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- 65 -
auf Geltung zu haben: Religion und Sittlichkeit gingen in der
menschlichen Natürlichkeit auf^).
Was Epicur zum System erhob, war als allgemeines
Lebensgesetz schon vor ihm da und blieb auch nach ihm in
Griechenland herrschend, selbst wo man die Philosophie nur
dem Namen nach kannte. y,Die Götter Griechenlands^^ bedeuten
daher innerhalb des Heidentums einen grossen Fortschritt
gegen Moloch und Astarte der Phönizier, gegen die tierköpfigen
Götter Ägyptens, und gegen die vielköpfigen und vielarmigen
Götterfratzen der Indier. Wir haben hier nicht mehr die häss-
lichen Symbole dämonischen Wahnglaubens vor uns, sondern
menschlich edle Kunstgebilde, welche an sich schon einen
grossen Kunstwert besitzen, Ihre Mythologie verwandelte sich
in menschliche Poesie. Kenner behaupten, dass allen Statuen
der Griechen eine gewisse Wehmut und Sehnsucht eingeprägt
sei ('Atvüücjtuj 0€uj: „Dem unbekannten Gott". Actus Aposto-
lorum 17, 23. Rede des hl, Paulus auf dem Areopage zu
Athen). Cf. Baumgartner S. J., „Weltliteratur", III. Band, 3. u.
4. Auflage, S. 10 f. Freiburg 1902. — Vgl. S. 29.
Die griechischen Philosophen widersprachen sich zwar in
vielen Schulfragen, aber darin waren sie eins: nur Menschen-
ähnlichem oder Menschlichem zu huldigen.
Auch war das Bestreben dahin gerichtet, im Menschlichen
das Geistige hervorzuheben und das sittliche Verhalten des
^) Darum sagt Marcus Antonius Muretus „Sardanapalus Assyriorum
rex (668 — 626 a. Chr.) hoc epitaphium consecutus est: Ego rex fui, et
quoad vixi comedi, bibi, voluptati operam dedi. quum scirem et brevem
esse hominum vitam et multis mutationibus obnoxiam, et fructum bonorum,
quae reliquissem, ad alios esse perventurum. Quare hoc facere nuUum diem
intermisi." (M. A. Mureti Commentarii in Aristotelis Ethica; Operum
Tom. III. p. 177 sq.) Lebensweisheit der vorchristlichen Welt: Sardanapal
(Assurbanipal), König von Assyrien (668 — 626 v. Chr.) erhielt nachstehende
Grabschrift: „Ich war König, und solange ich lebte, habe ich gegessen,
getrunken und dem Vergnügen mich hingegeben. Denn ich wusste, dass
der Menschen Leben nur kurz und vielen Veränderlichkeiten unterworfen
ist; auch werden ja andere die Frucht meiner Mühen gemessen. Darum
ich habe nach dieser Erkenntnis mein ganzes Leben eingerichtet." Ähnlich
spricht sich Salomo aus: libri Ecclesiastae (Koheleth) c. 5, 17 — 19. Wir
müssen nämlich alles Menschliche in der Schrift bezeugt finden, um die
Offenbarung des Göttlichen in ihr nach Inhalt und Zweck ganz zu würdigen.
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— 66 —
Menschen auf seine Natürlichkeit zu gründen. So sehr sie
daher im einzelnen voneinander abwichen, so trugen sie doch
gemeinsam dazu bei, wenigstens seit Alexander dem Grossen,
sich überall auf jenes Gesetz der Natürlichkeit zu stützen. Die
Herrschaft, welche die griechische Bildung über den kultivierten
Teil von Europa, Afrika und Asien bis an den Indus errang,
war überall mit einem Siege über die Vorstellung von einer
unmenschlichen und körperlichen Götterwelt und an ein anders-
woher, als von der Natur des Menschen stammendes Sitten-
gesetz verbunden.
Die Natürlichkeit der Sitten artete in weiten Kreisen zur
Sittenlosigkeit aus, und die Vergeistigung der Gottesidee führte
zur Aufhebung derselben. Der Widerspruch, welchen die
Stoiker (Zeno) gegen beide Extreme in Tat und Lehre erhoben,
weckte den Zweifel der Akademie (Plato), durch welchen sich
die Erschöpfung des menschlichen Geistes zur Erforschung der
Wahrheit in göttlichen und menschlichen Dingen deutlich genug
aussprach, um ,4i^ Fülle der ZeiP' su beseichnen. Da nahm
das ewige Wort Gottes selber Menschengestalt an, damit der
Zweifel überwunden und ein Grund su ewig dauernden Taten
gelegt werde, „Quid est veritas?" („Was ist Wahrheit?"),
fragte Pilatus vor Christus, dem Herrn. (S. Johannis Ev. 18,
37 — 39.) Der Heiland sagte: „Ich bin in die Welt gekommen,
um Zeugnis von der Wahrheit zu geben. Jeder, welcher aus
der Wahrheit ist, höret meine Stimme!" Ibidem. „Ego sum
via, veritas etvita!" ,Jch bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben /^^ L. c. cap. 14, v. 6. — Welche Festigkeit und Zuversicht,
selbst in Banden! -— Unsicher und schwankend aber war das
Heidentum, So sagt Cicero, nachdem er die Ansichten der
einzelnen philosophischen Schulen über das Wesen und die
Unsterblichkeit der Seele dargelegt hat: „Harum sententiarum
quae sit vera, Deus aliquis viderit, quae veri simillima, magna
quaestio est." Tusculanarum Disp. 1. I, c. 11, n. 23.
Und ferner in seinem Werke über die Natur der Götter
berichtet er : „Roges me, quid aut quäle sit Deus, auctore utar
Simonide, de quo quum quaesivisset hoc idem tyrannus Hiero,
deliberandi sibi unum diem postulavit; quum idem ex eo postri-
die quaeret, biduum petivit ; quum saepius duplicaret numerum
dierum admiransque Hiero requireret, cur ita faceret, 'Quia,
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- 67 -
quanto diiUius considero' inquit^ *tanto mihi res videtur ob-
scurior\ Sed Simonidem arbitror (non enim poeta solum suavis,
verum etiam ceteroqui doctus sapiensque traditur), quia multa
venirent in raentem acuta atque subtilia, dubitantem, quid eorum
esset verissimum, desperasse omnem veritatem" („Quid est
veritas?" Frage des Pilatus). „De natura Deorum" 1. 1, c. 22.
„Die Meinungen der einzelnen Philosophen gehen so sehr
auseinander, — dass nur Gott entscheiden kann, welche von
ihnen die wahre ist; welche aber der Wahrheit am nächsten
kommt, darüber besteht unter uns eine grosse Streitfrage.**
„Du fragst mich nun vielleicht: 'was ist Gott, oder wie ist
Gott? Zur Beantwortung werde ich mich auf Simonides be-
rufen. Als derselbe nämlich von dem Tyrannen Hiero von
Syracus (in den Tagen der Perserkriege) ganz über die näm-
liche Angelegenheit befragt wurde, bat er sich einen Tag zur
Bedenkzeit aus. Als dieser verstrichen war, begehrte er zwei
Tage zur Überlegung; hierauf fuhr er fort die Bedenkzeit jedes
Mal zu verdoppeln. Als nun Hiero voll von Verwunderung
nach der Ursache forschte, gab Simonides zur Antwort: ,Je
länger ich über diesen Gegenstand nachdenke, desto dunkler
erscheint er mir/' Aber ich halte dafür, sagt Cicero, dass
Simonides, ein so angenehmer Dichter und übrigens ein ge-
lehrter und weiser Mann, zwar manche scharfsinnige und vor-
treffliche Ansicht in seinem Geiste trug, aber in der Ungewiss-
heit, welche von denselben der Wahrheit entspreche, an aller
Wahrheit versweifelteJ' „Was ist Wahrheit?" fragt Pilatus; —
der Heiland gibt uns die Antwort: „Ich bin die Wahrheit!**
Cf. Evgl. S. Johannis c. 18, 37 u. 38; c. 14, 6.
Nachdem wir nun die Vorzüglichkeit des Inhaltes der
hl, Schriften besprochen haben, wollen wir jetzt das hohe Alter
derselben erwägen.
Die Grundlage des ganzen biblischen Gebäudes, nämlich
der Pentateuch, gehört zu den ältesten Büchern der ganzen
Welt. Die fünf Bücher Moses, in welchen die ältesten Nach-
richten über die gesamte Menschheit wahrheitsgetreu und frei
von allen Fabeln enthalten sind, haben ein höheres Alter nicht
bloss als alle sonstigen Geschichtsbücher, sondern auch als
alle bekannten mythologischen, mythischen und poetischen
Bücher.
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— 68 ^
Die heiligen Bücher Indiens, Chinas, Persiens, Ägyptens,
Griechenlands, Italiens und der nordischen Völker sind allzumal,
in der Form, in welcher sie auf uns gekommen sind, jünger
als die Bücher Moses.
Die Vedas der Indier reichen in ihrer Entstehung bis zum
14. Jahrhundert vor Christus. (Cfr. Lenormant „Histoire de
l'ancien Orient." Tom. III, § 206.) Sie wurden im 4. Jahrhundert
V. Chr. von Yasa gesammelt und veröffentlicht.
Die Kings der Chinesen wurden teils verfasst teils revi-
diert und publiziert durch Konfuzius, welcher um das Jahr 479
vor der christlichen Zeitrechnung starb. Der Tao-te-King ist
das Werk des Laotseu, eines chinesischen Philosophen (chine-
sischer Plato).
Der Avesta der Perser (der Guerbern und Parsis) ist in
seinem 1. Teile, dem Vendidat-Sade^ alt und wird dem Zoro-
aster zugeschrieben, welcher im 6. Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung, unter Darius, dem Sohne des Hystaspis, lebte.
Die letzte Redaktion desselben geschah, wie angenommen
wird, im 4. Jahrhundert nach Christus, unter Sapor IL, dem
Könige von Persien (309 — 380). Jedoch wird es sicherer sein,
hierfür die Zeit vom 4./5. Jahrhundert anzusetzen, in welcher
die Sassaniden als Förderer des Vesta zu nennen sind.
Was die hermetischen Bücher der Ägypter betrifft, so sind
sämtliche, welche irgend eine Wichtigkeit hatten, verloren
gegangen, bis auf eines, das vollständig erhalten ist, das Buch
Pimander, welches wir aber nur in griechischen und lateinischen
Übersetzungen besitzen.
Das Totenbuch der Ägyptier beschreibt die Schicksale der
Seele nach ihrem Ausscheiden aus dem menschlichen Körper.
Dasselbe reicht in gewissen Abschnitten bis in die l. und 4.
Dynastie hinauf. Viele Kapitel desselben finden sich auf
Monumenten, welche noch vor dem Einfalle der Hyksos (um
2100 vor Christus) errichtet wurden. Man pflegte auch ein
mehr oder minder vollständiges Exemplar dieses Buches in
die Mumienschreine niederzulegen. (Cf. Dr. Macke „Vom Nil
zum Nebo", Anmerkung zum 8. Gesänge, S. 425; Heiligenstadt
bei Cordier 1894.)
Das sog. Schöpfungsepos su Babylon oder vielmehr die
Bruchstücke mehrerer Schöpfungssagen sind sehr alt. Die
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- 69 -
Zeit seiner Abfassung kann nicht genau bestimmt werden.
Abschriften desselben gibt es aus der Zeit des Königs Assur-
banipal (Sardanapal), welcher von 668 bis 626 vor Christus
regier^te. Prälat Kaulen (Bonn) sagt, die älteste Literatur
Babylons enthalte die Uroffenbarung in heidnisch entstellter
Weise. (Kirchen-Lexikon I. Band, S. 1807.)
Auch die vor einigen Jahren zu Susa in Persien auf-
gefundenen Gesetse HammuräbiSy des biblischen Amraphel
(Genesis 14, 1 sq.) besitzen ein hohes Alter (2250 v. Chr.) siehe
Vorrede S. XVI sq. Die Übereinstimmung der Thora mit den
Vorschriften Hammurabis in manchen Gesetzbestimmungen lässt
sich sehr gut aus einer gemeinsamen Urquelle erklären, näm-
lich aus dem ursemitischen Gewohnheitsrechte, welches schon
jahrhundertelang bei den Israeliten in Übung war, ehe es
durch Moses im göttlichen Auftrage neu eingeschärft und
schriftlich niedergelegt wurde. Es sind eben Rechtsanschau-
ungen, welche dem ganzen alten semitischen Orient, und in
den allgemeinen Zügen wohl der gesamten alten Menschheit
zu eigen waren.
Die Theogonie des Hesiod steigt höchstens bis zum 8. Jahr-
hundert vor der christlichen Zeitrechnung hinauf.
Die Edda der Skandinavier ist eine Sammlung, welche
im 10. oder 11. Jahrhundert nach Christus, 50 Jahre vor der
Einführung des Christentums daselbst, in Island erschienen ist.
Indem wir diese allgemein anerkannten Tatsachen an-
führen, sind wir weit entfernt, zu leugnen, dass die Vedas, die
Kings, der Avesta, die Bücher des Hermes, so wie sie auf uns
gekommen sind, in ihren ältesten Bestandteilen auf früheren
Dokumenten beruhen, welche wahrscheinlich bis in jene Zeiten
zurückdatieren, als die heidnischen Mythen anfingen, die Ur-
offenbarung zu entstellen. Allein die Genesis ist, wie wir klar
sehen werden, die feierliche Protestation der geschichtlichen
Wahrheit gegen diese heidnischen Entstellungen, und sie ist in
dem wesentlich unversehrten Zustande, in welchem wir sie
besitzen, um Jahrhunderte älter, als alles, was von den heid-
nischen Mythen schriftlich auf uns gekommen ist*). Selbst die
^) Über die Genesis bezw. Pentateuch in der wesentlich unver-
änderten Gestalt und unversehrtem Zustande handelt Prof. Dr. Gottfried
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— 70 —
rationalistische Kritik eines Renan (Etudes — Histoire du peuple
dlsrael) muss bekennen, dass der Pentateuch Urkunden ent-
hält, welche uns gans nahe sunt Ursprung des Menschen-
geschlechtes hinführen. Solche Zugeständnisse sind nur durch
die Evidenz erpresst.
Das Gesagte gentigt, um das höhere Alter der Grundlage
der Bibel vor allen mythologischen Büchern darzutun. Über
das, was die alte Profan Geschichte im Orient und Okzident
Geschichtliches überliefert hat, wollen wir den berühmten Cuvier
hören:
Kein abendländisches Volk geht mit seiner Zeitrechnung,
sagt er, ununterbrochen über 3000 Jahre (d. i. etwa in das Zeit-
alter Salomons: 1015 a. Chr.) zurück. Kein einziges derselben
kann aus diesem oder auch nur einem 200 — 300 Jahre späteren
Zeiträume eine zusammenhängende Reihenfolge auch nur einiger-
massen glaubhafter Tatsachen aufweisen. Die Geschichte des
Nordens von Europa beginnt erst mit dessen Bekehrung zum
Christentume ; die Geschichte Spaniens, Galliens (Frankreichs),
Englands fängt erst mit den Eroberimgen der Römer an; die
Geschichte des nördlichen Italiens vor der Gründung Roms (753
a. Chr.) ist heute noch fast gänzlich unbekannt.
Die Griechen versichern, dass sie die Kunst zu schreiben
erst von den Phöniziern erhielten (Cadmus, Sohn des phönikischen
Königs Agenor, Bruder der Europa, gründete Theben in Boiotien
und brachte ein Alphabet von 16 Buchstaben nach Griechen-
Hoberg in seinem Werke „Z>/> Genesis nach dem Litteral- Sinne erklärt".
Einleitung S. XIX. Freiburg im Breisgau bei Herder 1899. Er führt
darin aus, dass die fünf Bücher Moses in den alten Zeiten nur hand-
schriftlich vervielfältigt wurden. Bei diesem Verfahren ^sei es allerdings
nicht ausgeschlossen und gar nicht zu vermeiden gewesen, dass durch
Versehen der Abschreiber einige kleine, aber unwesentliche Veränderungen
im Texte des Pentateuchs sich eingeschlichen hätten. Derselbe Professor
behandelt das alte, aber immer noch sehr aktuelle Thema: Moses und
der Pentateuch in einer neuen 1905, Freiburg, Breisgau, erschienenen Schrift.
Die Lösung: „Wir haben einen mosaischen Pentateuch, aber nicht eine
von Moses, sondern von Esdras veranstaltete Ausgabe'*, scheint zwar neu
zu sein; sie stimmt aber mit der Auffassung, welche die jüdische und
christliche Überlieferung bis zum 18. Jahrhimdert einmütig vertreten hat,
vollkommen überein. (Prof. Dr. Selbst zu Mainz.)
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— 71 —
land. So nach Plinius 7, 56, 57, § 192 Hist. Naturalis) M ; also
vor 3300—3400 Jahren. Aber auch noch lange Zeit nachher
ist ihre Geschichte voller Fabeln, und sie selbst verlegen die
ersten Spuren ihrer Vereinigung zu Völkerschaften kaum
300 Jahre früher. Die Einwanderung der Dörfer nach dem
Peloponnes wird um das Jahr 1104 v. Chr. gesetzt. Als ein
geschichtlich bezeugtes Jahr in der griechischen Zeitrechnung
gilt 776 V. Chr.: das erste Jahr der ersten Olympiade. Mit
diesem beginnt eine feste, historisch beglaubigte Datierung
der Tatsachen.
Von der älteren Geschichte des westlichen Asiens haben
wir nur spärliche und widersprechende Nachrichten, welche
erst etwa um 650 Jahre v. Chr. oder 2500 Jahre vor uns einigen
Zusammenhang gewinnen ; aber wenn man auch die Nachrichten
nimmt, welche als die ältesten gelten und einige geschichtliche
Einzelheiten melden, so kommen wir kaum bis ins 4. Jahrtausend
vor uns, oder in das Jahr 1250 v. Chr. (Nach Volney, welcher
sich auf Herodot stützt.)
Der erste Profan-Schriftsteller, von dem wir noch Schriften
hesitseny Herodot, ist nicht 2300 Jahre alt, er starb um das
Jahr 406 v. Chr. Die früheren Geschichtschi eiber , welche
er zu Rate ziehen konnte, Cadmus, Pherekydes, Aristeus
von Prokones, Achesilaus, Hekataeus von Milet, Charon
von Lampsakos, Nikolaus von Damaskus usw. sind um kein
Jahrhundert älter als er. Über ihren Wert kann man aus
den Abenteuerlichkeiten urteilen, welche wir in einigen Aus-
zügen aus Aristeus von Prokones und einigen anderen noch
besitzen.
Vor diesen Geschichtschreibern haben wir nur Dichter,
und Homer, der älteste^ welchen wir noch besitzen, und das
Vorbild des ganzen Abendlandes, hat nicht mehr als 2700 oder
2800 Jahre vor uns gelebt. Er lebte nach einigen im 9. Jahr-
hundert V. Chr. (vgl. Herodoti Historiarum 1. IL, c. 53), wie
auch Cicero (Tusculanarum Disp. 1. V., c. 3, n. 7) sagt: „. . Lycur-
gus, cujus temporibus Homerus etiam fuisse ante hanc Urbem
conditam traditur.** Die Überlieferung verkündet uns, dass
Homer zur Zeit des Lycurgus (Sparta) gelebt habe. „Lycurgue
^) Cf. Josephi Flavii 1. contra Apionem 1. I. c. 2. (Cadmus.)
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florissait en huit cent quatre-vingt (et Solon six cent cinquante)
ans avant J6sus-Christ.** (Dr. Heinrich Knebel.) Lycurgos
blühte um das Jahr 880 vor Christi Geburt. Die Ausgestaltung
der homerischen Gesänge wird in das 8. Jahrhundert und die
schriftliche Aufzeichnung derselben um 540 a. Chr. in die Regie-
rungszeit des Peisistratos (600 — 547) verlegt. — Der Geschicht-
schreiber Theopompos aus Chios und der Grammatiker Eupho-
rion aus Chalkis setzen das Leben des Homer in die Zeit von
724—686. — Dr. Engelbert Drerup in seinem Buche über
Homer (München 1903, Kirchheimsche Verlagsbuchhandung)
Seite 37, nimmt an, die erste schriftliche Aufzeichnung der
nach Homer benannten Gesänge sei bereits im 9./8. Jahrhundert
V. Chr. geschehen, da die phönizische Buchstabenschrift im
10. /9. Jahrh. v. Chr. von den Griechen übernommen worden
sei, ohne jedoch die Feststellung und Rezeption einer attischen
Homer-Ausgabe unter Peisistratos leugnen zu wollen. Eine
genauere Zeitbestimmung hierin hält auch er für unmöglich.
Wenn die ersten Geschichtschreiber von alten Ereignissen
ihres Volkes reden, so berufen sie sich auf mündliche Über-
lieferungen und nicht auf öffentliche Denkmäler und Werke.
Die angeblichen Auszüge aus ägyptischen, phönizischen und
babylonischen Annalen sind weit jünger, als sie.
Berosus schrieb erst unter Seleucus Nicanor; Hieronymus
unter der Regierung des Antiochus Soter; Manetho unter der
Herrschaft des Ptolomäus Philadelphus, und war Oberpriester
in Ägypten. Sie sind also alle drei erst aus dem 3. Jahr-
hundert vor Christus. Mag Sanchuniathon ein wirklicher oder
ein unterschobener Schriftsteller sein ; man lernte ihn erst kennen
als Phyton von Byblos unter Kaiser Hadrian, im zweiten Jahr-
hundert n. Chr., eine Übersetzung von ihm veröffentHchte ;
und, wenn man ihn früher gekannt hätte, man hätte in ihm,
wie in allen übrigen Schriftstellern jener Zeit, über die ältesten
Zeiten nichts anderes gefunden, als eine kindische Theogonie^
oder, wenn man will, eine Metaphysik, welche dergestalt
unter Allegorien verhüllt ist, dass man sie nicht entziffern
kann. Nur ein Volk hat uns aus der Zeit vor Cyrus in Prosa
^^scÄr/^ft^//^ Annalen aufbewahrt; es ist das jüdische Volk. Jener
Teil des alten Testamentes, welchen man den Pentateuch (die
5 Bücher Moses) nennt, existiert in seiner gegenwärtigen Gestalt
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mindestens vor der Spaltung unter Jerobeam (975 a, Chr.), weil
denselben auch die Samariter, geradeso wie die Juden, aner-
kennen. *) Er ist gegenwärtig in jedem Falle mehr als 2800
Jahre alt.
1) Die Tradition der Samariter spricht sich unbedingt für die Ab-
fassung des Pentateuchs durch Moses aus. Dieselbe hat um so höheren
Wert, je älter sie ist. Der Pentateuch in Samaria ist nicht zurückzuführen
auf den Priester, welcher nach dem Falle der Stadt Samaria {jzz) zuerst
nach Assyrien deportiert und dann in die Heimat zurückgesandt wurde,
noch weniger auf den abtrünnigen Manasses, welcher den Tempel auf dem
Berge Garizim erbaute (vgl. Jos. Flavii Antiq. 1. ii, c. 8; 1. 13, c. 9, n. i);
sondern, der Pentateuch ist in dem Zehn-Stämme-Reich immer bekannt
gewesen, mochte auch die Befolgung seiner Gesetze dort meistens sehr
mangelhaft sein. Die Samariter waren die mit heidnischen Kolonisten
vermischten Nachkommen aus dem Reiche Israel; das israelitische Volks-
element behielt bei ihnen die Oberhand. Daher repräsentiert ihre Tradition
eine Ansicht ausserhalb des Reiches Juda, welche bis in die Zeit Roboams
(975 a. Chr.) hinaufreicht. (Vgl. Gottfried Hoberg „Die Genesis nach dem
Litteral-Sinne erklärt", S. XVI. der Einleitung, n. 2, Freiburg (Breisgau)
bei Herder 1899.)
Auch nach der Spaltung des Reiches (975) wurden Abschriften des
Mosaischen Gesetzbuches im Reiche Israel aufbewahrt, und von dieser
Zeit an wachten für die unversehrte Erhaltung seines Textes beide sich
mit feindlichen Augen beobachtende Staaten. Der uns noch vor Augen
liegende samaritanische Text mit seinen alt-semitischen, phönizischen Schrift-
zeichen stimmt daher auch seinem Inhalte nach im wesentlichen mit dem
hebräischen überein. Von einzelnen abweichenden Stellen nennen wir die-
jenige besonders, welche von den Samaritern zugunsten ihrer Religions-
meinung absichtlich verändert worden ist. In dem 5. Buche Moses
(Deuteronomium) c. zy, v. 4 und 5 haben sie das Wort „Ebal" in
„Garizim" umgeformt, um dadurch ihre Behauptung zu rechtfertigen, dass
Gott auf dem Berge Garizim verehrt werden müsste. „Wenn ihr nun
über den Jordan gesetzt habet, so errichtet Steine, wie ich euch heute
befohlen, auf dem Berge Hebal (so nach dem hebräischen, „Garizim"
nach dem samaritischen Texte) und bestreichet sie mit Kalk. Auch erbauet
daselbst einen Altar dem Herrn, deinem Gotte, aus Steinen, welche kein
Eisen berührt hat." (Vgl. Evangelii S. Johannis c. 4, 20.) Der Reisende
Pietro della Valle (1586 — 1652) brachte im Jahre 1616 eine Handschrift
des samaritischen Textes aus Damaskus nach Europa. Eine Übersetzung
desselben in den aramäischen Volksdialekt besorgte der Priester Nathanael
im Jahre 20 v. Chr. In neuerer Zeit veranstaltete Petermann (1872) zu
Berlin eine Textes- Ausgabe des samaritischen Pentateuchs.
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Es gibt übrigens keinen hinreichenden Grund, weshalb
man seine Abfassung nicht dem Moses selbst zuschreiben
sollte, wodurch er ein Alter von 500 Jahr mehr oder im ganzen
von 3300 erhält.»)
Man kann daher in keiner Weise daran zweifeln, dass
der Pentateuch das älteste Buch ist, welches unser Abendland
besitzt. (Cf. Cuvier „Discours sur les r^volutions du globe".
6me Edition, p. 171 sq.)
Allein die Genesis (resp. Pentateuch) ist nicht bloss das
älteste Buch des Abendlandes, sondern gehört ohne Zweifel
zu den ältesten Büchern der ganzen Welt. Cuvier beweist es
in demselben Werke „Über die Umwälzungen der Erdkugel**,
indem er alles durchgeht, was wir aus Indien, Ägypten, Chal-
däa, Persien, Armenien, Arabien und China an geschichtlichen
Dokumenten besitzen, wenn man anders so Schriften nennen
will, in welchen einige Tatsachen mit einem Schwalle prah-
lerischer Dichtungen der orientalischen Phantasie vermischt
sind. Als vollberechtigter Schluss dieser gelehrten Unter-
suchung ergibt sich, dass Herodot nicht nur der älteste unter
allen Profanschriftstellern des Okzidentes, sondern der ganzen
Welt, und mithin wahrhaft der Vater der Profangeschichte ist;
^) Der Satz : Moses hat den Pentateuch verfasst, ist nicht so zu ver-
stehen, als ob jedes Wort, jeder Versteil oder jeder Vers ohne Ausnahme
von Moses herrühre; sondern die Wahrheit von der Urheberschaft des
Pentateuchs hat folgenden Sinn: Der Pentateuch ist das Produkt der
religiösen Entwicklung unter dem Offenbarungs- Volke von Moses bis auf
die Zeit nach dem babylonischen Exil auf Grundlage der von Moses
geschriebenen Bestimmungen, welche dem Räume und der Bedeutung nach
den weitaus grössten Teil des alttestamentlichen Gesetzbuches ausmachen.
(Nach Hoberg „Die Genesis nach dem Litteral-Sinne erklärt", Einleitung
S. XXVII., Freiburg, Breisgau, 1899, bei Herder.)
Zusätze und Erweitemngen sind wahrzunehmen : Deuteronomium c. 34,
in welchem das Lebensende des Moses beschrieben wird, wahrscheinlich
von Josua herrührend; Buch Josua c. 24, 25 und 26: „Sonach schloss
Josua an diesem Tage einen Bund, und legte dem Volke Gebote und Rechte
in Sichem vor. Auch schrieb er alle diese Worte in das Gesetzbuch des
Herrn." Erstes Buch der Könige c. 10, v. 25 : „Samuel verkündete dem Volke
das Gesetz über die Königs würde, und schrieb es in ein Buch (Urkunde
im Sinne des fünften Buches Moses, c. 17, v. 14 — 20), und legte es nieder
vor dem Heim."
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dass aber Moses 1000 Jahre vor ihm schrieb^ der Pentateuch
daher offenbar das älteste Denkmal der Geschichte der ganzen
Menschheit ist; und dass alles, was die Kritik aus den fabel-
haften Träumereien des Orientes als geschichtliche Überreste
ausscheidet, nur neue Beweise für die Wahrheit der einfach
grossen Erzählung der Genesis liefert.
Was Cuvier im vorstehenden sagt, ist mit der nötigen
Einschränkung auf Ägypten („Toten-Buch**), Babylon und
Assyrien („Schöpfungsepos", „das Gesetz des Hammurabi** usw.),
auch noch jetzt im ganzen und grossen festzuhalten.
Nun liefern die assyrisch-babylonischen Keilschriften,
welche der Abfassung der fünf Bücher Moses vielleicht um
mehrere Jahrhunderte vorausgehen, gerade in ihrem bedeutend
höheren Alter, das sie der Uroffenbarung noch näher rückt,
eine glänzende Bestätigung für die Wahrheit der hl. Schrift,
weil sie unabhängig von ihr entstanden sind. Wie Prälat
Kaulen sagt, enthält die älteste Literatur Babylons die Ur-
offenbarung in heidnisch entstellter Weise zwar, aber doch so
deutlich, dass sie noch zu erkennen ist.
Wenn nun der Pentateuch gemäss der Zeit seiner Ent-
stehung zu den ältesten Büchern der Welt gehört, so ist er
der Natur der Dinge nach, welche er erzählt, das erste Buch
der Welt.
Die heiligen Bücher des Orientes, Ägyptens, Griechenlands
haben alle miteinander einen vorherrschend nationalen Charakter.
Das Vaterland verschlingt dort alles: Erde und Himmel, die
Geschichte der Menschen und Götter.
Ähnlich verhält es sich mit den Geschichtsbüchern des
heidnischen Altertums, Die Geschichtschreiber, welche uns
mehr oder minder umfassende Geschichten hinterlassen haben,
haben die Einheit des Menschengeschlechtes und folglich die
Einheit der Weltgeschichte völlig aus dem Auge verloren und
vergessen.
Sie waren nicht imstande, die verschiedenen Zweige der
Völker und ihrer Geschichte^ wie es die Genesis tut {y^ Völker-
Tafel^^ der Genesis c. X. und XL), mit ihrem gemeinsamen Stamme
und dessen Wurzel su verbinden. Sie Hessen das grosse Bild
der Zerstreuung der Menschen und des Ursprunges der verschie-
denen Völker, worüber Moses allein Licht verbreitet, in völligem
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- 76 ^
Dunkel (Genesis c. XI., v. S sqq.). Sie haben den Faden ver-
loren, welchen uns die Bibel an die Hand gibt, und an dem
wir, ohne uns zu verirren, das Labyrinth der Zeiten durch-
wandern können.
Herodot macht Griechenland zum Mittelpunkte. Der Erste,
welcher mit den Griechen in Begehungen trat, war Krösus,
der König von Lydien; daher die Geschichte dieses Königs und
seines Volkes. Krösus wurde besiegt durch Cyrus, den König
der Perser; daher die Geschichte des Cyrus, der Perser und
Meder, Kambyses, der Sohn des Cyrus, fiel in Ägypten ein;
daher die Geschichte Ägyptens und seiner Nachbarländer:
Äthiopien und Lybien. Darius, der Sohn des Hystaspes und
Nachfolger des Kamb3'^ses, bekriegte die Skythen; daher die
Geschichte der Skythen und Indier. Darius und sein Sohn
Xerxes drangen in Griechenland ein; daher eine sehr genaue
Geschichte der griechischen Völker und ihrer Sitten — das
ist der Plan des Herodot.
Diodor von Sisilien^ vierhundert Jahre nach Herodot, unter
der Herrschaft des Cäsar und Augustus, schrieb eine allgemeine
Geschichte in 40 Büchern. Die 3 ersten handeln von den alten
Geschichten der Barbaren: die 3 folgenden von denen der
Griechen bis zum trojanischen Kriege; die dann folgenden 11
Bücher beschreiben die Zeiten bis zu Alexander dem Grossen;
die 23 letzten Bücher gehen von da an bis 60 Jahre v. Chr.
Was die Zeit vor dem trojanischen Kriege betrifft, so sagt er,
dass man hierüber nichts Sicheres wissen könne, da keine
einzige authentische Urkunde aus jener Zeit vorhanden sei.
Er rechnet vom trojanischen Kriege bis zur 180. Olympiade,
oder dem 60. Jahre v. Chr., 1128 Jahre; das würde diesen
teils mythischen teils geschichtlichen Krieg ungefähr in die
Zeit Jephtes, des Richters in Israel, verlegen. (Cf. im folgen-
den die Parallele zwischen Iphigenia, Tochter des Agamemnon,
und der Tochter des Jephte.) Die Geschichte Diodors nimmt
daher nach der eigenen Erklärung ihres Verfassers für die
ältesten Zeiten keine Glaubwürdigkeit in Anspruch.
Trogus PompejuSy ein Gallier von Geburt, hat gleichfalls
unter Augustus eine Art von Weltgeschichte geschrieben; es
ist aber nur ein kleiner Auszug davon durch lustinus auf uiis
gekommen.
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— 77 —
Appiaffy ein Grieche aus Alexandrien, hat zwei Geschichts-
werke verfasst, welche in gewissem Sinne als allgemeine
Geschichte bezeichnet werden können. Die eine begann mit
dem trojanischen Kriege und endete mit der Zeit Trajans,
unter dessen Regierung er lebte; die andere umfasste die
Geschichte aller Völker, welche die Römer sich unterworfen
hatten. Wir besitzen von dem einen, wie von dem anderen,
nur einzelne Bücher. Die übrigen Geschichtschreiber, welche
ganz oder teilweise auf uns gekommen sind, haben nur
Partikular-Geschichien geschrieben. Xenophon das Leben des
Cyrus; Arrian und Quintus Curtitis den Eroberungszug Alexan-
ders des Grossen ; Thukydides den ungefähr 30 jährigen Krieg
zwischen Athen und Sparta, welcher unter dem Namen des
poloponnesischen Krieges bekannt ist. Livius und Dio Cassius
schrieben eine römische Geschichte von dem Ursprünge Roms
bis auf ihre Zeit; ersterer unter Caesar Augustus, letzterer
unter Alexander Severus; Dionysius von Halicarnassus die
Altertümer dieser Geschichte; Polyhius die Periode vom An-
fange der punischen Kriege bis zum Ende des macedonischen
Krieges; Sa//«s//^s zwei einzelne Ergebnisse: die Verschwörung
des Catilina und den Krieg mit Jugurtha. Julius Caesar die
Denkbücher seiner eigenen Kriege; Suetonius die Lebens-
geschichte der zwölf ersten Kaiser; Tacitus die Geschichte der-
selben und noch einiger anderen. Hierzu kann man noch den
Sträbo rechnen, welcher am Beginne der christlichen Zeit-
rechnung (t 24 n. Chr.) eine geschichtliche Geographie der
damals bekannten Welt verfasste, und PausaniaSy welcher
2 Jahrhunderte später eine wissenschaftliche Reise in Griechen-
land beschrieben hat. (Cf. Rohrbacher „Historie universelle*' I., 20.)
Man sieht, die Schriftsteller des heidnischen Altertums
erzählen die Geschichten der Völker und ihrer Herrscher. Moses
allein berichtet die Geschichte^ und zwar die Urgeschichte der
ganzen Menschheit y und, nachdem er uns bis zur Quelle des mäch-
tigen Stromes der Generationen zurückgeführt hat, zeigt er uns
noch das gewaltige Schauspiel der Zerteilung seiner Wasser
(Genesis c. XL, v. 8 sqq.). Durch die Genesis allein sind wir im-
stande (wie die Völkertafel c. X. und XI. beweist), mit Sicherheit
zu unterscheiden, was von den Mythen der Ägypter, Indier
und Chinesen usw. über ihre Ursprünge geschichtlich ist.
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 7
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- 7« -
Die ganze Bibel, dieses in all seinen Gliedern vollkommen
harmonische Ganze, von welchem die Genesis die Grundlage
ist, enthüllt uns sofort auch den ganzen Weltplan Gottes in
der Ordnung und Abfolge der Jahrhunderte; sie zeigt uns die
wunderbare Einheit dieses Planes, indem sie uns jenes Band
offenbart, durch welches die Geschlechter und Zeiten an Den
geknüpft sind, der sie erschuf in seiner Macht (Ad Hebr. 1, 2),
sie regiert in seiner Weisheit (Ad Hebr. 11,3), sie erlöste in
seiner Schwachheit („Qui creavit nos virtute sua, et redemit nos
infirmitate sua" S. Augustinus), und sie richten wird in seiner
Herrlichkeit (Apocal. I, et alibi). Die Schöpfung, die Erlösung,
das Gericht, sind der Anfang, die Mitte und das Ende der
Zeiten und ihrer Geschichte, Daniel hat im Voraus prophetisch
(II., 31 sq.) die Reihenfolge der Weltreiche und die allgemeine
Hinbewegung der Welt zur ersten Ankunft des Erlösers und
dem geistigen Weltreiche geschildert, durch welches das Reich
der Gewalt überwunden werden wird; und fohannes (Apocal.
XII., 3 sq.) beschreibt im voraus die Kämpfe der Kirche gegen
die feindlichen Gewalten bis zu jenem Tage, an welchem allem
Kampfe ein Ende gemacht wird durch die Ankunft des unsterb-
lichen Königs der Zeiten und der Ewigkeit. (Apocal. XIX., 11 sq.)
So ist die Bibel das erste aller geschichtlichen Denkmale,
nicht bloss durch das Altertum des Pentateuch, welcher ihre
Grundlage bildet, sondern auch durch die Erhabenheit, die
Tiefe, den Reichtum und die majestätische Einheit ihres Inhaltes.
Gott, der Herr, hat seinen hl. Schriften ein Merkmal vorbehalten,
welches keinen Einwand duldet: es ist die Wechselbeziehung
der beiden Testamente zueinander. Niemand kann bestreiten,
dass das alte Testament lange vor dem neuen geschrieben worden
ist. Mehr bedarf es nicht. Durch die Vergleichung nämlich
beider Testamente wird der Beweis geführt, dass sowohl das
eine, als auch das andere einen göttlichen Charakter besitzt : sie
haben beide denselben Zweck und denselben Verlauf; das eine
bereitet die Vollendung vor, welche das andere uns zeigt und dar-
legt; das eine legt die Grundmauern, das andere führt das Gebäude
auf; kurz, das eine enthält in der Vorhersagung, was das andere
als erfüllt uns darstellt. So sind alle Zeiten in Einem Garnen
vereinigt, und es ist ein ewiger Plan der göttlichen Vorsehung uns
enthüllt. Ein solcher Zusammenhang in Wort und Tat, zwischen
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— 79 -
Vorbild und Erfüllung, übersteigt jedes menschliche Können
und Ersinnen. Es kann nur die Folge sein von einer gött-
lichen Führung in der Geschichte, wie in der Geschicht-
schreibung ; nur das Werk einer Weisheit, welche über allen
Zeiten, einer Allmacht, welche über allen Menschen waltet.
Hierin liegt das unmittelbare Gotteszeugnis für die Wahrheit des
alten und neuen Testamentes als Schriften aus und nach dem
Geiste Gottes. (Cf. Bossuet „Discours sur l'histoire universelle'*
part. II. in fine; und „Libre examen de la v6rit6 delafoi" und
„Christ et les Antichrists** par Msgr. Tabb^ V. Dechamps.)
Im vorhergehenden Teile, Seite 56 (11. Aufl.) haben wir
gesehen, dass die Geschichte der alttestamentlichen Offen-
barung zugleich auch die Geschichte Israels selbst ist. Dieses
Volk hatte nun den Beruf, mit allen Kultur-Perioden und Kultur-
Systemen der ganzen alten Welt in gewisse Beziehung zu
treten. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass, wie die Israeliten
die Mythologien und den Götzendienst der heidnischen Völker
kennen lernten und zuweilen sogar nachahmten; so auch die
Heiden ihrerseits durch die vielfache Berührung mit dem
Bundesvolke eine Kunde von den biblischen Offenbarungen
und religiösen Gebräuchen desselben erhielten, und daher
manches von diesen Einrichtungen für ihre eigenen Zwecke
verwendeten *).
An der Hand der Ur-Offenbarung nämlich, welche ein
gemeinsames Erbgut aller Völker bei der Trennung auf der
Ebene von Sennaar bildete (Genesis c. 11), und die in bezug
auf ihre allgemein gültigen Bestandteile durch die mosaische
Gesetzgebung nur ihre zweite Verkündigung fand, war für
die Heiden ohnehin schon das Interesse und ein Verständnis
für die hl. Schriften des jüdischen Volkes nahe gelegt. Sie
lernten sich aber gegenseitig genauer kennen, als die Nach-
kommen Abrahams 430 Jahre zu Ägypten im Lande Gosen
wohnten, und später lange Zeit in den grossen Residenz- und
1) Cfr. libri Exodi c. 20, i — 6; c. 32, libri Regum III., c, 16, 29 — 34;
c, 17 und c. 18, 18 — 46; Proph. Baruch c. 3, c. 4, c. 6; 1. II. Machabaeorum
c. 4, 19 — 21 ; c. 6, 2 — 9; I. Ep. ad Tim. c. i, 4; ad Titum c. 3, 8; vgl.
auch S. 62 dieses Buches (II. Aufl.); Comelii Taciti „Historiarum" 1. V.,
c. 4 und 5.
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Handelstädten: Ninive (722—536), Babylon (606—536), Ekbatana
und Susan als Gefangene weilten und teils für immer dort
zurückblieben (Buch Esther), schliesslich aber in der weltge-
bietenden Roma (cf. Ciceronis oratio pro Flacco c. 37, § 66 sq.),
sowie in allen Provinzen des gewaltigen Römerreiches in
grosser Anzahl sich dauernd niederliessen. (Cf. Philonis Judaei
^Legationis ad Cajum" § 23.) Inzwischen waren die hl. Schriften
des alten Testamentes zu Alexandrien (ca. 280 a. Chr.) in die
griechische Weltsprache übersetzt worden und hierdurch der
ganzen gebildeten Menschheit zugänglich gemacht. Unter
diesen Verhältnissen konnte es sehr leicht geschehen, dass die
Heiden sich Abschriften von der jüdischen Thora verschafften
und demgemäss in dem Kultus ihrer Götter manches nach-
ahmten, was im Gesetze Mosis als Dienst des wahren Gottes
anbefohlen war. (Cf. Cornelii Taciti „Historiarum" 1. V., c. 4 sq. ;
Actus Apostolorum c. 7, 22.) Auch wussten die Juden recht
gut, dass Personen und Tatsachen aus der hl. Schrift, sowie
Lehren und Geheimnisse aus der Offenbarung zu Göttersagen und
Dämonendienst, sogar zu heidnischen Festen verkehrt wurden.
Es berichtet z. B. Plutarch ^Symposiaca" 1. IV. c. 6.: „Das
grösste und vollkommenste Fest der Juden („Laubhüttenfest")
stimmt in der Zeit und in der Art und Weise seiner Feier
mit den griechischen Bacchus-(Dionysus)-Festen überein . . .;
auch wohnen sie in Zelten usw."- Vgl. hierüber im II. Teile.
Von den Festgebräuchen der Juden sagt Tacitus 1. c. : Hi (Ju-
daeorum ritus quoquo modo inducti antiquitate defenduntur,'^
Die Religionsübungen der Juden, mögen sie auch aus zufälligen
Gründen veranlasst sein (wir wissen: libri Exodi c. 23, 14 sq.;
1. Levitici c. 25, 2 — 22), haben jedenfalls ein hohes Alter für
sich. Unstreitig geht die Gesetzgebung auf Sinai mit der
Verkündigung der jüdischen Festordnung den religiösen Ein-
richtungen der Griechen um mehr als 500 Jahre voraus.
Wenn nun dieselben mit den jüdischen Gebräuchen so auf-
fallend übereinstimmen, wie die Bacchus- Dionysus- und Eleu-
sinischen Feierlichkeiten, so sind sie gewiss auf diese als ihre
Vorbilder zurückzuführen. Das Genauere hierüber wollen wir
im zweiten Teile dieses Buches ausführen. Im ersten Buche der
Machabäer (c. 3, 48) findet sich eine Bestätigung für unsere
Auffassung : Kai dgeTr^xaaav tö ßißXiov toö vÖ|liou irepi div dgripcuvujv
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— 8r —
TQ fevn Tot ÖMoiuüjiaTa toiv eiJ)u)Xu)v auxtüv Et expanderunt
Judaei libros legis, de quibus scrutabantur gentes similitudinem
simulacrorum suorum. „Die Juden schlugen die Bücher ihres
Gesetzes auf, in welchen die Heiden eifrige Durchsuchungen
anstellten, um Vorbilder für ihre Götzen bu gewinnen^ i).
In Nachstehendem wollen wir einige Studienfrüchte dieser
Art vorlegen, in der Hoflfnung, dass dieselben sachlich geprüft
und erweitert werden mögen. Es genügt, wenn sie als be-
scheidenes Material zur Lösung dieser so wichtigen Frage
dienlich sind; denn, wo noch soviel Dunkel herrscht^ muss
jeder Lichtstrahl uns willkommen erscheinen. Wie Rohrbacher
(„Universal-Geschichte der katholichen Kirche" III., S. 376 f.)
bemerkt, kann man bei tieferem Eindringen in die fragliche
Angelegenheit sich tiberzeugen, dass bei den klassischen Dichtern
des Altertums, je älter sie sind, sprachlich, in bezug auf Sitten
und Gebräuche auch sachlich die Verwandtschaft mit den bib-
lischen Büchern sich mehrt.
^) Prof. Keil bemerkt in seinem Kommentare zu dieser Stelle, die-
selbe müsse ursprünglich wohl anders gelautet haben, weil die Heiden das
Judentum hätten vernichten wollen, und eine Entlehnung von Vorbildern
aus der hl. Schrift keine Entweihung derselben gewesen wäre, welche doch
vom Context verlangt werde.
Hierauf ist zu erwidern, dass die Heiden allerdings die Absicht
haben konnten, das Judentum auszurotten, und dennoch das ihnen Nütz-
liche und Wertvolle aus demselben für ihre Zwecke zu bewahren suchten
(Vorbilder für ihre Götzen).
So z. B. nahmen die Philister die in ihre Hände gefallene Bundeslade
der Israeliten und stellten dieselbe, ohne sie zu vernichten, im Tempel ihres
Götzen Dagon auf. (Cf. I. Regum c. 5, 2.) Desgleichen Hess der König
Nabuchodonosor alle Geräte aus dem Tempel zu Jerusalem wegbringen
und im Tempel seines Gottes zu Babylon aufbewahren. (Cf. II. Parali-
pomenon c. 36, 7.) — In ähnlicher Weise haben die Christen des 5. Jahr-
hunderts unter Papst Leo dem Grossen (440—461) die Statue des Juppiter
aus dem Tempel auf dem Capitolium entfernt und aus dem Material (Erz)
desselben das noch in der Peterskirche befindliche Standbild des Apostel-
fürsten herstellen lassen. Das Heidentum musste gewiss fallen; aber die
brauchbaren Stoffe aus demselben wurden für höhere Zwecke verwendet.
Wenn aber die Heiden aus den biblischen Heldengestalten sich
Vorbilder für ihre Götzen auswählten, so war damit objektiv, wegen der
nachfolgenden Anbetung derselben, immerhin eine Entweihung verbunden.
(Cf. 1. Exodi c. 20, 4 — 6; ferner: Libri Sapientiae c. 14, 8 — 12.)
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— 82 —
Wir teilen unsere Arbeit so ein, dass an erster Stelle wir
Tatsachen und Personen, und an zweiter Stelle wir Aussprüche
der hl. Schrift mit denen der Klassiker vergleichen.
Die gegenseitigen Beziehungen nun zwischen Judentum
und Heidentum, welche wir im Vorhergehenden wahrgenommen
haben, lassen sich unschwer auf die Vorwort Seite XX an-
gegebenen Kategorien zurückführen.
1. Nach Prof. Weiss (Braunsberg) und Reischl (München)
hat Moses in seinem Werke gewisse Anklänge an die ägyptische
Sprache und hat Daniel einige chaldäisch geschriebene Kapitel ;
auch ist sein ganzes Buch stark chaldäisch-mundartlich gefärbt.
Die Schriften des alten Testamentes wurden später zu Alexan-
drien in die griechische Weltsprache übertragen (vgl. S. 80).
Hierin lässt sich ein literarischer (sprachlicher) Einfluss auf das
Schriftentum Israels erkennen. Man vergleiche die Septuaginta
und ihre Schreibung der biblischen Namen. (Kategorie I.)
2. Die Heiden besassen noch Teile der Ur-Oflfenbarung,
welche ihnen mit dem Volke Israel gemeinsam war. (II. Kate-
gorie: stoffliche Beziehung.)
3. Nach dem Referate der hl. Schrift (cf. I. Machabaeorum
c. 3, V. 48) nahmen die Heiden biblische Begebenheiten, Feste
und Personen als Vorbilder in ihren Kultus auf. Vgl. S. 80
(Kategorie III.: Beeinflussung in religiöser Beziehung).
Auch die Juden eigneten sich mitunter heidnische Sitten
und Gebäuche an; sie überwanden aber stets wieder diese
Abweichungen vom Gesetze Moses. (Cf. S. 79.)
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I. Tatsachen und Personen der hl. Schrift.
1. Die Schöpfung.
„In omnem terram exivit sonus eorum: et in fines
orbis terrae verba eorum." Ps. i8, 5.
„Über die ganze Welt ist ausgegangen ihr Schall,
und bis zu des Erdballs Grenzen ihr Wort."
Das Sechstagewerk der biblischen Schöpfungsgeschichte
ist bei den glänzenden Zeugnissen, welche die neuen Forschungen
und Entdeckungen der Wissenschaft von allen Seiten für dessen
historische Wahrhaftigkeit ergeben, in unserer Zeit der Gegen-
stand einer ganz besonderen Aufmerksamkeit geworden. Die
Wissenschaft der Geologie feiert darin ihren höchsten Triumph,
dass die Früchte ihrer Arbeit als ebensoviele unumstössliche
Belege zur weiteren Beglaubigung der biblischen Urkunde zu
dienen geeignet sind. Indem die geologische Wissenschaft in
die Schichten der Erde eindringt, dieselben zergliedert und durch-
forscht, weckt sie die Urwelt mit ihren Bildungs-Prozessen und
Geschöpfen aufs neue zum Leben; sie lässt nicht nur die
Steine, sondern das ganze irdische Dasein, welches zuerst die
Gräber unserer Erde ausgefüllt hat, für die göttliche Offenbarung
zeugen und reden, und vermittelt dadurch für die innere Wahr-
heit des mosaischen Schöpfungsberichtes einen vollständigen
Beweis aus der tatsächlichen Wirklichkeit unseres Erdballs.
Was die Geologie für die innere Wahrheit der biblischen
Schöpfungsgeschichte darstellt, das leisten die mythischen Über-
lieferungen aus der Urzeit für deren äussere Wahrheit. Und
die Übereinstimmungen der heidnischen Mythologien mit der
Offenbarung Gottes in diesem Punkte beweisen, dass die Offen-
barung in der Vorzeit einmal ein Gemeingut der ganzen
Menschheit gewesen sein muss. {Ur-Offenharung.) Aus dem
besonderen Wortlaute ihres Inhaltes aber lassen überdies die
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heidnischen Mythen leicht erkennen, dass sie selbst nur Bruch-
stücke der ursprünglichen und gemeinsamen Kunde fortpflanzen
(cf. Aristotelis „Metaphysicae" 1. XII., c. 8 in fine; p. XIII
dieses Buches), und bloss abgerissene Teile des biblischen Ganzen
sind. Ausserdem erscheinen sie noch mit vielfachen Zutaten
und Ausschmückungen verbunden, wie dieselben hier und dort
eine dichtende Phantasie erfunden haben mag. Daher wäre es
verkehrt, wenn man in den diesbezüglichen heidnischen Sagen
die reinen christlichen Begriffe und die vollständige Wahrheit
wiedei*finden wollte, da sie ja nur einzelne und dazu noch ge-
trübte Erinnerungen an dieselbe erhalten und mitteilen konnten.
Im Avesta der Perser werden 6 Festtage zum Andenken
an die 6 Schöpfungstage angeordnet. Es wird erzählt, der
Lichtgott Ormuzt habe am 1. Tage den Himmel, am 2. das
Wasser^ am 3. die Erde, am 4. die Bäume, am 5. die Tiere
und am 6. den Menschen erschaff*en und alles vollendet. (Vgl.
Luken „Traditionen**, S. 46 f.)
In einem alten Commentare zu Mattus Gesetzbuchs) wird
gesagt: durch den Hauch Gottes entstand zuerst das durch-
sichtige Firmament, welches die Erde umgibt. Aus Grund und
Feuchtigkeit bildete derselbe hierauf eine Kugel, an welcher
die festen Teile das trockene Land, und die flüssigen das
Meer darstellten. Diese Kugel setzte er sodann in den Mittel-
punkt des Firmamentes, von allen Seiten gleichweit abstehend.
Jetzt schuf er eine Sonne und einen Mond am Firmamente,
um die Tages- und Jahreszeiten zu unterscheiden. Nachdem
nun die Elemente gesondert waren und ihre passende Stelle
eingenommen hatten, fingen sie sogleich an, wirksam zu sein:
die Luft erfüllte den leeren Raum; das Feuer durchdrang
alles mit seiner Wärme; die Erde und das Meer brachten
Tiere hervor, jedes nach seinem besonderen Vermögen. Gott
gab den Tieren auch die Fähigkeit, dass sich jede Art von
selbst fortpflanzen, konnte. Endlich bildete Gott noch den
Menschen, das vorzüglichste unter seinen Geschöpfen. Wie
s) Menü (besser Manu) ist der Sohn des Brahma (Stammvater der
Menschen bei den Indem); nach ihm wird das indische Gesetzbuch be-
gannt, welches im 5. Jahrhundert vor Christus verfasst wurde und alle
bürgerlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen bei den Hindus bestimmt.
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- 85 -
Luken hierzu bemerkt, sollte man fast glauben, als habe die
Bibel jenem Verfasser zur Grundlage gedient. Die Vedas der
Inder, die ägyptische und etruskische Kosmogonie, sowie die
germanische Mythologie enthalten ähnliche Darstellungen.
Die lateinische Kosmogonie bei Ovidius Naso ist wohl die
schönste und würdigste, welche uns das klassische Altertum
und der heidnische Orient hinterlassen haben. Einfach und
klar, grossartig und erhaben beginnt die Erzählung, dass jeder
ihr mit Vergnügen folgen muss. (Vgl. Baumgartner „Welt-
literatur" III. Band, S. 489 f. ; 3. und 4. Auflage, Freiburg 1902.)
Derselben geht die griechische Theogonie des Hesiodus voran,
welcher mit Homer zu den ältesten Dichtern gerechnet wird,
während Ovid das Zeitalter des Kaisers Augustus erlebte
(t 18 nach Christi Geburt). Von Hesiod sagt Brucherus (cf. Bern-
hard Zamagna „Opera Hesiodi", Parmae 1785, Einleitung S. 24 f.) :
Theogoniae Hesiodi haec videtur fuisse summa: Praeter
Deum chaos producens, sive Chaos deum in se continens, initio
nihil omnino exstitit aliud ; adeoque in deo sive in universo
cuncta latuerunt. lUud autem vi sua agitatum infudit amovem,
ut homogenea sociarentur, separerentur heterogenea. Qui motus
sive amor, quum e sinu dei profectus esset, et ratione et sapientia
plenus fuit. Ita materiae mole agitata, ascenderunt levia, gra-
viora descenderunt in tartarum. Idcirco nocte discussa, ex
levioribus aether atque lux emicuerunt, ex quibus Astra pro-
dierunt; ex gravioribus Terra montesque exstiterunt. Terra
autem Coeloque Pelagus prognatum est exhalationibus atque
imbribus in se decidentibus, divinae mentis vestigia hisce omnibus
mundi partibus conservantibus communicata. Hinc ex coeli
terraeque conjunctione profecti sunt homines, animalia ratione
praedita, quorum primi maximique numinis insidentis vim
magnam hauserunt, qua instructi beneficiis et inventis utilissimis
genus humanum ita sibi devinxerunt, ut post imperia condita
mortalitatemque positam ad sedes divinas reversi divino honore
a populis digni haberentur. Deorum autem ita factorum gene-
rationem latius explicat Hesiodus. Quae de Diis opiniones a poetis
magisque fraudulentis fabulis monstrosis adeo obscuratae sunt,
ut quae ad religionem pertinebant, ea omnia caligine obducerentur.
Folgendes ist der Hauptinhalt von der Theogonie des
Hesiod. Ausser der Gottheit, welche das Chaos hervorbrachte,
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— 86 —
oder dem Chaos, welches die Gottheit in sich schloss, war im
Anfange aller Dinge überhaupt nichts vorhanden; so dass, sei
es in der Gottheit, sei es im UrstofF, alle Dinge verborgen
waren. Das Chaos nun, durch eigene Kraft in Bewegung
gesetzt, brachte die Liebe hervor („der Stoffe Gewalt, der Mag-
nete Lieben und Hassen'*: Schiller); so dass die gleichartigen
Teile sich verbanden, die ungleichartigen sich aber voneinander
schieden. Diese Bewegung nun, oder Liebe, ging von dem
Herzen der Gottheit aus, und war mit Vernunft und Weisheit
begabt Infolge der Bewegung der ganzen Materie stiegen
die leichteren Stoffe in die Höhe, die schweren senkten sich
in die Tiefe. Hierdurch wurde die Finsternis verscheucht, und
aus den leichteren Massen strahlte der Äther (= die feuerige
Luft-Region) und das Licht auf, aus welchen die Gestirne
hervorgingen; aus den schwereren (gröberen) Massen bildete
sich die Erde (= das feste Land) und die Berge. Erde und
Himmel aber gaben dem Meer sein Dasein; indem die Aus-
dünstungen des festen Landes in die höheren Luft-Regionen
sich erhoben, zu Wassertropfen sich daselbst verdichteten und
sodann in gewaltigen Regengüssen niederstürzend, das Meer-
wasser bildeten. Alle diese Grundstoffe (Elemente): Feuer,
Erde, Luft und Meer gingen aus Gottes Hand hervor und be-
wahrten die Spuren seiner Tätigkeit. Aus der Verbindung
der Erde mit dem Himmel (Leib und Seele) entstanden die
Menschen, welche mit Vernunft begabte Geschöpfe sind. Die
ersten und vorzüglichsten derselben hatten einen grossen Anteil
an der göttlichen Weisheit und Kraft, vermöge deren sie sich
ihre Mitmenschen durch Wohltaten und nützliche Einrichtungen
sehr verbinden konnten. Auch schufen sie geordnete Staats-
wesen und kehrten nach ihrem Hinscheiden zu den himmlischen
Sitzen zurück. Die Völker aber hielten sie für Götter und
ehrten sie in entsprechender Weise. Dieses beschreibt nun
Hesiod sehr ausführlich. In der Zeitenfolge haben Dichter und
betrügerische Magier die (so gewonnenen) Vorstellungen von
den höchsten Wesen durch mancherlei abenteuerliche Fabeln
entstellt, so dass die Gottesverehrung ihre klaren und festen
Begriffe verloren hat. Theogoniae v. 104— 135:
Xaipeie icKva Aiöq boxe b' iiaepöecycTav doibriv
KXeiete b' aOavätiuv iepöv fivoq alfcv döviuüv,
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- 87 -
Ol rfi? iiifevovxo kqi Oöpavoö dcTTepoevToq,
NuKTÖ^ Ktti bvocpepfi^, b\)<; G' dXjiupö? fipecpe TTövto^'
EiTrare b' \hq id TrpuJTa Gcoi xai taici t^vovto,
Km TTOTtt^ioi, Kai ttövto^ direipiaxo^ oibjiaTi 6uu)v
"AcTtpa T€ \a|LnT€TÖujVTa, xai oOpavö^ eupuq uirepGev,
Ol t' dK TUüv dT^vovTO Geoi buüTfjpe^ dduüv •
"Qq T ä(pevo^ bdcTCJavio, xai ib^ Ti|Lidq bieXovro,
'Hbfe Ktti dj(; td TTpAia ttoXutttuxov äcxov ''0\\J^7^ov•
TaOid luioi laneie MoOcrai ö\u|iTria buü^aT' ?xo^<Jcti,
'EH dpxn^, Km emaG' öti irpiÖTOv T^ver' aÖTiöv
''Hioi \xkv TTpu)Ti(TTa Xdo(; T^ver' aurdp ^Treita
Tai €upü(yT€pvo(;, irdvxujv iboq dcTcpaXe^ dci
'AGavdTUiv, ä ?xo^^i ^«PH vicpoevio^ 'OXujiTrou,
Tdpiapa t' iiepöevia ^uxtu xöovö(; €upuob€iii(;,
'Hb' "Epoi;, bq KoKkiaioq dv dGavaioicTi Geoiaiv,
Auai|Li€Xf)^, TrdvTUiv t€ Gewv, Trdvxuüv b' dvGpiDiriDV
Ad^vaTm ev aTriGecTCTi voov Km eiricppova ßouXriv
'Ek Xdeo^ b' 'Epeßö^ xe lueXaivd te NöH ifivovTO .
fma be xoi Trpujxov dteivaxo icTov dauxq
Oupavöv dcTxepöevG', lva^€v trepi Trdvxa KaXÜTrxor
''Ocpp' €iTi jittKapecrcyi Gcoi^ &>oq aacpdkeq dei*
feivaxo b' oöpea ^aKpd, Geiliv x«pi^vxa^ dvauXou^
Nu^i(pdu)v, ai vaiouaiv dv* oöpea ßricrarievxa,.
'H be Kai dxputexov TTdXaTO(; x^Kev dbiuaxi Göov
TTövxov . . . Koiövxe, KpeTöv G' ''YTrepiovd x' 'lairexöv xe* k. x. X.
Salvete o Nymphae dium genus et mihi dulce,
Quäle decet divas, faciles concedite carmen;
Aeternoque aevo superos vitaque fruentes
Dicite, qui Terra, qui Coelo, et Nocte nigranti,
Fluctibus et salsis cepere exordia vitae.
Dicite, ut exorti primum sint; ut sola, et amnes,
Caerulaque undanti late ferventia motu,
Lucentesque ignes astrorum, et fulgidus aether
Exstiterint: ex his qui nati cumque bonorum
Auetores divi, qua se inter munera lege
Distinxere, polique alta sunt arce potiti.
Haec mecum vos, o superum, coelestia templa
Quae Colitis, memorate, et prisca ab origine mundi
Quid fuerint primum e cunctis evolvite Musae,
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— 88 —
Principio ntagnum Chaos exstiiit, almaque deinde
Terra domus sedesque deum secura; quot alti
Immortale agitant aevum per culmina Olympi
Tartaraque immenso subter tenebrosa recessu,
Atque Amor ille deos inter pulcherrimus omnes,
nie graves curas abigens, hominumque deumque
Imperio subigens prudentem in pectore mentem.
Nigra Chao sata Nox, Erebusque: at maximus Aether,
Atque dies e Nocte sati, quos edidit ipsa.
Terra autem genuit Stellis ardentibus aptum
Coelum, quo fuso tegeretur desuper omnis,
Ac sua firmarent stabiles vestigia divi.
Praeterea Montesque altos gratissima nymphis,
Quae juga, quae saltus habitant, tecta; atque profundi
Progenuit Pelagi, refluentibus aequora rivis
Et Pontum . . . Caeumque, Creumque, Hyperionaque,
Japetumque. . , "
Auf denn, Töchter Kronions, gewähret holdlieblichen Sang mir,
Singet den heiligen Stamm der unsterblichen ewigen Götter,
Die aus der Erde entsprossen und auch dem sternigten Himmel,
Und aus düsterer Nacht, genährt von der salzigen Meeresflut.
Kündet mir, wie im Beginne die Götter und Erde entstanden.
Auch die Ström' und das Meer, das da brauset in ewiger
Brandung,
Leuchtende Sterne und drüber des Himmels unendliche Wölbung,
Und, die von ihnen entsprosst, die Geber holdseliger Güter;
Wie sie geordnet das Reich, und jegliche Ehren verteilet.
Wie sie bewohnt zuerst den talschluchtreichen Olympos:
Dieses verkündet mir Musen, Olympische Räume bewohnend.
Vom Ursprünge, und sagt, was einst von jenen zuerst war!
Also von ihnen war Chaos^ aber nach diesem
Wurde die weit sich dehnende Erd\ den Ewigen allen
Sicherer Sits, die bewohnen die Höh'n des beschneiten Olympos,
Tartarus' finsterer Pfuhl in den Tiefen der räumigen Erde,
Eros auch, der da ist der unsterblichen Götter der schönste;
Mild auflösender Kraft, dämpft allen den Göttern und Menschen
In der Tiefe der Brust er den Geist und verständigen Entschluss.
Erebos aber entspross vom Chaos, die dunkele Nacht dann;
Und von der Nacht entkeimten der Äther undHemera's Lichtglanz.
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^ 89 -
Darauf die Erde zuerst nun hervorging, und ähnlich sich
selber,
Sternengewölbe des Himmels, damit er sie gänzlich bedeckte,
Und ein dauernder Sitz der Götter, der seligen wäre.
Auch die ragenden Berge, der Nymphen erfreulicher Wohnsitz,
Die in den waldigen Schluchten und ragenden Höhen einher-
gehen,
Und das tosende Meer mit der brandenden Welle begabt . . .
Ferner entsprosste dem Himmel vereint des Okeanos Sprudel,
Köos und Kreios, sodann Hyperion, Japetos auch, usw.
Die Theogonie des Hesiod hat den Zweck, eine Erklärung
von der Schöpfung der Welt, der Erde und der auffallendsten
Naturerscheinungen zu geben, alles aber in mythische Erzäh-
lungen eingehüllt.
In seinem Buche „de natura Deorum" 1. I., c. 10, n. 25 sq.
gibt Cicero eine geschichtliche Übersicht von den Anschauungen
der alten Philosophen über die Entstehung der Welt: Atque
haec quidem vestra, Lucili. (sententia). Qualia vero sint, quae
singuli statuerint, ita exponam, ut ab ultimo repetam superiorum.
Thaies enim Milesius, qui primus de talibus rebus quaesivit,
aquam dixii esse initium rerum, deum autem eam mentem, quae
ex aqua cuncta fingeret. Du hast nun deine Ansicht, o Luci-
lius, dargelegt. Was nun aber die einzelnen Philosophen auf-
gestellt haben, will ich so vortragen, dass ich mit dem letzten
der älteren Weisen den Anfang mache. Thaies nämlich von
Müet, welcher zuerst über solche Materien Forschungen an-
stellte, behauptete, das Wasser sei der Anfang aller Dinge;
Gott aber sei jenes geistige Wesen, welches aus Wasser alles
erschaffen habe.
Post Anaximenes aöra deum statuit, eumque gigni esseque
immensum et infinitum et semper in motu. L. c. c. 10, n. 26.
Hierauf stellte Anaimenes die Behauptung auf, die Luft sei Gott ;
derselbe habe einen Ursprung und sei unermesslich und un-
endlich und immer in Bewegung.
Inde AnaxagoraSy qui accepit ab Anaximene disciplinam,
primus omnium rerum discriptionem et modum mentis infinitae
vi ac ratione designari et confici voluit. L. c. c. 11. Nun folgt
AnaxagoraSy welcher das System von Anaximines übernahm,
sowie zuerst eine Auseinanderscheidung aller Dinge feststellte und
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das Wesen des unendlichen Geistes als aus Kraft und Denk-
vermögen bestehend bezeichnen wollte.
Cicero berichtet „Academicorum** 1. II., c. 36, n. 117 und
c. 38, n. 119: Non persequor quaestiones infinitas: Tantum de
principiis rerum, e quibus omnia constant^ videamus quem
probet \ est enim inter magnos homines summa dissensio.
Princeps Thaies, unus e septem, cui sex reliquos concessisse
primas ferunt, ex aqua dixit constare omnia,
Plato ex materia in se omnia recipiente mundum factum
esse censet a deo sempiternum ; Pythagorei ex numeris et mathe-
maticorum initiis proficisci volunt omnia. Veniet Aristoteles,
flumen orationis aureum fundens; qui illum desipere dicat:
neque enim ortum esse unquam mundum, quod nulla fuerit
novo consilio inito tam praeclari operis inceptio, etc.
Hier will ich keine endlosen Fragen behandeln : nur über
die Grundstoffe, aus welchen alles besteht, will ich seine Ansicht
vernehmen. Es besteht nämjich hierüber bei den Gelehrten
eine grosse Verschiedenheit. Thaies aber von Milet, der Fürst
derselben, einer von den sieben Weisen, dem die sechs übrigen
gerne den Vorrang zukommen Hessen, sagt: aus Wasser
bestehe alles, Plato nimmt an, die Welt sei von Gott als eine
ewige, aus einer alles in sich befassenden Materie erschaffen.
Die Pythagoräer aber behaupten, alles bestehe aus (gehe her-
vor) aus Zahlen, nach den ersten Lehrsätzen der Mathematiker.
Nun aber wird Aristoteles kommen und einen goldenen Fluss
der Beredsamkeit aufbieten, jener (Plato) habe Unsinn vorge-
tragen, denn die Welt habe niemals einen Ursprung gehabt,
weil, selbst bei verändertem Plane, ein Anfang sich nicht nach-
weisen lasse: so vorzüglich sei das Werk. Hierin aber irrt
Aristoteles, und sein Lehrer Plato kommt der Wahrheit näher.
Zusammenstellung.
Thaies von Milet, ein Zeitgenosse des Solon (594 a. Chr.),
der älteste der jonischen Naturphilosophen, stellte zuerst ein
Prinzip der Welt auf, nämlich: öbwp, d. i. das flüssige, das
Feuchte. Dieses, selbst lebendig und beseelt, ist der Grund
alles Lebens. Das Wasser^ die Materie, birgt in sich selbst
die lebende Kraft: Kraft und Stoff sind eins, Cicero irrt da-
her, wenn er behauptet, Thaies habe nach Art der Stoiker
das Wasser, die Materie, von einem Geist beherrscht sein
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— 91 —
lassen ; erst von Anaxagoras wurde der Geist (voO^ = mens) zur
Welterklärung benutzt. Derselbe, geboren zu Klazomenae
gegen 500 a. Chr., lebte lange Zeit zu Athen, wo er in einem
freundschaftlichen Verhältnisse zu Pericles stand. Nach ihm
ist es der voO^ = mens, der absolute, immaterielle Geist, welcher
die Materie ordnet, bewegt und beherrscht. Dass er diesen
Gott genannt habe, wird auch sonst berichtet.
Aus allen diesen mythologischen • und philosophischen
Anschauungen geht hervor, dass Gott nur der Bildner, nicht
aber, dass er Erschaffer der Materie sei. (Vgl. Diodori Siculi
„Bibliothecae Historicae** 1. I., c. 6 und 7.) Nach Ovid, über
welchen wir bald berichten wollen, „Metamoi-phoseon" 1. 1 , 5,
war vor dem Meere, dem Lande und dem Himmel zuerst das
Chaos (von x«ivuü) = der unermessliche» leere Raum; dann
besonders: die ungeordnete, verworrene Masse der Grundstoffe.
Woher das Chaos aber seinen Ursprung hatte, wird nicht
gesagt.
Nach Hesiod, vgl. oben, (9. Jahrhundert a. Chr.) war zu-
erst das Chaos, die weite Erde, und der finstere Tartarus im
Abgrunde der weiten Erde. . . . Aus dem Chaos entstand die
Finsternis und die schwarze Nacht; aus der Nacht kam der
Äther und der helle Tag. („Theogoniae" v. 116—124.)
Chaos, Finsternis und Licht erinnern an die mosaische
Darstellung. Zur leisten Ursache der Materie dringt auch
Hesiod nicht vor.
Anklänge an den biblischen Bericht finden sich auch bei
den ältesten Philosophen, deren Zeugnisse wir oben nach
Cicero wiedergegeben haben. Um sie nun kurz zu wieder-
holen: nach Thaies von Milet ist das Wasser, nach Anaxi-
menes die Luft, nach Pythagoras das Zahlensystem, nach
Plato eine ewige Materie der Grundstoff, aus welchem
das All hervorgegangen ist. Diese Anschauungen beweisen
zur Gentige, dass die Ur-Offenbarung über den Anfang alles
Geschaffenen sich nie ganz aus dem Andenken der Menschheit
verloren hat. Dem Ursprünge des biblischen Berichtes (Genesis
c. 1 und 2) stehen wohl die babylonischen Schöpfungs-Mythen
am nächsten, welche teils aus griechischen Schriftstellern, teils
aus originalen Dokumenten uns bekannt geworden sind. Die-
selben lassen aber deutlich erkennen, dass sie nur heidnische
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Unthilduftgen der ursprünglichen Offenbarung sind, in welchen
sogar der erschaffende Gott durch erschaffene Götter ersetzt
wird. (Cf. Kaulen „Der biblische Schöpfungs-Bericht**, Freiburg
1902, S. 2, 27 f.; ebenso: Dr. Lindl „Wissenschaft wie Kritik
der Neuzeit, und das alte Testament'*, München 1903.) Die-
selben haben das eigentümliche, schon aus den babylonischen
Targumim bekannte Verfahren, durch negative Schilderung
die „Öde und Leere" des ersten Zustandes klar zu machen.
(Cf. Smith „Chaldaeische Genesis**, Leipzig 1876, S. 62, heraus-
gegeben von Frd. Delitzsch.) Das bei den griechischen und
römischen Dichtern erwähnte Chaos („die den leeren Raum
erfüllende Ur-Materie**) = Abgrund (fißucjao^), dann Ur Elemente
zur Schöpfung der Welt, welches der jetzigen Weltordnung
voraufgegangen sein soll, verhält sich etwa zu dieser, wie das
rohe Material zu dem aus demselben geformten Kunstwerke.
Keine aber der uns noch erhaltenen Darstellungen aus dem
Morgen- und Abendlande ist so ausführlich, keine auch so beleh-
rend, wie die von Ovidius Naso (f 18 p. Chr.) im Anfange
seiner „Metamorphosen** 1. I., 1 — 88, sowie „Fasti** v. 103 — 113
gegebene :
In nova fert animus mutatas dicere formas
Corpora. Di, coeptis — nam vos mutastis — et illac
Adspirate meis, primaque ab origine mundi
Ad mea perpetuum deducite tempora Carmen.
Ante mare et tellus, et quod tegit omnia, coelum
Unus erat toto naturae vultus in orbe.
Quem dixere Chaos, rudis indigestaque moles^).
Nee quidguanty nisi pondus iners, congestaque eodem ,
Non bene junctarum discordia semina rerum.
NuUus adhuc mundo praebebat lumina Titan,
Nee nova crescendo reparabat cornua Phoebe,
Nee circumfuso pendebat in aßra tellus
Ponderibus liberata suis, nee brachia longo
Margine terrarum porrexerat Amphitrite.
Utque erat et tellus, illic et pontus et a^r:
Sic erat instabilis tellus, innabilis unda,
Lucis egens aör: nulli sua forma manebat^
*) Cf. Euripidis „Melapippa" und Diodori Siculi „Bibl. Hist.*' 1. 1. c 7.
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— 93 —
Obstabatque aliis aliud, quia corpore in uno
Frigida pugnabant calidis, umentia, siccis^
MoUia cum duris, sine pondere, habentia pondus.
Hanc Deus et melior litem natura diremit:
Nam coelo terras et terris abscidit undas,
Et liquidum spisso secrevit ab aere coelum.
Quae postquam evolvit caecoque exemit acervo,
Dissociata locis concordi pace ligarit.
Ignea convexi vis et sine pondere coeli
Emicuit summaque locum sibi fecit in arce;
Proximus est aßr illi levitate locoque:
Densior his tellus, elementaque grandia traxit
Et pressa est gravitate sua; circumfluus umor
Ultima possedit solidumque coercuit orbem.
Sic ubi dispositam, quisquis fuit ille Deorum
Congeriem secuit sectamque in membra coögit:
Principio terram, ne non aequalis ab omni
Parte foret, magni speciem glomeravit in orbis.
Tum freta dififudit rapidisque tumescere ventis
Jussit et ambitae circumdare littora terrae ....
Jussit et extendi campos, subsidere valles,
Fronde tegi Silvas, lapidosos surgere montes ....
Imminet his aßr, qui, quanto est pondere terrae,
Pondere aquae levior, tanto est onerosior igni.
111 uc et nebulas, illuc consistere nubes
Jussit et humanas motura tonitrua mentes.
Et cum fulminibus facientes frigora ventos , . .
Haec super imposuit liquidum et gravitate carentem
Aethera nee quidquam terrenae faecis habentem.
Vix ita limitibus dissaepserat omnia certis,
Quum, quae pressa diu massa latuere sub illa
Sidera coeperunt toto efFervescere coelo.
Neu regio foret uUa, suis animalibus orba,
Astra tenent coeleste solum formaeque Deorum;
Cesserunt nitidis habitandae piscibus undae,
Terra feras cepit, volucres agitabilis a^r.
Sanctius his animal mentisque capacius altae
Derat adhuc, et quod dominari, in caetera posset:
Natus hämo est; sive hunc divino semine fecit
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 8
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— ^4 —
nie opifex rerum, mundi melioris origo,
Sivre recens tellus seductaqne nuper ab alto
Aethera cognati retinebat semina coeli;
Quam satus Japeto, mixtam pluvialibus undis
Finxit in effigiem moderantum cuncta Deorum,
Pronaque quum spectent anirnalia cetera terram.
Os homini sublime dedit coelumque videre
Jussit et erectos ad sidera tollere vultus.
Sic, modo quae fuerat rudis et sine imagine tellus,
Induit ignotas hominum conversa figuras.
Von der Dinge Verwandlung in fremde Gestaltung zu singen
Streb' ich! Himmlische! — , denn ihr habt sie verwandelt — ,
begeistert
Mein Beginnen, und leitet vom ersten Werden der Welt an
Mein fortdauerndes Lied bis auf meine Zeiten herüber.
Ehedenn Meer und Land und der alles bedeckende Himmel,
War in dem ganzen Bereich der Natur nur ein einziges Aussehn,
Das man Chaos genannt: eine rohe, verworrene Masse
Anders nicht als ein träges Gewicht und swistige Keime
Trübe su einem gehäuft^ von lose verbundenen Stoffen.
Noch goss kein Titan in das Weltall leuchtende Strahlen;
Noch nicht ftillete aus durch Zuwachs Phoebe (Mond) die Homer ;
Eignes Gewicht auch hielt noch nicht freischwebend die Erde
In der umfliessenden Luft; noch breitete Amphitrite (Meer)
Nicht weithin an den Rand daliegender Länder die Arme,
Da, wo Äther, alldort war Erdreich, Luft und Gewässer.
So war nicht sum Stehen das Land^ Bum Schwimmen die Woge;
Lichtes entbehrte die Luft, die Gestalt blieb keinem beständig;
Eines war feindlich im Wege dem anderen, weil in der Masse
Kaltes im Streit stets lag mit Warmem, mit Trockenem Feuchtes,
Weiches mit Hartem, und mit dem Gewichtigen, das was
gewichtlos.
Aber dem Zwist gab Schlichtung Gott und die bessere Triebkraft;
Denn er schied von dem Himmel das Land und vom Lande
die Wogen,
Und von der dunstigen Luft los trennt er den lauteren Himmel.
Als er sie so entwirrt und der finsteren Masse entnommen,
Schloss er gesondert im Raum sie zusammen in friedlicrher
Eintracht,
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- 95 —
Ohne Gewicht stieg auf lichtvoll des gewölbeten Himmels
Feurige Kraft und ersah sich die Statt* in der obersten Höhe.
Ihm ist am nächsten die Luft, an Ort und Leichtigkeit, dichter
Aber als sie zog an die gröberen Teile der Erde,
Niedergedrückt durch eigenes Gewicht. Das umströmende Wasser
Wählte den äussersten Sitz und umschloss den gefestigten
Erdkreis.
Wie er nun so das Gemisch, wer jener der Götter gewesen^
Ordnend hatte geteilt und in Schichten gefügt das zerteilte,
Rundete er im Beginne, auf dass nach jeglicher Seite
Gleich sie wäre, zur Form grossmächtiger Kugel die Erde.
Dann goss Fluten er aus und hiess sie von tobenden Winden
Schwellen und ringsum umfahn der umgürteten Erde Gestade. , . .
Ebenen Hess er sich ausdehnen, und Täler sich senken.
Wälder sich decken mit Laub, aufsteigen die steinigen Berge . . .
Darob schwebet die Luft, die lastender ist als das Feuer,
So viel, wie an Gewicht nachstehet der Erde das Wasser.
Dort hiess Nebel er auch, dort dunstige Wolken sich lagern
Samt dem Donner-Gewölk, das menschliche Herzen erschrecke;
Und mit Blitzen zugleich die Frost (frigora) herführenden
Winde. . . .
Drobhin lagert er dann den klar durchsichtigen Äther,
Der, von Schwere befreit, nichts hat von der irdischen Hefe.
Kaum nun hatt' er umzäunt das alles in sichere Grenzen,
Als die Gestirn, die lang sich gepresst in jenem Gewoge
Bargen, am Himmel umher glanzreich anhüben zu leuchten.
Jetzt auch, damit kein Raum ermangele seiner Bewohner,
Haben den himmlischen Sitz mit den Sternen die Götter-Gestalten ;
Wohnstatt ward in den Wellen den glänzenden Fischen;
Tiere bekam das Land und Vögel der regsame Luftraum.
Aber es fehlete noch ein Geschöpf, das höher an Würde,
Mä tiefdenkemäem Geist y^ den ander bh konnte gebieten:
Siehe, da wurde der Mensch, ob ihn aus göttlichem Urstoff
Schüfe der Bildner der Wesen, der Ahnherr des besseren
Weltbau's,
Oder die Erd' im Beginne, die sich irom erhobe&en Äther
Eben gelös't, noch Keime behielt gleichartigen Himmels,
Und des Japetus Sohn (Prometheus) sie vermischt mit fliessen-
den Wellen
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Bildete gleich der Gestalt der alles beherrschenden Götter,
Während die Erde gebeugt ansehen die andern Geschöpfe,
Gab er erhab'nes Gesicht dem Menschen und hiess ihn den Himmel
Schauen und richten empor su den Sternen gewendet das Antlits.
Also kleidete sich die völlig veränderte Erde,
Formlos eben und wüst, mit neuen Gebilden der Menschen,
Die Reihenfolge der hier entwickelten kosmogenischen
Begriffe ist diese, /. Stufe: a, das Chaos = Urmaterie; b, die
das Verschiedene trennende, und das Gleichartige vereinigende
Natur-Kraft; c, die schaffende Gottheit. //. Stufe: a. Aus-
scheidung und Vereinigung des Gleichartigen zu den vier
Elementen; b, Lokalisierung der letzteren im Räume. IlL Stufe:
Bildimg der Welt und Erschaffung des Menschen am Schlüsse
der Schöpfung.
Den Grund-Gedanken dieser Kosmogonie können wir so
wiedergeben: Nachdem sich aus der ungeordneten und ver-
worrenen Urmaterie („rudis indigestaque moles'*) infolge der
ihr von der Natur aus in wohnenden Kraft die vier Elemente
ausgestaltet und im Welträume ihre passende Stellung emp-
fangen hatten, bildete die schöpferische Gottheit aus ihnen die
Welt und zuletzt den Menschen.
Eine ganz ähnliche Darstellung gibt Ovidius in seinen
„Fasti** („Fest-Kalender") v. 103 seq. : (Janus loquens inducitur)
„Me Chaos antiqui-nam sum res prisca-vocabant.
Adspice, quam longi temporis acta canam:
Lucidus hie a^r et, quae tria corpora restant:
Ignis, aquae, tellus, unus acervus erat.
Ut simul haec rerum secessit Ute suarum
Inque novas abiit massa soluta domos:
Flamma petit altum, propior locus aßra cepit
Sederunt medio terra fretumque solo.
Tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles,
In faciem redii dignaque membra Deo.'*
Die Alten — ich bin nämlich ein uraltes Wesen — nannten
mich (den Janus) Chaos. Siehe, welch langen Zeitraumes
Ereignisse ich offenbare. Diese durchsichtige Luft und die
drei übrigen Elemente : Feuer, Wasser, Erde bildeten zusammen
ein einziges Ganzes. Als nun diese Masse infolge des Wider-
streites der einzelnen Teile sich trennte, nahm sie neue Räume
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« 97 -
ein: das Feuer schwang sich in die Höhe; der nächste Raum
nahm die Luft auf; in der Mitte erhielten die Erde und das
Meer ihren Platz. Dann gewann ich, vordem ein Ball, eine
Masse ohne bestimmte Form, nunmehr Gestalt und Gliederung
würdig eines Gottes. (Janus = Licht des Himmels.)
Hiermit ist zu vergleichen Virgilii „Geergicon** 1. II.,
V. 336 seq. („Über den Land-Bau"):
Non alios prima crescentis origine mundi
Inluxisse dies aliumve habuisse tenorem
Crediderim: ver illud erat, ver magnus agebat
Orbis et hibernis parcebant flatibus Euri.
Quum primae lucem pecudes hausere virumque
Ferrea progenies duris caput extulit arvis,
Immissaeque ferae silvis et sidera coelo.
Virgil besingt hier die Werdelust des Frühlings und er-
hebt diese Anschauung zu einer kosmogonischen Vorstellung:
Nicht anders, als wie im auflebenden Frühling, sei es bei der
Entstehung der Welt gewesen. Da habe das Licht aufgeleuchtet,
die Winde seien milder geworden: da seien die Tiere ins Da-
sein getreten, und zuletzt der Mensch erschaffen worden als
Herr des Ganzen, selbst aber ein Gebilde von Lehm ; auch habe
der Wald seine Sänger und Bewohner, der Himmel seine Sterne
erhalten.
In fast gleichen Anschauungen bewegt sich die Kosmogonie
des Diodorus Siculus (Zeitgenosse des Augustus), wenn er zu
Anfang des 7. Kapitels im I. Buche seiner „Bibliotheca Historica"
sagt: Kaxd t&P Tf|v ii äpxnq t&v öXujv (Tüaraaiv }i\av i^eiv ibiav
oupavöv T€ Ktti ff\Vy |Lie|LiiT|ii^viig auTiüv Tf]q q)u(Teu)g ktX. Was i)un
den Zustand aller Dinge von Anfang an betrifft, so muss man
sagen, dass Himmel und Erde nur eine Gestalt hatten, indem
die belebende Naturkraft ihnen zugeteilt war usw."
Am Schlüsse dieses 7. Kapitels 1. c. führt Diodorus Siculus
eine Strophe aus der „Melanippa** des Euripides (480 — 406) an :
"Q^ oupavö^ le T«Ta t' fjv inopqpfi liia
'Ettci b' iyi\jjp\aQr\aav dXXrjXwv öixa,
TiKToum Trdvra, Kdv^öwKav el^ xp&o^
A^vbpTi, TTeT€ivd, Ofipaq oO«; fiX|LiTi xp^cpci,
r^VO^ T€ 6VT)TlIlV. KTX.
„Unus erat toto naturae vultus in orbe**. Ovidii Metam. I., 6.
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- 98 -
„Einst hatten Himmel und Erde nur eine Gestalt,
Als sie aber voneinander in zwei Teile waren geschieden,
Da ging alles hervor und kam an das strahlende
Licht:
Bäume und Vögel, vierfüssige Tiere, welche die Erde
ernährt,
Und auch der Menschen Geschlecht ..."
Fragen wir nun nach der Herkunft aller dieser Vorstel-
lungen, so müssen wir mit Plato „Philebi'* p. 16. c. (Editionis
Henrici Stephani, Zweibrücken 1783) sagen, dass dieselben aus
der Überlieferung der Vorzeit stammen („Ur-Offenbarung**),
welche die Menschen von den Himmlischen erhalten haben:
0€Ojv )Li€v €1^ dvöpuiTTOuq böaiq ^ß^iq)»!.
Donum perfecto deorum ad homines descendit: „Als
Geschenk des Himmels stieg diese Kunde zu den Menschen
herab.** Ol TeXeuTiiaij \ilv tx\ irpoTepcx irepiqpopqi töv eSf)^ xpövov
dT€lTÖVOUV, Tfi(Tb€ 06 Kttj' dpX«^ dqpUOVTO ' TOUTU)V T^p oiJTOi KrjpuKcq
^Tcvovö' fiiLiTv Tuiv XÖYU)V, o'i vOv uirö ttgXXüjv ouk 6p0i&q ditiaTCÖvrai *
Piatonis „Politici^S p. 271. a. b. (Editionis Henrici Stephani 1783).
Tradiderunt haec nobis primi illi progenitores nostri, qui statim
post primam revulutionem orti sunt. Hi sane hör um testes
sermonum praeconesque fuerunt, quibus minime vulgo nunc fides
habetur. „Diese Anschauungen haben uns jene Vorfahren über-
liefert, welche gleich nach dem im Kreise sich bewegenden Weltall
iüs Leben getreten sind. Ja diese, fürwahr, sind Zeugen und
Verkündiger jener Lehren geworden, denen man jetzt, leider,
zu wenig Glauben mehr schenkt."
Die hl. Schrift nun enthält eine Kosmogonie, welche die
Uroffenbarung Gottes an die ersten Menschen rein und unver-
fälscht, sowie ohne alle poetische Ausschmückung wiedergibt;
deren Übereinstimmung mit den ältesten Denkern der Welt
gibt uns einen neuen Beweis für die Wahrheit derselben, weil
sie unabhängig von jenen entstanden ist.
Genesis I., 1:
»Ev dpxti ^TroiT](T€V 6 Ged^ töv oupavöv Kai ttiv thv ' (Septuaginta).
In principio creavit Deus coelum et terram. (Vulgata.) „Im An-
fange schuf Gott Himmel und Erde."
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— 99 —
„Terra autem erat inanis et vacua et tenebrae erant
super faciem abyssi et spiritus Dei ferebatur super aquas.
Dixitque Deus: Fiat lux et facta est lux. Et vidit Deus lucem,
quod esset bona, et divisit lucem a tenebris. Apellavitque
lucem Diem et tenebras Noctem; factumque est vespere et
mane: dies unus etc."
1. Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde.
2. Die Erde aber war gestaltlos und leer, und Finsternis war
über dem Abgrunde der Flut, und der Geist Gottes schwebte
über den Wassern. 3. Und Gott sprach: „Es werde Licht!**, und es
wurde Licht. 4. Und Gott sah das Licht, dass es gut war; und Gott
schied das Licht von der Finsternis. 5. Und Gott nannte das Licht:
Tag, und die Finsternis nannte er Nacht ; und es ward Morgen
und Abend : ein Tag. 6. Und Gott sprach : „Es sei eine Veste
inmitten der Wasser, und sie scheide Wasser von den Wassern.
(Himmelsgewölbe = Luftkreis, welcher die Erde als Einzel-
Körper im Welträume umgibt und begrenzt.) 7. Gott bildete
die Veste und schied die Wasser, welche unter der Veste
waren, von denen, welche über der Veste w^aren. Und es ward
also. 8. Und Gott nannte die Veste: Himmel, Und es ward
Morgen und Abend: aweiter Tag. 9. Und Gott sprach: „Es
sammeln sich die Wasser, welche unter dem Himmel (Himmels-
Gewölbe) sind, an Einen Ort, und es werde sichtbar das
Trockene!" Und es geschah also. 10. Und Gott nannte das
Trockene: Erde (Land, Festland), und die Ansammelung der
Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war."
Der Wortlaut des Folgenden kommt für unsere Darstel-
lung nicht weiter in Betracht. Ausser dem Himmel (Vers 8),
schuf Gott nun am 3, Tage die Pflanzen. Am 4, Tage schuf •
er die Himmelskörper, am 5. Tage die Wassertiere und die
Vögel der Luft, am 6. Tage die Landtiere und zuletzt den
Menschen.
An der Spitze der biblischen Kosmogonie steht als oberstes
Prinsip (Grundwesen): Gott, der allmächtige Schöpfer Himmels
und der Erde\ zum durchgreifenden und wesentlichen Unter-
schied von allen Kosmogonien der Heiden, welche den schaffen-
den Gott durch erschaffene Götter ersetzen. — Gott, der Einmge,
ist allein ewig = ohne Anfang und Ende, Die Materie ist
von ihm erschaffen („im Anfange**), und in den oben genannten
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— 100 —
6 Epochen ausgestaltet worden. Unter dem Worte „Himmel",
Vers 1, und „Erde" ist die Gesamtheit der Schöpfung gemeint:
„das Sichtbare und das Unsichtbare" ; speziell ist unter „Himmel"
die Erschaffung der Geisterwelt angedeutet. Gott, der Herr,
nämlich ist die absolut oberste und alleinige Ursache der
ganzen Schöpfung: alles Seiende wird auf den Willen eines
höchsten^ schöpferischen Geistes zurückgeführt. Cf. Ep. S. Pauli
ad Colossenses c. 1, v. 16: ^Durch Ihn ist alles erschaffen, was
im Himmel und auf Erden ist: das Sichtbare und das Unsicht-
bare . . . , alles ist durch Ihn und in Ihm .erschaffen.'* (Cf.
auch Decretum Conc. Lateranensis IV., c. 1, und Concili Vati-
cani Sess. III., c. 1.) Von der Erschaffung der Geister- (Engel-)
Welt, Vers 1. werden Einzelheiten nicht weiter mitgeteilt, weil
hier nur die Erde speziell in Betracht kommt. Vers 2 schildert
den Zustand des Weltalls in seiner ursprünglichen Form: die
Erde war noch gestaltlos und leer, d. h. : sie war im Anfange,
da Gott sie schuf, nichts anders, als nur die Gesamtheit der
Urstoffe, aus welchen die einzelne n Bestandteile gebildet werden
sollten. Sie enthielt die grosse Masse der Materie, welche
jetzt in den unzähligen organischen und unorganischen Gestal-
tungen und Verbindungen der einzelnen Elemente als die sicht-
bare Welt uns entgegentritt. Hiermit ist zu vergleichen, was
Ovidius (und Euripides ^Melanippa**) von dem Zustande der
Urmaterie berichtet (vgl. oben S. 92 und S. 97 ) : ^Ehe denn Meer
uhd Land und der alles bedeckende Himmel, War in dem
ganzen Bereich der Natur nur ein einziges Aussehen, das man
Chaos genannt: eine rohe, verworrene Masse; Anders nichts
als ein träges Gewicht und zwistige Keime, Trübe zu Einem
• gehäuft, von lose verbundenen Stoffen."
Die hl. Schrift sagt: „Und Finsternis war über einer Flut
(über dem Abgrunde einer Flut), und der Geist Gottes schwebte
über den Wassern.** Vers 2.
Der Zustand der Urmaterie wird mit „Abgrund einer
Flut" (Meer) und „Wasser** näher bezeichnet. Demgemäss
haben wir uns die ursprünglich geschaffenen Stoffe als luft-
förmig= flüssig, oder als gasförmig zu denken. Als etwas Körper-
liches müssen sie auch wohl eine Form gehabt haben, nämlich
die einer Kugel. Wir werden daher nicht irre gehen, wenn
wir sagen: die Erde sei damals ein kugelförmiger, für uns
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lOI —
unfassbar grosser Gasball im Weltenraume gewesen. Als
solcher stellte er eine vollkommene Leere, zugleich aber auch
einen Flutschwall von luftförmiger Flüssigkeit d^r, für welchen
man in den Tagen des Moses keinen anderen Ausdruck hatte,
als die Bezeichnung des Wassers. (Vgl. Kaulen „Der biblische
Schöpfungsbericht" S. 24 f., Freiburg 1902.) Die heutige
Astronomie beobachtet bei dem Planeten Jupiter ganz ähnliche
Entwickelungsphasen, wie sie uns Moses (Genesis I., 2 f.) er-
zählt. (Vgl. Dr. Joseph Pohle, Prof, „Die Sternen-Welten etc.",
III. Aufl., 337; Cöln, Bachem, 1902.) Um das Gesagte kurz zu
wiederholen: jener Teil des Weltalls, welchen wir jetzt Erde
nennen, befand sich damals auf der I. Stufe seines Daseins
und war noch Öde und ungestaltet ; eine bestimmte Form hatte
er noch nicht erhalten. In materieller Beziehung wird sein
Zustand als ein flüssiger , wässeriger geschildert. Diese unge-
formte Urmaterie ist in Finsternis eingehüllt. Hieraus ergeben
sich als kosmogonische Grundwesen der II. Stufe: Finsternis
und das ungeformte Urwasser, welche nach Vers 1 durch die
schöpferische Macht Gottes hervorgerufen wurden. Über dem
Ur'wasser schwebt der Geist Gottes, Er ist also nicht mit ihm
in eins verbunden, sondern physisch und räumlich von ihm
getrennt gedacht. Der Satz hat offenbar die Bedeutung, dass
Gott der Materie in der Absicht, um aus ihr die Welt zu
schaffen, in Liebe näher getreten sei.
Von Vers 3 an wird die allmähliche Ordnung und Ent-
wickelung der Materie zur Welt geschildert. Gott wirkt durch
seinen ausgesprochenen Willen; so dass, entsprechend der rein
geistigen Natur Gottes, auch das Mittel der Schöpfung ein
rein geistiges ist. Das erste, was nun entsteht, ist das Licht ^
und zwar das Licht nicht gebunden an einen materiellen Körper,
(z. B. die Sonne) und von demselben ausstrahlend, sondern
losgrföst von jedem körperlichen Substrat, im Gegensatz zur
Finsternis. Wir meinen hiermit den Lichtäther y welcher durch
das ganze Weltall zerstreut sich vorfindet und auch da wahr-
genommen wird, wohin noch nie ein Strahl der Sonne oder
der anderen Gestirne geschienen hat. Die Taucher nämlich
beobachten in sehr grossen Meerestiefen Lichtstrahlen ; ebenso
finden die Berg- Arbeiter in den Schächten der Erde, welche
weit unter der Oberfläche liegen, das Leuchten von Licht,
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— 102 —
ohne dass jemals ein Strahl der Sonne dorthin gekommen
wäre.
Da nun mit Erschaffung des Lichtes die Finsternis nicht
für immer und auch nicht tiberall beseitigt ist, beide auch
nicht in einem Räume zugleich existieren können; so schied
Gott zwischen Licht und Finsternis in der Art, dass beide
zeitlich miteinander abwechseln können. Daher wurde, ent-
sprechend der Wirklichkeit, die Finsternis der Nacht, und das
Licht dem Tage zugewiesen. Mit Entstehung des Lichtes
begann also der Wechsel von Nacht und Tag, der Unterschied
der Zeiten : die innerweltliche Zeit, Auf der III. kosmogonischen
Stufe stehen somit das Licht, und als Folge der Scheidung
des Lichtes von der Finsternis: der Wechsel der Zeiten.
Es heisst weiter: es ward Abend und Morgen: ein Tag,
d.h.: der erste Tag, nämlich der Beginn der Zeitenfolge als
einer durch die Bewegung und den Kreislauf der Erde unter-
schiedenen und messbaren Zeit. Der Abend geht voraus, weil
vordem die Finsternis war. — Die nun folgende Bildung der
„Veste" bedeutet das Himmels-Gewölbe = der die Erde um-
gebende Luft-Kreis (Atmosphäre), welcher sie als Einzelkörper
im Welträume begrenzt. „Veste" heisst im Hebräischen:
^■'Rl (TT€p^u)|Lia nach der Septuaginta, und firmamentum nach
der Vulgata. ^^[^r\y wörtlich: Ausbreitung; mit Q^^^n: die
Ausbreitung des Himmels = Himmelsgewölbe, welches nach
dem Augenscheine wie eine Halbkugel auf der Erde ruht.
(Gesenius.) Auf die Scheidung von Licht und Finsternis, in
zeitlicher Beziehung: Tag und Nacht, folgt daher die Scheidung
des Urwassers in räumlicher Beziehung: Wasser oberhalb
und unterhalb des Firmamentes. Die Produkte der IV. kos-
mogonischen Stufe sind somit: der sichtbare, feste Himmel
und die durch denselben räumlich voneinander geschiedenen
Teile des Urwassers. — Die Grundwesen der II. kosmo-
gonischen Stufe, nämlich Finsternis und Urmaterie, befinden
sich nicht mehr im Urzustände, sondern haben sich in räum-
licher und zeitlicher Beziehung ausgestaltet.
Das nächste Werk des göttlichen Willens ist die Scheidung
des Trockenen vom Flüssigen, d.h.: des Festlandes und des
Meeres. Diese Scheidung könnte nun so stattgefunden haben,
dass das feste Land schon ursprünglich im Urwasser vor-
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- I03 —
banden war und jetzt sichtbar wurde, indem das Meerwasser
davon abfloss. Denken wir uns etwa, wie nach einer heutigen
Überschwemmung das Wasser wieder zurücktritt. Vielleicht
aber bestand das Urwasser aus einer Mischung von festen
und flüssigen Stoffen, welche sich jetzt voneinander absonder-
ten. Der biblische Text lässt die Sache unentschieden. Die
Überlieferung bei Ovid ist für die letztere Ansicht: „Da wo
Äther, alldort war Erdreich, Luft und Gewässer. So war
nicht zum Stehen das Land, zum Schwimmen die Woge;
Lichtes entbehrte die Luft, die Gestalt blieb keinem beständig.
Eines war feindlich im Wege dem andern, weil in der Masse
Kaltes im Streite stets lag mit Warmen, mit Trockenem Feuchtes,
Weiches mit Hartem, und dem Gewichtigen das, was gewicht-
los. Aber dem Zwist gab Schlichtung ein Gott und die bessere
Triebkraft. Denn er schied von dem Himmel das Land, und
vom Lande die Wogen, und von der dunstigen Luft los trennt
er den lauteren Himmel. Als er sie so entwirrt und der
finsteren Masse entnommen, schloss er gesondert im Raum sie
zusammen in friedlicher Eintracht: Ohne Gewicht stieg auf
lichtvoll des gewölbeten Himmels feurige Kraft und ersah
sich die Statt* in der obersten Höhe. Ihm ist am nächsten die
Luft an Ort und Leichtigkeit, dichter aber als sie zog an die
gröberen Teile die Erde, niedergedrückt durch eigenes Gewicht.
Das umströmende Wasser wählte den äussersten Sitz und
umschloss den gefestigten Erdkreis.**
Es sind daher die kosmogonischen Produkte der V.Stufe:
das Festland und das Meer. Damit ist der Schöpfungsbericht
bei jenem Teile der Welt angelangt, welcher von Menschen
bewohnt wird. (Cf. Franz Lucas „Die Grundbegriffe in den
Kosmogonien der alten Völker", Leipzig 1899, S. 33 f.) Die
hl. Schrift erzählt nun weiter, dass Gott, der Herr, der Reihe
nach: Pflanzen (3. Tag), Gestirne (4. Tag), Wassertiere und
Vögel (5. Tag), endlich die Landtiere entstehen liess und
zuletzt als Krone der sichtbaren Schöpfung den Menschen aus
dem Staube der Erde erschuf (6. Tag).
Wie ein Kommentar zu der Darstellung der hl. Schrift
lesen sich die nachstehenden Verse des Ovid:
„Kaum nun hat er (Gott) umgezäunt das alles in sichere Grenzen,
Als die Gestirne, die sich lange gepresst in jenem Gewoge,
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— I04 —
Bargen, am Himmel umher glanzreich anhüben zu leuchten.
Jetzt auch, damit kein Raum ermangele seiner Bewohner
(Haben den himmlischen Sitz mit den Sternen die Götter-
gestalten)
Wohnstatt ward in den Wellen den glänzenden Fischen;
Tiere bekam das Land, und Vögel den regsamen Luftraum.
Aber es fehlete noch ein Geschöpf y das höher an Würde,
Mit tief denkendem Geiste den anderen könnte gebieten:
Siehe, da wurde der Mensch!^
Wenn wir nun die Grundbegriffe der Kosmogonie, welche
die Genesis enthält, zusammenstellen, so ergibt sich nach-
stehende Reihenfolge:
1. Gott ist der allmächtige, alleinige Schöpfer des Himmels
und der Erde; er allein ist die Ursache der Welt.
2. Gott erschuf zuerst die Urelemente zur Bildung der
Erde usw., welche nach ihrem damaligen gas- oder luftförmigen
Zustande Urwasser genannt werden, von Finsternis umgeben.
3. Der göttliche Wille ist das wirkende Mittel bei der
Schöpfung.
4. Das Urlicht (Lichtäther) wird erschaffen; es folgt
eine Scheidung des Lichtes von der Finsternis in zeitlicher
Beziehung; es entsteht der Wechsel von Tag und Nacht = die
messbare Zeit.
5. Das feste Himmelsgewölbe (Atmosphäre); Scheidung
des Urwassers in einen oberen und unteren Teil.
6. Festland und das Meer, entstanden durch Scheidung
aus dem unteren Teile des Urwassers.
6. Am Himmel leuchten die Gestirne; die Luft erhält
Vögel, das Wasser seine Fische, das Land seine Tiere ; endlich
erscheint der Mensch auf Erden.
Der Grundgedanke in der Kosmogonie der Genesis ist
folgender: die Welt ist das freie Werk des einen, allmächtigen
Gottes; dieser Gedanke wird mit Konsequenz festgehalten und
durchgeführt. Die erste wirkende Ursache bleibt Ursache
durch alle Stufen der Kosmogonie hindurch. Hierin offenbart
sich ein wesentlicher Unterschied von allen Schöpfungsberichten
der anderen Völker, in welchen eine Vielheit göttlicher Wesen
tätig erscheint. Nach der hl. Schrift entstehen die Haupt-
teile der Welt nicht wie Produkte der Willkür, sondern die
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- JOS -
Entstehung der Welt geht von der Urmaterie aus, welche
Gott zu diesem Zwecke erschaffen hatte^ und steigt Schritt für
Schritt in naturgemässer Abstufung von dem in zeitlicher,
räumlicher und materieller Beziehung noch vollständig Unter-
schiedlosen, zu den in allen diesen Beziehungen bestimmten
Hauptteilen der Welt voran. Konsequent wie der Zweck
und die wirkende Ursache, ist auch der stufenförmige Ent-
wickelungsgang der biblischen Kosmogonie.
Sowohl was die kurze und bündige Form, welche jeden
die Klarheit der Gedanken verhüllenden Mythus ausschliesst,
als auch den übersichtlichen zweck- und zielentsprechenden
Stufengang anbelangt, unterscheidet sich die Kosmogonie der
Genesis höchst vorteilhaft von allen anderen Kosmogonien der
Alten. Moses wollte eben nur die geschichtliche Wahrheit
berichten, wozu ihn seine göttliche Sendung gegenüber den
meistens sagenhaft ausgeschmückten Darstellungen der Heiden
besonders befähigte. Diese nämlich setzen eine ewige Ur-
materie voraus: Chaos = leerer Rairni, dann: die den leeren
Raum erfüllende verworrene Masse der GrundstojfiFe (Hesiod,
Ovid usf.), Zeit (Nacht), Finsternis, Stoff und Triebkraft (Geist).
Gott bildet nach ihrer Ansicht die Welt aus einem vorhandenen
Stoffe und ist selbst ein erschaffenes Wesen.
Hesiod speziell (um es zu wiederholen), führt in seiner
Kosmogonie nachstehende Stufenreihe auf:
1. Xdo^, der absolute leere Ramn, welcher bestimmt ist,
die Welt aufzunehmen, imd als solcher die erste Voraussetzung
derselben.
2. StoflF, Kraft, Finsternis, Nacht.
3. Tag und Nacht = Wechsel der Zeiten.
4. Die Götter, welche aber bei ihm keine kosmogonische,
sondern nur eine religiöse Bedeutung haben.
Darum spricht Moses scheidend sum Volke Israel: „Das
ist eure Weisheit und Einsicht vor allen Völkern der Erde,
dass dieselben bei dem Vernehmen aller dieser Worte sagen :
'Siehe, nur dieses Volk ist weise und verständig. Dieses grosses
Volk!' Ja, welches andere Volk ist so erhaben, dass es hätte Zere-
monien, gerechte Gebote und das ganze Gesetz, welches ich heute
vor eueren Augen darlegen werde?!'' (Cf. 1. Deuteronomii
c. 4, V. 6 — 9.) Die Lehre von der Erschaffung der Welt durch
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— 106 —
Gott aus nichts besitzt nur die hl. Schrift: rTiarei vooujLiev
KaTiipTiaGai tou^ aiüjvai; prijLiaTi 0eou ei^ t6 jiiri ^k qpaivojiievtjv tö
ßXeßxöiLievov TCTOv^var Fide intelligimus aptata esse saecula
verbo Dei, ut ex invisibilibus visibilia lierent. ^ Durch den
Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort er-
schaffen ist, so dass aus Unsichtbarem Sichtbares wurde."
S. Pauli ep. ad Hebraeos e. 11, v. 3.
Da nun von allen Kosmogonien des Morgen- und Abend-
landes die lateinische von Ovid dem Schöpfungsberichte der
Genesis am nächsten kommt, so verlohnt es sich der Mühe,
die merkwürdige Übereinstimmung, welche sich sogar im Wort-
laute der Darstellung offenbart, im einzelnen durchzugehen.
Vgl. S. 92 f.
Genesis c. I. v. 2 sq.: „terra autem erat inanis et vacua,
et tenebrae erant super faciem abyssi." Die Erde aber (noch)
gestaltlos und leer, und Finsternis war über dem Abgrund
(einer Flut).
Metamorphoseon L I., v. 5 seq.: „. . . Quem dixere Chaos:
rudis indigestaque moles . . . Nullus adhuc mundo praebebat
lumina Titan." Chaos nannte man sie (die Grundstoffe): eine
gestaltlose, leere Masse. . . Noch sandte nicht Titan seine
Strahlen der Erde; (es war also Finsternis auf der Erde.)
Aber nicht bloss der Sinn, auch die einzelnen Worte sind
sich ähnlich: „terra erat inanis et vacua" und: „rudis indiges-
taque moles"; ferner: „facies abyssi" und: „quem dixere
Chaos". — Ableitung: Xdoi;, vom Stamme xaivu) = gähnen, klaffen,
weit offen stehen, = Abgrund, der unermesslich leere Raum;
hier genauer: die den leeren Raum erfüllende ungeordnete
Masse der Grundstoffe, aino gleich Xdoq des Ovid, gleich
äßuaao^ der Septuaginta, und facies abyssi der Vulgata =
Tiefe, Abgrund (des Weltozeans). Die Urstoffe waren näm-
lich in einem flüssigen, luft- oder gasföcm^eD; Zusftinite
(„Aggregatzustande") v^^handen. (Vgl. oben S. 99.) Ebenso:
„Tendp^rae erant super faciem abyssi*' imd „Nnlltks affirac mimdo
praebebat lunuaaTitan". Moses berichtet als Geschichtschreiber ;
Ovid malt aus als Dichter.
Auch die Darstellung des Sechstagewerkes nach der
Genesis ist in den Metamorphosen enthalten:
Met am. /. i., 7 seq : „Utque erat et tellus et pontus et
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-- 107 —
a^r, Sic erat instahilis tellus, innabilis unda . . . Lucis egens
aer ..." Bereits waren die Elemente für Land, Wasser und
Luft schon vorhanden; aber: „Noch nicht war fest das Land,
flüssig das Wasser, lichtvoll die Luft."
• Ebenso finden wir bei Ovid die Ordnung des form- und
lichtlosen Stoffes durch Gott: „Hanc Dens et melior litem
natura diremit." Diesen inneren Streit (das Durcheinander-
wogen der gestaltlosen Urelemente) ents,chied Gott und die
bessere Triebkraft (Natur).
Zum Werke des 2. Schöpfungstages sind zu vergleichen:
Genesis L, v. 6 — 9 und Metamorphosen L, 21 — 30.
Zum 3. Tage: Genesis c. L, 9 — 11; und Metamorphosen
1. L, 30—38 ; 43—45.
Zum 4. Tage: Genesis c. I., 14—18; und Metamorphosen
1. L, 69—72.
Zum 5. Tage: Genesis c. I., 20—24; und Metamorphosen
1. L, 72-75.
Zum 6. Tage: Genesis c. I., 24 — 31; und Metamorphosen
1. L, 75—88.
Die Erschaffung des Menschen aus dem Staube der Erde
berichtet die Genesis c. I., v. 26 — 31, die Metamorphosen 1. L,
V. 76 — 88. Ovids Darstellung ist sehr edel und erinnert unwill-
kürlich an das Referat der hl. Schrift, so dass auch die moderne
Philologie dies anerkennt. Moses besagt in hebräischer Sprache,
was unser Ovid, mit heidnischem Götterglauben untermischt,
in lateinischen Versen besingt. (Cf. die Ausgabe der Metamor-
phosen des Ovid von Dr. Johannes Siebeiis, 15. Auflage 1892,
Leipzig bei B. G. Teubner ; besorgt durch Prof. Dr. Friedrich
PoUe, S. 6, Anmerkung.)
Wir können es uns nicht versagen, den schönen und vor
trefflichen Text hier ganz wiederzugeben:
^Sanctius his (sc, bestiis) animal mentisque capacius altae
Deerat adhuc, et quod dominari in caetera posset,
Natus homo est (humus = Erdboden ^), sive hunc divino semmc
fecit
1) Humus = Erdboden wie D^ö« von n'J'i^i; Lactantius 1. de ira Dei,
c. X, p. 540 sagt: „homo ex humo dictus est." Ferner „Divinarum In-
stitutionum" 1. II. de origine erroris, p. 82 : „Enimvero Deus hominem ex
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nie opifex rerum, mundi melioris origo,
Sive recens tellus seductaque nuper ab alto
Aethere cognati retinebat seraina codi;
Quam satus Japeto mixtam pluvialibus undis
Finxit in effigiem moderantum cuncta deorum.
Pronaque quum spectent animalia caetera terram
humo sublevavit et ad contemplationem artificis sui erexit quod Ovidius
poeta ille ingeniosus signavit:
„Pronaque quum spectent animalia cetera terram
Os homini sublime dedit, coelumque videre
Jussit et erectos ad sidera tollere vultus."
Graeci hominem dicunt Ävepuiirov, quod sursum spectet; övui xp^iruiv Öira.
Plato in Cartylo appellatum esse existimat quasi dvpepuiv ä öiruixe. Lacantii
Firmiani opera quae exstant omnia. Ausgabe zu Leyden 1652.
Lactantius sagt in seinem Buche „Über den Zorn Gottes" c. 10,
S. 540: „Der Mensch hat seinen Namen vom Staube der Erde (Erd-
boden) erhalten: homo ex humo dictus est." Und in seiner Dogmatik
(„Divinae Institutiones"), Buch II. „Über den Ursprung des Irrtums",
S. 82, führt er aus : ,,Gott erhob den Menschen aus dem Staube zur Be-
trachtung seines Schöpfers; im Gegensatze zu den Tieren, welche zur
Erde schauen", und zitiert dann die betreffenden Worte aus Ovid. (Vgl.
oben.) Plato („Cratuli" n. 399, p. 262, c. editionis Henrici Stephani 1782,
Zweibrücken) hominem appellatum esse existinat quasi dvaOpüöv ä öirui-
ircv = contemplans quae vidit „Das Geschaute betrachtend" (ävOpuiiroO-
Plato leitet in seinem Dialog „Cratylus" das Wort ävGpunrot; Mensch von
dvaepdiw = betrachten, ab. Die ganze Stelle lautet also: Iimaivai touto
t6 övo^a:ö ÄvGpiüiro^, ÖTi tA |li^v ÄXXa 6/|pia, div öp^ oöö^ ImaKOiiet, oO 6^
dvaXoTiCcTai oö hk dvoOp^ * ö hk övepiüTrot; ä^a ^tbpaKC (toOto &' kßxX tö ^itumev)
KaidvaOpel Kai dvaXoTtCeTai toOto ö gituiiicv ^vrcOecv hi\ (növov toiv eripiuiv
6p6ui^ ö äv0pujfro<; divo^daGii : dvaöpütiv d girujirev Hominis nomen illud
significati quod cetera quidem animalia, quae vident, non considerant
neque animadvertunt neque contemplantur; homo autem, et vidit simul et
contemplatur animadvertitque quod videt. Hinc merito solus ex omnibus
animantibus homo = dvepunroc est nuncupatus, quasi dva6p<Dv (contem-
plans) quae Siriwircv, i. e. : vidit. — Der Name „Mensch^' (dv6puiiro0 hat
folgende Bedeutung; während die übrigen lebenden Wesen das, was sie
mit ihren Augen wahrnehmen, weder prüfend ansehen, noch mit Auf-
merksamkeit betrachten, nach allen Seiten erwägen; ist es der Mensch
allein, welcher, sobald er etwas gesehen hat, es sogleich mit Aufmerksam-
keit betrachtet und es prüfend erwägt. Daher wird auch mit Recht der
Mensch allein von allen lebenden Geschöpfen ävepujiTo<; = homo genannt,
weil er das kritisch betrachtet, was er gesehen hat (also: dvepunroc von
dvaepdiv d ^Ttuiircv = contemplans quae vidit = „das Geschaute betrachtend").
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-— 109 —
Os homini sublime dedit coelumque videre
Jussit et erectos ad sidera tollere vultus,
Sic modo quae fuerat rudis et sine imagine tellus,
Induit ignotas hominum con versa figuras!''
Die hl. Schrift sagt: „Et creavit Deus horainem ad ima-
ginem suam." (Genesis c. I., v. 27.) Gott schuf den Menschen
nach seinem Ebenbilde, d. h. mit einer geistigen, unsterblichen
Seele, begabt mit Verstand, Vernunft und freiem Willen. (Das
natürliche Ebenbild Gottes.) Ovid: „Finxit (hominem) in effigiem
moderantum cuncta Deorum**, was das nämliche in griechisch-
römischer Anschauung bedeutet. Effigies ist nämlich das einem
Original entsprechende Bild, Abbild, Ebenbild. Dasselbe wird
im hebräischen Texte durch abi:, und bei der Septuaginta
durch eiKujv ausgedrückt. Den Grund, warum der Mensch
nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen wurde, gibt Ovid mit
den Worten an: „Sanctius his (sc. bestiis) animal mentisque
capacius altae, deerat adhuc, et quod dominariin caetera passet :
natus hämo est.^ Aber es fehlete noch ein Geschöpf, das
höher an Würde, mit tiefdenkendem Geiste den anderen könnte
gebieten: Siehe ^ da *wurde der Mensch/ Die Genesis (Vulgata)
berichtet: „Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem
nostram (kqt' eiKÖva f||LieTepav Kai Ka0' Ö|lioiu)(Tiv, Septuaginta — ;
nsnians ^a^^bxa der hebräische Text) : et praesit piscibus
maris et volatibus et bestiis universaeque terrae,^ Lasset uns
schaffen einen Menschen nach unserem Ebenbilde, su unserem
Gleichnisse^)] und er herrsche über die Fische des Meeres, die
Vögel der Luft, die vierfUssigen Tiere und über die ganse
Erde!"" Genesis I., 26.
Gottes Plan war also, den Menschen zu seinem Stell-
vertreter auf Erden einzusetzen. Unter seiner denkenden
Leitung und Anordnung war die irdische Natur berufen, sich
in der von Gott gewollten Art und Weise zu entwickeln und
den Zweck zu erfüllen, für welchen er sie erschaffen hatte.
^) Die Worte „nach unserem Gleichnisse" werden von den Kirchen-
vätern mitunter auf das übernatürliche Ebenbild Gottes bei dem Menschen
bezogen = „die übernatürliche Heiligkeit und Gerechtigkeit." Cf. H. Hurter,
S. J. „Theologiae Dogmaticae" IL Teil, S. 234, n. 343 sq., 4. Auflage,
Innsbruck 1883; Kaulen „Der biblische Schöpfungsbericht", S. 74, n.
79 sq. 1902.
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 9
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Interessant ist die Wahrnehmung, dass der heidnische Dichter
sich darin gefällt, die himmlische Abstammung des Menschen
zu besingen {„sancttus his (sc. bestiis) animal . . . homo natus
est^), während die heutigen ungläubigen Philosophen sich ab-
mühen, die Abstammung des Menschen aus dem Tierreiche
wissenschaftlich zu konstruieren!^) — (Prof. Ernst Haeckel in
Jena). Hierbei wird man unwillkürlich an die prahlerische
Verheissung der Schlange im Paradiese erinnert, welche in
lügenhafter Weise unseren Stammeltern zuraunte : „Eritis sicut
Diu" „Ihr werdet sein wie die Götter!" Das war die Ver-
heissung. Die ungläubigen Gelehrten aber verkündigen die Er-
füllung: „Simia estis prognati!" „Ihr stammt von den Affen ab!"
Welch bittere Ironie! — Der königliche Sänger David
spricht über diese Geistesrichtung schon im 48. Psalme v. 13
und 21: „Homo quum in (tanto) honore esset, (ut filius Dei et
a Deo creatus sit) non intellexit, comparatus est jumentis
insipientibus et similis factus est illis!" „Der Mensch, obgleich
er von Gott so hoch geehrt war (dass er als Kind Gottes zur
ewigen Seligkeit berufen und von Gott selbst dazu erschaffen
ist), hat diese Vorzüge nicht begriffen; er entwürdigte sich
vielmehr zu den unvernünftigen Tieren und ist ihnen ähnlich
geworden.^ Weil die Menschen in ihrem Leben den Tieren
so oft ähnlich sind, darum muss die Wissenschaft den Beweis
erbringen, dass sie auch von den Tieren abstammen.
Die Erschaffung der Welt aus nichts lag dem Ideenkreise
des Heidentums zu ferne, als dass ein Dichter sie hätte be-
singen können. Das glückliche Leben aber im Paradiese (Genesis
V. 8 sq.) c. II., beschreibt Ovid mit folgenden Worten:
y^Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo
Sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat.
^) Als Vertreter dieser Ansicht werden besonders Prof. Carl Vogt
(Genf) und Prof. Ernst Haeckel (Jena) bezeichnet. Letzterer hat durch
seine Vorträge, welche er im April 1905 zu Berlin hielt, Aufsehen erregt.
P. E. Wasmann, S. J. (Luxemburg), trat ihm mit einem offenen Send-
schreiben kräftig entgegen und führte überzeugend aus: „Die tierische
Abstammung des Menschen dem Leibe nach ist in jeder Beziehung noch
Hypothese^ nicht aber feststehende Wahrheit^ wie Sie, Herr Professor, es darzu-
stellen belieben." Vgl. „Kölnische Volks-Zeitung'* Nr. 358, S. 2, vom
Dienstag den 2. Mai 1905. Auch Prof. Rudolf Virchow zu Berlin war
ein Gegner der Affen-Theorie.
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^ tit —
Poena metusque aberant, nee verba minatitia fixo
Aere legebantur, nee supplex turba timebat
Judicis ova sui, sed erant sine vindiee tuti.
Nondum caesa suis, peregrinum ut viseret orbem,
Montibus in liquidas pinus deseenderat undas,
Nullaque mortales praeter sua litora norant.
Nondum praeeipites cingebant oppida fossae;
Non tuba dereeti, non aeris eornua flexi,
Non galeae, non ensis erant: sine militis usu
Mollia seeurae peragebant otia gentes.
Ipsa quoque immunis rastroque intacta nee uUis
Saueia vomeribus per se dabat omnia tellus ;
Contentique eibis, nuUo eogente ereatis
Arbuteos fetus montanaque fraga legebant
Cornaque et in duris haerentia mora rubetis,
Et quae deciderant patula Jovis arbore glandes.
Ver erat aeternum, plaeidique tepentibus auris
Mulcebant zephyri natos sine semine flores.
Mox etiam fruges tellus inarata ferebat,
Nee renovatus ager gravidis canebat aristis;
Fluntina jam laclis, jam flumina nectaris ibant
Flavaque de viridi stillabant ilice mella,^
j^Erst nun sprosste von Gold ein Geschlecht, das sonder Be-
wachung
Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.
Strafe wie Fureht war fern: noeh lasen sie drohende Worte
Nicht am gehefteten Erz; noeh stand kein flehender Haufe
Bang vor des Riehters Gesieht: Sehutz hatten sie ohne den
Riehter.
Noch nicht hatte, gefällt auf heimischen Bergen, die Fiehte
Andere Welt zu sehen, sieh gesenkt in die flüssigen Wogen.
Noch von keinem Gestad\ als dem ihrigen wussten die Mensehen.
Noch umgürteten nicht abschüssige Gräben die Städte.
Kern krummgehendes Hörn und keine gestreckte Drommete
War, kein Helm, kein Sehwert. In behaglicher Müsse vergingen,
Ohne des Krieges Bedarf die sicheren Tage den Völkern.
Undienstbar und verschont von dem Karst und von sehneiden-
der Pflugsehar
Nimmer verletzt, gab alles von selbst die gesegnete Erde.
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Und mit Speisen begnügt, die zwanglos waren erwachsen,
Lasen sie Arbutusfrucht, Erdbeeren an sonniger Halde;
Oder an rauhem Gerank Brombeeren und rote Korallen,
Und von dem ästigen Baum des Jupiters fallende Eicheln.
Da 'War ewiger LenSy und gelind mit lauem Gesäusel
Koste die Blume der West, die sprosseten ohne Besamung.
Nicht vom Pfluge bestellt, trug bald auch Halme die Erde;
Ohne zu ruh'n ward grau von belasteten Ähren der Acker.
Ströme von Milch nun wallten daher und Ströme von Nektar ^
Und gelb tropfte herab von grünender Eiche der. Honig. ^
Vgl. libri Exodi c. III. v. 8: ^Ein Land, welches von Milch
und Honig fliesst.^
Was nun die Nahrung der ersten Menschen betrifft, so
sagt hierüber die hl. Schrift: Gott sprach zu ihnen: „Siehe,
ich gebe euch alle samentragenden Gewächse, welche auf der
ganzen Erde sind, und jeden Baum, an welchem eine samen-
tragende Frucht ist; euch soll dies zur Nahrung dienen. Und
allem Getier der Erde und allem Fliegenden des Himmels
und allem Kriechenden auf Erden, in welchem eine lebende
Seele ist, gebe ich alles grüne Kraut zur Nahrung.** Cf. Genesis
I., 29 sq. So wörtlich nach dem hebräischen Texte.
Zu bemerken ist aber, dass nur die höher organisierten
Pflanzen zur Nahrung der lebenden Organismen bestimmt
waren. Für die Menschen galten zunächst Früchte und Körner,
besonders in ihrer Verarbeitung zu Brot ; für die Tierwelt aber
das Grün der Pflanzen: Gras und Kraut.
Die Worte Gottes, Genesis I., 29 sind so zu verstehen,
dass der Mensch im Anfange seines Daseins nur auf pflanz-
liche Nahrung angewiesen war. Eine Änderung hierin trat
erst ein, als die Sündflut über die Erde hingegangen war. Die
klimatischen Lebensbedingungen waren nunmehr andere gewor-
den, und die früher überall gleiche Fruchtbarkeit des Bodens
hatte aufgehört. Auch war es notwendig, die Menschen von
der Vergötterung der Tierwelt abzuhalten. (Cf. Comelii Taciti
„Historiarum** 1. V., c. 4, n. 5.) Aus diesen Gründen ward die
ursprüngliche Anordnung Gottes so erweitert, dass den Menschen
auch der Fleischgenuss von Tieren frei gegeben wurde. Die
Genesis c. 9, v. 3 berichtet (nach der Sündflut): ;,Und alles,
was sich reget und lebet, sei euch zur Speise; gleichwie das
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— 113 —
grünende Kraut („Pflanzengrtin") habe ich euch das alles
gegeben." (Cf. Genesis c. I., v. 29.) Eine Beschränkung des
Fleischgenusses ist Genesis c. 9, v. 4 angegeben: „Nur Fleisch
mit dessen Blut sollet ihr nicht essen!" Dieses Verbot wurde
auf dem Apostel-Concilium (zirka 50 p. Chr.) von neuem ein-
geschärft (cf. Actus Apostolorum c. 15, v. 29): ^Enthaltet euch
von dem Götzenopfer und dem Blute!" Ein ähnlicher Grund
lag vor, als S. Bonifatius, Apostel der Deutschen, im Auftrage
Papst Gregor III. a. 731 seinen Neubekehrten den Genuss von
Pferdefleisch untersagte : „Enthaltet euch von dem Götzenopfer
und dem Pferdefleische !" (Cf. Othlonis Vita Bonifatii 1. 1, c. 32;
Epistola 122, editionis N. Serarii.) — Die Pferde 'waren dem
Wodan heilig, — Die Kenntnis der Tatsache, dass die ersten
Menschen sich mit Pflanzenkost begnügt haben, ist durch die
Uroffenbarung im Heidentum stets erhalten worden. Die
Allgemeinheit dieser Überlieferung bezeugen ausserdem, was
Diodorus Siculus (Zeit des Augustus) BißXioGriKii^ 'laropiKTi^ 1. 1,
c. 43; 1. II., c. 38 von den Aegyptern und Indiern, Posidonius
(bei Strabo reuüTpaqpiKwv 1. 7, c. 3; 3 C. 296; unter Augustus und
Tiberius} von den Mysiem; Porphyr ius (233 — 304) „De
abstinentia" 1. II, c. 27 von den Syriern anführt, besonders die
Angaben Piatos (427—348/47) „De Legibus" 1. 6, 782, c. sowie
Plutarchs (46—120 p. Chr.) Iu^^T6(Tlov 16; 159 C: dass in dem
Altertum keine Fleischspeisen verzehrt und deswegen auch
den Göttern keine Tiere geopfert wurden. Sie fügen noch
hinzu, dass man es auch zu ihrer Zeit für besonders gewissen-
haft gehalten habe, auf das Fleischessen zu verzichten.
Am deutlichsten finden wir diese Tradition bei Ovid
Metamorphosen 1. 15, v. 96 sq.:
At vetus illa aetas, cui fecimus aurea nomen,
Foetibus arboreis, et, quas humus educat, herbis
Fortunata fuit, nee poUuit ora cruore.
Tunc et aves tutae movere per aöra pennas,
Et lepus impavidus mediis erravit in herbis
Nee sua credulitas piscem suspenderat hämo:
Cuncta sine insidiis nuUamque timentia fraudem
Plenaque pacis erant nostrumque petentia letum,
Corpora missa neci salva pietate f atemur.
Sed quam danda neci, tam non epulanda fuerunt.
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— 114 —
^Aber es war ja jenes Alter, das wir das goldene
Nennen, glücklich bei Baumfrucht und Kräutern, welche die
Erde
Bringt, und die Menschen entweihten sich nicht durch das Blut.
Zu der Zeit schwang noch sicher der Vogel in der Luft sein
Gefieder,
Und der Hase lief ohne Scheu auf den Feldern, und seine
Leichtgläubigkeit hing nicht den Fisch an die Angel.
Da war noch alles ohne Gefahr und lebte, sich vor Betrug
nicht
Fürchtend, in völligem Frieden . . . Und ich gestehe, dass Tiere,
Die uns zu schaden suchen, ohne Verletzung der Menschheit
Können getötet werden. Aber obgleich sie getötet
Werden konnten, so sollte man doch sie nicht essen!" —
Mit Rücksicht auf das Vorhergehende (Seite 83 und 84)
können wir die Kategorie I nennen : die auf Grund der ersten
Offenbarungen Gottes zwischen der Bibel und dem klassischen
Altertum unzweifelhaft bestehenden stofflichen Übereinstim-
mungen und Verwandtschaften nämlich.
2. Der Engel Sturz.
Die hl. Schrift erzählt uns von einer Empörung der Engel
in den Himmelsräumen, deren Erschaffung Genesis I., l, vgl.
Buch lob c. 38, 4 und 7, angedeutet und im Kolosser-Briefe
c. l, V. 16 näher beschrieben wird. Sie berichtet ferner von
dem Stolze ihres Anführers Lucifer, dass derselbe sogar den
Thron Gottes erstürmen wollte, aber mit semem ganzen An-
hange wie ein Blitz hinabgeschleudert wurde. Der Prophet
Isaias redet den Lucifer an: „Wie bist du gefallen vom Himmel,
Glanzstern, Sohn der Morgenröte!" (Nach dem Hebräischen.)
„Du bist hinabgeschmettert zur Erde, du Völkerzertreter! Der
du gesprochen hast in deinem Herzen: zum Himmel will ich
aufsteigen, über die Gestirne Gottes erhöhen meinen Thron,
niedersitzen will ich auf dem Berge des Zeugnisses, von des
Nordens Seiten." „Aufsteigen will ich über die Höhen der
Wolken: gleich will ich sein dem Allerhöchsten!^
„Ja wohl: — zum Totenreiche stürzest du hinab, in die
Tiefe des Abgrundes!" — (Libri Isaiae c. 14, 12—17.)
Diese Worte beziehen sich zwar nach dem unmittelbaren
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— 115 -
Zusammenhange zunächst auf Babylon und seine gewaltigen
Herrscher, welche als ältestes Weltreich (cf. Genesis X., 10)
aus dem Dunkel der Urzeiten wie „frühe Morgensterne" her-
vorstrahlten. Insofern aber Babylon „das Weltreich**, sein
König auch „den Hochmut" sowie das titanenhafte Streben,
sich „zum Gotte dieser Welt" zu machen, repräsentiert, stehen
die prophetischen Züge (Vers 12 — 17) in geschichtlichem und
sinnverwandtem Zusammenhange mit „dem Fürsten dieser
Welt", dem gefallenen Engel (Lucifer = Morgenstern, cf. liber
lob c. 38, 7), und seinem Sturze aus der Höhe des Himmels
in den Abgrund der Hölle.
Christus selbst spricht (Evgl. S. Lucae c. 10, 18): „Ich
schaute den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen;
denn er hat (Evgl. S. Johannis c. 8, 44) in der Wahrheit nicht
bestanden.^ Er wähnte nämlich, obgleich er nur ein Geschöpf
war, so könne er doch Gott gleich sein.
Die Kirchenväter: Ambrosius, Cyprianus und Hieronymus
beziehen dieses Schauen des Engelsturzes auf ein Ereignis
vor Grundlegung dieser Welt (cf. Evgl. S. Johannis c. 17,5);
mithin vor der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Und die
Bezeichnung dieser Verstossung Satans („des Fallens") aus
dem Himmel, buchstäblich dem „Blitze" gleich, an Schnellig-
keit, an Wucht und an Feuer, welches aus dem lichten Himmels-
glanze in grimme und zerstörende Glut der Tiefe übergegangen
ist, bestätigt diese Annahme.
Gott, unser Herr, bediente sich bei diesem Strafgerichte
nicht einmal seiner vernichtenden Allmacht, sondern überliess
die Entscheidung den treu gebliebenen Engeln. Als Führer
derselben trat Sankt Michael auf, dessen Name (i:«;^^»: j^Wer
ist wie Gott}!"") gleichsam ihr Panier und Feldgeschrei war.
Johannes, der Seher des himmlischen Jerusalems, berichtet
hierüber also: „Es entstand ein grosser Kampf im Himmel:
Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der
Drache stritt samt seinen Engeln; aber sie siegten nicht, und
ihre Stätte ward nicht mehr gefunden im Himmel. Denn
gestürzt ward jener grosse Drache, die alte Schlange, welche
Teufel genannt wird und Satan, welcher irre geführt hat den
ganzen Erdkreis.*^ (Cf. 1. Apocalypseos S. Johannis c. 12, 7 sq.)
Die Israeliten wussten nämlich von alters her, dass der
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— Ii6 —
Satan und seine Genossen schon in grauer Vorzeit von Gott
abgefallen und gestürzt waren. Aus diesem Grunde setzt das
Referat in der Genesis c. 3, 1 sq.: „Die Schlange aber war
listiger" usf. die Existenz und den Fall der bösen Geister als
bekannt voraus. Der im neuen Testamente von dem Apostel
S. Judas (Epistolae catholicae v, 9) angeführte Streit des Erz-
engels Michael mit dem Satan um den Leichnam des Moses
gibt nur die uralte t)berlieferung der Synagoge („Himmelfahrt
des Moses**) über das Dasein, den Sturz und die gottfeindliche
Wirksamkeit des Teufels wieder: „Michaäl aber, der Erzengel,
als er im Wortstreite mit dem Satan kämpfte um die Leiche
des Moses, erkühnte sich nicht, ein lästerndes Urteil zu fällen,
sondern sprach (nur): ^Es schelte dich der Herr! ^ (Nachdem
Griechischen.) Cf. IL Epist. S. Petri Ap. c. 2, 11.
Darauf beziehen sich ebenfalls nachfolgende Stellen aus
dem Buche lob c. 9, 13 und c. 26, 12. „Gott ist es, dessen
Zorn niemand zu widerstehen vermag: vor ihm beugen sich
(auch) die Ungeheuer, welche unter dem Himmel sind.** (Nach
dem Hebräischen und der Septuaginta.) Cf. Epist, ad Philip-
penses c. 2, 10. „Die Ungeheuer" bedeuten nach Didymus
(310 — 395: Vorsteher der Katechetenschule zu Alexandrien)
u. a. die abgefallenen Geister und ihren Führer „den Fürsten
dieser Welt". Cf. Evgl. S. Johannes c. 12,31: Jetzt ist das
Gericht über die Welt: jetzt wird der Fürst dieser Welt aus-
gestossen !"
Buch lob c. 26, 12: „Des Himmels Säulen erzittern vor
seinem Dräuen: durch seine Kraft türmt sich plötzlich das
Meer auf, und durch seine Vorsicht schlägt er das Stolze (die
Stolzen = Satan und seine Genossen) nieder." Cf. Franz Zorell,
S. J., „Zur Frage über Babel und Bibel", S. 9.
Vor einigen Jahren entzifferte man eine assyrische
Geschichte des Sündenfalles, welche viele Anklänge an die Ur-
offenbarung enthält. In derselben wird vor dem Fehltritte
der ersten Menschen die Empörung der bösen Geister mit-
geteilt. An deren Stelle schuf der höchste Gott den Menschen,
nachdem er die Himmelsrebellen Verstössen hatte. Das Ganze
ist mit den glühenden Farben orientalischer Poesie ausgeschmückt.
Cf. „Laacher Stimmen" Band 12, Seite 37 f. und Kaulen
^Assyrien und Babylonien" Seite 160 f. — Das babylonische
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— 117 —
„ Schöpf ungsepos**, durch George Smith i. J, 1875 unter den
Trümmern des Palastes Assurbanipals in Kujundshik aufgefun-
den und durch einige Fragmente ergänzt, hat eine bereits stark
verdunkelte Erinnerung an jenen Abfall und Kampf der guten
und bösen Geister. Es heisst darin: Tiämat (hebräisch üinn,
Tehöm=Meer, Abgrund), welche nach Jensen, Keil und Zorell
hier als Weib erscheint, sonst der grosse Meeresdrache (Kaulen
„Assyrien und Babylonien" S. 160 f.), erhob sich gegen alle
Götter und schuf sich elf furchtbare Genossen als Helfer.
Marduk aber und Gesellen rüsteten sich zum Streite gegen die
Empörer, in welchem Tiämat mit ihrer ganzen Rotte besiegt
wurden. Hugo Winkler „Himmels- und Weltenbild der Baby-
lonier"^ S. 44, fasst diese Mitkämpfer Tiämats als die Ungeheuer
des südlichen Sternhimmels auf, welche den Zeichen des Tier-
kreises entsprechen. Cf. Buch lob c. 9, 13.
Sehr anschaulich und ausführlich behandelt der griechische
Dichter Hesiod diesen Vorgang in seiner Theogonie v. 643 — 745.
Obgleich diese Stelle etwas lang ist, so wollen wir dieselbe
doch um ihrer Vorzüglichkeit willen unverkürzt hier mitteilen:
Af| TÖTe TOTq )Ll€T^€nT€ 71017) p dvOpOIV T€ 0€IÜV T€ '
KckXutc |Lioi fairiq t€ kqi Oupavoö dxXaa t^kvq,
'Oqpp' eiTTU) xd |li€ 6u|iö<; dvi aTr\Qeaa\ KeXeuei.
''HbT] T^P luiaXa bripöv ^vavTioi dXXrjXoicTiv
H\Kr\<; Kai KpdTeo(; irepi )Liapvd|i€0' fiiiaja iravTa
TiTfiveq T€ 9€oi, Ktti öaaoi Kpövou dKTevö|Li€<T0a.
T|LieT<; bfe )Li€TdXriv t€ ßi^v kqi x^ipa^S &aiii:ov<;
<t>aiv€Te TiTTivecTCTiv dvdvrioi dv bat Xuypq
MvTiaojLievoi qpiXöniToq dvTifo<;, öcrcra iraGövreq
'Eq q>Ao<; aip dq)iK€(TG€ bucrriXcT^oq dirö becTiioO,
'H|i€T^po^ bid ßouXdq, dirö Ziöqpou i^epöevToq.
'Q^ qpdro, töv b' eSauri^ djueißeTO Kötto^ d|Liu|iiüV
Aaifiövr ouK dbdT]Ta 7riq)d<TKear dXXd Kai auTOi
''IbfLiev ÖTi irepi jLifev irpairibe^, Trepi b' IcTTi vöiniia,
'AXkttip b'dGavdTOicTiv dpf]^ T^'veo KpuepoTo*
Zfiq b'uTTÖ q)pab|Lioauvri(Tiv dirö locpov i^epoevTO^
''Anioppov b' dEauTiq djueXiKiiüv ättö becrjudiv
'HXu6o)Liev, Kpövou uife SvaE, dvaeXirra iraGövTeq,
Till Kai vOv dxevei le vöiu Kai dTriqppovi ßouXr)
Pu(TÖ|Li€0a KpdTOq ujnöv iv aivq briiOTfiTi
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— ii8 —
Mapvd)Li€Voi TiTqmv dva Kporepa^ u<T|iiva<;.
'Qq qxxx'. ^TtrivTiadv bk 6€oT bujxfipe^ ddiuv,
MÖ0OV dKOuaavre^- troX^iiiou b' ^XiXoiero Bv\iöq
MdXXov ?t' f\ TÖ trdpoiOe* jiidxiiv b' dfi^TopTOV lytipav
TTdvT€<;, OnXeai t€ Kai dpaeve? f^iiiaTi kciviü
TlTTlVe^ T€ 0€Ol, Kttl 0(7001 KpOVOU dgCT^VOVTO,
Oö^ T€ Zeuq dp^ßeuacpiv uttö X90vö<; f\Ke qwux; be,
Aeivoi re Kparepoi xe, ßiriv uTrepoTrXov ?xovTe^.
Tuiv iKttTÖv |ifev x^^Pt? dir' ujjliujv dicTCTovro
TTdaiv b^6j<;. K€q)aXai bk iKacTTiu TTevTrJKOVTa
'ES uj|Liuüv diT^qpuKOv dm arißapoTai jiieXcacTiv.
Qi TÖT€ TiT^ivecTcri KaTdaraOev dv bot Xuxp^i,
TTeipa^ i^Xißdxouq aTißap^<; tv x^P^Jw ?xovt€^.
TiTfive<; b'^TdpuüBev dKapriivavTO qxiXoTTa^
TTpoq)pov€U)(;, x^ipujv t€ ßiri^ 0' a|ia ?pTOV 2q)aivov
'AiiqpoTepor beivöv bk irepioxe ttövto^ dtreipiuv.
ffi bk ilict' iCiiapA-xriaev ' tnioieve b' oupavö^ eupii^
Z€l6)Ll€V0q, 7r€b60ev b' dTivd(y<T€TO jLiaKpö^ ^'OXuiiTTO^
'PiTTTj uir' d0avdTUüV ?vo<Ti^ b' kave ßapeia
Tdpxapov i^epöevra, irob&v oiireia t' iiun
'Aairdrou iuJXMOio, ßoXdujv t€ Kpoxepdujv.
'Qq dp' in' &\\f\\o\<; kcTav ßdXea (TTOvöevra*
<t>iüvf| b' d|iq)OTepu)v kex' oupavöv daiepöevra
KeKXojLieviüv. o\ bk Euviaav )Li€TdXuu dXaXiiTiii.
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— 119 —
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Toaaoq öoötto^ ?t€vto Beiliv ?pibi Suviövtuüv
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KfiXa Aiöq jiexaXoio. cpdpov b' iaxriv t' ^vottiiv re
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I)Li€pbaX€iiq ?pibo<;* Kdpro^ dveqpaivero IpTUJV,
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'E|Li)i6V^u)^ djLidxovTO bid Kparepdq u<T|liivo^.
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KÖTTO(; T€, Bpiapeüb? t€, fuTn? x'fiaToq ttoX^ilioio.
(Xi ^a TpiT]Koaiaq 7r^Tpo<; cTTißapujv dirö x^ip^^v
TT^IiTTov inaoovTipat; • Kaxd b' ^aKiaaav ßeXeeam
TiTTivaq' KOI Tou^ fiiv UTTÖ xöovö^ eupuobeiTi^
TTeiimiav, Kai beaiiioiaiv dv dpTaX^oiaiv ?bTi<Tav,
NiKr|<TavT€^ X^pcTlv, uirepeuiLiouq irep d6vTa(;,
Töaaov fvepG' \mö yriq, &aov oupavöq ?(Tt' dirö Tain?'
"laov Tdp t' dirö yf\<; iq Taptapov i^epöevxa.
'Evvea Tdp YJKiaq le xai f^iiiaTa xdXKCoq äkiliujv
OupavöOev Kariibv, bcKanj dq foiav ikoito.
'Evvda b' aö vuKra? t€ Kai f^iiiaTa xdXKeoq äk^iüv
'Ek fa\r\q Kariibv, bcKanj tq Tdprapov kor
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KcKpiicparai, ßouX^cTi Aiöq veqpeXTiTcp^Tao,
Xijüpiu iv eupuüevTi, ireXtüpriq f(TxaTaTai€<;.
Toi^ ouK ÖiTÖv dariv. iruXaq b' dTT^GTiKe TToaaeibuiv
XaXxeia^ • tcTxo^ TrepiKeirai b' djnqpoTepiwGev.
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NaioucTiv, cpuXaKeq Triaioi Aiö^ aiTiöxoio.
'Evedbe Tn<S bvocpepfiq, Kai Taprdpou ^cpöevTO?,
TTövTou t' dTpuT^TOio, Kai oupavoö daiepöevTO^,
'߀iTi^ TrdvTiüv^irTiTai Kai Treipar' famv,
'ApYaXe', €upu)€VTa, rd t€ cttut€ou<Ti 0€oi irep*
XdcTjüia )Li^t'* oube Ke iravta reXcacpopov €lq dviauTÖv
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— I20 —
OubO^ IKOIt', el TTpiÖTtt TTUX^IÜV ?VTOCT0€ t^VOlTO.
'AXXd K€V ?v6a Kai ?v6a cpepoi TipoOueXXa OueXXa
'ApTttXeiT beivöv re kqi dGavdTOKJi 0€Oiai
TOÖTO T^paq* Kttl VUKTÖ^ ^P€Vtl^ blKltt bClVCt
"EarriKev, V€q)€Xij^ K€KaXu)i^va KuoveijcTiv.
Hesiodi Opera Omnia a Bernardo Zamagna Ragusino edita.
Ex regio Parmensi typographio prodierunt a. 1785.
„Tum dapibus tali est alfatus Jupiter ore:
O Terrae ac vasti clarissima germina Coeli
Quae me cumque animus fari jubet, auribus aequis
Accipite, obnoxi, Saturno quot sumus orti,
Titanesque, imus jam dudum in mutua contra
Vulnera praeclara pro laude utrique ruentes
Imperioque . manus invictae et maxima vobis
Vis est: nunc animos, nunc vestras promite vires
Titanas contra, memores et foederis icti
Dulcis amicitiae, quondam et quae dura tulistis,
Tristibus exuti vinclis, ac noctis opacae
E latebris, per nos, revocati in luminis oras.
Dixerat; illi autem Cottus sie impiger infit:
NuUi ignota refers, o maxime: scimus et ipsi
Quod praestas animisque atque acri robore mentis
Et nostrae fueris cladis depulsor acerbae.
Consilio nos, magne, tuo vinclisque soluti
Fortibus, et nigra mersi in caligine, ab umbris
Venimus ad lucem, dura olim infandaque passi.
Quare adeo certum est nunc omne opponere robur
Vimque animi contra Titanas in arma furentes,
Pro vestro iraperio nobis pugnantibus usque
Marte gravi, sie ille: et divi dicta probarunt,
Laudaruntque hilares: ergo furor acrior omnes
Quam prius incendit, pugnamque lacessere visae
lila luce deae dique omnes: aspera monstra
Terrigenum, et nati Saturno, quotquot et atro
Jupiter ex Erebo dias eraisit in auras,
Robustique acresque, infracto ac robore firmi.
Centum horum ex humeris surgebant brachia, et alte
Stabant quinquaginta hirto capita ardua coUo
Membra super durata . hi cum Titanibus acri
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Oppositi in pugna validis torquere lacertis
Grandia certabant avulsi fragmina montis.
Hinc autem horrisona Titanes voce phalangas
Firmabant alacres, manibusque et pectore freli
Durum Martis opus multa virtute ciebant
Utrique. horrendum sonuere ingentia ponti
Aequora, congemuit tellus, coelumque superne;
Atque pedum crebro pulsu, telisque furentum
Impete Coelicolum tremuere cacumina Olympi
Sedibus ex imis convulsa. immissus in ipsa
Pervenitque tremor nigrantia tartara, et ingens
A pedibus, jactisque una fragor excitus armis,
Omniaque indomito penitus concussa tumultu,
Sic illi alternos geminabant ictibus ictus
Sese inter congressi, et sidera ad aurea clamor
Ibat utrinque hortantum, et utrinque in bella ruentum.
Nee sibi jam genitus Saturno temperat; ira
Suscitat incendens animos, atque erexit omnem
Vitutem: summi gradiens per culmina Oympi
Saevit, et ardenti jaculatur fulgura dextra
Igneus, ingenti tonitru delapsa ruebant
Fulmina crebra, sacras circum volventia flammas
Terrifica sub nocte. solum late aestuat omne
Igne sonans, crepitantque exustis ardua sylvis
Tecta avium flammata atque imae viscera terrae,
Oceanusque fluens, et vasti caerula Nerei,
Omnia fervescunt: calidus vapor undique torret
Titanas, rutiloque involvit turbine flamma
Aßra diffusum: radiantia fulgura Visum
Eripiunt, oculosque hebetant commixta trisulcis
Fulminibus; vis nuUa valet se opponere contra.
Corripuere Chaos jamque ipsum incendia, et ignem
Coram oculis lustrans cernebat et auribus altum
Hauribat strepitum, seu si subsideret imam
Desuper in terram furibundo pondere Caelus.
Usque adeo magno reboabant cuncta fragore
Oppressa tellure, illoque premente ruinam
Horrificam ex alto graviter. tanto arma tumultu
Dl super aflfusi jactabant; ventus et un^
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Pulveream nubem toUens per inane ferebat,
Fulguraque, et rapidi resonantem fulminis ignem
Tela lovis magni; fremituque implebat utrasque
In medio pugnantum acies. fragor undique et horror
Apparet, multo et virtus spectata labore.
InclincUa autem pugna est, licet aspera primum,
Proelia connixi violento robore obirent
Inque vicem adversi ruerent. ante agmina primi
Certantes bellum instaurant, et in arma feruntur
Cottusque, Briariusque, Gygesque immanis, ad auras
Tercentum magno jaculantes pondere rupes
Ingentes totidem manibus, jaculisque frequentes
Umbrantes subter, Titanas, quos ubi victos
Concidere, ac passim Stratos videre, sub imum
Dejicere solum, vinclisque et compede nexos
Tantum infra terram subter traxere superbos,
Quantum alto coeli tellus a vertice distat.
Par etenim spatium est a terra in tartara: noctes
Acra novem totidemque dies a culmine coeli
Luce gravis decima in terram descenderet incus
Ferrea. rursum eadem totidem noctesque diesque
E terra fugiens tenebrosa in tartara subter,
Lapsa die incideret decimo. stant moenia ferro
E solido circum, triplicique aflfusa meatu
Horrida nox umbris nigrantibus ora coörcet;
Supra terra sedet, vastumque exaestuat aequor.
lUic obscura pressum caligine degit
Titanum genus acre, lovis supera alta regentis
Consilio, ingentisque colit trans ultimo terrae
Inf ormi loca senta situ . non exitus uUa
Parte datur: claudit ferratis undique portis
Neptunus, coeloque aducta utrinque minantur
Molibus impositis adamantina moenia. Cottus
Stat propior, Briareusque, Gygesque, et limina servant
Insomnes aerata, lovis custodia fida.
Jetzt sprach Zeus vor ihnen der Götter und Sterblichen Vater:
„Höret mich, herrliche Söhne, was das Herz mir im Busen
gebietet.
Lang schon stehen fürwahr wir feindlich gegeneinander,
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Tag für Tag uns bekämpfend, um Sieg zu erringen und Obmacht,
Sie, die titanischen Götter, und wir von Kronos Entsprossten.
Auf denn, zeigt die gewaltige Kraft und die schrecklichen Hände
Jetzt dem Titanengeschlecht, euch messend im hitzigen Kampfe,
Freundlichen Dienstes gedenk, und wie viel ihr musstet erdulden,
Bis ans Licht ihr gelangtet zurück aus lastenden Fesseln
Wieder durch unseren Mut vom Reiche des mächtigen Dunkels!**
Also Zeus. Ihm bot der unsträfliche Kottos entgegen:
^Göttlicher, nicht Unbekanntes erwähnst Du, nein, wir selbst schon
Wissen, dass höherer Geist Dir ward und höhere Einsicht;
Dass Du der Ewigen Schirm Dich gezeigt vor schrecklichem
Fluche,
Dass wir wieder zurück aus unbarmherzigen Banden
Nur durch Deinen Entwurf vom Reiche des mächtigen Dunkels
Kamen, erhabener Sprosse des Kronos, nimmer es hoffend.
Deshalb jetzt mit beharrlichem Sinn und bedächtigem Rate
Wollen wir eure Gewalt in vertilgender Fehde beschirmen:
iMit den Titanen uns messend in machtvoll ringenden Schlachten!"
Also sprach er; da lobten's die göttlichen Geber des Guten,
Als sie die Rede vernahmen; nach Krieg sehnt jedem das
Herz sich
Jetzt noch mehr, denn früher. Den schrecklichen Kampf nun
begannen
Alle die ewigen Götter zur Stund', ob Gott oder Göttin
Sie, die titanischen Geister, und sie vom Kronos Entsprossten,
Und die Zeus zum Lichte gesandt aus dem Dunkel der Erde,
Furchtbar und mächtig begabt mit übergewaltiger Stärke.
Ihnen entsprang an der Schulter ein Hundert riesiger Arme
Allen zugleich, und fünfzig entsetzliche Häupter beherrschten
Jedem herab von den Schultern den Bau der gedrungenen
Glieder.
Diese nun stellten im Kampf, im düsteren, sich gen die Titanen^
Wuchtige Stücke von Felsen umfassend mit nervigen Händen. —
Doch auch drüben verstärkten zugleich die Titanen die Reihen
Sorglichen Sinnes, und der Hand und der Kraft vortreffliche Werke
Zeigten sie beide ; da rauscht rings wild die unendliche Meerflut,
Weithin ächzet die Erde, der Himmel erdröhnt, der gewölbte ;
Mächtig erschüttert nun wankt vom Grund der erhabene Olympos
Unter der Ewigen Wucht; schon reicht das gewaltige Beben
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— 124 —
Bis zu des Tartaros Dunkel, das Schreckengetöse der Schritte.
Und der gewaltigen Würfe im furchtbaren Schlachtengewühle.
Also schleuderten sie gegeneinander die Jammergeschosse.
Beider Geschrei stieg auf zum stemdurchfunkelten Himmel,
Während sie sich auf reizten : sie stritten mit mächtigem Kampfruf.
Doch auch Zeus hemmt länger den Mut nicht, sondern erfüllt ward
Jetzt von Grimm sofort sein Herz; er enthüllte nun völlig
Seine Gewalt, und Blitze zugleich vom Himmel entsendend
Und dem Olympos, erging er sich rastlos; zündende Keile:
Schlag auf Schlag mit Gekrach und Leuchtglanz flogen behende
Aus der gedrungenen Hand und wirbelten heilige Glut her,
Zahllos; aber die Erde, die nahrungssprossende, ächzte
Rings in Flammen ; es kracht im Brande die mächtige Wölbung ;
Ringsum zischte die Erde sodann, des Okeanos Strömung,
Wie das verödete Meer; und die erdgebornen Titanen
Hüllte versengender Brodem; es zuckt in die heiligen Lüfte
Riesig die Flamme; sogar der Gewaltigen Augen erblinden
Über der flackernden Helle der donnerbegleitenden Blitze.
Grauenvoll erfasste der Brand nun das Chaos; völlig der Anblick
War's für das Auge, zugleich für's Ohr auch das nämliche Tosen,
Wie wenn gegen die Erde von oben der wölbende Himmel
Schon sich nahte, so mächtig erhob sich ja das Gekrache,
Als sie zermalmt einst lag und er von der Höhe sich senkte.
So denn tobte der Lärm, als zum Kampf anstürmten die Götter
Und mit Getös' auch jagten die Winde den Sturm und den
Staub auf,
Donner und lodernden Blitz in weithin flammenden Wetter,
Arge Geschosse des Zeus, und trugen Geheul und Gestöne
Unter die Kämpfenden hin : ein entsetzliches Tosen erhob sich
Über dem schrecklichen Streit; kund wurden gewaltige Taten,
Bis sich neigte die Schlacht. Doch zuvor noch hart aneinander
Kämpften sie unablässig in machtvoll ringender Feldschlacht.
Aber vor allen erweckte die furchtbar brennende Kampfwut
Kottos, Briareos dann und der rastlos kämpfende Gyges,
Die dreihundert Felsen zugleich den gedrungenen Händen
Wurf auf Wurf nun entsandten, und fernhin mit den Geschossen
Umschatteten sie die Titanen, und unter die kluftige Erde
Jagten sie diese hinab und schlugen mit siegenden Händen
Dannsie in schmerzliche Fesseln, so wild auch immer sie tobten,
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So tief unter die Erde, soweit von der Erde der Himmel;
Denn gleichweit von der Erde zum Tartaros ist es, dem düsteren,
Müsste ja doch neun Tage und neun Nächte ein eherner Amboss
Fallen vom Himmel herab, am zehnten zur Erde gelangend,
Wieder sodann neun Tag' und Nächte ein eherner Amboss
Fallen herab von der Erde, am zehnten den Tartaros treffend.
Diesen umläuft ringsum von Erz ein Gehege, und dreifach
Lagert die Nacht auf ihm, um den Scheitel gegossen, darüber
Wachsen die Wurzeln der Erde, sowie des unwirtlichen Meeres.
Dorthin ward das Titanengeschlecht im dünsteren Dunkel
Endlich gebannt nach dem Rate des Wolkenversammlers Kronion,
Unten im dumpfigen Ort, am Rande der riesigen Erde:
Flucht ist ihnen verwehrt; da Poseidon eherne Pforten
Dorthin stellte, und ringsum ein steinern Gemäuer sich hinzieht.
Gyges sodann, auch Kottos, der stolze Briareos ferner
Wohnen daselbst als Wächter des Aegis-tragenden Herrschers. —
Die Schilderung des Titanenkampfes hat etwas Gross-
artiges: wie in einem Kolossalgemälde ist das Ganze dargestellt.
Alles wird nur in wenigen, aber riesigen Zügen uns vorgeführt.
Zeus eröffnet seinen Getreuen, dass eine definitive Auseinander-
setzung mit den rebellischen Titanen unvermeidlich sei. Für
alle sagt Kottos seine Ergebenheit und Hülfe im bevorstehen-
den Entscheidungskampfe zu. Das Signal wird gegeben, und
der gegenseitige Schlachtenruf schallt bis zum sternbesäten
Olympos empor. Nun folgt ein Wettersturm, nicht von Hagel-
steinen, sondern von Felsblöcken aus den mächtigen Händen
hundertarmiger Kämpfer geschleudert. Die Höhen und Tiefen
erzittern bei dem wuchtigen Anprall dieser kolossalen Kampfes
geschosse. Hierauf schlägt Zeus in eigener Person mit Blitz
und Donner unter die anstürmenden Titanen : ein Flammenmeer
verschlingt Himmel und Erde, das Meer und die Unterwelt.
Die treugebliebenen Anführer: Kottos, Briareos und Gyges
schlagen nunmehr den Angriff der Titanen zurück und stürzen
dieselben in den urweltlichen Schlund des Tartaros, in welchem
alle Mächte der Finsternis und der Zerstörung hausen. Hier
bleiben dieselben in ewiger Haft gebannt und mit Ketten
gebunden, welche sie nicht zerreissen können.
Zu vergleichen ist die Stelle im II. Briefe S. Petri Vers 4 :
'0 eeö^ dTT^XiüV djuapxriadvTiüV ouk ^cpeiaaTO, dXXct (y€ipai(; Cöcpou
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. lO
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— 126 —
TapTapu)aa<;, napebuüKtv exe, Kpiaiv TripoujLievouq. Deus angelis
peccantibus non pepercit, sed rüden tibus (catenis) inferni detrac-
tos in tartarum tradidit cruciandos, in Judicium reservari.
„Gott hat der Engel, welche gesündigt haben, nicht geschont,
sondern mit Banden (Ketten) der Hölle sie in den Abgrund
gestossen, um dieselben der Peinigung zu überantworten und
für das Gericht aufzubehalten." — Ferner: Brief S. Judae
Apostoli Vers 6: ''0 IricToöq dYT^Xou^ tou^ )Lif) Triprjaavxaq Tf|v
^auTiüV dpx^v, dXXd uTroXiircvTaq t6 ibiov oiKiripiov, ei<; Kpiöiv MCTaXtiq
fljn€pa<; becTiLioiq dibioiq uttö Cöpov xeiripriKev. Jesus (Deus) angelos,
qui principatum suum non servaverunt, sed domicilium suum
dereliquerunt, in Judicium magni (illius) diei vinculis aeteinis
sub caligine reservavit. „Jesus, der Herr, hat die Engel, welche
ihr Herrschertum nicht bewahrt haben, sondern ihre Wohnstätte
verliessen, zum Gerichte des grossen Tages mit ewigen Banden
unter der Finsternis aufbewahrt/*
Hesiod ist in seiner Darstellung des Titanenkampfes dem
Sänger Homer, wenn nicht überlegen, dann wenigstens eben-
bürtig, und ein Vorbild für Äschylos und Dante geworden.
Im christlichen Sinne haben Jost van den Vondel (1587—1679),
der erste Dramatiker Hollands, in seinem „Lucifer'', sowie in
der Gegenwart Eduard Hlatky in seinem dramatischen Gedichte
„Weltenmorgen'' (1. Auflage 1896, 2. Auflage 1897, 3. Auflage
1903), den „Engelsturz" behandelt. In dem kirchlichen Officium
(„Stundengebet") heisst es: „Concussum est mare et contreniuit
terra, quum S. Michael Archangelus ad draconem debellandum
de coelo descendereti" (Ad IL Vesperas diei 29. Septembris.)
„Hoch aufschäumte das Meer und heftig erbebte die Erde, als
Sankt Michael, der Engelfürst, zum Kampfe gegen den Satan
vom Himmel herabstieg." Cf. 1. II. Regum 22, 8 sq.; Psalmi
Davidis 17. 8—17.
Homer berichtet Odysseos 1. XI., 313 sq. von den Titanen:
Ol pa Kai dGavotTOicTiv ^ireiXriTTiv ev 'OXujlittuj
OuXöiriba CTTr|(T€iv 7To\udiKO<s TToXejuoio.
"Oöcrav ^tt' 'OXujlittuj juejuacriv Gejuev, aurdp in' "Octctt]
TTriXiov ei voaicpuXXov, iv' oupavö^ d)LißaTÖ^ eXr].
„Ja die Unsterblichen selber bedrohten sie, auf Olympos
Feindlichen Kampf zu erregen und tobendes Schlachten-
getümmel :
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- 127 —
Ossa zu höh'n auf Olympos gedachten sie, aber auf Ossa
Pelion, rege von Wald, titn hinauf in den Himmel su steigen!^
Diesen Vorgang bezieht Philo Judaeus vel Alexandrinus
(Operum Vol. II. Pag. 219 „De confusione linguarum", edidit
Paulus Wendland, Berolini 1897) auf das titanische Unternehmen
bei dem Turmbau zu Babel.
Virgil sagt in seinen „Georgica" („Landbau") 1. 1. 276 seq.:
„. . . Quintam fuge (diem): pallidus Orcus
Eumenidesque satae; tunc partu Terra nefando
Coeumque Japetumque creat saevumque Typhoea
Et cönjuratos coelum refringere fratres:
Ter sunt conati imponere Pelio Ossam
Scilicet, atque Ossae frondosum involvere Olympum,
Ter pater exstructos disjecit fulmine montes."
„. . . Den fünften Tag aber meide: des hässlichen Todes
Und der Furien Zeit ; es schuf einst die Erde
Den Coeus dann und Japetus, sowie den wilden
Typhoeus und Brüder, vereint den Himmel su stürmen \
Dreimal ja suchten sie Ossa zu höh'n auf Pelion,
Auf Ossa sodann den waldreichen Olympos:
Zeus aber schlug mit dem Blitze die Berge dreimal auseinander."
Nach dem altrömischen Volksglauben, welchem auch der
Kaiser Augustus zugetan war (cf. Suetonii „Divi Augusti" c, 92),
gab es einige Tage in jedem Monate, die für Feldarbeiten usf.
ungünstig waren (dies nefasti). Als einen solchen bezeichnet
Virgil hier „den fünften". Dann hätten nämlich der bleiche
Orkus und die Eumeniden eine besondere Gewalt ; desgleichen
auch die Titanen: Coeus und Japetus, sowie Typhoeus, ein
Ungeheuer mit hundert Drachenköpfen. Er erwähnt schliess-
lich noch die Aleiden: Ottus und Ephialtes, welche sich ver-
schworen hatten, gleich den Giganten, sogar den Himmel zu
erstürmen. Zu diesem Zwecke versuchten sie, die Berge Ossa,
Pelion und Olympus aufeinander zu türmen : dreimal nacheinander.
Aber ebenso oft vereitelte Vater Zeus dieses Unternehmen
und versenkte die Empörer mit dem Blitzstrahl in die Unter-
welt. Die Strafe nun der so gestürzten Titanen beschreibt der
Sänger Virgil in dem 6. Buche der Aeneis, Vers 577 sq. :
„ . . . . Tartarus ipse
Bis patet in praeceps tantum tenditque sub umbras
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Quantus ad aetherium coeli conspectus Olympum.
Hie genus antiquum Terrae Titania pubes,
Fulmine dejecti fundo volvuntur in imo.
Hie et Aloidas geminos immania vidi
Corpora, qui manibus magnum rescindere coelum
Adgressi superisque Jovem detrudere regms.
Vidi et erudeles dantem Solmonem poenas,
Dum flammas Jovis et sonitus imitatur Olympi:
Quattuor hie invectus equis et lampada quassans
Per Grajum populos mediaeque per Elidis urbem
Ibat ovans Divomque sibi poscebat honorem.^
^ . . , . Der Tartarus selber
Streckt zweimal so tief sich hinab in die Schatten des Abgrunds,
Als durch den Himmel der Blick zu ätherischen Höh*n des
Olympus :
Dort ist der Erd' uraltes Geschlecht, die titanische Jugend,
Welche vom Blitze versenkt, am untersten Grunde sieh wälzet.
Auch des Alceus Söhne, die Zwillinge, grässlichen Wuchses,
Schaut' ich, die mit den Händen den Bau des erhabenen Himmels
Aufzureissen gewagt, und Zeus vom Throne su stürben.
Auch den Salmoneus sah ich, der schwer dem Jupiter büsste,
Als er den Blitz nachahmt' und den Donnerhall des Olympus.
Von vier mutigen Rossen geführt, und die Fackel erschütternd,
Flog er durch Grajer einher und die Stadt der bevölkerten Elis :
Stol^ im Triumph und forderte sich der Unsterblichen Ehre.^
Ähnlieh lautet die Darstellung, welche Ovid „Metamor-
phoseon" 1. I., V. 151 sq. uns bietet:
„Neve foret terris securior arduus aether
Adfeetasse ferunt regnum coeleste Gigantes
Altaque congestos struxisse ad sidera montes.
Tum Pater omnipotens misso perfregit Olympum
Fulmine, et excussit subjeetae Pelion Ossae.
Obruta mole sua quum corpora dira jacerent,
Perfusam multo natorum sanguine Terram
Immaduisse ferunt calidumque animasse cruorem;
Et, ne nuUa suae stirpis monimenta manerent.
In faciem vertisse hominum. Sed et illa propago
Contemtrix superum saevaeque avidissima caedis
pt violenta fuit: scires e sanguine natos."
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— 129 -
„Aber damit der erhabene Himmel nicht ruhiger wäre
Als der Erde Gefilde; so sagt man haben die Riesen
Nach der Beherrschung des Himmels gestrebt und hohe Gebirge
Aufeinander getragen, empor zu den Sternen gerichtet.
Aber es riss der allmächtige Vater entzwei den Olympus
Mit dem geschleuderten Blitz, und schmetterte über den Ossa
Aufgerichtet den Pelion nieder. Und als die verruchten
Riesengestalten da, von den Bergen begraben, nun lagen.
Hat, wie man sagt, die Erde, durchtränkt von den Strömen
des Blutes
Ihrer Gezeugten, das warme Blut von neuem beseelet;
Aber, damit keine Spur des Riesengeschlechtes ihm bliebe.
Es zu Menschen geschaffen. Aber auch diese Geschlechte
Waren Verächter der Götter und dürstend nach wütigen
Schlachten,
Waren voller Gewalttat — sie waren vom Blute geschaffen."
Von der Strafe der Giganten, besonders von der Züch-
tigung des Typhoeus, erzählt Ovid „Metamorphoseon" 1. V.,
V. 345—358:
„Vasta giganteis ingesta est insula membris
Trinacris, et magnis subjectum molibus urget
Aetherias ausum sperare Typhoea sedes,
Nititur ille quidem pugnatque sesurgere saepe.
Dextra sed Ausonio manus est subjecta Peloro,
Laeva, Pachyne, tibi Lilybaeo crura premuntur,
Degravat Aetna caput, sub qua resupinus harenas
Ejectat flammamque ferox vomit ore Typhoeus.
Saepe remoliri luctatur pondera terrae,
Oppidaque et magnos devolvere corpore montes.
Inde tremit tellus, et rex pavet ille silentum,
Ne pateat latoque solum retegatur hiatu
Immissusque dies trepidantes terreat umbras."
„Über der Riesen Gebeine wurde die Insel Trinacris (Sizilien)
Hergeworfen und drückt mit grosser Last den begrabenen
Kühnen, den Stürmer der himmlichen Sitse, Typhoeus. Er kämpfet
Zwar, und stemmt sich wieder emporzuheben, doch ruhet
Unter dem Berge Pelorus die Rechte, über der Linken
Liegt Pachyne, und Lilybaeus über den Füssen,
Aetna schwer auf dem Haupte; rückwärts liegt er darunter,
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— I30 —
Speit voll Grimmes Flammen und Sand aus dem Schlünde.
Wohl öfters
Strebt er, die Last der Erde von sich zu wälzen, und Städte
Umzukehren mit seinem Leib' und grosse Gebirge.
Darum erbebet die Erde; selbst der König der Schatten
Fürchtet: sie möchten sich öffnen, und weit voneinander sich
auftun,
Und das hereingedrungene Licht die bebenden Schatten
Erschrecken."
„Metamorphoseon" 1. V., v. 317 sq. spricht Ovid von der
Furcht, welche der gestürzte Typhoeus noch eingeflösst habe:
„Tunc sine sorte prior, quae se certare professa est,
Bella canit superum, falsoque in honore Gigantas
Ponit, et extenuat magnorum facta deorum,
Emissumque ima de sede Typhoea terrae
Coelitihus fecisse metum, cunctosque dedisse
Terga fugae, donec fessos Aegyptia tellus
Ceperit et Septem discretus in ostia Nilus."
„Darauf begann, die zuerst sich gerühmt hatte zu streiten,
Von den Kriegen der Götter zu singen, und die Giganten
Fälschlich zu loben; sie verkleinert die Taten der grossen
Götter: sang, wie Typhoeus aus der Tiefe der Erde
Sich erhoben und habe die Götter erschreckt, dass sie alle
Wären geflohen, bis Aegypten und Nilus mit sieben
Armen den Müden endlich hätten Ruhe gegeben."
Im Buche lob c. 41, 16 heisst es (nach der Vulgata) von
dem Leviathan = Satan, dem verstossenen Engelfürsten: „Quum
sublatus fuerit Leviathan (etiam) angeli timebunt et territi
purgabuntur." „Wenn der Leviathan emportaucht, so erzittern
selbst die Engel, und erschreckt suchen sie ihr Heil.'* Der
hebräische Text lautet wörtlich übertragen: „Vor seinem (des
Leviathan = Satan) Aufbäumen fürchten sich Helden („Elim"
Engel); vor Bestürzung (genauer „Brüchen") werden sie irre
(fliehen sie)." S. Gregorius Magnus bezieht diese Stelle mit
der Vulgata auf den „Drachen des Abgrundes" und übersetzt
demgemäss den ersten Halbvers: „Wenn er (der Satan) hinweg-
genommen wird (nämlich bei dem letzten Gerichte in den Ab-
grund gebannt wird), dann erzittern (vor der Wucht seines
Sturzes) selbst die Engel des Himmels."
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— 131 —
Zu der ganzen Auffassung der Titanen ist Eusebius
„Historiae Ecclesiasticae" l. I., c. 2, n. 19 — 22 zu vergleichen,
welcher deren frevelhafte Taten ausführlich beschreibt.
Auch in diesem Abschnitte können wir nach Joseph Schreiner
„Elysium und Hades", Seite 9 — 12 (Braunschweig und Leipzig
1902 bei Richard Sattler) die I. Kategorie anführen; nämlich
die Anklänge und Übereinstimmungen zwischen Bibel und
klassischem Schriftentum in stofflicher Beziehung.
3. Die Stindüut.
Die Religion des alten Bundes hatte die Bestimmung, aus
den engen Grenzen des Judenlandes herauszutreten und eine
Welt-Religion aus sich hervorgehen zu lassen, nachdem der
propädeutische Zweck Gottes an ihm erfüllt war. 'Ek fäp Ziujv
e^eXeiicreTai vÖ|lio^, koi ö \6foq tou Kupiou iE 1epouaaXr|)Li- De Sion
enim exibit lex, et verbum Domini de Jerusalem! ^Denn von
Sion aus wird das Gesetz ergehen, und des Herrn Wort von
Jerusalem!" Isaiae Prophetae c. IL, 3. Und ferner: ^0 v6|lio^
TiaibaTUJTÖq f||LiüJV T^TOvev eiq Xpiaiöv Lex paedagogus noster
in Christum fuit. „Das Gesetz ist unser Erzieher auf Christus
hin geworden." S. Pauli ep. ad Galatas c. IIL, 24.
Judäa sollte Hellas und Rom sich erobern und geistig
überwinden! Cf. S. Pauli ep. L ad Corinthios 1, 18 — 31. Ihm
wurde ja verkündigt: „Dich, Israel, erwählet heute Jehowah,
dass du ihm ein erbeigenes Volk seiest; wie er auch zu dir
gesagt hat, dass du alle seine Gebote haltest. Dafür wird er
dich über alle Völker erheben^ welche er zu seinem Lobe, Ruhme
und Verherrlichung erschaffen hat." Libri Deuteronomii c. 26,
17 — 19. Zu diesem Ende musste es aber seinerseits auch eben-
bürtige Waffen auf den Kampfplatz bringen, auf welchem diese
Geisterschlacht entschieden werden sollte. — Das alte Testament
war für die übrige hellenisch gebildete Welt in einer „bar-
barischen", fremden Sprache geschrieben. Das Semitische, mit
seinen für das Verständnis anderer Nationen schwierigen und
fremdartigen Anforderungen, konnte nicht eroberend auf-
treten. Der Inhalt der heiHgen Bücher musste daher in
eine andere und leichtere Form gegossen werden. Der Über-
gang vom alten zum neuen Testamente wäre ohne das Da-
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— 132 —
zwischentreten eines Bindegliedes ein zu plötzlicher gewesen.
Nach der Vorsehung Gottes wurde diese Vermittlung durch
die Alexandrinische Übersetzung der Siebenzig, ^dieSeptuaginta^^
hergestellt. Gemäss dem Zeugnisse des Philo Alexandrinus
vel Judaeus (zirka 20 vor Christus bis zirka 54 nach Christus),
und des Flavius Josephus (37 — 101 nach Christus) wurden die
Schriften des alten Testamentes unter dem Ägyptischen Könige
Ptolemaeus Philadelphus (284 — 247) in das Griechische übersetzt.
Hierdurch ist die hl, Schrift der gansen gebildeten Heidenwelt
zugänglich geworden. ^)
Nachdem nun zirka 280 v. Chr. das Gesetz Moses über-
tragen war, folgten die übrigen Bücher nach; so dass gegen
250 vor Christus die Schriften des alten Testamentes sämtlich
ein griechisches Gewand besassen. Von dieser Zeit an stand
der Weg zum Studium der hellenischen Literatur offen. Auch
ist die Übersetzung der Septuaginta ein unsterbliches Werk,
welches immerdar seine Bedeutung behalten wird. Mit ihr
erhielt die ehrwürdigste aller Urkunden in der königlichen
Bibliothek zu Alexandrien einen vorzüglichen Platz, um von
hier aus eine neue Richtung für die gesamte hellenische und
römische Bildung anzubahnen. Schon unter Ptolemaeus VI.,
Philometor (180 — 145) berief sich der jüdische Philosoph Aristo-
^) Philo Judaeus vel Alexandrinus („De Vita Mosis" 1. IL, c. 5—8
Ausgabe von Leopold Cohn Vol. IV., Seite 171 — 175, Berlin bei Georg
Reimer 1902) beschreibt die Übertragung des Pentateuchs in die grie-
chische Sprache und fügt noch hinzu, dass zur jähriichen Erinnerung an
dieses wichtige Ereignis in Alexandrien ein Fest- und zu Jerusalem ein
Fasttag angesetzt worden sei: A16 xai in^xpi vOv dvA iräv ^to^ ^opT?i xal irav-
iflT^pK; äT€Tar ktX. Cf. L. c. c. 7, n. 41, Seite 174, Berlin 1902. — Eine
sehr ausführliche Darstellung von der Entstehung der „Septuaginta" gibt
Flavius Josephus in seinem Werke „Antiquitatum Judaicarum" 1. XII., c. 2,
n. I — 15; femer in seiner Verteidigung „Contra Apionem" 1. IL, c. 4. —
Diese Tatsache bezeugen auch: Tertullianus „libri Apologetici" c. 18;
Athanasius in dem ihm zugeschriebenen Werke: „De synopsi scripturae
sacrae"; Epiphanius „Liber de mensuris et ponderibus"; Justinus „Cohor-
tatio ad Gentiles"; Augustinus „De civitate Dei" 1. 18, c. 42; l. IL „De
doctrina christiana" c. 15; „De consensu evangelistarum." l. L; Eusebius
„De praeparatione Evangelica" 1. 8, c. i ; „Historiae Ecclesiasticae" 1. V.,
c. IG.; 1. VI. c. 16.; Irenaeus „Adversus haereses" 1. IIL, c. 25; Hilarius
„Tractatus in Psalmum IL"
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— 133 —
bulos öffentlich auf die Septuaginta, um nachzuweisen, dass
Plato einiges von Moses entlehnt habe. Cf. Eusebius „De
praeparatione evangelica" 1. 13, c. 12; Clemens Alexandrinus
„Stromatum" 1. 1., c. 22. Von nun an tritt der Name des Moses
neben jene der gefeiertsten Männer des Altertums. Diodorus Siculus
ein Zeitgenosse des Kaisers Augustus, führt in seiner „Biblio-
theca Historica" 1. I., c. 94, die Gesetzgeber der Aegyptier
(Menes), der Kreter (Minos), der Lacedämonier (Lycurgos), der
Geten in Thracien (Zamolxis) usf. an, welche alle durch die
Gottheit zu ihrem Amte berufen wurden, und fährt dann
(Kaxa auvecTiv) weiter: TTapd bfe toT^ 'loubaioiq Miuafiv vo|lioG€ttiv
TTpoöTTOiricyaTG 6 lau» ^mKaXou^evo^ Oeö^* Apud Judaeos tradunt
Jaho, quem deum invocabant, auctorem fuisse Moysi ut logis-
lator populi sui fieret. Man sagt, dass bei den Juden ihr Gott
Jaho (Jehowah, Jahve) den Moses veranlasst habe, ein Gesetz-
geber seines Volkes zu werden. (Am Sinai.) Philo Alexan-
drinus hielt die Septuaginta für göttlich inspiriert und legte
sie allen seinen Werken zugrunde. Auch die Apostel des
Herrn (Evangelien usf., Briefe) bedienten sich derselben, sowie
ihre ersten Nachfolger. In der griechischen Kirche blieb sie
im liturgischen und öffentlichen Gebrauche bis heute.
Ausserdem kam noch ein Umstand den Juden sehr zu
statten, dass sie sich allmählich in allen grösseren Städten der
heidnischen Länder niederliessen und griechische Bildung an-
nahmen. Ihre Zahl war eine grosse. Die Verbreitung der
Judenschaft lässt sich in eine östliche, südliche und westliche
unterscheiden. Die erste und älteste geschah im Jahre 722
vor Christus mit der Wegführung der zehn Stämme nach
Assyrien (cf. 4. Regum c. 17, 6), und brachte die Israeliten in
die Lande und Städte des Ostens bis nach Mittel- und Hoch-
Asien, sogar nach China hin. Daher ist die Möglichkeit vor-
handen, dass jüdische Kolonisten auf den Boden Chinas und
Indiens bereits Ideen verpflanzten, aus welchen dort die ver-
hältnismässig reine Lehre des Laotse (geboren 565 v. Chr.)
und Konfuzius (551 — 479 v. Chr.), sowie hier die weniger lautere
Reformation Buddhas (f 12. Mai 542 v. Chr.) hervorwuchs.
Vgl. Haneberg „Geschichte der biblischen Offenbarung" 4. Auf-
lage, S. 393—396; Regensburg bei Manz. Bald nach der
Assyrischen Deportation erfolgte die zweite und südliche Aus-
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— 134 —
Wanderung der Juden nach Aegypten hin, und zwar aus den
nördlichen zehn Stämmen. Vgl. Oseae prophetae c. 8, 13; c. 9,
3 sq. Um dieselbe Zeit verkündigt der Prophet Isaias (c. 19,
18 f.), dass fünf Städte in Aegypten hebräisch reden würden,
und deutet an, dass sogar ein jüdischer Tempel in Aegypten
gebaut werde. Ein Jahrhundert später erhalten wir sichere
Nachrichten über die Niederlassung der Israeliten im Pharaonen-
Lande. Nach der Zerstörung Jerusalems und der treulosen
Ermordung des edelen Statthalters Gedalia (588 — 586 a. Chr.)
zogen viele Juden mit dem Propheten Jeremias nach Aegypten.
Vgl. 4. Regum c. 25, 26 f.; und Jeremiae proph. c. 42—44.
Somit blühte schon bald nach 722 a. Chr. eine jüdische
Kolonie daselbst: 150 Jahre früher, ehe Pythagoras aus Samos
(ca. 540 a. Chr.) eine wissenschaftliche Reise dahin unternahm
und späterhin auch Plato.
Unter Alexander dem Grossen (332 a. Chr.) und seinen
Nachfolgern (Diadochen) in Syrien begann die dritte Aus-
wanderung der Juden, und zwar nach Westen, von Hellas und
den Inseln des ägäischen Meeres, von Aegypten und Vorder-
Asien an nach Italien, Spanien, Nord-Afrika und über die
Säulen des Hercules (Gibraltar und Ceutä) hinaus. Hören wir
nun den Bericht des Flavius Josephus über die Judenschaft
„in der Zerstreuung" (AiacTTTopd, cf. Evgl. S. Johannis c. 7, 35;
Ep. S. Jacobi c. 1, 1; Ep. I., S. Petri c. 1, l). „Viele Tausende
von ihnen, so erzählt er ' Antiquitatum Judaicarum' 1. 15, c. 3,
n. 1, bewohnten Babylon und Medien, wo ihre Väter unter
Cyrus zurückgeblieben waren (von 722 bzw. 606 bis 536 sq.)."
Eine Kolonie zog unter Alexander dem Grossen nach Aegypten
(332) und erhielt zu Alexandrien gleiche Rechte mit den Griechen.
(Antiq. 1. 12, c. 1.; „De hello Judaico" 1. IL, c. 18.) Noch mehr
wuchs ihre Zahl unter Ptolomaeus Lagi (Soter): 323 — 284.
(Antiq. L 12, c. 1). In Syrien begünstigte sie Seleucus Nicator
(301 — 281) und gab ihnen gleiches Recht mit den Mazedoniern
in Antiochia. Nach Phrygien und Lydien schickte Antiochus III.,
der Grosse (224 — 187), an 2000 jüdische Familien, welche er
aus Mesopotamien zum Schutze jener Provinzen mitnahm. Die
Übersiedelung geschah unter sehr vorteilhaften Bedingungen.
Von da aus kamen dieselben nach Klein-Asien und Griechen-
land, (Antiq. 1. 12, c, 3.) In Arabien trat um das Jahr 100
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^135 -
vor Christi Geburt der König der Homeriten zum Judentum
über.
Zu Rom und Sparta erhielt das Volk der Juden eine
staatsrechtliche Anerkennung (166—160 a. Chr.) durch die
Bündnisse, welche Judas Machabaeus daselbst veranlasste.
Vgl. 1. I. Machabaeorum c. 8; c. 12, sq.; c. 14, 16 u. 24; 1. II.
Machabaeorum c. 11, 34 sq.: Bündnis bu Rom; cf. 1. I. Macha-
baeorum c. 12, 2 u. 5—24; c. 14, 16 u. 19—24: Bündnis bu
Sparta.
Pompejus, der Grosse, schickte im Jahre 63, als er Jeru-
salem und den Tempel -erstürmt hatte, viele Juden als Kriegs-
gefangene nach Rom, wo sie bald ihre Freiheit wieder erhielten.
Ihre Zahl wuchs daselbst rasch an, so dass sie einen grossen
Teil des Stadtbezirkes jenseits der Tiber zum Aufenthalt not-
wendig hatten.
Julius Cäsar war ihr Beschützer und gab ihnen die Er-
laubnis, sich überall im römischen Reiche Synagogen zu er-
richten. Cf. Philonis Judaei „Legationis ad Cajum'^ § 23;
Flavii Josephi „Antiquitatum Judaicaram" 1. 14, c. 10, n. 8.
Wie Philo berichtet, sei um das Jahr 40 vor Christus kein
Land auf der ganzen Erde zu finden gewesen, welches nicht
von zahlreichen Juden bewohnt war. („Legationis ad Cajum"
§ 36; „Actus Apostolorum** c. II, 9 sq.). Flavius Josephus sagt
von seiner Zeit (37—101 nach Christus): ,,Es gibt keine helle-
nische oder barbarische Stadt, und kein Volk (auf der weiten
Erde), wo nicht die bei uns übliche Sabbatfeier sich Bahn
gebrochen hätte, und wo nicht das Fasten, Lichterbrennen und
viele unserer Speisegesetze beobachtet würden." („Contra
Apionem" 1. IL, c. 39.)
Ähnlich drückt sich der Apostel Jacobus auf der ersten
allgemeinen Kirchenversammlung zu Jerusalem aus (zirka 52
nach Christus): „Moses hat seit alten Zeiten in den einzelnen
Städten seine Verkündiger in den Synagogen, wo er jeden
Sabbat vorgelesen wird." Cf. „Actus Apostolorum" c. 15, 21.
Aber auch in der grössten Entfernung blieben die Juden
der Religion und den Gebräuchen ihrer Väter getreu und ver-
zichteten auf kein Wort der hl. Schriften. Jerusalem betrach-
teten sie als ihren geistigen Mittelpunkt, wohin sie jährlich zu
wallfahren, sowie Gaben und Geschenke zu überbringen, oder
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- 136 -^
ZU senden pflegten. Von dieser Gewohnheit und der grossen
Anhänglichkeit derselben an Jerusalem, sowie von dem Einfluss,
welchen sie sich in Rom erworben hatten, legt Cicero ein
wichtiges Zeugnis ab, wenn er in der oratio pro Flacco c. 28
sagt: ^Sequitur auri illa invidia Judaici. Quum aurum Judaeo-
rum nomine (Rechnung) quotannis ex Italia et ex omnibus
provinciis Hierosolyma exportari soleret, Flaccus sanxit edicto,
ne ex Asia exportari liceret. Ob hoc crimen hie locus abs te,
Laeli, atque illa (Judaeorum) turba quaesita est: scis, quanta
Sit manus, quanta concordia (Zusammenhalten), quantum valeat
in orationibus. Sic, submissa voce agam, tantum, tit judices
audiant; neque enim desunt, qui istos in me atque in Optimum
quemque incitent; quos ego^ quo idfaciliusfacianty non adjuvabo,
'At Cn. Pompejus captis Hierosolymis victor ex illo fano
nihil attigit; In primis hoc, ut multa alia sapienter; in sus-
pitiosa ac maledica civitate (Romana) locum sermoni obtrecta-
torum non reliquit. Non enim credo religionem et Judaeorum
et hostium impedimento praestantissimo imperatori, sed pudo-
rem fuisse" (die Rücksicht auf seine Ehre).
Nun folgt die gehässige Anklage wegen des jüdischen
Goldes, 1)
^) Da es nämlich üblich war (vgl. IL Moses c. 30, 13; II. Paralip.
c. 24, 6; Flavii Josephi „De hello Judaico L VII., c. 6, n. 6, Evgl. S. Mat-
thaei c. 17, 23 — 26.), dass alljährig auf Rechnung der Juden (die Tempel-
steuer, wozu jeder Jude von 20 Jahren an eine attische Doppeldrachme
= I Reichsmark, zu entrichten hatte, und welche der leichteren Über-
sendung wegen in Gold eingefordert wurde) aus Italien und aus allen
Provinzen das Reiches eine bestimmte Summe in Gold (zur Unterhaltung
und Ausstattung des Tempels = Tempelsteuer) nach Jerusalem überschickt
wurde; so erliess der angeklagte Lucius Flaccus (welcher als Propraetor
im Jahre 62 a. Chr. die Provinz Asien zu verwalten hatte) ein Edikt, gemäss
welchem die Ausfuhr von Gold aus Asien nicht mehr gestattet war. Dies
wird ihm nun zu einem Verbrechen angerechnet, und deshalb, o Lälius,
(„du Ankläger") ist diese Stätte (in der Nähe der Gradus Aurelii = „der
Steinstufen" an dem von C. Aurelius Cotta a. 74 v. Chr. erbauten Gerichts-
hofe), und dieser Volkshaufe {der Juden) ausgewählt worden. Du weisst,
ivie gross ihre Anzahl^ ivte fest ihr Zusammenhalten^ und wie bedeutend ihr
Einfluss bei den öffentlichen Gerichtsverhandlungen ist! Daher will ich mit
leiser Stimme sprechen, damit nur ihr, o Richter, es hören könnet; denn
es gibt Leute hier, welche fähig wären, eben diese Juden gegen mich
und gegen jeden Besten aus uns zu verhetzen. Ich werde mich hüten,
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_ 137 ~
Hierauf erwidere ich zunächst, dass Pompejus, wie in
vielen anderen Stücken, so auch in dieser Angelegenheit sich
sehr weise benommen hat; denn er wollte in einer so arg-
wöhnischen und schmähsüchtigen Stadt, wie Rom, niemand
eine Gelegenheit zur übelen Nachrede bieten. Denn ich glaube
nicht, dass bei einem so vorzüglichen Feldherrn die Rücksicht
auf die Religion der uns feindlichen Juden, sondern nur die
Sorge für seine eigene Ehre massgebend sein konnte."
Statt des hebräischen Textes der hl. Schrift bedienten sich
die Juden fortan der alexandrinischen Übersetzung und hielten
dieselbe in grossen Ehren. (Philonis Alexandrini „De vita Mosis"
l. IL, c. 7, n. 41.)
Durch ihre Synagogenvorlesungen wurden sie eifrige Ver-
mittler derselben an die Heidenwelt. Wie schon früher, Seite
135, gesagt ist, erklärte S. Jakobus auf dem Apostelkoncilium
zu Jerusalem: „Moses hat seit alten Zeiten her in den einzelnen
Städten seine Verkündiger in den Synagogen, wo er jeden
Sabbat vorgelesen wird." (Actus Apostolorum c. 15, 21.) Auch
die Heiden nahmen an jenen Versammlungen gerne und zahl-
reich Anteil. (L. c. c. 13, 42 — 44, nach dem griechischen Texte.)
Herkömmlich wurde dann je ein Lehrstück (Parascha: n-Jü-is)
aus dem Gesetze Moses (Thorah: n-j-in), und ein Abschnitt aus
den Propheten (Haphtara: n-^üerr), letzterer gegen das Ende
der Versammlung, durch einen Vorleser (Maphtir: -»"»nsiTD) rezi-
tiert, und von einem Gesetzeslehrer (Rabbi: -»sn) ausgelegt.
solchen Menschen ihr Geschäft zu erleichtern. — Man wird mir nun ein-
wenden: „Ganz anders handelte Cnejus Pompejus, welcher, obgleich er
(a. 63 a. Chr.) Jerusalem erobert hatte »und Sieger war, dennoch aber aus
jenem berühmten Tempel daselbst sich nichts aneignete !" — Kai irapcXBibv
öOv Tolg ircpi aÖTÖv ö TTo|Liirf)'io<; elq töv vaöv, xd €vbov ^BcdaaTo öXöxpuaa
irdvia Kai Icpuiv xP^M^if^v clq xdXavTa ÖiaxiXia* oÖtc hk toOtiuv oöt' dXXou
Tiv6<; xCtiv UpiX^v KciMliXiuüv fJniaxo Flavii Josephi „De hello Judaico" 1. 1.,
c. 7, n. 6. Pompejus quippe cum iis, quos secum habebat, in templum
ingressus quae intus erant ex auro omnia conspexit et sacram pecuniam
ad duo milia talentorum, neque tamen istam vel aliud quid quam attigit.
„Pompejus ging mit den Seinigen in den Tempel (zu Jerusalem) und sah
das Innere (das AUerheiligste) ganz von Gold strahlen (goldene Gefässe
usw.), sowie 2000 Talente an Geld: er betrachtete zwar dieses alles, rührte
aber nichts davon an." Vgl. Mommsen „Römische Geschichte" III. Band,
Seite 130 — 136; Drumann „Geschichte Roms", IV. Band, Seite 435 f.
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- 138 -
Cf. Evgl. S. Lucae c. 4. 15 sq. Der Heiland selbst ging nach
seiner Gewohnheit am Tage des Sabbates in die Synagoge zu
Nazareth, und stand auf, um vorzulesen. Man reichte ihm das
Buch des Propheten Isaias, welches er entrollte, und die
messianische Stelle c. 61, 1 f. vortrug, sowie die Auslegung
dazu gab: „Heute ist diese Schriftstelle vor eueren Ohren in
Erfüllung gegangen!" Ihr höret nämlich jetzt denjenigen selbst
vorlesen, welcher einst durch Isaias diese Verheissung gegeben
hat: Gott in Menschengestalt. Actus Apostolorum c. 13, 14—45:
„Am Tage des Sabbates gingen Paulus und Barnabas in die
Synagoge zu Antiochien (Pisidien) und setzten sich nieder.
Nach Verlesung der Abschnitte aus dem Gesetze und den
Propheten schickten jedoch die Synagogenvorsteher zu ihnen
und Hessen sagen: Männer, Brüder! wenn ihr ein Wort der
Ermunterung habet an das Volk, so sprechet! Da stand Paulus
auf, winkte mit der Hand, zu schweigen und sprach: Ihr Männer
von Israel, und die ihr Gott fürchtet, höret! usf. Ferner: An
dem nächstfolgenden Sabbate aber kam fast die ganze Stadt
zusammen, um das Wort Gottes zu hören."
In Rom befand sich, wie wir oben (cf. Ciceronis oratio
pro Fiacco c. 28) anführten, eine bedeutende Judenkolonie,
deren Ansehen Cicero Furcht einflösste. Ihre Verbindungen
reichten bis in die höchsten Kreise. In der Trauer um die
Ermordung des grossen Cäsar taten sich die Juden am meisten
hervor und hielten Tag und Nacht eine öffentliche Totenklage
um ihn. Cf. Tranquilli Suetonii „Divi Julii" c. 84 (und c. 39).
Aristius Fuscus, ein sehr gelehrter Dichter, Redner und Gramma-
tiker, gehörte der römischen Judenschaft an. Cf. Horatii Flacci
1. I. Satyr. 9, 69. Er war ein besonderer Freund des Horatius
(8. Dezember 65 bis 27. November 8 vor Chr.), welcher diesem
seine berühmte Ode 1. 1., 22: „Integer vitae scelerisque purus^,
sowie eine Satyre (Satyrarum 1. 1., 10) widmete. Durch Virgilius
wurde Horaz seinem künftigen Gönner Maecenas, und durch
diesen dem Kaiser Augustus näher gebracht. So stieg das
Ansehen der römischen Judenkolonie bedeutend. Als nach dem
Tode Herodes des Grossen (f 2 nach Christus) mit Erlaubnis
des damaligen Präses von Syrien Quinctilius Varus (f 9 nach
Christus im Teutoburger Walde) eine jüdische Deputation von
50 Mann nach Rom ging, um eine freie Verfassung zu erwirken.
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schlössen sich derselben 8000 röwische Juden an. Der Kaiser
Augustus empfing sie im Apoilotempel, welchen er gebaut
hatte. (Cf. Flavii Josephi „Antiquitatum" 1. 17, c. 11, n. 1.)
Der Dichter Ovidius Naso (20. März 43 vor Chr. bis 18 nach
Chr.) rät der jungen Mannschaft, sich am Sabbate vor den
jüdischen Synagogen in Rom einzufinden. (Cf. Artis am. 1. 1., 76.)
Hieraus hönnen wir den Schluss ziehen, dass die Sitten
und Gebräuche, die Religionsübungen, sowie die hl. Schriften
der Juden, welche ja in den Synagogen nach der allen ver-
ständlichen griechischen Übertragung öffentlich vorgelesen
wurden, selbst in der grossen Weltstadt an der Tiber immer
mehr bekannt und gewtlrdigt wurden. Auf diese Weise ist
die Tatsache leicht zu erklären, dass die römischen Schrift-
steller aus der Zeit des Kaisers Augustus usf. eine gewisse
Bekanntschaft mit der Bibel verraten und sich mehrfache An-
klänge an dieselbe bei ihnen vorfinden. Ovid z. B. erzählt die
Sintflut fast mit den Worten der Genesis: „Metamorphoseon" 1. 1.,
V. löO — 206. Die Flut ist eine Strafe für die Sünden der Menschen,
„ . . Gigantum illa propago
Contemptrix superum saevaeque avidissima caedis
Et violenta fuit: scires e sanguine natos." (L. c. 160 — 163.)
„Quae Pater ut summa vidit Saturnius arce
Ingemit et facto dignas Jove concipit iras:
Non ego pro mundi regno magis anxius illa
Tempestate fui, qua centum quisque parabat
Injicere angipedum captivo brachia coelo.
Nam quamquam ferus hostis erat, tamen illud ab uno
Corpore et ex una pendebat origine bellum.
Nunc mihi, qua totum Nereus circumsonat orbem
Perdendum est mortale genus. Per flumina juro ....
Cuncta prius tentata; sed immedicabile vulnus
Ense recidendum est . . ." Metamorphoseon I., 163 sq.
„ . . . Dieser Giganten Geschlechte
WarenVerächter der Götter und dürstend nach wütigen Schlachten,
Waren voller Gewalttat: sie waren vom Blute entsprossen.
Vater Jupiter sah es von seinem erhabenen Throne,
Und er seufzte. Gewaltiges Zürnen ergriff" ihn und würdig
Jupiters sprach er die Worte: Nicht war ich so bange
Um die Beherrschung der Welt zu jenen schrecklichen Zeiten,
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Da ein jeder der schlangenfüssigen Riesen versuchte
Hundert Arm' anzulegen an den belagerten Himmel;
Denn ob dies gleich ein wütiger Feind war, so kam doch der
Krieg nur
Her von einer Rott* und aus einer Quelle: jetzt aber
Muss ich, soweit das Meer den ganzen Erdball umbrauset,
Töten der Sterblichen Volk! Ich schwöre es bei den Gewässern . . .
Alles sei erst versucht! Doch muss die unheilbare Wunde
Weggetilgt sein mit Eisen . . . !"
Schön wird auch das Mitleiden der Himmlischen beschrieben:
„Est tamen humani generis jactura dolor
Omnibus, et quae sit terrae mortalibus orbae
Forma futura, rogant, quis laturus in aras
Thura . . . ." (Ibidem v. 246 sq.)
„Doch schmerzt alle des Menschengeschlechtes Vertilgung,
sie fragten.
Welche Gestalt der Erde, verwaist von den sterblichen Kindern,
Sein soll, und wer alsdann noch Weihrauch zu den Altären
Bringen wird?"
Die hl. Schrift sagt hierüber: „Gigantes autem erant super
faciem terrae in diebus illis. Videns autem Deus, quod multa
malitia hominum esset in terra et cuncta cogitatio cordis
intenta esset ad malum omni tempore, poenituit eum, quod
hominem fecisset in terra. Et tactus dolore cordis intrinsecus:
„Delebo'* inquit „hominem quem creavi, a facie terrae . . ."
(Genesis c. 6, 4 sq.) „Es waren aber Riesen in jenen Tagen
auf Erden. Als nun Gott sah, dass der Menschen Bosheit sei
viel auf Erden, und das gesamte Denken des Herzens zu aller
Zeit auf das Böse gerichtet sei, da reute es ihn, dass er den
Menschen geschaffen habe auf Erden. Und von Schmerz er-
griffen im Herzensgrunde sprach er: „Vertilgen will ich den
Menschen, welchen ich erschaffen habe, hinweg von der Erde!"
Das Gericht durch eine Sintflut kündigt Ovid mit folgen-
den Worten an:
„Poena placet diversa, genus mortale sub undis
Perdere et ex omni nimbos dimittere coelo." (L.c.v.260sq.)
.... „Zeus wählt nun ein anderes
Strafgericht: in den Wassern der Sterblichen Volk zu vertilgen,
Und vom ganzen Olymp die Wasserwolken zu stürzen."
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Moses berichtet: „Deus dixit ad No^: ecce ego adducam
aquas diluvii super terram, ut interficiam omnem carnem!"
Genesis c. 6 (13), 17.
Gott sprach zu No^: „Siehe, ich führe das Wasser der
Flut herauf über die Erde, dass ich töte alles Fleisch (alles
Lebendige)!"
Recht anschaulich beschreibt Ovid den Verlauf der Flut :
sie steigt bis über die höchsten Berge.
„Terra
Intremuit motuque vias patefecit aquarum.
Expatiata ruunt per apertos flumina campos,
Cumque satis arbusta simul pecudesque virosque
Tectaque cumque suis rapiunt penetralia sacris.
Si qua domus mansit potuitque resistere tanto .
Indijecta malo, culmen tarnen altiov hujus
Unda tegit pressaque latent sub gurgite turres,
Jamque mare et tellus nuUum discrimen habebat:
Omnia pontus erant; deerant quoque litora ponto.
Nat lupus inter oves, fulvos vehit unda leones,
Unda vehit tigres, nee vires fulminis apro,
Crura nee ablato prosunt velocia cervo;
Quaesitisque diu terris, ubi sistere possit,
In mare lassitis volucris vaga decidit alis.
Obruerat tumulos immensa licentia ponti
Pulsabantque novi montana cacumina fluctus.
Maxima pars unda rapitur; quibus unda pepercit,
Illos longa domant inopi jejunia victu.** (Metam. I.I., 183 sq.)
„Die Erde bebte nun auf und eröffnete zitternd der Wasser
Wege. Die Ström', aus den Betten gehoben, sie stürzten durch
offene
Felder hindurch und rissen zugleich mit Saaten, Gebüsche,
Tiere und Menschen und Hütten dahin auch Tempel mitsamt ihren
Heiligtümern; und blieb noch ein Haus und vermochte zu stehen,
Ungesttirzt von dem grossen Verderben, so deckte den Gipfel
Dennoch das höhere Wasser, und unter den lastenden Wogen
Lagen Türme versenkt. Schon erschien das Meer und das Land
Nicht mehr durch Grenzen geschieden: alles war offenes Meer,
Ein Meer ohne jegliche Ufer .... Der Wolf schwimmt
Unter den Schafen daher, die Flut reisst braungelbe Löwen,
KrÖll, Die Beziehung^en des klass. Altertums zu den hl. Schriften. H
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— 142 -
Tiger reisst die Flut mit sich fort. Die blitzende Schlagkraft
Nützt dem Eber nicht mehr, und nicht dem ergriffenen Hirsche
Seine fliegenden Läufe. Der irrende Vogel, nachdem er
Lange gespäht nach Land, wo er ruhen wohl könnte, sinkt endlich
Mit ermattendem Flügel ins Meer. Die Hügel schon deckte
Das unermesslich tobende Meer, und als Fremdlinge schlugen
An der Gebirge Gipfel die Wogen. — ...
Die meisten nun (Menschen und Tiere) wurden
Weg von der Flut gerissen, und die von der Flut noch Verschonten
Sanken entkräftet bei dürftiger Nahrung nach längerem Hungern."
j^Der Untergang alles Fleisches,"^ (Genesis c. 7, 21.) Moses
schreibt: „Factum est diluvium quadraginta diebus super terram
et multiplicatae sunt aquae. Vehementer enim inundaverunt et
omnia impleverunt in superficie terrae. Et aquae praevaluerunt
nimis super terram, opertique sunt omnes montes excelsi sub
universo coelo. Consumptaque est omnis caro quae morebatur
super terram: volucrum, animantium, bestiarum omniumque
reptilium, quae reptant super terram, universi homines."
Genesis c. 7, 17 sq. „Die Flut war 40 Tage auf Erden, und
die Wasser mehrten sich. Denn sie schwollen mächtig an und
füllten alles aus auf der Oberfläche der Erde. Und die Wasser
nahmen gewaltig zu auf Erden, und bedeckt wurden alle hohen
Berge unter dem weiten Himmel. So starb alles Fleisch, das
sich regte auf Erden : Vögel, Vieh, Getier, und alles Kriechende,
was sich bewegt auf Erden, die Menschen insgesamt.'^
Nach Ovid werden nur Deucalion und Pyrrha wegen ihrer
Frömmigkeit auf einem Fahrzeuge gerettet.
„Mons ibi verticibus petit arduus astra duobus
Nomine Pamassus, superantque cacumina nubes:
Hie ubi Deucalion — nam caetera texerat aequor —
Cum consorte tori parva rate vectus adhaestt.
Non illo melior quisquam nee amantior aequi
Vir fuit, aut illa metuentior uUa deorum. " (Metam. 1. 1. 31 6sq.)
„Hier war ein Berg, Pamassus genannt, der mit den beiden
Gipfeln über die Wolken bis zu den Sternen emporragt:
Hierher, denn alles war Tiefe, war Deucalions kleiner
Nachen getrieben, hier stand er mit seiner Genossin und flehte.
Keiner war frömmer als er, und keiner gerechter, und keine
Fürchtete mehr die Götter als sie."
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— H3 —
Die hl. Schrift berichtet von Noe und seiner Familie:
„Dixit Dominus ad Noö: Ingredere tu et omnis domus tua in
arcam; te enim vidi justum coram me in generatione hac."
(Genesis c. 7, 1 sq.) Ferner:
„Requievit arca mense septimo, vigesimo septimo die
super montes Armeniae. Aquae vero ibant et descrescebant
usque ad decimum mensem: prima die mensis apparuerunt
cacumina montium." (L. c. c. 8, 4 sq.) „Locutus est autem
Deus ad No6 dicens: Egredere de arca tu et uxor tua . . .1"
(Ibidem v. 16.)
„Und der Herr sprach zuNoe: 'Gehe du und dein ganzes
Haus in die Arche, denn ich habe dich gerecht gesehen in
diesem Geschlechte.' Die Arche aber kam im 7. Monate,
am 27. Tage, auf den Bergen Armeniens zum Stillstande."
(Nach dem Hebräischen: . . . „am 17. Tage auf den Bergen
Ararat." Dieser ist das Hochgebirge Armeniens und hat 2
Gipfel: der grosse und der kleine Ararat. Ovid sagt: mons
arduus verticibus duobus: „ein hoher (steiler) Berg mit 2
Gipfeln") 1). „Die Gewässer aber wichen und nahmen ab bis
zum 10. Monate, und am 1. Tage des 10. Monates erschienen
die Spitzen der Berge. . . Gott aber redete zu Noe und sprach :
'Gehe aus der Arche, du und deine Frau ....!'"
Ovid beschreibt das Ende der Flut:
„Jupiter ut liquidis stagnare paludibus orbem
Et superesse virum de tot millibus unum
Et superesse videt de tot millibus unam
Innocuos ambOy cultores numinis ambo,
^) „Die Gewässer aber wichen und nahmen ab bis zum lo. Monate
und am i. Tage des lo. Monates erschienen die Spitzen der Berge . . .
Gott aber redete zu Noe und sprach : 'Gehe aus der Arche du und deine
Frau . . .'!" — Am i6. Tage des 2. Monates hatte die Flut begonnen
(vgl. c. 7, II f.), mithin am i6. Mai; am 17. Tage des 7. Montes, also am
13. Oktober, kommt die Arche zur Ruhe. Drei und einen halben Monat
später erschienen die Gipfel der Berge, beiläufig am 24. Dezember. Der
Boden der Ebene zeigt sich im i. Monat, am i. Tage, = 22. März.
Hierauf nach 8 ^/^ Wochen sobald das Erdreich fest geworden war, betritt
Noe mit den Seinigen wieder dasselbe. Daher hat die Flut ein volles
Sommerjahr gedauert. Die Zeitrechnung gibt das Ende der Flut auf 1657
nach Erschaffung der Welt, 2348 v. Chr. an.
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- 144 —
Nubila disjecit nimbisque aquilone remotis
El coelo terras ostendit et aethera terris:
Jam mare litus habet, plenos capit alveus amnes,
Flumina subsidunt, coUesque exire videntur;
Surgit humus, crescunt loca decrescentibus undis
Postque diem longam nudata cacumina silvae
Ostendunt limumque tenent in fronde relictum:
Redditus orbis eratl^ Metam. 1. I., 324 sq.
„Als Jupiter aber
Überschwemmt die Erde erblickte von strömenden Fluten,
Und von vielen Tausenden einen nur übrig, von vielen
Tausenden eine nur übrig, heid' unschuldig und beide
Seiner Gottheit Verehrer ; da zerstreut er die Wolken,
Und vertrieb durch den Nordwind den Regen ; da schaute der
Himmel
Wieder der Erde Antlitz, und die Erde den Himmel.
Das Meer war wieder in Ufern und leichter
Gingen in vollen Betten wieder die Ströme.
Da die Gewässer sanken, so schienen die Hügel zu steigen:
Es hob sich der Boden, es wuchsen die Fluren, abnahmen die
Wellen,
Und nach so langer Frist zeigten sich wieder die Wälder,
Tragend im Laube den Schlamm, der übrig geblieben vomWasser:
Das war wieder der früheren Erde Gestalt,''
Plutarchos „De sollertia animalium" c. 13 berichtet noch
ergänzend: Deucalion habe eine Taube ausgeschickt, welche
durch ihre Rückkehr Sturm und durch ihren Ausflug heiteres
Wetter angekündigt habe. Hierzu ist zu vergleichen Genesis
c. 8, 8 — 13: Noe emisit ex arca columbam, ut videret, si jam
cessassent aquae super faciem terrae. Quae quum non invenisset,
quo requiesceret pes ejus, reversa est ad eum in arcam etc.**
„Noe entsandte eine Taube aus der Arche, um zu sehen, ob
die Gewässer auf dem Erdreiche bereits versiegt wären. Weil
diese aber noch keine Stelle fand, wo ihr Fuss ruhen konnte,
so kam sie wieder zu ihm in die Arche usf."
Um nun die Stätte, an welcher die Arche landete, nach
Schrift und Tradition genauer zu bezeichnen (vgl. S. 143), so
müssen wir anführen^ dass nach dem Wortlaute des Hebräischen
Textes die Arche stehen blieb „auf den Bergen Ararat".
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- 145 -
(Genesis c. 8, 4.j Ararat ist aber im alten Testamente ein
Ländername und bezeichnet entweder ganz Armenien (Isaiae
c. 37, 38), oder einen Teil desselben (Jeremiae c. 51, 27).
Ferner trägt der höchste Gipfel in der Gebirgslandschaft
Armeniens diesen Namen. Derselbe wird von den Armeniern
„Macis", bei den Türken „Aghur-Dagh", und von den Persern
„Kuhi-Nuch" (Berg Noes) geheissen. Er erhebt sich in der
mächtigen Gebirgskette des Taurus 13 350 m über der Talebene
des Araxes mit 2 Gipfeln („kleiner und grosser Ararat"). In
der Nähe ist die alte Armenierstadt „Nachschivan" = Standort
der Arche ^). Die Arche blieb stehen (nach dem Hebräischen)
am 17. Tage, im 7. Monate; das heisst: als das Wasser nicht
mehr wuchs. — Der 27. Tag der Septuaginta und der Vulgata
scheint eine exegetische Konjektur zu sein (Hoberg). Ovid
nennt nach römisch-griechischer Anschauung den Berg: Parnas-
sus. Flavius Josephus (37 — 101 nach Christus) erzählt in seinen
„Antiquitates" (1. I., c. 3, n. 6 u. 7), dass zu seiner Zeit der
Ort, an welchem die Arche Npes zu Ruhe gekommen sei, bei
den Armeniern: 'ATToßaTripiov = egressorium d. h. „Stelle des
Ausganges" (Ausgang) genannt werde. Er fügt noch hinzu:
„Und bis auf den heutigen Tag zeigt man dort noch übrig
gebliebene Stücke von der Arche." — Dieser Flut samt der
Arche gedenken auch alle, welche die Geschichte anderer Völker
geschrieben haben. Unter anderen tut dies Berosus, der Chal-
daer, indem er sich bei Erzählung der Sintflut in folgender
Weise ausdrückt: „Man sagt, dass von jenem Schiffe („Arche")
noch ein Stück zu Armenien auf dem Berge der Cordyaer
vorhanden sei, und dass einige davon Harz nehmen, und sich
desselben als eines Mittels gegen allerlei Übel bedienen." Auch
Hieronymus, der Aegyptier, welcher die Geschichte der Phönizier
^) Diese von Loch und Reichl in ihrem Bibelwerke I. Band, Seite I2,
Anmerkung (Regensburg bei Manz 1884) angegebene Deutung der Namen
wird von Steuern angefochten. Vgl. den Artikel „Ararat in der Bibel",
Theologische Quartalschrift 1901, S. 321.
Dass die Arche auf der Spitze des Grossen oder Kleinen Ararat
stehen geblieben sei, ist mit keinem Worte in der hl. Schrift auch nur
angedeutet. Zudem ist der Name erst später von der Landschaft auf
das Gebirge übertragen worden. Vgl. Dr. Selbst „Handbuch zur biblischen
Geschichte", I. Teil, Seite 168 f. Freiburg bei Herder 1906.
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- 146 -
geschrieben hat, meldet jenes Ereignis; desgleichen Mnaseas
und noch andere mehr. Ebenso Nicolaus Damascenus (ein
Freund des Kaisers Augustus) lässt sich im 96. Buche seiner
Geschichte hierüber also vernehmen: „Oberhalb der Landschaft
Mylias liegt ein Berg in Armenien Baris genannt, auf welchen
sich der Überlieferung gemäss zur Zeit der Sintflut viele
gefltichtet haben und so errettet worden sind. Auch soll
jemand in einer Arche auf den Gipfel des Berges geraten sein,
und hätten sich Überbleibsel vom Holze der Arche noch lange
Zeit erhalten. Vielleicht ist dieses der nämliche, von dem auch
Moses, der Gesetzgeber der Juden, geschrieben haty- Den Moses,
als Gesetzgeber der Juden, erwähnt auch Diodorus Siculus
(Zeit des Kaisers Augustus) in seiner „Bibliotheca Historica",
1. I., c. 94, wie bereits oben, Seite 133, gesagt wurde. „Bei
den Juden war Moses Gesetzgeber und wurde von Jaho (Jahve,
Jehovah) hierzu berufen.'' Vgl. „Babel- und Bibelfrage" von
P. Keil, Seite 28. Trier, Paulinusdruckerei 1902.
Ziehen wir nun aus dem Vorhergehenden unsere Folge-
rungen, so müssen wir anerkennen, dass Nicolaus Damascenus,
Diodorus Siculus und Ovidius Naso unter der Regierung des
Kaisers Augustus lebten und Zeitgenossen waren. Die beiden
ersten aber hatten unstreitig eine Kenntnis von den Schriften
des Moses, wie dies aus den mitgeteilten Aussprüchen der-
selben hervorgeht. Sollten wir von Ovid nicht dasselbe an-
nehmen dürfen, da seine Beschreibung von der grossen Flut
eine so grosse Ähnlichkeit mit dem Wortlaute der Genesis
bekundet, und ihm die jüdischen Synagogen in Rom sowie
die Sabbatfeier in denselben so gut bekannt waren? Vgl.S. 139.
Wie sich das nun auch verhalten mag : durch die UroflFen-
barung war die Kunde von der Sintflut zu allen Völkern gelangt,
und wurde durch die griechische Mythologie, als deren Bear-
beiter: Antigonus von Korystos, Nicander von Kolophon und
der Lehrer des Virgil: Parthenius von Nikaea gelten, weiter
ausgesponnen. Des letzteren Werk führte ebenfalls den Namen:
MeTa)Liop(pu)(J€i^, Metamorphen = Verwandlungen. Hierzu kam noch
der altitalische und römische Sagenkreis. Aus diesen Vorlagen
entnahm nun Ovid seinen Stoff" und gestaltete denselben poetisch
aus, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass er auch das erste
Buch Moses gekannt und benützt hat.
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- 147 —
Die Flutsagen finden sich ausserdem bei den Ariern,
Babyloniern, Indiern, Chinesen und auch in der nordischen
Mythologie. Vgl. Mone „Nordisches Heidentum", IL Teil,
S. 491 f.
Sogar in der neuen Welt waren dieselben bekannt. Eine
mexikanische Überlieferung berichtet: „Als die Menschen ihre
Pflichten und ihren Ursprung durchaus vergassen, wurden sie
durch eine allgemeine Wasserflut gänzlich vertilgt. Nur ein
Priester mit Namen Tesbi blieb verschont. Dieser setzte sich
mit seiner Familie in einen grossen, hölzernen Kasten, nahm
auch allerlei Tiere und verschiedene Sämereien mit. Nach
Ablauf des Wassers Hess er den Vogel Aura fliegen, welcher
aber nicht zurückkehrte. Ebenso blieben verschiedene andere
Tiere aus, welche er hatte fliegen lassen. Nur der allerkleinste
von ihnen, Kolibri, stellte sich nach einiger Zeit wieder ein
und trug einen Baumzweig im Schnabel." Cf. Genesis c.8, 11.
Vgl. Dr. Ferdinand Stiefelhagen (f 1902 als Canonicus in
Cöln a. Rhein) ,,Spuren der Uroflenbarung in den heidnischen
Mythologien** Seite 15 f., Eupen 1857. Hierin sehen wir die
Erfüllung des biblischen Wortes: „In omnem terram exivit
sonus eorum et in fines orbis terrae verba eorum!" 7, Über
die ganze Welt ist ausgegangen ihr Schall, und bis zu des
Erdballs Grenzen ihr Wort." Psalmi Davidis 18, 5.
Wollen wir nun zum Schlüsse dieses Abschnittes eine
Kategorie der Beziehungen aufstellen, so können wir hier die
geschichtliche Parallelbezeugung nennen. (Kategorie IV.) Denn,
wie Canonicus Dr. Ferdinand Stiefelhagen „Spuren der Uroflen-
barung" Seite 15 f. anführt, wäre es, die geschichtliche Wirk-
lichkeit der Sintflut beiseite gesetzt, irgendwie denkbar, dass
bei allen Völkern eine solche Sage von so merkwürdiger
Übereinstimmung selbst in den unwesentlichen Einzelheiten,
rein ersonnen und erdichtet worden wäre? Das ist durchaus
undenkbar und unmöglich. Wenn nun das vernünftige Denken
dazu nötigt, in diesem Punkte eine wahrhafte und geschicht-
liche Übereinstimmung der heidnischen Mythologien mit der
Erzählung der Bibel anzunehmen, so leuchtet ein, dass hier
nicht die dichtende Phantasie als Grund der Übereinstimmung
angenommen werden kann, sondern die allen Völkern gemein-
same Kunde von der aus der Vorzeit überlieferten Tatsache.
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- 148 ~
In der indischen Sage wird erzählt, dass, als die Flut zu
Ende war, acht Personen (vgl. Genesis c. 7, 13 und 1. ep.
S. Petri c. 3, 20) aus dem Schiffe stiegen und Gott dankten
Die Söhne des geretteten Mannes aber heissen: Scherma,
Charma und Japati, deren Namen mit den biblischen : Sem, Cham
und Japhet buchstäblich übereinstimmen. (Cf. Genesis c. 10, l.)
4. Der Himmelsbesuch bei Abraham und Sara.
Flavius Josephus „Antiquitatum Judaicarum" 1. 1, c. 7, n. 2
berichtet von Abraham: „Unseres Vaters Abraham gedenkt,
freilich mit Verschweigung des Namens, auch der Geschicht-
schreiber Berosus, der Chaldäer (300 vor Christus) ; mit folgen-
den Worten: 'In der 10. Geschlechtsfolge von der Sintflut
(1 Genesis c. 11, 26 — 33) lebte ein gerechter und vortrefflicher
Mann, welcher in der Himmelskunde sehr erfahren war'. Hekataeus
von Milet (530 vor Christus) hat sogar ein ganzes Werk über
denselben geschrieben. Nicolaus von Damascus, ein Freund
des Kaisers Augustus, sowie Zeitgenosse Herodes', des Königs
von Judaea (f 2 n. Chr.), schreibt im vierten Buche seiner
Geschichte über ihn also: „Zu Damascus regierte Abram,
welcher als Fremdling aus dem oberhalb Babylon gelegenen
Lande der Chaldäer (Ur Kasdim = Ur Chaldaeorum : 1. Genesis
c. 11, 31) mit Heeresmacht dahin gekommen war. Es dauerte
aber nicht lange, so wanderte er mit seinem ganzen Volke
aus, und zog in das Land Chanaan, wo sein Geschlecht stark
heranwuchs. Dieses Land wird nunmehr Judäa genannt."
(1 Genesis c. 12, 1 sq.) Dass Abraham unter „allen Söhnen
des Ostens" eine hervorragende Stellung einnahm, können wir
aus der ehrenvollen Aufnahme schliessen, welche er bei dem
Könige in Aegypten fand (1 Genesis c. 12, 10—20), sowie in
der feierlichen Begrüssung ausgedrückt finden, welche ihm,
dem Sieger über vier Herrscher des Morgenlandes, durch Mel-
chisedech, den König von Salem, zuteil wurde: „Gesegnet sei
Abram von Gott, dem Höchsten, welcher Himmel und Erde
erschaffen hat; und gelobt sei Gott, der Höchste, durch dessen
Beistand die Feinde in deine Hände gekommen sind!" (1 Genesis
c. 14, 18—21.)
Bei dieser grossen Berühmtheit des wandernden Hirten-
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— 149 —
fürsten konnte es nicht ausbleiben, dass die Ereignisse seines
Lebens weithin bekannt und nicht bloss von Moses, dem
Gesetzgeber des jüdischen Volkes, sondern auch von bedeuten-
den Geschichtschreibem der Heiden aufgezeichnet und von
Dichtem poetisch ausgeschmtickt wurden. Gemäss den Bemer-
kungen Seite 106 f. 139 und 146 ist anzunehmen, dass der
Dichter Ovidius Naso den Stoff zu seinen Metamorphosen
(„Verwandlungen") vielfach aus dem Morgenlande entnommen
hat, und dass ihm, als wissbegierigem Schriftsteller, die Sabbat-
vorlesungen der Juden in den römischen Synagogen nicht
unbekannt sein konnten. Was er nämlich Metamorphosen l.VIII,
611 sq. von dem Himmelsbesuche bei Philemon und Baucis
erzählt, erinnert in mancher Beziehung an den Bericht des
Moses (l Genesis c. 18, 1 sq.), in welchem uns mitgeteilt wird,
dass Abraham nebst Sara unter dem Schatten der Eiche zu
Mambre den Besuch Gottes und zweier Engel erhielten und
freudig aufnahmen.
Ovid stellt uns dieses wunderbare Ereignis, welches er
nach Phrygien verlegt, gemäss seiner griechisch-römischen An
schauung in folgender Weise dar:
Ante omnesque Lelex, animo maturus et aevo,
Sic ait: Immensa est finemque potentia coeli
Non habet, et quidquid superi voluerCy peractum est.
Quoque minus dubites, tiliae contermina quercus
Collibus est Phrygicis, modico circumdata muro.
Ipse locum vidi; nam me Pelopeia Pitthus
Misit in arva suo quondam regnata parenti.
Haud procul hinc stagnum est^ tellus habitabilis olim^
Nunc celebres mergis fulicisque palustribus undae"
Hierauf begann vor allen Lelex, an Weisheit
Reif und an Jahren: „Unermesslich und grenzenlos ist die
Macht des Himmels, und alles, was die Himmlischen wollten,
Ist'auch geschehen. Damit du aber nicht zweifelst, so höre:
Eine Eiche hei einer Linde auf phrygischen Hügeln
Steht, von kleiner Mauer umgehen: Ich habe den Ort da
Selber gesehen ; denn Pittheus sandte mich einst in des Pelops
Reich, das vorhin sein Vater beherrschte. Unisoeit von hier isty
Sonst war das Land hewohnhary ein See und Wellen, von vielen
Wasserhühnern und Tauchern hewohnt . , . . "
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- 150 -
Der Dichter markiert den Schauplatz seiner Erzählung
durch eine Eiche, von kleiner Mauer umgeben, unweit eines
Sees, dessen Gebiet früher trockenes Land bildete, welches
bewohnt war: Jetzt sei es bloss ein Aufenthalt für Enten und
Taucher (Wasservögel).
Und die Verwandlung (Metamorphose) des einst so glück-
lichen Landes zu einem unwirtlichen See, leitet Ovid von dem
unmittelbaren Eingreifen Gottes ab, welcher dieses Strafgericht
über die gottlosen Bewohner desselben verhängte, (Metam.
1. VIII, 689—698.)
Die vorliegende topographische Beschreibung passt auf-
fallenderweise zu den Örtlichkeiten in der Umgegend des
„Toten Meeres" am Jordan. Bis auf den heutigen Tag steht
noch jene berühmte Eiche su Mambre bei Hebron, unter deren
Zweigen einst Abraham die Himmelsgäste bewirtete. Sie ist
ein Ableger jener uralten, und hat zum Schutze eine steinerne
Umffiedigung; ganz wie Ovid sagt: „quercus modico cirumdata
muro." Auch steht die Eiche auf einer Anhöhe, welche von
den Arabern heute noch: Ramath el Chalil = ^Höhe des
Freundes Gottes^ d. i.: Abrahams, genannt wird. Ovid sagt:
quercus collibus est Phrygicis = die Eiche steht auf phrygischen
Hügeln. Dieselbe gehört zu den ältesten und schönsten Bäumen
des hl. Landes. Der Stamm hat 7 m, die Krone 85 m im Um-
fange. (Vgl. Schegg „Pilgerreise" II. Teil, S. 45. „Das hl. Land",
1881, Seite 11.) Gegenwärtig wird der Baum als Eigentum
der Russen angesehen, welche daselbst ein Pilgerhaus erbaut
haben. Eine Abbildung gibt Professor Holzammer in seinem
„Handbuche der biblischen Geschichte", 4. Auflage Seite 152,
Freiburg b. Herder 1886 i).
Ovid erzählt weiter : „Unweit von hier (nämlich von jener
Eiche) liegt ein See, dessen Grundfläche einst bewohnbares,
wohnliches Land darstellte, jetzt aber nurmehr von zahlreichen
1) Merkwürdig ist auch der Baum der hl. Familie (Sykomore) in
Ägypten bei Matarieh (Heliopolis) aus den ersten Jahren der christlichen
Zeitrechnung, welcher 6 m im Umfange und 8 m an Höhe misst. Im
Jahre 1869 schenkte dei Vizekönig von Ägypten denselben an die Kaiserin
Eugenia von Frankreich. (Vgl. L. c. IL, S. 69.) Die Abtei Marienstatt
bei Hachenburg (Hessen- Nassau) besitzt einen zum Baume ausgewachsenen
Weissdorn aus dem Jahre 121 5.
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- 151 —
Wasserhühnern und Tauchern belebt ist." Hiermit ist unzweifel-
haft das „Tote Meer" bezeichnet, welches das ehemalige Gebiet
von Sodoma und Gomorrha tiberdeckt. Von allen lebenden
Wesen können sich faktisch nur Enten und Taucher an seinen
Wellen aufhalten. (Vgl. Joseph Schreiner „Elysium und Hades**
Seite 44, Braunschweig und Leipzig 1902.) Zutreffend ist auch
die Entfernung von jener Eiche angegeben: „Nicht weit von
hier liegt ein See." Gemäss Genesis c. 19, 27 — 29 konnte
Abraham aus der Nähe der Eiche bei Mambre, woselbst er
mit Gott geredet hatte, die unglückliche Stätte von Sodoma
und Gomorrha überschauen ; „Abraham machte sich frühmorgens
dorthin auf, wo er vordem bei dem Herrn gestanden hatte.
Und als er seinen Blick nach Sodoma und Gomorrha und die
ganze Fläche jener Gegend hin richtete, sah er von der Erde
einen Rauch aufsteigen, wie den Rauch eines Ofens."
Stadt und Land brannten im Feuer des Himmels.
Zu den Worten des Ovid: ,,Haud procul hinc stagnum
esttellus habitabilis olim" verhält sich der Bericht des Geschicht-
schreibers Cornelius Tacitus ^Historiarum" 1. V, c. 7 wie ein
Kommentar: „Haut procul inde campi sunt, quos ferunt olim
uberes magnisque urbibus habitatos fulminum jactu arsisse "
Nicht weit hiervon (er redet vom Salzmeer) liegen Gefilde, von
denen man sagt, dass sie einst zwar fruchtbar und von grossen
Städten bewohnt waren, später aber durch die Donnerkeile
des Himmels in Flammen aufgegangen seien. Tacitus erzählt
hier von dem Untergange der Pentapolis: Sodoma, Gomorrha,
Adama, Zeboim (und Zoar) sowie von der Entstehung bezw.
Ausdehnung des Salzsees, welcher die ausgebrannten und ein-
gesunkenen Bodenflächen derselben tiberschwemmt und bedeckt
haben soll. Er bestätigt aber seine Darstellung, indem er fort-
fährt: „Ego sicut inclytas quondam urbes igne coelesti fla-
grasse concesserim, ita halitu lacus infici terram, corrumpi super-
fusum spiritum reor ..." Wie ich nun gerne ftir wahr halte,
dass jene einst so berühmten Städte durch die zündende Macht
des Blitzes in Brand geraten sind; ebenso glaube ich, dass der
Boden durch die Ausdünstung des Sees („Toten Meeres'*) ver-
pestet und die darüber lagernde Atmosphäre verdorben wird.
In die Gegend nun des späteren „Toten Meeres'*, in den
Eichenhain zu Mambre bei Hebron, war nach Genesis c. 18,
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- 15» —
1 sq. Gott, der Herr, in Menschengestalt zu Abraham und
Sara gekommen, nebst zwei Engeln, welche bald darauf nach
Sodoma zu Lot gingen, um die Gerechten aus dem Verderben
der bald untergehenden Stadt zu erretten.
Ovid erzählt, dass in das Land, in welchem zur Zeit jener
merkwürdiger See liege, Jupiter in Begleitung des Mercur zum
Besuche bei Philemon und Baucis gewandert sei; beide in
Menschengestalt :
^Jupiter huc specie mortali cumque parente
Venit Alantiades positis caducifer alis^).
Mille domos adiere, locum requiemque petentes:
Mille domos clausere serae; Tamen una recepit,
Parva quidem, stipulis et canna tecta palustri.
Sed pia Baucis anus parilique aetate Philemon
lUa sunt annis juncti juvenalibus, illa
Consenuere casa, paupertatemque fatendo
Effecere levem nee iniqua mente ferendo.
Nee refert, dominos illic famulosque requiras :
Tota domus duo sunt idem parentque jubentque.
Ergo ubi Coelicolae parvos tetigere penates
Submissoque humiles intrarunt vertice postes,
Membra sua posito jussit relevare sedili
Qua super injecit textum rüde sedula Baucis .
„Jupiter kam einst
Menschlich gestaltet; Atlas' Enkel, der Heroldsstabträger,
Kam mit dem Vater, ohne Flügel^ hier an, und sie gingen
Hin zu tausend Häusern und baten um Obdach und Ruhe.
Tausend Häuser waren verriegelt; doch nahm sie eins auf.
Zwar war es klein, mit Stroh nur und Sumpfschilf gedeckt,
die fromme
Alte Baucis aber, der ebenso alte Philemon
Waren in jüngeren Jahren in dieser Hütte verbunden,
Waren nun alt da geworden, und erleichterten ihre
Armut, die wir gelassen ertragen müssen, durch Dulden.
Herren und Diener suchte man da vergebens; das ganze
Haus bestand nur aus zweien : beide gehorchten und herrschten.
Als die Himmelsbewohner das kleine Häuschen erreichten,
Und mit gesenktem Haupt durch die niedrige Türe geschritten
1) Cf. Act. Apost. 14, 10.
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- »53 -
Waren, da bat sie der Alt' auf jenem Stuhle zu ruhen,
Welchen mit einer geringen Decke die emsige Bausis hatte
belegt . . . .^^
Die Unterredung mit Abraham und Lot über den Unter-
gang von Sodoma und Gomorrha gibt Moses mit folgenden
Worten: Dixit autem Dominus (ad Abraham): „Clamor Sodo-
morum et Gomorrhae multiplicatus est et peccatum eorum
aggravatum est nimis?** (Genesis c. 18, v. 20.) Der Herr aber
sprach (zu Abraham) : „Das Geschrei über Sodoma und Gomorrha
hat sich gemehrt, und deren Sünden sind allzu schwer gewor-
den !** Während nun Abraham sich bemühte, bei dem Herrn
Fürsprache für die bedrohte Gegend einzulegen, entfernten
sich die begleitenden Engel und kamen nach Sodoma. Hier
sprachen sie zu Lot : „Delebimus locum istum, eo quod increverit
clamor eorum coram Domino, qui misit nos, ut perdamus illos."
Eduxeruntque eum et posuerunt extra civitatem, ibique locuti
sunt ad eum: „Noli respicere post tergum tuum, nee stes in
omni circa regione, sed in monte salvum tefacf' .... Dominus
igitur pluit super Sodomam et Gomorrham sulphur et ignem a
Domino de coelo et subvertit civitates et omnem circa regionem,
. . Atque Lot de Segor ascendit et mansit in monte.^^ (Genesis
c. 19, 13 sq.) Wir sollen diese Stätte zerstören, weil das Ge-
schrei über sie zu gross geworden ist vor dem Herrn, welcher
uns gesandt hat, damit wir sie zugrunde richten !*^ Sie führten
ihn hinaus und hielten an vor der Stadt. Daselbst sprachen
sie zu ihm. „Schaue nicht hinter dich und stehe nicht stille
in der ganzen Umgegend, sondern rette dich in das Gebirge,
damit du nicht mit jenen umkommst!'^
Hierauf Hess der Herr Feuer und Schwefel vom Herrn
aus Himmelshöhe her regnen über Sodoma und Gomorrha,
und vernichtete (wörtlich „sturste um'' durch unterirdische
Feuereruption und Erdbeben, indem das Feuer vom Himmel
her den mit Naphtha getränkten Boden entzündete, welcher jene
Städte trug; cf. 1. Deuteron, c. 29, 23) diese Städte und die ganze
Umgegend.
Lot aber sog von Segor (Zoar) aufivärts und wohnte auf
dem Gebirge.
Nach Ovid legten Jupiter und Mercurius bei Philemon
und Baucis ihr Incognito ab und sprachen:
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,yDique sumus, meritasque luet vicima poenas
Impia'* dixerunt, vobis immunibus hujus
Esse mali dabitur, ^^ntodo vestra relinquite tecta
Ac nostros comitate gradus et in ardua montis
Ite simul."' Parent ambo baculisque levati
Nitunlur longo vestigia ponere gressu.
Tantum aberant summo, quantum semel ire sagitta
Missa potest: Flexere oculos et mersa palude
Caetera prospiciunty tantum sua tecta manere.
(Metamorphoseon 1. VIII, 680 sq.)
y^Wir sind Götter f^^ so sprachen sie^ „und die gottlosen Nachbarn
Werden verdiente Strafen erleiden: Ihr aber sollt frei sein
Von dem Verderben^ verlasst nur das Haus, und begleitet auf
unseren
Wegen uns und geht mit uns auf die Höhe des Berges!''
Beide gehorchten; die Götter gingen vorauf, und die Alten
Stützten sich auf Stäbe, und strebten langsam vor Alter,
Auf des Berges Höhe zu kommen. Sie waren vom Gipfel
So weit nur noch, als ein geschossener Pfeil fliegt, da wandten
Sie die Augen und sahen, dass alles vom See bedeckt war.
Es wird hierauf die Verwandlung von Philemon und Baucis
erzählt. Eine wirkliche Metamorphose aber erlebte die Frau
des Lot : Respiciens autem uxor Lot post se versa est in statuam
salis, Genesis c. 19, 26. Des Lots Frau sah sich um, und
wurde in eine Salzsäule verwandelt. Sie erstickte nämlich im
Schwefeldampfe, und ihre Leiche wurde bei dem Ausbruche
der vulkanischen Tiefen während jener furchtbaren Katastrophe
über Sodoma und Gomorrha mit Harz und dann mit Salz über-
zogen. So stand die Säule noch in den Tagen des Königs
Salomo (1015—975), und Josephus Flavius 37—101 n. Chr.)
behauptet, dieses Denkmal der Strafgerechtigkeit Gottes noch
gesehen zu haben. (Vgl. 1. Sapientiae c. 10, 7 und Antiquitatum
Judaicarum 1. I, c 11, n. 4.)
Man sieht aus der Darstellung des Ovid, dass der Auf-
enthalt der Himmlischen bei Abraham und Sara mit dem hier-
auf folgenden Besuch der Engel in Sodoma zusammenfliesst:
Jupiter und Merkur führen Philemon und Baucis (Lot und
die Seinigen) aus der Stadt und verhelfen zur Flucht auf das
Gebirge. Hierauf sehen wir den Untergang der soeben ver
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- HS -
lassenen Stätte: „mersa palude caetera prospiciunt.** Das Tote
Meer bedeckt die unglückliche Gegend. Die hl. Schrift sagt:
„Das Tal Siddim (mit der Pentapolis), welches nunmehr das
Salzmeer ist". (Genesis c. 14, 3.) Moses stellt kurz vor seinem
Tode noch jenes furchtbare Strafgericht den Seinigen als War-
nung vor Augen : ,,Das kommende Geschlecht wird die Strafen
und Krankheiten dieses Landes sehen, welches der Herr mit
Schwefel und der Glut des Salzes verbrannte, gleich der Um-
kehr von Sodoma, Gomorrha, Adama und Zeboim." (Deuter,
c. 29, 22 sq.) Im oben zitierten Buche der Weisheit c. 10, 7
heisst es: „Die Gottlosen kamen um, als das Feuer über die
fünf Städte herabfiel, wovon noch jetzt zum Zeugnisse ihrer
Bosheit der Erdboden wüste liegt und raucht, die Bäume aber
Früchte bringen, welche nicht reif werden können, und auch
die Salzsäule zum Andenken an eine ungläubige Seele dasteht."
(Cf. Genesis c. 19, 26.) Hiermit stimmt vollkommen überein,
was Cornelius Tacitus, der römische Geschichtschreiber,
„Historiarum" 1. V, c. 6 und 7 berichtet:
„Est in Judaea lacus immenso ambitu, specie mariSy sapore
corruptior, gravitate odoris accolis pestifer, neque vento im-
pellitur, neque pisces autsuetasaquisvolucrespatitur.»* (CaputVI.)
„Haud procul inde campi, quos ferunt olim uberes magnis
que urbibus habitatos fulminum jactu arsisse ; et manere vestigia
terramque ipsam specie torridam, vim frugiferam perdidisse;
nam cuncta sponte edita, aut manu sata, sive herba tenus aut
flore solidam in speciem adolavere, atria et inania velut in
cinerem evanescunt. Ego sicut inclytas quondam urbes igne
coelesti flagrasse concesserim, ita halitu maris infici terram,
corrumpi superfusum spiritum, eoque foetus segetum et autumni
putrescere reor, coelo soloque juxta gravi.** (Caput VII.)
In Judäa liegt ein See^ von unermesslichem Umfange,
einem Meere gleich, aber von sehr verdorbenem Geschmacke;
auch bringt er durch seinen pestartigen Geruch den Anwohnern
Verderben. Seine Gewässer können von keinem Winde in
Bewegung gebracht werden; Fische und gewöhnliche Wasser-
vögel halten es dort nicht aus. (Kapitel 6.) Nicht weit davon
sind Landstriche, von denen man sagt, dass sie einst zwar
fruchtbar und von grossen Städten bewohnt waren, später aber,
von den Donnerkeilen des Himmels epfzündet, in Flammen auf-
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^ 15b ^
gegangen sind. Spuren dieser Katastrophe sollen noch vor-
handen sein; auch hat der Boden, dessen Oberfläche dem An-
scheine gemäss verbrannt ist, seine fruchtbringende Kraft ver-
loren. Alle Vegetabilien, welche entweder zufällig oder durch
Menschenhand dorthin verpflanzt werden, sterben schon im
Kraute oder in der Blume ab ; wenn sie aber ihr gewöhnliches
Wachstum erreichen, so ist die Frucht ganz schwarz und taub,
auch vergeht sie zu Asche.
Wie ich nun gerne für wahr halte, dass jene so hoch-
berühmten Städte durch die zündende Macht des Blitzes im
Brande aufloderten, ebenso glaube ich, dass der Boden durch
die Ausdünstung des Sees („Toten Meeres*») verpestet und die
darüber lagernde Atmosphäre verdorben wird. Daher geraten
auch die Früchte der Saaten und des Herbstes in Fäulnis -;
indem Klima und Boden gleichmässig ungesund sind. Kapitel 7.
(Vgl. Seite 151.) Ähnlich drückt sich Diodorus Siculus „Biblio-
thecae Historicae'^ 1. II, c. 48 aus : '0 bk ttXtictiov TÖTioq, finTrupoq
ujv Ktti bu^iüÖTiq, TTOieiTai TÖi cTu)|LiaTa Tuiv dvGpüuTTOV emvocra, kqi
iravTeXaiq öXiTOXpövia- Weil das Gebiet (des Toten Meeres)
ringsum vom Feuer durchglüht, die Luft aber von bösen Aus
dünstungen erfüllt ist, so sind die Anwohner vielen Krankheiten
unterworfen und werden nicht alt. (Cf. 1. Deuteronomii c. 29,
22 sq. S. 162.)
Der römische Geschichtschreiber M. Junianus Justinus,
welcher unter der Regierung der Antonine (13S — 180 n. Chr.)
lebte, schreibt über das Tote Meer „Historiarum Philippicarum
Epitomes" l. 36, c. 3 n. 6: „In ea Judaeae regione lacus est
Asphaltites, qui propter magnitudinem et aquae immobilitatem
'mare mortuum' dicitur; nam neque ventis movetur, resistente
turbinibus bitumine.** In jener bekannten Gegend von Judäa
befindet sich ein Asphaltsee, welcher wegen seiner Grösse und
der Unbeweglichkeit seines Wassers das „Tote Meer" genannt
wird. Kein Wind hat ihn jemals in Bewegung gebracht, indem
das Erdharz den Stürmen widersteht.
Interessant ist auch der Bericht des Geographen Strabon
(t 24 n. Chr.) über die Entstehung und Ausdehnung des „Toten
Meeres'*: Bei Masada (gegenüber der Zungenhalbinsel am Toten
Meere sind versengte Felsen und an vielen Stellen auch Erd-
risse sowie aschenartiger Boden. Es quellen aus den Felsen
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— 157 —
Pechtropfen hervor und siedende Bäche, welche einen tibelen
Geruch weithin verbreiten. Zudem findet man daselbst zer-
trümmerte Wohnorte, so dass man den umwohnenden Barbaren
Glauben schenken darf, wenn sie versichern, durch Erdbeben
und Ausbrüche des Feuers sowie heisser Asphalt- und Schwefel-
quellen (Dämpfe) sei der See "weiter vor angerückt,'^ PeuJTpacpiKiüv
1 16, c. 764. (Strabons „Geographie^.)
Demgemäss war das Salzmeer schon früher vorhanden
und breitete sich nach jenen gewaltigen vulkanischen Eruptionen
bei dem Untergänge der Pentapolis über die ausgebrannte und
eingesunkene Fläche der Umgegend weiter aus.
Hiermit stimmt überein, was Genesis c. 14,3 gesagt wird:
„Die Heere der Könige des Ostens und der Pentapolis stiessen
im Tale Siddim aufeinander, welches nunmehr das Salzmeer
ist", wie die hl. Schrift erklärend beifügt. (Vgl. Seite 155.)
Der Zusatz kann nur verstanden werden, wenn wir annehmen,
dass die grössere Westhälfte des heutigen Toten Meeres die
ehemaligen Gefilde des Tales Siddim (Waldtal) bedeckt, in
welchen die Städte Sodoma Gomorrha, Adama und Zeboim
gelegen waren. Zoar als Rettungsort des Lot blieb verschont.
Diese Annahme wird auch durch die Tiefmessungen, welche
der amerikanische Kapitän W. Lynch im Jahre 1848 an Ort
und Stelle vornahm, bestätigt. Vgl. G. Hoberg „Die Genesis
nach dem Liiteralsinn erklärt". Seite 139. Freiburg im Br., bei
Herder 1899. Ausserdem sind noch zu vergleichen: Plinii
„Historiae Naturalis" 1. V, c. 16, n. 15. Diod. Sic. „Bibliothecae"
1.X1X, c. 98 u. 99; Flavii Josephi „Antiquitatum" 1. I, c. 12, n. 4;
^De hello Judaico" 1. 4, c. 8, n. 4,
Mit diesen Beschreibungen des Toten Meeres stimmen
auch die Resultate der neuesten wissenschaftlichen Forschungen
überein. Johannes Elbert ^Die Entstehung und Geschichte des
Toten Meeres" (vgl. ^Natur und Offenbarung", 46. Jahrgang,
1900, in. Heft, Seite 136) berichtet hierüber: „Die Bemerkung
im Referate der Genesis, dass der Herr Feuer und Schwefel
„vom Himmel herab" regnen Hess, deutet darauf hin, dass es
sich bei diesem Brande um atmosphärische Feuer, also um
brennende Gase, verbunden mit Gewittererscheinungen, handelte.
Da nun auch Bruchspalten im Osten des Dschebel Usdum
Salzberg) nachgewiesen sind, so dürfte ohne weiteres an-
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 12
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- 158 —
genommen werden, dass diese auch unter dem Toten Meere
durchgehen. Demgemäss haben wir einen Anhalt bezüglich
der Existenz einer submarinen Spalte, welche die ganze Länge
des Sees, fast von Norden nach Süden, durchläuft, an dem
auf der Oberfläche sich befindenden breiten Schaumstreifen,
der im beständigen Aufblähen und anhaltend blasiger Bewegung,
gleich einem reissenden Strome, die stille Wasserfläche durch-
zieht.**
„In befriedigender Weise dürfte also die in der Genesis
geschilderte Sodomkatastrophe harmonieren mit den geologischen
Forscht^ngsergebnissen."
Zum Schlüsse können wir die Behauptung aufstellen, dass
die mitgeteilten Zeugnisse aus den lateinischen und griechischen
Schriftstellern die Berichterstattung der heiligen Schriften über
den Untergang von Sodoma und Gomorrha sowie die Ent-
stehung und Beschaff*enheit des Toten Meeres vollauf bestätigen.
Fragen wir nun, unter welche Kategorie der Beziehungen
dieser Abschnitt einzureihen sei, so können wir sagen, dass
es sich an dieser Stelle wohl um stofl*liche Verwandtschaft der
einzelnen Darstellungen handeln dürfte. Eine gewisse Kennt-
nis der hl. Schrift scheint hierbei nicht ausgeschlossen zu sein,
gemäss der Verbreitung, welche die Septuaginta in der Zeit
des Kaisers Augustus bereits gefunden hatte. (Kategorie I.)
5. Josuas langer Tag.
Die hl. Schrift erzählt von einem ausserordentlichen Er-
eignisse in den Tagen des Feldherrn Josua (1450 v. Chr.), welches
seinesgleichen in der ganzen Weltgeschichte nicht gefunden
hat; auf Gebet des Josua blieb die Sonne (nach dem Augen-
scheine gesehen) mitten am Himmel stille stehen, und eilte
nicht zum Untergange einen ganzen Tag. „Weder vorher,
noch auch nachher war ein Tag so lang, wie dieser, da Gott
hörte auf die Stimme eines Menschen und stritt für Israel."
(L. Josues c. X., 13 sq.) Im Zusammenhange damit wird be-
richtet: „Et conturbavit hostes Dominus a facie Israel, quumque
fugerent filios Israel et essent in descensu Beth Horon, Dominus
misit super eos lapides magnos usque ad Azeca; et mortui
sunt multo plures lapidibus grandinis, quam eos gladio per-
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- 159 -
cusserant iilii Israel.'^ (L. c. c. X., lU sq.) „Tunc locutus est
Josue Domino: Sol contra Gabaon ne movearis et Luna contra
vallem Ajalon!" „Steteruntque Sol et Luna, donec ulcisceretur
se gens de inimicis suis." Es verwirrte aber der Herr die
Feinde bei dem Anblicke der Israeliten, und als sie vor ihnen
die Flucht ergriffen und sich im Hohlwege von Bethorn befanden
(wo es kein Ausweichen gab), da sandte er über sie schwere
Steine bis nach Azeka hin. (Die Verfolgung dehnte sich auf
eine Strecke von 20—25 km, = 4—7 Stunden aus.) Und viel
mehr Feinde wurden durch die Hagelsteine, als durch das
Schwert der Israeliten erschlagen. Damals flehte Josua zu dem
Herrn: Sonne stehe still über Gabaon und Mond über dem
Tale Ajalon!" Und stille standen Sonne und Mond bis sich
das Volk an seinen Feinden gerächt hatte. — Dies ist das
Faktum. —
Nach dem Ptolomäischen Weltsystem glaubte man, die
Sonne bewege sich um die Erde. Nach der richtigeren An-
schauung des Galileo Galilei (1564—1642), welche sich auf
Copernicus stützte, bewegt sich die Erde aber um die Sonne.
Trotz der Wahrheit dieses letzteren Systems konnte man vor-
her und nachher, volkstümlich, poetisch von einem „Aufgang",
„Untergang'* und auch von einem „Stillstehen** der Sonne
sprechen. Es konnten in der Tat eine eigenartige Veranlagung
des Äthers und der Amosphäre und eine im Zusammenhange
damit von Gott eigens und wunderbar verursachte Strahlen-
Brechung ein längeres Verweilen des Sonnenbildes über dem
Horizont herbeiführen. Und dies durfte der Wahrheit gemäss
populär poetisch als ein Stillestehen der Sonne bezeichnet und
geschildert werden. Das Wunder ist nämlich in der hl.
Schrift nicht in naturwissenschaftlichen Wendungen, sondern
nach dem Eindrucke des Augenscheines volkstümlich erzählt.
Auch das neue Weltsystem leugnet keineswegs in der an-
gezogenen Bibelstelle die Möglichkeit und Wirklichkeit eines
Wunders, wenn der Zusammenhang der Bibel ein solches ver-
langt. Nur müssen die naturwissenschaftlichen Begleiterschei-
nungen des Wunders jetzt ganz anders aufgefasst werden,
als dies früher der Fall war. (A. Meyenberg, Canonicus und
Professor der Theologie in Luzern.)
Jesus Sirach sagt hierüber c. 46, 5: „Annon in iracundia
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— i6o —
Josue impeditus est Sol, et una dies facta et quasi duo?!"
„Josue invocavit Altissimum potentem in oppugnuado inimicos
undique, et audivit eum magnus et sanctus Deus in saxis
grandinis virtutis valde fortis." V. 6 ibidem. Wurde nicht
auf das inbrünstige Gebet des Josua die Sonne in ihrem Laufe
zurückgehalten, so dass ein Tag wurde an Länge wie swei?
Er rief den Allerhöchsten an, welcher Macht hat. die Feinde
ringsum zu besiegen ; und es erhörte ihn der grosse und heilige
Gott mit Hagelsteinen von gewaltiger Grösse.
Flavius Josephus „Antiquitatum" 1. V c. 1, n. 17 beschreibt
dieses Ereignis mit folgenden Worten: ^Es erkannte Josua,
dass Gott ihm selbst zu Hülfe gekommen sei; denn es donnerte j
und blitzte gewallig, und ein ungewöhnlich heftiger Hagelschlag
ging nieder. Dazu kam noch, dass der Tag selbst sich ver-
längerte, damit die Hebräer nicht durch die einbrechende Nacht
an der Verfolgung ihres Sieges gehindert würden. Dass sich
aber der Tag damals wirklich verlängert und über das gewöhn-
liche Zeitmass hin sich ausgedehnt habe, wird von den hl.
Schriften, welche im Tempelarchiv aufbewahrt werden, aus-
drücklich bezeugt." (Cf. 1. Josuas c. X., 9—15.)
Eine Nacht fiel aus, und die Sonne schien ununterbrochen
36 Stunden lang. Dass hierdurch eine grosse Überhiti^ung in
den unteren Luftregionen eintrat, war die natürliche Wirkung
des ungewöhnlich langen Tages. Ein furchtbarer Hagelsturm
erfolgte hierauf, welcher, mit Blitz und Donner verbunden, über
die Feinde Israels verheerend niederbrauste. Dabei war es
wunderbar, das die Schleudersteine des Himmels nur die heid-
nischen Amorrhäer zerschmetterten, während die verfolgenden
Kinder Israel unverletzt blieben.
In heissen Tagen nämlich ist die Wärme zunächst der
Erde am grössten und wird mit der zunehmenden Höhe ober-
halb derselben immer geringer, indem über die Atmosphäre
hinaus die Sonnenstrahlen den Äther zwar durchscheinen, aber
nicht mehr erwärmen können. Ist nun die Erdoberfläche sehr
warm geworden, so steigt die heisse Luft, welche leichter
wird und eine grosse Fähigkeit hat „Wasser in Gasform auf-
zunehmen, in die höheren, kalten Regionen empor: es bilden
sich nach oben .'ziehende Luftströme, Die aufsteigende Säule
aber nimmt eine wirbelnde Bewegung an, und, in die kalten,
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— i6i —
höheren Luftschichten eindringend, schlägt sie dort ihren
VVasserdampf in rascher Wolkenbildung nieder. Die hierbei
frei werdende Wärme dehnt die Luft noch mehr aus und treibt
sie schneller empor. In den nun immer stärker kreisenden
Strudel werden jetzt von allen Seiten her eisig kalte Luftmassen
hineingerissen : immer höher wirbelt derselbe empor. Dabei be-
zeichnet er seinen Weg durch eine dichte Wolke von grossem
Umfange, welche unten aus flüssigem, aber unter dem Gefrier-
punkt erkalteten Wasserteilchen, dagegen oben schon aus Eis-
nadeln besteht. Letztere werden von der stürmisch bewegten
Luft zu Graupelkörnern geballt, w^elche zu schwer, um schweben
zu können, in den unteren Teil der Wolke herabfallen, und
dort zu plötzlicher massenhafter Eisbildung den Anstoss geben.
Um jedes Graupelkorn als Kern bildet sich sofort eine dichte
Eisschicht, welche, sobald die Wolke aus mehr oder weniger
wasserreichen Lagen besteht, aus mehrfach konzentrischen
Schalen zusammengesetzt sein kann. Auch Sandkörner und
andere feste Körperchen, welche von dem aufwärts ziehenden Luft-
strome mit emporgerissen werden, können die überschmolzenen
(überkalteten) Wasserteilchen der Wolken zum plötzlichen Er-
starren bringen und auf diese Weise die Kerne von Hagelkörnern
abgeben. Die nun im Augenblicke fertigen Hagelkörner, welche
schon in der Höhe mit Gerassel zusammenstossen, fallen hier-
auf, sobald ihre Schwere die elektrische Anziehung der Wolken
überwiegt, verheerend herab und verstärken sich im Nieder-
sinken durch überkühlte Regenwolken sogar zu schweren
Schlossensteinen. Wie bei jeder raschen Wolkenbildung, so
treten auch bei der Hagelwolke elektrische Entladungen auf,
und das Gewitter ist der stete Begleiter des Hagels. (Vgl.
Albert Gokel „Das Gewitter", IL Auflage Seite 228 f., Köln,
C. Bachem 1905.)
Am 20. April 1880 ging u. a. über die Ortschaften Roche-
fort und S. Jan-D'Ang^ly in Frankreich ein Hagelwetter nieder,
das entsetzliche Verwüstungen anrichtete. Es fielen nämlich
Hagelstücke von 490—500 Gramm: mehrere Personen wurden
tödlich verletzt, und zahlreiche Tiere wurden erschlagen sowie
eine Unzahl von Dachziegeln und Glasscheiben zertrümmert^).
1) Die Temperatur in 14 Kilometern über der Erde. Der Meteorologe
Teisserenc de Bort hat zu Anfang 1904 an die Pariser Akademie der
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— I62 —
Als ein Strafgericht Gottes über die Feinde Israels war
jener Wettersturm um so vernichtender, als ganz ungewöhn-
liche Vorbedingungen für denselben gegeben waren. Die
ausserordentliche Länge des Tages und das Anhalten der
Mittagsglut begünstigten die Hagelbildung ungemein, so dass
die zermalmenden Schlössen in wohl nie gesehener Grösse
zur Erde niederstützten. (Cf. 1. Exodi c. 9, 22—27.)
Eine ähnliche Erscheinung zeigte sich unter den 10 Plagen
Ägyptens (1. Exodi 1. c.) und bei dem Siege des Samuel über
die Philister (1. I. Regum c. 17, 10). Ein gleichartiges Wunder
geschah auf das Gebet der christlichen Legion (;,legio fulmi-
natrix") im Kampfe des Kaisers Marcus Aurelius (166 — 180
n. Chr.) gegen die Markomannen und Quaden. (Cf. Eusebii
„Historiae Ecclesiasticae" 1 V., c. 7, und Dionis Cassii „Historiae
Romanae" 1. 71, c. 8 sq.)
Diese wunderbare Tatsache konnte unmöglich verborgen
bleiben und gab Veranlassung, das grossartige Ereignis sagen-
Wissenschaften eine Mitteilung ergehen lassen, in welcher er die vorlie-
genden Erlebnisse über die Erforschung der Lufttemperatur in grossen
Höhen durch Vermittlung von s, g. Pilotballons zusammenfasst. Die
Untersuchungen erstrecken sich auf nicht weniger als 581 Ballon -Aufstiege,
welche sich auf 5 Jahre verteilt haben. Aus so zahlreichen Beobach-
tungen können ohne Zweifel allgemeine Schlüsse von bedeutendem Werte
gezogen werden, zumal in 141 Versuchen mit den Ballons Höhen bis
zu 14000 Meter über der Erdoberfläche erreicht wurden. Die aufge-
stellten Tabellen geben bis zu 5000 Meter Höhe die Temperatur von
500 zu 500 Meter an; weiterhin die von 1000 zu 1000 Meter. Die Er-
gebnisse sind auch so angeordnet, dass die Verschiedenheit der Jahreszeiten
hervortritt. Im Sommer betrug die Temperatur, wenn sie am Erdboden
zu 13 Grad bestimmt wurde, in 500 Meter Höhe noch etwas mehr, nämlich
14 Grad, und nahm dann fortgesetzt ab. Der Gefrierpunkt wurde in einer
Höhe zwischen 3000 und 4000 Meter erreicht. In 10 000 Meter zeigte das
Therometer eine Kälte von — 45 Grad, und in 14000 Meter eine solche
von mehr als — 5 1 Grad ; jedoch wurde die niedrigste Temperatur mit
52,7 Grad in 12000 Meter gemessen. Im Winter war die Kälte in den
höheren Luftschichten selbstverständlich noch bedeutender. In loooo
Meter Höhe wurden bereits — 53 Grad gemessen. Die tiefste Temperatur
wurde mit fast — 58 Grad in 11 — 12000 Meter Höhe ermittelt, wäh-
rend in 14000 Meter wieder eine Abnahme bis auf — 55,5 Grad fest-
gestellt wurde. (Vgl. Köln. Volks-Zeitung Nr. 289, Freitag, 8. April 1904.
Seite 2.)
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- i63 -
haft auszuschmücken. Der römische Dichter Ovid, welcher
den Stoff zu seinen Metamorphosen teilweise aus dem Morgen-
lande entlehnte (vgl. S. 139), scheint den langen Tag des Josua
vor Augen gehabt zu haben, wenn er die poetische Fahrt des
Phaeton auf dem Sonnenwagen seines Vaters Titan beschreibt.
(Metamorphoseon 1. L, 748—779 und 1. IL, 1—407.) Wer kennt
nicht die schönen Verse:
„Regia Solls erat sublimibus alta columnis
Clara micante auro flammasque imitante pyropo.
Cujus ebur nitidum fastigia summa tenebat
Argenti bifores radiabant lumine valvae.**
Phoebus Burg war hoch auf erhabenen Säulen, und glänzend
Von dem Schimmer des Goldes und feurigem Diamant.
Weisses Elfenbein deckte die hohen Gipfel, und zweifache
Türen
Blitzten am silbernen Eingang.
Titan redete seinen Sohn Phaeton also an:
„Quoque minus dubites, quodvis pete munus, ut illud
Me tribuente feras; promissis testis adesto
Dis juranda palus, oculis incognita nostris!
Vix bene desierat currus rogat ille paternos
Inque dum alipedum jus et moderamen equorum.
Paenituit jurasse patrem: qui ter quaterque
Concutiens illustre caput 'Temeraria* dixit
Vox mea facta tua est. Utinam promissa liceret
Non dare! confiteor, solum hoc tibi, nate negarem,
Non honor est: poenam, Phaeton pro munere poscis!
Finierat monitus, diicts tamen ille repugnat,
Propositumque premit flageratque cupidine currus.**
Dass du nun nicht zweifelst an mir: so bitte dir jegliches
Geschenk aus,
Dass du von mir es erhaltest. Höret meine Verheissung
Ihr Gewässer, wobei die Götter schwören, von meinen
Augen noch nie gesehen! Kaum hatt' er also geredet,
So erbat sich der Sohn den Wagen des Vaters und einen
Tag sur Gewalt^ die beflügelten Rosse su führen.
Da gereute den Vater der Schwur, und drei Mal bis vier Mal
Schüttelnd das strahlende Haupt, begann er: „Nachteilig werden
Meine Worte durch deine Bitten; und war' der Verheissung
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— 164 —
Nichterfüllung erlaubt, so würde ich die einzige Bitte
Dir nicht gewähren. Doch darf ich Dir widerraten! Dein
Wunsch ist,
Phaeton, unbedachtsam und mehr, als die Kräfte vermögen :
Nicht Ehre, Strafe Phaeton, forderst du statt der Belohnung !**
Also warnte der Vater; Der Sohn, beharrlich im Vorsatz,
Widerstrebte der Warnung und brannte, den Wagen zu führen.
Mit bekümmerter Seele übergibt Titan seinem Sohne den
Sonnen wagen und mahnet:
„Hac Sit iter: manifesta rotae vestigia cernes.
Utque ferant aequos et coelum et terra calores:
Nee preme, nee summum molire per aethera currum!
Altius egressus oelestia tecta coremabis,
Inferius terras: medio tuUssime ibis!^
Lass deine Bahn so sein: Du wirst noch deutliche Spuren der
Räder
Finden. Damit nun aber Himmel und Erde die Wärme
Gleich empfinden, so treibe den Wagen nicht nieder-, nicht auf-
wärts
An den hohen Olymp; denn steigst Du hoch, so verbrennest
Du die himmlische Burg, und abwärts, die Erde. Die Mitte
Wird am sichersten sein!
Weil aber Phaeton seiner hohen Aufgabe unkundig und
nicht gewachsen war, so lenkte er den Wagen und die Sonnen -
rosse, der sicheren Führung entbehrend, rissen denselben bald
zu hoch und bald zu tief: Himmel und Erde gerieten in Brand
und Flammen. Ihn selbst aber traf der zuckende Blitzstrahl
des Donnerers („im Gewitter"); er stürzte vom Wagen herab,
und sein einsames Grab erhielt die warnende Inschrift:
„Hie Situs est Phaeton, currus auriga paterni:
Quem si non tenuit, magnis tamen excidit ausis!"
„Hier ruhet Phaeton, der den Wagen desVater zu führen versucht ;
Wenn er auch nicht die Leitung verstand, so war doch gross
Sein Wagnis: er stürzte!"
Diese Sonnenwagenfahrt, welche im einzelnen nachzulesen
ein Genuss ist (Metamorphoseon 1. II v. 1-— 334), gehört unstreitig
zu den schönsten Darstellungen des römischen Sängers Ovid.
Der lange, heisse Tag unter Josua gewinnt den vollkommensten
poetischen Ausdruck. Von den Begleiterscheinungen wird gesagt:
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- 165 -
^,Nam pater obductos luctu miserabilis aegro
Condiderat vultus; et, si modo credimus, unum
Isse diem sine sole ferunt: incendia lumen
Praebebant, aliquisque malo fuit usus in illo."
Phoebus, der Vater, verhüllte jammernd sein Antlitz.
Und ein Tag, wenn wir anders der Sage glauben, soll ohne
Sonne vorübergegangen sein. Nur die Brände erhellten
Ihn: so hatte das Unglück noch einigen Nutzen.
Hochpoetisch wird die Hitze jenes ungewöhnlichen Tages
als so gross dargestellt, dass die von ihr verursachten Feuer-
brände das Licht der Sonne ersetzt haben sollen. Liegt darin
nicht eine Anspielung auf das Buch Josua c. X, 14: „Weder
vorher noch nachher war ein so langer Tag, als der Herr der
Stimme eines Menschen gedachte und stritt für Israel?"
Als Aveitere Folge jener ausserordentlichen Hitze teilt
Ovid uns mit, dass selbst die Flüsse davon in Brand geraten
seien. Unter ihnen werden namentlich aufgeführt: der Rhein
(Deutschland), die Rhone (Frankreich), der Tagus (Tago in
Spanien), der Po (Oberitalien), der Tiber (Mittelitalien), der
Hebrus (Marizza) und Strymon (Struma), beide in Thracien,
der Eurotas (Basiliponto) in Griechenland, der Euphrat (Baby-
lonien), der Orontes (Ahssey) in Syrien, der Ganges (Indien)
und der Nil in Afrika. (Cf. Metamorphoseon 1. II, 227—260.)
Demgemäss hätte sich jenes Ereignis in der ganzen damals
bekannten Welt bemerklich gemacht.
Ein ähnliches Brennen der Flüsse bei dem Kampfe des
Achilleus mit den Trojanern erzählt Homer Iliados 1. XXI,
330 — 385. Zur Hülfe des mutigen Helden ruft Here den
Hephaistos in die Schranken, welcher die empörten Gewässer
des Xanthos mit der lodernden Glut des Feuers angriff und
alles Grün ringsum versengte, bis der Sieg vollendet war.
Das klassische Altertum hatte ausserdem noch die Kennt-
nis von dem Wortlaute des Gebetes, welches Josua damals
aussprach: „Sol contra Gabaon ne movearis, et Luna contra
vallem Ajalon!" Steteruntque Sol et Luna. „Sonne, stehe
still über Gabaon und Mond über dem Tale Ajalon!" Und
stille standen Sonne und Mond!
Der Sänger Homer berichtet nämlich, Iliados 1. II, 412 sq.,
dass 4er Völkerhirte Agamemnon vor dem erwarteten An-
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-.- 166 —
Sturme auf Troja im zehnten Jahre des Krieges an Zeus die
Bitte gerichtet habe:
„Zeö Kubi<TT€, ^exicTTC, K€XaiV€<p€5, alO^pi vaiuiv,
Mf| Tipiv in^ i^^Xiov bövai iiii KV^<pa^ dX9eiv,
TTpiv ^€ KttTtt 7rpT]vt^ ßaX^eiv TTpiä^oio ^Aa9pov."
„Zeus, rühm würdig und hehr, Schwarz wolkiger, Herrscher des
Äthers.
Nicht eher lass sinken die Sonn' und das Dunkel heraufziehn,
Bis ich hinab von der Höhe gestürzt des Priamos Wohnung!"
„Steteruntque Sol et Luna, donec se ulcisceretur gens de
inimicis suis." (L.Josues c. X, 13.) Und stille standen Sonne
und Mond, bis sich das Volk an seinen Feinden gerächt hatte."
(Vgl. Joseph Schreiner „Hercules redivivus", S. 27.)
Der bekannte Professor Sepp (München) stellte in einem
für das grosse Publikum berechneten Aufsatze („Augsburger
Allgemeine Zeitung", 1875, Nr. 169, § 2657; vgl. Goldziher
„Der Mythos bei den Hebräern" S. 14) die Behauptung auf:
„Aber keine Nation war so gewandt, sich geistig und materiell
fremdes Eigentum anzueignen, wie die Hebräer. Was sagen wir
dazu, dass der Sonnenstand im Geheiss Josuas zum Zweck, die
Amelekiter bis zur Vernichtung zu schlagen, geradeswegs von
Homer entlehnt ist, wo lUas II., 412, die poetische Hyperbel
Agamemnon in den Mund gelegt ist: „Nicht, o Zeus, lass sinken
die Sonne!" . .? Hierauf erwidern wir, dass der gelehrte Herr
Professor Sepp sich mindestens um 500 Jahre in der Chrono-
logie geirrt hat Die Abfassung des Buches Josua fällt näm-
lich in die Zeit von ca. 1450—1440 v.Chr.; die Ausgestaltung
und erste schriftliche Aufzeichnung der Homertischen Gesänge
dagegen in das 9./8. Jahrhundert, und die attische Recension
derselben wird in die Regierungszeit des Peisistratos um 540
vor Christi Geburt angesetzt. (Drerup, München.) Wenn nun
eine Entlehnung stattgefunden hat, so muss dieselbe aus dem
Buche Josua genommen worden sein, und nicht umgekehrt.
(Vgl. auch Dr. Joh. Nikel „Die Genesis und die Keilschrift-
forschung" Seite 17; Freiburg, Breisgau, bei Herder 1903.)
Auch bei diesem Artikel dürfte die I. Kategorie: literarische
Verwandtschaft mit einer, wenn auch getrübten Kenntnis der
Bibel anzunehmen sein.
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— i67 —
6. Der Raub der Sabinerinnen verglichen mit einem Vorgange
aus der Zeit der Richter.
(Titi Livii „Ab urbe condita"!. I, c.9 u. 1. „Judicum" c. 21, 15 sq.)
Dr. Moritz Müller, Oberlehrer zu Stendal, sagt in der Er-
klärung zu Titus Livius „Römische Geschichte" 1. I, c. 9, S. 45
(II. Auflage, Leipzig bei Teubner, 1888) : „Die Erzählung von
dem Raube der Sabinerinuen ist wohl nur eine mythische Dar-
stellung aus der ersten Zeit des römischen Staates der auch
bei anderen Völkern üblichen Sitte, dass die Braut von dem
Manne aus dem elterlichen Hause entführt wurde." Einen
wirklichen historischen Vorgang dieser Art nun berichtet „das
Buch der Richter", Kapitel 21, Vers 15 und folgende, welcher
sich um das Jahr 1440 vor Christus im Volke Israel zutrug.
Da jedoch die Abfassung dieses Buches in die Zeit des Samuel
(ca. 1170—1095) fällt, Titus Livius aber sein Ereignis, welches
er 30 vor Christus beschrieb, kurz nach 753 a. Chr. verlegt,
so ist es unzweifelhaft, dass sowohl die Tatsache, wie auch
die schriftliche Aufzeichnung derselben im Buche der Richter
der Erzählung bei Livius um mehrere Jahrhunderte vorausgeht.
Titus Livius, zu Padua zirka 59 v. Chr. geboren und
17 n. Chr. daselbst gestorben, brachte den grössten Teil seines
Lebens in Rom zu. Er gehört auch zu jenen ausgezeichneten
Männern, welche mit Virgil, Horatius, Ovid sowie Diodorus
Siculus und Nicolaus Damascenus das Zeitalter des Augustus
durch unsterbliche Werke verherrlicht haben. Sein Haupt-
verdienst bildet das 142 Bücher umfassende Geschichtsopus
„Ab urbe condita libri'*, welches von der Gründung der Stadt
Rom (753 a. Chr.) ausgehend, bis zum Tode des Drusus f 9 v.Chr.
reicht, und deren schriftliche xA^ufzeichnung von 30 a. Chr.
bis 14 n. Chr. geschah. Livius stand in einem freundschaft-
lichen Verhältnisse zu dem Kaiser Augustus und war gleich
ihm mit der griechischen Sprache und Literatur vertraut. (Cf.
Suetonii Tranquilli ^Divi Augusti" c. 98 u. 99; „Ab urbe con-
dita'' 1. 26, c. 22, n. 14; 1. 27, c. 11, n. 5 sq.; 1. 68, c. 10 u. a.)
Auch von seiner sonstigen mannigfachen Bildung legt sein Werk
ein beredtes Zeugnis ab. Durch die damals in Rom von einer
zahlreichen Judengenossen schaft verbreitete griechische Über-
setzung der Septuaginta konnte ihm jenes Faktum aus der
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— i68 —
Geschichte des Volkes Israel wohl bekannt sein. Im Jahre 1849
glaubte Edward Wilton den Beweis erbracht zu haben, dass
Titus Livius die Bibel gelesen habe, und dass die Beschreibung
des Zweikampfes des David mit Goliath (1. 1 Regum c. 17, 39 sq.)
der Erzählung des Livius von dem Kampfe des Titus Manlius
Torquatus mit dem Gallier (396 a. Chr., Titi Livii „Ab urbe
condita" 1. VII, c. 10) zugrunde liegen müsse. (Cf. Journal of
Sacred Literature II (1849), 344 sq.; Goldziher „Der Mythos
bei den Hebräern und seine geschichtliche Entwickelung",
Seite 13, Leipzig 1876; und Dr. Joh. Nikel „Die Genesis und
die Keilschriftforschung" S. 9. Freiburg (Breisgau) bei Herder
1903, sowie dieses Buch S. 137—139, 146.)
Die hl. Schrift erzählt den Vorgang nach dem Wortlaute
der Vulgata wie folgt: Universus populus Israel valde doluit
et poenitentiam egit de interfectione unius tribus (Benjamin)
ex Israel. Dixerunt igitur majores natu: „Quid faciemus reli-
quis, qui non acceperunt mulieres? Omnes enim in tribu
Benjamin mulieres ceciderunt et magno nobis cura et studio
providendum est, ne tribus una ex Israel deleatur. Juramento
enim et maledictione constricti Alias nostras iis dare non possu-
mus, quia diximus : 'Maledictus sit, qui de filiabus suis uxorem
dederit Benjamin!' Ceperunt igitur concilium atque dixerunt:
Ecce solemnitas Domini est in Silo anniversaria, quae sita est
ad septentrionem urbis Bethel, ad plagam orientalem viae,
quae de Bethel est ad Sichimam et ad meridiem Lebonae
oppidi. Pilus uutem Benjamin praeceperunt atque dixerunt:
Ite et latitate in vineis! Quumque videritis filias Silo ad
choros ex more ducendos procedere, exite repentino de vineis
et rapite ex iis singuli uxores singulas et pergite in terram
Benjamin. Quumque patres earum fratresque venerint, qui
adversum vos queri coeperint et jurgari, iis dicemus: Miseremini
eorum! non enim rapuerunt eas jure bellantium atque victorum
(ut servae fierent), quibus rogantibus ut acciperent, non dedistis;
quod a vobis peccatum fuisset! — Fecerunt igitur filii Benjamin
sicut ipsis imperatum erat, atque ad numerum suuni rapuerunt
sibi ex iis quae choros ducebanr uxores singulas et in possessio-
nem profecti suam urbes aedificabant habitabantque in iis.
Ganz Israel hatte grossen Schmerz und Reue über den
Untergang eines Stammes in Israel. Daher sagten die Ältesten
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— i69 — -
des Volkes: ^Was sollen wir anfangen mit den übrigen, welche
keine Frauen erhielten? Von Benjamin nämlich sind alle
Frauen umgekommen. Daher müssen wir mit allem Eifer und
der grössten Mühe dafür sorgen, dass nicht ein Stamm in
Israel erlösche. Unsere Töchter jedoch können wir ihnen nicht
geben, da wir durch Eid und Fluch gebunden sind, indem wir
sprachen: ''Verflucht sei der, welcher an Benjamin eine seiner
Töchter zur Frau gibt!'" Sie fassten nun den Entschluss und
sagten : ^Siehe, es kommt das alljährige Fest des Herrn (Volks-
fest) in Silo, welches nördlich von der Stadt Bethel liegt und
östlich von dem Wege, der von Bethel nach Sichem führt, so-
wie südlich von der Stadt Lebona." Sic trugen daher den
Söhnen Benjamin auf und sprachen : Gehet und haltet euch in
den Weinbergen verborgen! Und wenn ihr die Töchter von
Silo, wie gewöhnlich um Tänze aufzuführen, herkommen sehet,
so eilet schnell aus den Weinbergen, und ein jeder nehme sich
davon eine Frau und gehet damit in das Land Benjamin.
Sollten etwa ihre Väter und Brüder kommen und gegen euch
zu klagen und zu streiten beginnen, so werden wir ihnen sagen:
'Habet Nachsicht mit ihnen! Sie haben ja dieselben nicht nach
dem Rechte der Krieger und Sieger genommen (um sie als
Kriegsgefangene zu Sklavinnen zu machen); sondern ihr habt
auf ihre Bitten, sie nehmen zu dürfen, sie ihnen nicht gegeben,
— was von eurer Seite eine Sünde gewesen wäre — . Sie
werden nunmehr die rechtmässigen Gattinnen euerer Stammes-
genossen und Brüder!'"
Hierauf taten die Söhne Benjamin, so wie ihnen anbefohlen
war, und sie raubten sich, soviele ihrer waren, jeder eine Frau
von denen, welche Tänze aufführten. Hierauf zogen sie in
ihren Besitz (im Stamme Benjamin) zurück: sie erbauten sich
Städte und wohnten darin.
Fast gleichlautend ist der Bericht bei Titus Livius, beson-
ders mit Rücksicht auf das spätere rechtliche Verhältnis der
gewalttätigen Brautwerbung :
^lam res Romana adeo valida, ut cuilibet finitimarum
civitatum hello par esset; sed penuria mulierum hominis aetatem
duratura magnitudo erat; quippe quibus nee domi spes prolis
nee cum finitimis connubia essent. Tum ex consilio patrum
Romulus legatos circa vicinas gentes misit, qui societatem
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connubiumque novo populo peterent: 'urbes quoque, ut cetera,
ex infimo nasci; deinde quas sera virtus et Di jurent, magnas
opes sibi magnumque nomen facere; satis se scire, origini
Romanae et Deos affuisse et non defuturam esse virtutem.
Proinde ne graverentur, homines cum hominibus sanguinem et
genus miscere.' Nusquam benigne legatio audita est; adeo
simul spernebant. simul tantam in medio crescentem molem
sibi et posteris suis metuebant; ac plerisque rogitantibus dimissi,
ecquod feminis quoque asylum aperuissent: id enim demum
compar connubium fore. Aegre id Romana pubes passa et
haud dubie ad vim spectare res coepit, Cui tempus locumque
aptum ut daret Romulus, aegritudinem animi dissimulans, ludos
ex industria parat Neptuno equestri soUemnes. Consualia vocat.
Indici deinde finitimis spectaculum jubet quantoque apparatu
tum sciebant aut poterant, concelebrabant, ut rem claram ex-
spectatamque facerent. Multi mortales convenere studio etiam
videndae novae urbis, maxime proximi quique: Caeninenses,
Crustumini, Antemnates; jam Sabinorum omnis multitudo cum
liberis et conjugibus venit. Invitati hospitaliter per domos,
quum situm moeniaque et frequentem tectis urbem vidissent,
mirantur, tam brevi tempore rem Romanam crevisse. Ubi
spectaculi tempus venit deditaeque eo mentes cum oculis erant,
tum ex composito orta vis, signoque dato Juventus Romana ad
rapiendas virgines discurrit.
Magna pars forte, in quem quaeque inciderat, raptae sunt.
Turbato per metum ludicro moesti parentes virginum profugiunt,
incusantes hospitii foedus Deumque invocantes, cujus ad soUerane
ludosque per fas ac fidem decepti venissent. Nee raptis aut
spes de se melior aut indignatio est minor. Sed ipse Romulus
circumibat docebatque „patrum id superbia factum esse, qui
connubia finitimis negassent. Illas tamen in matrimonio (justo),
in societate fortunarum omnium civitatisque, et quo nihil carius
humano generi sit, liberorum fore. Mollirent modo iras, et
quibus fors corpora dedisset darent (etiam) animos.'*
Schon war das junge Anwesen in Rom so weit erstarkt,
dass es jedem der benachbarten Staatengebilde im Kriege eben-
bürtig gegenüber auftreten konnte, aber durch die geringe
Anzahl von Frauen konnte es nur auf die gewöhnliche Lebens-
zeit eines Menschen Bestand haben: besonders weil sie zu
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^ 171 --
Hause kdne Hoffnung auf Nachwuchs besassen und auch nicht
die Gelegenheit hatten, mit ihren Grenznachbaren eine Ehe-
gemeinschaft zu schliessen (d. h. die Möglichkeit, wechselseitig
rechtsgültige Heiraten einzugehen). Zu jener Zeit nun schickte
Romulus nach dem Rate der Volksältesten Gesandte bei den
benachbarten Volksstämmen umher, welche eine Bundesgenossen-
schaft und die Möglichkeit, rechtsgültige Heiraten einzugehen,
für den neuen Staat anbahnen sollten. „Denn'^, so lautete ihr
Auftrag, ^auch die Städte haben, so wie die übrigen mensch-
lichen Einrichtungen, einen kleinen Anfang, in der Folgezeit
aber, wenn die Himmlischen und die eigene Tüchtigkeit ihnen
beistehen, erwerben sie sich grosse Macht und ein bedeutendes
Ansehen. Er wisse gar wohl, dass bei der Gründung des
römischen Gemeinwesens die Himmlischen tätige Hülfe geleistet
hätten, und dass für die Stadt Rom auch die eigene Tüchtigkeit
in der Zukunft nicht fehlen werde. Daher möchten sie kein
Bedenken tragen, als Menschen mit Menschen (d. h. mit Gleich-
berechtigten) die Gemeinschaft des Blutes und der Ehebündnisse
mit ihnen einzugehen."
Nirgends aber fand diese Gesandtschaft eine gütige Auf-
nahme: teils verachtete man sie, teils auch hatte man die Furcht,
das in ihrer Mitte so kühn aufstrebende neue Staatswesen
könne ihnen selbst und ihren Nachkommen einstens gefährlich
werden. Demgemäss nun wurden sie entlassen, während die
meisten sie noch befragten, ob sie denn in Rom auch für die
Frauen ein Asyl („Freistätte") eröffnet hätten. Nur in diesem
Falle sei die Möglichkeit vorhanden, ein mit allen rechtlichen
Folgen gültiges Ehebündnis (matrimonium justum) unter Gleich-
berechtigten einzugehen. Nur mit Unwillen hörte die junge
Mannschaft zu Rom diese Botschaft an, und es bestand kein
Zweifel mehr darüber, dass die ganse Angelegenheit auf einen
Gewaltstreich hinauslaufen werde. Um nun hierfür die geeig-
nete Zeit und eine passende Gelegenheit zu gewinnen, ver-
barg Romulus seine Missstimmung und Hess absichtlich ein
Fest zu Ehren des Neptun, als Schöpfer des Pferdes (T7o<T€ibd)v
mmoO veranstalten. Er nannte dasselbe Consualia (mit Rück-
sicht auf den mit Neptun identifizierten alt-lateinischen Gott
der Erde und des Ackerbaues (Consus), zu dessen Ehre am
21. August und 15. Dezember ein Opferfest mit Wagenrennen
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— 172 —
im Zirkus gefeiert wurde). Er Hess hierauf den Nachbarvölkern
ein Schauspiel ansagen, und so gut sie es damals verstanden
und ausführen konnten, trafen alle zusammen die eifrigsten
Vorbereitungen, um das Fest berühmt und zum Gegenstände
einer frohen Erwartung zu machen. Viele Leute kamen zur
Festlichkeit und zeigten einen besonderen Eifer, die neue Stadt
sich anzusehen. Am zahlreichsten aber waren die Nächst-
gelegenen erschienen: die Caeniner, Crustumier und die Antem-
naten; zuletzt kamen noch die Sabiner in grosser Anzahl mit
ihren Kindern und Frauen. Nachdem sie nun in den einzelnen
Häusern eine gastfreundliche Aufnahme gefunden hatten,
betrachteten sie die Lage, die Mauern und die grosse Anzahl
von Gebäuden in der neuen Stadt und sprachen ihre Verwunde-
rung darüber aus, dass das römische Anwesen in so kurzer
Zeit einen solchen Aufschwung habe gewinnen können. Als
nun die Zeit des Festspieles herangekommen war und alle mit
Herz und Sinn darauf gespannt waren, da enstand gemäss der
Verabredung (plötzlich) ein gewalttätiger Tumult: auf ein
gegebenes Zeichen hin brachen die römischen Jünglinge aus
ihrem Verstecke hervor, um sich die Jungfrauen zu rauben.
Ein grosser Teil derselben wurde auf diese Weise mit Gewalt
entführt. Durch die so entstandene Verwirrung fand das
Schauspiel einen jähen Abschluss, indem die in Trauer ver-
setzten Eltern die Flucht ergriffen. Sie erhoben aber Klage
wegen der geschehenen Verletzung der Heiligkeit des Gast-
rechtes, denn die ihnen zugekommene Einladung zum Feste
hätte den Eingeladenen dieselben Rechte garantieren müssen,
welche eine förmlich unter Staaten abgeschlossene Gastfreund-
schaft (foedus, Gastfreundschaftsbündnis) gewährte, auf welche
hin vertrauend, sie der Einladung zum Feste nachgekommen
seien. Ferner liege darin eine Beleidigung des Gottes, zu
dessen Ehren das Fest angesagt worden sei. Auch die geraubten
Jungfrauen hatten keine bessere Hoffnung für ihr eigenes
Schicksal und keinen geringeren Unmut über die gewaltsame
Entführung, als ihre eigenen Väter. In dieser kritischen Lage
griff Romulus persönlich ein: er besuchte die einzelnen und
tröstete sie durch die Mitteilung, die ganze traurige Angelegen-
heit sei durch den Übermut ihrer Väter herbeigeführt worden,
welche trotz seiner Bitten den ihnen benachbarten Römern
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— '73 —
rechtsgültige Ehebündnisse abgeschlagen hätten. Sie nun selbst
hätten aber nicht das Los von Kriegsgefangenen zu befürchten
(etwa der Sklavinnen), sondern im rechtsgültigen Ehebündnisse
seien sie zur Gemeinschaft aller Glücksgüter aufgenommen
und sollten als freie Bürgerinnen im römischen Staate Aner-
kennung finden. Da sie nun durch Zufall in die Gewalt von
römischen Bürgern gekommen seien, so möchten sie jetzt auch
freiwillig auf die ihnen gestellten günstigen Bedingungen ein-
gehen!
Die vorstehenden Berichte des Titus Livius und der hl.
Schrift haben in vier Beziehungen eine gemeinsame Grundlage.
Sie behandeln nämlich beide gleichmässig :
1. die Gefahr des Aussterbens eines ganzen Volksstammes;
2. die Verweigerung von selten der Grenznachbarn, mit
den Bedrängten rechtsgültige Ehebündnisse abzuschliessen ;
3. die vorbedachte (ex composito) gewaltsame Entführung
der Jungfrauen bei Gelegenheit eines bürgerlichen Festes; und
4. die amtliche Zusicherung, dass die Geraubten nicht
dem Schicksale von Kriegsgefangenen (etwa der Sklavinnen)
anheimfallen, sondern als die rechtmässigen Gattinnen von
freien Bürgern anerkannt werden sollen.
Schliesslich bemerken wir noch, dass nicht bloss der Sinn,
sondern an manchen Stellen sogar der Wortlaut in den beider-
seitigen Darstellungen eine grosse Ähnlichkeit miteinander er-
kennen lässt.
I. Kategorie: literarische und stoffliche Verwandtschaft
der beiden Berichte.
?• Se'ila; die Tochter des Jephte, und Iphigenia, die Tochter
des Agamemnon.
Gemäss dem Urteil aller Kenner des Altertums sind die
Phönizier das älteste Hand eis volk der Welt. Der Ursprung
ihres ausgebreiteten Landverkehres und ihrer Seefahrten reicht
über die geschichtlich beglaubigte Zeit hinaus. Die Gründung
ihrer meisten Kolonien (Niederlassungen) fällt in die Jahre von
1000 bis 550 vor Christi Geburt. Damals stand Tyrus an der
Spitze, und Handel nebst Schiffahrt blühten am herrlichsten.-
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den Jil. Schriften. ^3 ^j^^^h^\
Digitiz* ON»^oF
Califo"'^
— 174 -
Die Inseln des Meeres, welche den Phöniziern am nächsten
gelegen waren, wie Cypern und Creta, ebenfalls die kleineren,
mehr nördlich gelegenen, hatten fast ohne Ausnahme phönizische
Ansiedler. Eine Hauptniederlassung derselben war auf der
Insel Thasos an der thrazischen Küste. Das kleine Tenedos
führte nach Plinius („Historiae Naturalis" 1. V., c. 30) sogar den
Namen „Phoenice", und nach dem Berichte der Apostelgeschichte
c. 27, 12 befand sich an der Südküste der Insel Creta ein
Hafen, welcher ^Phoenike" hiess, das heutige „Lektro". Die
Kultur der alten Welt (cf. Caesaris „De hello Gallico" 1. 1., c. 1)
folgte überall den Pfaden, welche der Handel ihr zuvor gebahnt
hatte, nahm also ihren Weg von Osten nach Westen, zumeist
durch die Vermittlung der Phönizier. So geschah es, dass die
Ostküste des griechischen Festlandes, Thracien nämlich, weit
früher, als die Westküste zivilisiert wurde. Mit Recht sagt
daher Movers „Untersuchungen über die Religion und Gott-
heiten der Phönizier", Band III., 2. Teil, Seite 3 f., Bonn 1847:
„Bedarf es eines weiteren Zeugnisses, dass die Kultur den
Pfaden des Handels gefolgt ist, so verweisen wir auf ihre
gleichartige Gestaltung bei den Völkern, welche in dem Gebiete
des mittelländischen Meeres wohnten. Sie erstreckt sich nicht
bloss auf Dinge und Einrichtungen, welche der Handel mit
sich bringt, sondern sie umfasst auch die Kunst, Wissenschaften,
Schrift und Religion. Je weiter entfernt von der Zentral-
bewegung des Handels auf dem Mittelmeere, desto verschieden-
artiger ist die Bildung der Völker, selbst derjenigen, welche
durch ihre Abstammung denselben ursprünglich nahe standen.
Der Hellene in der homerischen Zeit steht in besug auf das^
was sur äusseren Bildung gehörty dem Semiten^ selbst dem
Hebräer, viel näher, als dem Inder und Germanen. ^^
Dass die Kultur nach Griechenland aus dem fernen Osten,
speziell von Phönizien her, übertragen wurde, lässt sich ausser-
dem noch aus den ältesten Formen der griechischen Schrift Büge
erkennen. Dieselben stimmen nämlich auffallenderweise mit
den phönizischen und althebräischen Buchstaben vor der babylo-
nischen Gefangenschaft (606 — 536 v. Chr.) überein. Sogar was
die Namen, die Anordnung und die alphabetische Reihenfolge,
sowie die Zahlwerte und die Richtung der alt-griechischen
•Buchstaben anbelangt, ist eine unverkennbare Ähnlichkeit mit
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- 175 -
dem semitischen Alphabet vorhanden ^). Die Schriftzeilen dei*
ältesten Griechen gehen ebenso, wie bei den morgenländischen
Völkern, von der Rechten Btir Linken, Zum Beweise dienen
uralte Denkmalsinschriften, welche in neuerer Zeit auf der
Insel Greta (Gandia) aufgefunden worden sind. (Gf. „Imagines
Inscriptionum Graecarum Antiquissimarum". Gomposuit Her-
mannus Röhl, Berolini.) Die Herkunft der griechischen Schrift-
züge darlegend, sagt daher Professor G. Hinrichs „Griechische
Epigraphik" Seite 361 — 375: „Trotz aller entgegenstehenden
Hypothesen kann es noch für ausgemacht gelten, dass das
^phönikisch-hehräische-griechische Alphabet^ nur einmal und nur
an einer Stelle, welche in der Nähe Aegyptens zu suchen ist,
erfunden sein kann. Und die Zeit der Entstehung desselben
behandelnd, kommt Professor K. Schlottmann (bei Riehm „Hand-
wörterbuch'' Seite 1430) zu folgendem Resultat: „Es ist im
höchsten Grade wahrscheinlich, dass jenes altsemitische Alpha-
bet während der Herrschaft der Hyksos über Aegypten (ca.
1950—1550 V. Ghr.) an irgend einer Stelle entstanden sei, und
dass durch die Zurückwanderung dieser semitischen Hirten-
stämme nach Syrien die dortige Verbreitung der Schrift sich
erkläre.'' Obige Zeitbestimmung fällt mit der Wirksamkeit des
Joseph (Einwanderung der Kinder Israels nach Gosen) und des
Moses in Aegypten (Aussug nach Chanaan) nahe zusammen.
Die literarische Überlieferung : Herodoti „Historiarum" I.V., c. 58,
Plinii „Historiae Naturalis'' I.V., c. 12; Taciti „Annalium" 1. XI.
c. 14; Lucani „Pharsaliae" 1. III., v. 220, berichtet überwiegend,
dass Cadmus, Sohn des Königs Agenor von Phönizien (ca. 1500
V. Ghr.) ein Alphabet von 16 Buchstaben nach Griechenland
überbrachte, welches die Grundlage für die Schriftzeichen dieses
Volkes wurde. (KcÄ^oq == Morgenländer; vgl. öijp: K&d&m =
Morgenland.) Seit Ende des 16. Jahrhunderts v. Chr. blieben
die phönizischen Mutterstädte Sidon, wie später (seit der ersten
1) Das älteste Latein, welches man bis jetzt gefunden hat, ist in d«r
Inschrift an dem Romulus- Grabe enthalten. Dasselbe wurde im Januar
1899 auf dem Forum Romanum entdeckt. Die abwechselnd: linksrechts,
rechtslinks laufende Inschrift ist schwer zu entziffern. Ähnlich sind auch
die Gesetze des Selon geschrieben (504 v. Chr.). Man nennt diese
Schreibweise ßouaxpoqpriböv = furchenweise. (Vgl. Richard Thiele „Das
Forum Romanum", S. 46. Erfurt 1904.)
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— 176 —
Hälfte des 1 2. Jahrhunderts) Tyrus mit den Griechen in ununter
brochener Berührung. Sie besassen nämlich zahlreiche Kolo-
nien auf Kreta, den Inseln des Archipels, in Argolis, Attika,
sowie Booetien und behaupteten die unbestrittene Herrschaft in
den griechischen Meeren. Es kann daher als ziemlich sicher
angenommen werden, dass die Phönizier in der Zeit vom
16.— 12. Jahrhundert, mithin zweifellos vor der dorischen Wande-
rung, die Kenntnis der Schrift den Griechen übermittelt haben.
(Cf. Plinii „Historiae Naturalis" 1. VII., c. 56, 57, § 192.) Wie
nun die Dorier bei der Erorberung des Peloponneses (ca. 1100
V. Chr.) mit der gesamten Kultur der von ihnen unterjochten
Achäer und Jonier sich auch die Schrift derselben aneigneten,
so nahmen die Auswanderer dieser Stämme den Schriftgebrauch
in ihre neue klein asiatische Heimat mit hinüber. (Vgl, „Philo-
logische Untersuchungen" von A. Kiessling und U. von Wila-
mowitz-Moellendorf, Heft 7, Berhn 1884.)
Mit den Phöniziern aber standen, wie später noch genauer
dargelegt wird, die Israeliten in regem Verkehre, besonders
seit dem 12. Jahrhundert vor Christus: Hiram, David, Salomo.
Aus diesen Tatsachen ziehen wir unsere Folgerungen. Eine
fremde Sprache und Schrift kann man nicht erlernen, ohne
auch gewisse Ideen und Vorstellungen, welche damit verbunden
sind, sowie ihr besonders eigentümlich anhaften und in der
Literatur derselben sich vorfinden, zugleich mitanzunehmen.
Nun pflegen aber die religiösen Vorstellungen die ältesten
Begriffe eines jeden Volkes zu sein. So behauptet Cicero
„Tusculanarum Disputationum" 1. L, c. 13 und ^De Legibus"
1. I., c. 8: „NuUa gens tarn fera, nemo omnium tam immanis
est, cujus mentem non imbuerit Deorum opinio." Kein Volk
ist so wild, und niemand von allen Menschen ist so ungebildet,
dass seinem Geiste nicht irgend welche Vorstellung von
höheren Wesen (Göttern) anhaften sollte. Mithin ist der Schluss
berechtigt, dass die Griechen zugleich mit den phönizisch-
hebräischen Schriftzeichen auch religiöse Vorstellungen und
geschichtliche Tatsachen dieser beiden Völker sich angeeig-
net, mit den ihrigen verbunden und weiter ausgestaltet haben.
(Cf. 1. L Machabaeorum c. 3, 48.) Dieser Ansicht huldigt auch
Professor Dr. Volkmuth in seiner Schrift „Die Pelasger (älteste
Bt^wohner Griechenlands) als Semiten" 1860, in welcher er
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- 177 —
ausführt: ^ Es ist meine Überzeugung y dass nicht bloss einzelne
Gottheiten, wie Apollon, sondern die ganze grosse Götterfamilie
der Hellenen aus semitischem Geiste entsprungen ist. Dem-
zufolge ist eine wissenschaftliche Erklärung der griechischen
Mythologie nur möglich, wenn man auf die ersten Prinzipien
derselben zurückgeht, welche für Hellas im Semitismus liegen".
(ITeXacytoi, Pelasger = „Die über das Meer Gekommenen"; vgl.
7T€XdZui, sich nähern, herzukommen, Pass. und Med.; sowie
7TAaT0(; = das Meer ; vermutlich eine phönizische Völkerschaft.
Joh. Joachim Eschenburg.)
Die nächsten Nach baren der Phönizier waren nun die
Israeliten durch Besitznahme des ihnen von Gott zugeteilten
Landes Kanaan geworden. Zwar gehörte das Gebiet der Phöni-
zier auch zu dem „gelobten Lande" und wurde zu dem Stamme
Äser gerechnet. Derselbe nahm es aber nie in Besitz; denn
es war um höherer Zweke willen ausgenommen. Die Israeliten
nämlich, welche mit allen Nachbaren fast beständig Krieg
führten, standen mit den Phöniziern in gutem Einvernehmen,
selbst bis in die Zeit Jesu Christi und der Apostel. (Cf. 1.
Josues c. 19,28; Evgl. S. Marci c. 7, 24 und 31; S. Lucae
c. 6, 17 sq.; Actus Apostolorum c. 11, 19; c. 21, 3 und 4;
c. 27, 3.) Unter David und Salomo (1055 — 975) war die
Glanzperiode des hebräischen wie des phönisischen Volkes.
Die Königshäuser von Jerusalem und Tyrus pflegten die besten
Beziehungen untereinander, und die Bewohner beider Länder
waren zugleich an dem Baue des Tempels, sowie des könig-
lichen Palastes zu Jerusalem beschäftigt. An jenem wurde
sieben, an diesem dreizehn Jahre gearbeitet. (Cf. 1. IIL Regum
c. 5 und c. 7.) Auch Handelsreisen zur See unternahmen die
Israeliten gemeinschaftlich mit den Tyriern während der Re-
gierung des Königs Salomo. (Cf. 1. IIL Regum c. 10, 21 sq. 1. IL
Paralipomenon c.9, 20—22). Aus diesen, längere Jahre hindurch
fortgesetzten maritimen Unternehmungen der beiden Völker er-
geben sich für unsere Zwecke sehr wichtige Folgerungen.
Bei dem freundschaftlichen Verkehr der Phönizier und Israeliten
sind ohne Zweifel manche Phönizier, zumal unter David und
Salomo, als der Mosaische Kultus seine ganse Pracht entfaltet
hatte, zur Erkenntnis und Verehrung des wahren Gottes ge-
kommen. Der König Salomo liess einmal die Fremden (Nicht-
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-^ 178 ~
Israeliten) in seinem Lande zählen und fand 153600 Männer,
ohne Frauen und Kinder zu rechnen. (Cf. 1. II. Paralipomenon
c. 2, 17.) Diese Fremden mussten gleich den Israeliten zu
Ostern sieben Tage lang ungesäuertes Brot essen (1. Exodi
c. 12, 19); sie hatten ihren Anteil an den Freudenmahlzeiten
während des Ernte- (Pfingst-) und Laubhüttenfestes. (L. Deutero-
nomii c. 16, 11 und 14.) Auch der öffentlichen Vorlesung des Ge>
seines am Feste ^der Hütten^^ durften sie beiwohnen (L. Deutero-
nomii c. 31, 10—13). Das Gesetz Moses war überhaupt auch/wr
die Öffentlichkeit bestimmt. Auf Befehl Gottes wurden alle Worte
des Gesetzes zur Kentnisnahme aller Menschen auf grosse
Steine klar und deutlich geschrieben, nachdem das Volk den
Jordan überschritten hatte. (L. Deuteronomii c. 27, 4—8.)
Sodann geschah auf den Bergen Hebal und Garizim vor dem
ganze Volke laut und deutlich die Ankündigung der Segnungen
für die Haltung, und der Strafen (Flüche) für die Übertretung
des Gesetzes. (L. Deuteronomii c. 27 und c. 28.) Die Phönizier
nun, obschon in häufigem und unmittbaren Verkehre mit den
Israeliten, blieben der Mehrzahl nach zwar ihrem Götzendienst
ergeben; das schliesst aber nicht den Übertritt einzelner Per-
sonen aus, welche dem Zuge der göttlichen Gnade folgten
und „Proselyten" genannt wurden. (Cf. 1. fl. Esdrae c. 10,28;
Evgl. S. Matthaei c. 23, 15; Actus Apostolorum c. II., 11.)
Diese aber hatten Gelegenheit, ihre reineren Religionsbegriffe
auch anderswohin zu verpflanzen, besonders nach Griechenland,
in welchem der Same der Heilswarheiten auf einen fruchtbaren
Boden fiel. Aus diesem Grunde stellt Plato „De republica"
1. IV., p. 433, das (piXo)ia0€<; der Griechen („Liebe zum Lernen":
Lernbegierde), dem (piXoxpr|)iaTOv („Liebe zum Erwerben": Hab-
sucht) der Phönizier und Ägypter entgegen. „Die Griechen,
sagt Welcker („Griechische Götterlehre" S, 81) kam eine beson-
dere Glaubensfähigkeit, leichte Gläubigkeit und eigentliche
Leichtgläubigkeit zu, welche Plutarch das tö fixav \x\(^ Tricneuji;
nennt." Dieses Zeugnis gibt auch Sankt Paulus den Athenern:
Actus Apostolorum c. 17, 22. Somit ist die Möglichkeit dar-
getan, dass durch phönizische Proselyten bessere und wahre
religiöse Vorstellungen nach Griechenland übertragen wurden.
Auch ist es ebenso wahrscheinlich als natürlich, dass während
der Fahrten auf dem Mittelmeere die Schiffe Salomos mit der
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— 179 —
Flotte des Hiram ebenfalls an der Küste von Griechenland,
oder grichischer Inseln, an welcher die Phönizier Niederlassungen
und Stapelplätze besassen, landeten sowie länger verweilten;
ferner dass manche Israeliten an diesen Orten zurückgeblieben
sind und sich dauernd niederliessen. Das konnte um so leichter
geschehen, als die Sprachen dieser beiden semitischen Völker
nur dialektisch verschieden waren. Zudem hatten die Hebräer
die Gewohnheit, sogar bei ihren Reisen die hl. Schrift, welche
überdies mit den alt-phöniBischen Buchstaben aufgezeichnet war,
bei sich zu führen. (Cf. L. Deuteronomii c. 6, 8, 11, 18 und 19;
Evgl. S. Matthaei c. 23, 5 und 15.) Da nun, wie oben S. 174
bis 176 dargelegt wurde, die ältesten Formen der griechischen
Lettern mit den alt-phönizischen und hebräischen Schrift-
zeichen eine merkwürdige Ähnlichkeit haben, so können wir
hieraus den Schluss ziehen, dass die Seefahrten der Israeliten
und Phönizier eine passende Gelegenheit darboten, die Kenntnis
der hl. Bücher des alten Testamentes weithin, auch bis nach
Griechenland, zu verbreiten. In der Tat berichtet der Afrika-
Reisende Dr. Carl Peters (Berlin), dass in dem Gebiete von
Sofala (zwischen Zambesi und Sabi im Südosten von Afrika),
dem alten biblischen Ophir^ sich noch grossartige Ruinen von
uralten Gold-Minen, ummauerte Schächte, zahlreiche Grab-
steine und Symbole, welche sich auf die phönizische Religion
beziehen, sowie ein Volksstamm, welcher unverkennbare Ähn-
lichkeit mit den Juden hat, und religiöse Gebräuche, die ohne
Zweifel an das Gesetz Moses erinnern, bis auf den heutigen
Tag sogar erhalten haben. (Vgl. „Alte und neue Welt" 1904,
16. Heft, S. 549 f. Forschungsreisen 1899—1901.) Auf Grund
dieser Entdeckungen können wir mit Peters annehmen, dass
viele Juden in den Tagen der Könige Salomo und Hiram in
dem Goldlande Ophir, dem heutigen Sofala, zurückgeblieben
sind und sich daselbst angesiedelt haben, als sie an der Küste
von dem südöstlichen Afrika gelandet waren. (Cf, 1. III. Regum
c. 9, 26— 28; c. 10,22.)
Wir gehen nunmehr einen Schritt weiter : nicht bloss die
Möglichkeit, sowie grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit
einer religiösen Ideenübertragung von Palästina nach Griechen-
land kann nachgewiesen werden; wir können auch eine tat-
sächliche Verbindung dartun. Der Prophet Abdias verkündigt
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— i8o
unter dem Könige Ozias, ca. 780 v. Chr., dass die Juden, welche
als Übersiedler (Auswanderer oder Kriegsgefangene) nach Se-
pharad, i'ico, „Sparta", gekommen seien, wieder zurückkehren,
und die „Städte des Südens", d. i.: Judäa, in Besitz nehmen
würden. (Cf. Abdiae prophetae c. 1,20; und Actus Aposto-
lorum c. II., 5 sq.) Der Seher Joei, welcher ca. 750 v. Chr. lebte,
wirft den Tyriern und Sidoniern vor: „Was habe ich an euch,
Tyrus und Sidon, spricht der Herr, da ihr die Söhne Judas
und Jerusalems verkauft habet an die Söhne der Griechen, um
sie wegzuführen aus ihrem Gebiete?!" (Cf. JoSlis prophetae
c. IIL, 3— 7 sq; und 1. III. Regum c. 10, 1 sq.)
Der Prophet Ezechiel redet Tyrus an: ^Griechenland^ Thubal
und Mosoch (die Tibarener am Schwarzen Meere, und Moscher
in Colchis) sind deine Kaufleute; sie brachten Sklaven und
eherne Geräte deinem Volke!" (Ezechielis prophetae c. 27, 13.)
Amos, der Seher, hat folgende Klage gegen Tyrus: „Diess
spricht der Herr : Wegen drei Vergehen von Tyrus und wegen
vier wende ich dieses (Unglück) nicht von ihm ab; weil sie
vollends eingeschlossen haben die (jüdischen) Gefangenen, und
nicht mehr gedachten des Bruderbundes (unter David, Salomo
und Hiram)". Cf. Amos 1, 9.
Auch Homer, Odysseos 1. XV., 402, f., beschreibt den See-
und Sklavenhandel der Phönizier.
Weil aber die alten Schriftsteller die Nationen der Syrer,
Phönizier und Hebräer nicht voneinander unterschieden, sondern
für ein Volk gehalten haben ; so ist wohl diesem Umstände allein
es zuzuschreiben, dass sie die hebräischen Sklaven nicht speziell
erwähnen, (Vgl. Movers, l. c, II. Band, III. Teil, S. 781). Durch
solche Gefangenen nun konnten religiöse Ideen und biblische
Tatsachen ebenfalls verbreitet werden. Auf diese Weise ver-
pflanzte sich in den Tagen des Propheten Elisaeus (896 --836
V. Chr.) die Kenntnis Jehowahs faktisch an den königlichen Hof
von Damaskus durch eine hebräische Sklavin, welche in den
Dienst des syrischen Feldobersten Naaman gekommen war.
(Cf. 1. IV. Regum c. 5, 2 sq.)
Ähnliche Fälle weist ja auch das Christentum mehrere
auf. ^Für Iberien (Kaukasus) wurde eine fromme Sklavin, für
Äthiopien ein Sklave, Namens Frumentius, die Veranlassung,
dass diesen Ländern die Leuchte des Evangeliums angezündet
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— i8i -
wurde. (Vgl. Stollberg, „Geschichte der Religion Jesu Christi",
10. Band, S. 197, f. i).
„So sind gewiss, sagt Movers, 1. c. S. 7, manche Keime
der Jehowah -Religion durch hebräische Sklaven, welche zu Zeiten
(cf. Jo€lis prophetae c. III., 3—7) ein Hauptartikel des phöni-
zischen Handels waren, in fernere Gegenden gelangt, wenn
auch die Kunde von ihrem Wachstume und Gedeihen auf den
Blättern der Weltgeschichte nicht verzeichnet ist."
Von der Zeit an jedoch (540 v. Chr. usw.), als griechische
Weisen nach dem Oriente, und vorzüglich nach Ägypten, sich
begaben, um den Kreis ihres Wissens zu erweitern, konnten
die lange zuvor daselbst eingewanderten Juden, sei es mittel-
bar, sei es unmittelbar, auf jene wissbegierigen Hellenen ein-
wirken. Die Schriften dieser gelehrten Männer tragen unver-
kennbare Züge davon an sich. Anus (Arcus), König der
Spartaner, ein Zeitgenosse des Seleucus Nikator und des Pto-
lemaeus Lagi, richtete ca. 300 v. Chr. an den hohen Priester
Onias zu Jerusalem ein amtliches Schreiben, in welchem er
darlegt- in einer (alten griechischen) Schrift über die Spartaner
und Juden habe sich die Nachricht vorgefunden, dass sie
Brüder, und von dem Geschlechte Abrahams seien. (Cf. 1. 1.
Machabaeorum c. 12, 6, 7, 11 und 20 sq. II. Mach. 5, 9.) Um
das Jahr 145 v. Ch. schrieb der hohe Priester Jonathas an
die Spartaner, dass die Juden zu Jerusalem bei ihren Festen
und Opfern der Spartaner als ihrer Brüder im Gebete ein-
^) Vergleiche auch Prof. Dr. J. Marx „Lehrbuch der Kirchen-
geschichte" S. io6. Trier, Paulinus-Druckerei 1903. Demgemäss hiess die
kriegsgefangene Sklavin in Iberien (auch Georgien genannt) Nunia.
Äthiopien, oder Abessinien, gelangten zum Christentume durch die Brüder
Aedesius und Frumentius von Tyrus, welche mit ihrem Oheim, dem Philo-
sophen Meropius, auf einer Entdeckunsreise begriffen, in einem Hafen
Abessiniens gefangen genommen und als Sklaven an den Hof nach
Axuma (ca. 326) gebracht wurden. Frumentius gelangte zur Stelle eines
Reichsverwesers und wirkte als solcher für das Christentum. (Cf. Actus
Apostolonem c. 8, v. 28 sq.) Während sein Bruder in die Heimat zurück-
kehrte, Hess er sich ca. 328 vom hl. Athanasius zum Bischof von Axuma
weihen. Damit kam Abessinien zum Patriarchate von Alerandrien, und
wurde von hier aus später in den Monophysitismus hineingerissen, in welchem
es verblieb (Kopten). Vgl. Weber „Die katholische Kirche in Armenien"
und die einschlägigen Artikel in dem „Oriens Christianus".
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— l82 —
gedenk seien. (L. c. c. 12, 11.) Der ca. 143 v. Chr. erfolgte
Tod des Hohenpriesters Jonathas wurde zu Sparta (und Rom)
lebhaft betrauert. (L. c. c. 14, 16.) Vgl. S. 133 — 135 dieses
Buches.
Gerhard Johann Voss (Vossius), geboren in der Nähe von
Heidelberg 1577, starb als Professor zu Amsterdam 1649, und
war durch seine gelehrten philologischen Arbeiten eine Zierde
der Wissenschaft. Im Jahre 1641 ei schien sein Werk: „De
theologia gentili et physiologia christiana, sive de origine ac
progressu idololatriae". Amstelodami. Libri quattuor. In dem-
selben erörtert er die vielfachen Beziehungen, in welchen das
Heidentum zum Christentume, und die Schriften der Klassiker
zur hl. Schrift stehen. Unter anderem stellt er die Behauptung
auf, das indendierte Opfer des Richters und Heerführers Jephte
habe in der Sage von der Iphigenia zu Aulis und Tauris, durch
Euripides bei den Griechen, und durch Ovid bei den Römern
einen Nachhall gefunden. Auch das Wort : Icpit^veia (Herodot),
oder IcpiTÖvn (Euripides „Elektra") scheint ihm, sowie anderen
Philologen, aus 'kcpOeT^veia entstanden zu sein.
Nach Euripides (480—406) hat Goethe diesen Stoff 1779
in Prosa, 1786 in Versen mit Umformung durch christliche
Ideen behandelt. Eine französische Bearbeitung der Schicksale
Iphigeniens lieferte Racine im Jahre 1675, welche Friedrich von
Schiller 1805 ins Deutsche tibertrug. (Vgl. Houben, Oberlehrer,
„Euripidis Iphigenia in Aulide cum Racinii comparata". Trier
1850.) Im Anfange des vorigen Jahrhunderts hat der Rektor
des Gymnasiums zu Görlitz in Schlesien wieder darauf hin-
gewiesen, dass die Tochter des Jephte (Seila) das Vorbild zur
Sage der Iphigenia geworden sei. (Osterprogramm 1815, von
Dr. Anton herausgegeben.) Das Buch der Richter (c. 11, 29 sq.)
erzählt, dass der israelitische Heeresführer Jephte vor seinem
Kriegszuge gegen die Ammoniter ein Gelübde gemacht habe,
falls er den Sieg gewinne, so solle, wer immer zuerst aus der
Türe seines Hauses ihm entgegenkomme, dem Herrn als
Brandopfer geweiht werden. (Cf. 1. Judicum c. 11, 29 sq.) ^)
^) So nach der Vulgata. Der hebräische Text lautet wörtlich: „Und
Jephte machte ein Gelöbnis dem Herrn; Wenn Du die Söhne Ammon
in meine Hand gibst, so soll der, welcher zuerst aus der Türe meines
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- i83 -
Revetente autem Jephte in Maspha domum suam, occurrit
ei unigenita filia sua cum tympanis et choris: non enim alios
habebat liberos. Qua visa, scidit vestimenta sua et ait: „Heu
me, filia mea, decepisti me et ipsa decepta es: aperui enim
OS meum ad Dominum, et aliud facere non potero (votum feci).
Cui illa respondit: „Pater mi, si aperuisti os tuum ad Dominum,
fac mihi, quodcunque poUicitus es, concessa tibi ultione de
hostibus tuis." Dixitque (autem) ad patrem: „Hoc solum mihi
praesta, quod deprecor : dimitte me duobus mensibus ut circumeam
montes et plangam virginitalem meam cum sodalibus meis.
Cui ille respondit: „Vade!**
...Jephte zog nun gegen die Söhne Ammon, und der
Herr gab sie in seine Hände (verlieh ihm den Sieg über die-
selben). Als er hierauf nach Maspha in sein Haus zurück-
kehrte, da kam ihm seine einzige Tochter entgegen mit Hand
pauken und Tanz; denn andere Kinder hatte er nicht. Bei
ihrem Anblicke aber zerriss er seine Kleider und rief : „Wehe!
wehe! meine Tochter: du bist gegen meine Erwartung, und
ich gegen die deine! Denn ich habe meinen Mund geöffnet
vor dem Herrn (ich habe ein Gelübde gemacht), und kann
nicht Anderes tuen!"
Sie entgegnete ihm: „Mein Vater!, wenn du deinen Mund
vor dem Herrn geöffnet hast, so tue mit mir, was immer du
gelobet, nachdem dir Rache und Sieg über deine Feinde zu
teil geworden ist." Dann sprach sie zum Vater: „Nur das
Eine gestatte mir noch, um was ich dich bitte: erlaube mir,
dass ich zwei Monate im Gebirge umhergehe, und mit meinen
Genossinnen weine um meine Jungfräulichkeit !^ Er antwortete
ihr: „Gehe!"
Hauses kommt zu meiner Begegnung, wenn ich im Frieden von den
Söhnen Ammon zurückkehre, dem Herrn angehören (zum Eigentum), und
ich will ihn als Brandopfer darbringen."
Praelat Kaulen bemerkt hierzu (Kirchen- Lexikon VI., 1289), ^^ss
der Ausdruck „zum Brandopfer darbringen" durch den vorausgehenden
„dem Herr zum Eigentum geben (angehören)" erklärt sei. Die Vulgata
dmckt dies nicht aus; wohl aber die Übersetzung der Septuaginta.
Jephte habe daher an eine Hingabe zum Dienste Gottes (wie bei
Erstgeburten, Zehnten, Nathinäern usw.) gedacht, und durch den Zusatz
„zum Brandopfer bringen" nur die nach dem Gesetze etwa mögliche Lösung
durch Geld ausschliessen wollen.
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-. i84 -
Hören wir nun den Nachklang, welchen dieser Vorgang
aus der Geschichte Israels durch Ovid in der lateinischen
Literatur gefunden hat. Derselbe beschreibt nämlich das
intendierte Opfer des griechischen Heerführers Agamemnon
vor seiner Abfahrt zu Aulis. (Cf. 1. XII. Metamorphoseon,
V. 24 sq.):
Permanet Aeoniis Nereus violenter in undis,
Bellaque non transfert, et sunt qüi parcere Trojae
Neptunum credant, quia moenia fecerat urbi.
At non Testorides (Kalchas). Nee enim nescitque tacetque
Sanguine virgineo placandam virginis irant
Esse Deae. Postquam pietatem publica causa
Rexque patrem vicit, castumque datura cruorem
Flentibus ante aram stetit Iphigenia ministris:
Victa Dea est nubemque oculis objecit et inter
Officium turbamque sacri vocesque precantum
Supposita fertur mutasse Mycenida cerva:
Ergo ubi, qua decuit, lenita est caede Diana,
Et pariter Phoebes, pariter maris ira recessit:
Accipiunt ventos a tergo mille carinae,
Multaque perpessae Phrygia potiuntur harena.
Nereus wütete fort in den äonischen Wassern,
Brachte die Siegel nicht weiter, und einige glaubten, Neptunus
Wolle Troja verschonen, weil er die Mauern erbaut hat.
Aber der Thestoride (Kalchas) nicht: er wusst' es und sagt' es,
Dass den Zorn der göttlichen Jungfrau Blut nur von einer
Jungfrau versöhne. Als die Wohlfahrt des Landes die Liebe
Und den Vater der König besiegte, trat vor den Altar,
Unter den Tränen der Diener, ihr keusches Blut da zu opfern,
Iphigenia hin. Die Göttin wurde gerührt,
Hüllt' in Nebel die Schar, und Iphigenia wurde
Unter dem Opfer-Tumult und den Gesängen der Priester mit einer
Für sie gestellte Hirschkuh vertauscht. Da also geziemend
Durch den Tod Diana versöhnt war, legte mit ihrem
Zürnen, das Zürnen des Meeres sich. Die 1000 Schiffe bekamen
Hinter sich Wind, und erreichten das phrygische Ufer nach vieler
Drangsal.
Hier sehen wir Vater und Tochter bereit, das Opfer des
Lebens für das Wohl des Staates zu bringen; dasselbe wird
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• ^ ,85 -
aber nicht in buchstäblichem Sinne vollzogen, sondern die
Tochter des Völker-Hirten Agamemnon bringt das geistige
Opfer ihres Daseins durch den Dienst im Heiligtum auf Tauris
(Krim). (Cf. Metamorphoseon 1. XIIT., 183 sq.)
S. Thomas von Aquin lehrt: „ Religion is Status est quod-
dam holocaustum, per quod aliquis totaliter se et sua offert
Deo." S. Thomae Aquinatis 2, 2, qu. 186, a. 7. Das gott-
geweihte Leben (der Ordensstand) ist in gewissem Sinne ein
Brandopfer, durch welches man sich und das Seinige Gott,
dem Herrn, vollkommen darbringt. Es liegt die grösste Wahr-
scheinlichkeit vor, dass auch die Tochter des Jephte nicht
leiblich geopfert wurde; dies war ja von Jehovah verboten,
und kein Priester hätte hierbei mitwirken können; sondern
dass sie im geistigen Sinne durch den Dienst bei der Stifts-
htitte sich Gott weihte. (Cf. l. Exodi c. 38, 8; l. I. Regum c.
2, 22; l. II. Machabaeorum c. 3, 19 sq.) Mit dieser Hingabe war
zugleich die grösste Enthaltsamkeit und das Nasiräat verbunden.
(Cf. 1. Numeri c. 6, 2—21.) Da es nun von Jephte heisst, dass
der Geist Gottes über ihn kam^ und bei der allgemeinen
Fassung des Gelübdes auch das Entgegenkommen von Menschen
nicht ausgeschlossen war, dasselbe aber zur Unterstützung
der Bitte um Sieg gemacht wurde; so scheint in diesem Falle
die leibliche Opferung von selbst als verboten, und konnte nur
die geistige Form des Opfers beabsichtigt sein. (Cf. l. Exodi
c. 13, 1, 13; 1. Levitici c. 27; l. I. Regum c. 1, 22, 28.) Sonst
wäre das Gelübde ein frevelhaftes gewesen, und hätte Gott
daraufhin den Sieg nicht verleihen können. Würde Jephte in
falchem Eifer einen solchen Greuel vor Gott habe begehen
wollen; so wäre er sicher wie Abraham vom Herrn selbst
daran gehindert worden. (Cf. l. Genesis c. 22, 12.) Da nun
die heilige Schrift kein Wort des Tadels über das Verhalten
des Jephte ausspricht, so können wir daraus schliessen, dass
nur die geistige Hingabe vollzogen wurde. Denn ein wirkliches
Menschenopfer wäre nicht ohne die schärfste Verurteilung ge-
blieben, wie es 1. Deuteronomii c. 12, 30 sq. heisst: y^Hiite dich,
dass du die Heiden etwa nachahmest: denn sie opfern ihre
Söhne und Töchter den Göttern und verbrennen sie im Feuer !^
Sage nicht: „Wie diese Völker ihren Göttern dienen, so will
auch ich dienen!" }Vas ich dir befehle, nur dieses tue dem
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— i86 —
Herrn; weder füge etwas hinsu^ noch lasse hinweg!"' Das
Referat des Buches der Richter: „Sie aber sprach zu
ihrem Vater: „Das Eine gestatte mir, um was ich bitte: er-
laube mir, dass ich zwei Monate im Gebirge umhergehe, und
mit meinen Gefährtinnen weine um meine fungfräulichMV^
Er antwortete ihr: „Gehe!" — lassen den Sinn der geistigen
Hingebung unschwer erkennen. (Cf. 1. Judicum c. 11,37—41;
Evgl. S. Lucae c. 1, 34.) Wie bei dem intendierten Opfer des
Abraham für Isaak ein Widder dargebracht wurde, so lässt
der römische Dichter Ovid (vgl. oben Seite 184) für die nach
Tauris entrückte Iphigenia eine Hirschkuh geopfert werden.
Alle diese Momente aus dem Leben der Iphigenia waren
schon früher durch Euripidis in Griechenland gewürdigt und
tragisch ausgestaltet worden.
a) Agamemnon vernimmt einen Orakelspruch:
"H|Li€(y0', dTrXoiqi xpi^juevoi Kar' AuXiba,
K(iXxa(; V ö judvTK; dnopia KexpTi|Lievoi<;
dveiXev, 1(piT^V€iav, f^v faireip' dtiw,
'ApT^ILubi Oöaai, Tri xöb* oiKOiicyij ir^bov,
Ktti ttXoOv t' faaeaOai Kai KaxacTKacpa^ Opu^^v
eOcJam, jun OuaacJi b' ouk elvai xdbe. (Iphigeniae in
Aulide V. 88—93.)
Untätig sassen wir vor Aulis, ohne Ziel und Fahrt.
Da gab der Seher Kalchas Ratsbedürftigen
Den Spruch: Iphigeneia, mein geliebtes Kind,
Der Artemis zu opfern, die das Land beherrscht.
Dann komme Fahrwind und Zerstörung Phrygiens
Den Opfernden, doch nichts werde dess» Nichopfernden.
b) Iphigenia beklagt ihr Schicksal und beweint ihre fung-
fräulichkeit .
Ol|LlOl bVJ(TVU|Ll<pOV
Tuj tag Nnp€uj^ Koupag,
di dl, vOv b' dHeivou ttöviou Heiva,
bu(TxöpTOU(; öiKOug vaiiu:
äTa|Lio<;, äT€KVO<;, ättoXk;, äcpiXoi;. (Iphigeniae
in Tauride v. 206—210.)
„Weh' mir, als Unglücksbraut
Des Sohnes der Tochter des Nereus ach!
Nun, ein Gast des ungastlichen Meeres,
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- i87 -
Wohn* ich in unwirtlicher Gegend:
Ehelos, kinderlos^ heimatlos ^ freundlos f^
c) Sie ist aber bereit y mit Heldenmut in den Tod bu gehen:
Ei V dßouXr|0Ti TÖ (TuijLia tou)liöv "ApiejUK; XaßeTv,
d)aTro5ujv T€vr|(TOjLi' dTuj GvriTÖ^ oijaa Trj Geuj;
dXV djüirixavov (Iphigeniae in Aulide v. 1395-1397.)
„Wenn es gefiel hinwegzunehmen meinen Leib der Artemis:
Soll ich in den Weg der Göttin treten — eine Sterbliche — ?
Nein, unmöglich ist's! ich gebe meinen Leib für Griechenland!"
Tou)aöv \k (Ta))aa '\x\c, i\kx\c, uirep irdTpac;
Kai Tfi^ dirdcTri^ "EXXdboc; Taia<5 uTrep,
Böaai MbiwjLi' ^KOÖcTa TTpö<; ßiwjLiöv 8€ä<;
fiTOVTac;, eiirep dcTTi 8€(T9aT0v xöbe. (L. c. 1553 sq.)
Sie aber, als dem Vater sie zur Seite stand,
Sprach dieses: ^Lieber Vater! schau, da bin ich schon,
Und meinen Leib zum Heile meines Vaterlands,
Und willig für des ganzen Griechenreiches Wohl
Steir vor der Göttin Altar ich, zum Opfer dar
Den Führern, wenn's der Götter Ausspruch so gebeut !**
d) Iphigenia ersählt ihre Rettung:
'H TTaT<; (Ta9uiq (Toi irpöc; 8eou<; dq)iTTTaT0' (L. c. 1608.)
j^Dein Kind entfloh dir wahrlich zu den Himmlischen!
Durch Odysseus Ränkekunst
Entriss man mich der Mutter als Achilleus Braut.
In Aulis angekommen, ward schon über mir
Hoch auf dem Stoss des Opferheerds das Schwert gezückt;
Da nahm, dagegen gebend eine Hindin, mich^
Den Kriegern Artemis: durch lichten Himmelsraum
Trug sie und Hess mich nieder hier in Taurien,
Wo über Barbarn herrschet ein Barbaren -Fürst ....
Der hat mich hier als Tempel- Feiest er in bestellt,
Woselbst die Göttin Artemis an Bräuchen sich
Ergötzt von Festen, deren Name schön allein.
Mir liegt die Weihung, Andern liegt das Opfer ob,
Das wilde, in der Göttin Heiligtum!"
(Iphigeniae in Tauride v. 24—41.)
Aus dem Ganzen ergeben sich folgende Vergieichungs-
punkte :
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— i88 —
1. Setla und Iphigenia sind beide Jungfrauen und Töchter
von obersten Heeresführern.
2. Beide sollen Gott geopfert werden, damit ein bevor
stehender Krieg zum glücklichen Ende komme.
3. Beide sind ein Opfer der Unbesonnenheit ihrer Väter
Jephte und Agamemnon; jener machte ein vieldeutiges
Gelübde; dieser hatte die »Artemis beleidigt.
4. Beide beweinen ihre Jungfräulichkeit,
5. Hierauf sind beide freudigen Mutes, das Opfer ihres
Daseins zu bringen, entschlossen.
6. Durch die Vorsicht und Erbarmung der Himmlischen
jedoch wird die leibliche Opferung vermieden, und beide
dienen als Gott geweihte Jungfrauen im Heiligtum der
Stiftshütte und zu Tauris.
Von dem hohen Werte dieser vollkommenen Hingabe an
Gott spricht Dante ^^il Paradiso"" V, Gesang v, 14 sq,:
„Talia dixit
Hujus principium cantus initura Beatrix;
Atque, ut qui coeptum haud sermonem obtruncat, ita illa
Propositum tenuit sanctum. Quae maxima dos est,
Largius indulgente Deo, qui cuncta creavit,
Inventa, apta magis bonitatem ostendere patris,
Quamque is plurimi habet, fuit haec vis libera vestri
Arbitrii in terris^ qua cuncta et sola creata,
Queis lumen rationis inest, ditata fuerunt,
Et sunt. Nunc, si conjicias, voti alta patebit
Virtus, si quis fit reus, ac Dens annuat ipsi
Ultro paciscenti. Nam inter hominemque Deumque
Facta fides ubi sit, thesauri victima tanti.
Quem dico, evadit, proprioque obstringitur actu.
Quid tanti est, quaeso, pretii, quo tu ista rependas?
Nam tibi si oblatis uti bene posse videris,
Ex male sublatis igitur vis crescere belle.''
So fing ihr heil'ges Wort Beatrix an;
Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
Ununterbrochen fort, was sie begann :
^,Die grösste Gab' aus Gottes Vaterhänden
Und seiner reichen Güte klarste Spur,
Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden
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- i89 -
Ist Willensfreiheit^ so die Kreatur.
Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
Von diesem jede, doch auch diese nur.
Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
Dass Gott, was du geboten, angenommen.
Denn, wer mit Gott Vertrag schliesst, der vermisst
Sich diesen Schals sunt Opfer darzubringen.
Mit dessen Werte sich kein anderer misst.
Wie kann drum je hier ein Ersats gelingen?
Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
So ist's nur Wohltat mit entlehnten Dingen.
Du hast das Wichtigste nun aufgefasst!''^)
Die ethischen Momente, welche bei dieser Erzählung von
Setla und Iphigenia vorkommen, deuten unschwer auf den
Wert eines reinen Opfers hin, welches im Gehorsame gegen
die elterliche Autorität intendiert, von den Himmlischen aber
nicht mit der Blutvergiessung, sondern durch die freiwillige
Hingabe von Leib und Seele im Dienste des Heiligtums an-
genommen wird, III. Kategorie: Beeinflussung durch religiöse
Ideen. (Nach Dante.)
8. Samson und Herkules.
Die germanische Heldensage wurde in grundlegender
Weise von Professor Wilhelm Grimm (Göttingen 1829) bear-
beitet. Die dritte Auflage seines Buches erschien zu Güters-
loh 1889 und ist noch immer das Hauptwerk für diesen Forschungs-
zweig. Durch Grimms Arbeiten wurden viele neue Unter-
suchungen über das Wesen und den Ursprung der Heldensage
veranlasst. So hat unter anderen B. Symons einen Wegweiser
durch diese weitverzweigte Literatur geschaffen: „Germanische
Heldensage*^ (Strassburg bei Trübner 1898), welcher auf durch-
aus selbständiger, wissenschaftlicher Grundlage beruht. Er
verwirft für die sagengeschichtliche Forschung die Einseitig-
^) Philo Judaeus vel Alexandrinus nennt die Tochter des Jephte:
Seila. (Cf. Grand Dictionaire historique von Movery; Amsterdam 1702;
Tom. III,, Pag. 231.)
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altcrlums zu den hl. Schriften. 14
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— - I90 —
keit, mit welcher man aus einem Erklärungsprinzip die bunte
vielgestaltige Reihe der Heldensage auszudeuten versucht.
Die historische, die mythische und die rein-poetische Erklärungs
weise haben unzweifelhaft ihre volle Berechtigung, nur nicht
in ihrer Vereinzelung, sondern mit- und nebeneinander.
Ausgangs-Punkt für eine methodische Erforschung der
Heldensage muss allerdings die Geschichte sein. Die Figuren
der Geschichte wachsen durch die Phantasie des Volkes und
die Kunst des Dichters zu idealen Gestalten empor, bei welchen
zwar mitunter noch der Name und die Grundzüge ihres poe-
tischen Charakters an das historische Urbild gemahnen. Ihre
geschichtlichen Taten aber, nicht mehr vorhanden in ihren
Beweggründen und Veranlassungen, werden mitunter durch
neue Motivierungen und neue Verbindungen vielfach bis zur
Unkenntlichkeit entstellt, ja geradezu in ihr Gegenteil ver-
wandelt.
In den so gebildeten Kreis der historischen Heldensage
treten mythische Vorstellungen und Überlieferungen von älterer
Zeit, und der Rohstoff, welcher auf diese Weise aus der
Geschichte und dem Heroenmythus entlehnt ist, dient der
Poesie als Gegenstand der Bearbeitung und Ausgestaltung der
Heldensage.
Unter Zugrundelegung dieses, auch für die griechische
Heldensage anwendbaren, klaren und folgerichtigen Systems
wollen wir die Beziehungen des Hercules zum biblischen Samson
erörtern.
Samson ist eine geschichtliche Person, ca. 1 130 vor Christus,
der vorletzte unter den Richtern Israels. Obwohl manches
Ausserordentliche in seinen Taten vorkommt, so trägt doch
keine derselben den Stempel des Unglaublichen an sich, Die
Erzählung seiner Werke ist so einfach, nüchtern und unparteiisch,
wie nur eine getreue, geschichtliche Darstellung sein kann,
und wie auch die übrigen historischen Teile der hl. Schrift
gehalten sind. Sofern aber seine Stärke bei weitem grösser
war, als die der gewöhnlichen Menschen, so ist dieselbe als
eine vorzügliche Gnadengabe des Allerhöchsten dargestellt.
Denn Samson ist eine Mensch; aber jenes Grosse und Hervor-
ragende in ihm ist göttlichen Ursprunges. Er tritt auf mit
höchster Körperkraft, gepaart mit Vorzügen des Geistes und
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Gemütes, welche dem Heldenzeitalter eigentümlich sind. Er
ist dem Heile der Menschen geweiht und zunächst dem
Wohle seiner eigenen Nation. Die Kirchenväter Ambrosius
(Epistolae 19, n. 32sq.), Augustinus (Sermonis ad populum 364,
n. 2sq.), Gregorius Magnus (Homiliae in Evangelia 21, n. 7),
sowie Paulinus (Epistola 4 ad Se verum fratrem et sq.), sprechen
die Vermutung aus, dass die geschichtlichen Züge aus dem
Leben Samsons von den zum Teile aus palästinensischem Küsten-
lande (Phönizien usw.; vgl. Seite 177: ireXacTTOi = die über das
Meer gekommenen „Pelasger") herstammenden Griechen sagen-
haft verdunkelt, und dann zu ihrem Herkulesmythus umgestaltet
worden seien. Damit stimmt überein, was im I. Buche der
Machabäer c. 3, 48 berichtet wird: „Die Juden schlugen die
Bücher ihres Gesetzes auf, in welchen die Heiden eifrige Durch-
suchungen anstellten, um Vorbilder für ihre Götsen bu geißinnen.^
Mit besonderer Rücksicht auf Samson und Herkules sagt
Augustinus „De civitate Dei" 1. 18, c. 19: „Samson, Hebraeorum
judex, quum mirabiliter esset fortis putatus est Hercules.'*
Samson, ein Richter bei den Hebräern, wurde um seiner ausser-
ordentlichen Körperkraft willen als ein Vorbild für den Hercules
gehalten. LeonardusCoquaeusin seinem Kommentar zu Augusti-
nus „De civitate Dei", Ausgabe zu Paris a 1613, S. 1165, bemerkt
zu den angeführten Worten: „Ex Samsonis robore et casibus,
Herculis, qui iis temporibus exstitit, vires et aerumnas poetae
finxisse videntur, ut ait Genebrar dus noster." Aus der Stärke
und den Lebensschicksalen des Samson haben die Dichter
wohl die Körperkraft und die Mühseligkeiten („die 12 Arbeiten")
des Herkules, welcher um jene Zeit lebte, sich gebildet (ent-
lehnt); wie unser Genebrardus behauptet.
Samson ist der Repräsentant Israels in seiner gnaden-
volien Berufung und in seinen gewaltigen Kämpfen und Siegen
für sein Volk. Er liess sich jedoch von der Sinnlichkeit ver-
leiten und verlor die ganze Kraft. Mit seinem freiwilligen Tode
büsste er für die Schuld, und erschlug sterbend noch mehr
Feinde Gottes, als in seinem kraftvollen Leben.
Ähnlich stellt Herkules ein Bild des heroischen Zeitalters
in Griechenland dar.
Das Buch der Richter c. 13, 3 folgende, erzählt die Berufung
Samsons auf folgende Weise: „Apparuit Angelus Domini et
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dixit ad matrem Samsonis: concipies et paries filium, cujus
Caput non tanget novacula; erit enim Nazaraeus Dei abinfantia
sua ; et ipse incipiet liberare Israel de manu Philistinorum."
Es erschien ein Engel des Herrn der Mutter des Samson und
sprach: Du wirst einen Sohn gebären, dessen Haupt kein
Schermesser berühren soll; denn er wird ein Gottgeweihter
(I.Numeri c. 6, 2 — 22) von seiner Jugend an sein; und er wird
beginnen, sein Volk Israel aus der Hand der Philister zu befreien.
Von Herkules wird gesagt, dass er ein Sohn der Himm-
lischen sei:
^Jupiter adloquitur: Nostra est timor iste voluptas,
O superi, totoque libens mihi pectore grator.
Quod memoris populi dicor rectorque paterque
Et mea progenies vestro quoque tuta favore est.
Nam quamquam ipsius datur hoc immanibus actis
Obligor ipse tamen . . . ."
Jupiter sprach (bei dem Tode des Herkules auf Oeta)
Tröstende Worte zu ihnen: Eure Furcht, o ihr Götter!
Ist mir Entzücken, und ich wünsche mir gerne von Herzen
Glück, dass ich eines dankbaren Volkes Regierer und Vater
Heiss*, und dass mein Erzeugter durch eure Huld ist gesichert.
Denn ob also gleich für seine übermenschliche Taten
Ihm gelohnt wird, so werd' ich doch auch dadurch mit geehret.
Die Erlegung emes Löwen und die Erschlagung von
1000 Philistern mit einem Eselskinnbacken durch Samson
erzählt die hl. Schrift (l.Judicum c. 14 u. 15): „Apparuit (autem)
catulus leonis saevus et rugiens et occurrit ei. Irruit autem
Spiritus Domini in Samsonem et dilaceravit leonem, nihil omnino
in manu habens" (1. c. c. 14, 5—7). Es zeigte sich ein junger
Löwe grimmig und brüllend und lief ihm entgegen. Es kam
aber der Geist des Herrn über Samson, und er zerriss den
Löwen, obgleich er nichts (keine Waffe) in der Hand hatte.
Ferner:
„Quum Samson venisset ad locum Maxillae et Philistiim
vociferantes occurrissent ei, irruit Spiritus Domini in eum,
inventamque maxillam, id est : mandibulam asini, quae jacebat,
arripiens interfecit in ea mille viros" (1. c. c. 15, 14 sq.). Als
Samson an den Ort des Kinnbackens gelangte, und die Philister
mit Qeschrei ihm entgegeneilten, da kam der Geist des Herrn
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Über ihn; er fand einen Kinnbacken, das heisst: die Kinnlade
eines Esels, welcher da lag, ergriff ihn und tötete damit
1000 Mann.
Herkules tritt auf mit der Haut des nemeischen Löwen
und einer Keule:
„Mox ut erat pharetraque gravis spolioque leonis
Nam clavam et curvos trans ripam miserat arcus
'Quando quidem coepi, superentur flumina' dixit"
(cf. Metamorphoseon 1.9, 113 sq.; 1. 9., 230-240).
Da sprach Herkules, wie er dastand, beschwert mit dem Köcher
Und der Beute des Löwen, denn die Keur und den krummen
Bogen hatt' er an jenes Ufer geworfen: „ich wag* es,
Da ich nun einmal begonnen, die Fluten zu überwinden."
Grosse, vollendete Tugend kann nur durch starken, fort-
dauernden Widerstand sich bewähren; diesen fand Samson in
seinem ganzen Leben. Daher stammen seine Kämpfe gegen
die Philister, welche er für sein Volk siegreich bestand. (Cf . 1. Ju-
dicum c. 15 und c. 16) Ebenso finden wir auch die Kämpfe
und Siege des Herkules in seinen zwölf berühmten Arbeiten.
(Cf. Metamorphoseon 1. 9, 183 sq.)
Bisher sahen wir den Samson nur in seiner geistigen
Höhe und Grösse. Von dieser aber sank er durch eigene
Schuld herab, damit der gewöhnliche Mensch einsehe, dass
auch der Vortrefflichste fehlen kann, wenn er die Gebote
Gottes vergisst. Samson gab sich sinnlicher Liebe hin und
schändete seinen hohen und erhabenen Beruf als Erretter seines
Volkes. Daher klagt S. Ambrosius: „Der kräftige und starke
Samson erwürgte zwar einen Löwen, aber seine Leidenschaft
konnte er nicht bezwingen. Er zerriss die Bande seiner Feinde,
aber die Banden seiner Begierde zerriss er nicht. Fremde
Ernten zündete er an, aber vom Feuer einer falschen Liebe
entflammt, verlor er die Ernte seiner Tugenden. ** (S. Ambrosii
Apologiae Davidis 1. IL, c. 3.)
Ganz ähnlich erging es dem Herkules: er liess sich in
sinnliche Reizungen verstricken und warf in einer Art von
Raserei seine und seines Bruders Kinder in das Feuer; auch
stürzte er seinen Freund Iphitus von einem Felsen herab.
(Cf. Metamorphoseon 1. XII, 548 sq.) Er btisste aber für seine
Schuld, indem er auf Geheiss des delphischen Apollo bei der
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Königin Omphale als Sklave diente. (Cf. Terentii „Eunuchi"
1. V., c. 3, n. 7; Propertii ^Elegiarum** 1. III., c. 11; Hygini
„Mythollogiae Fragmentorum** 32.)
Samson musste ebenfalls bei den feindlichen Philistern
harte Sklavendienste verrichten. Das Unglück aber brachte
ihn zur Besinnung; er bereute seine Vergehungen und riss
zwei Säulen um, auf welchen das Haus der Philister ruhte:
„Moriatur anima mea cum Philistiim!''
(Cf. 1. Judicum c. 16, 21 — 31). ^Es gehe zugrunde mein Leben
zugleich mit den Philistäern!"
Joseph Schreiner „Hercules redivivus'*, S. 68, Mainz bei
Kirchheim 1899, nimmt an, dass die bekannten beiden Säulen
des Herkules =Calpe und Abyla, das heutige Gibraltar und
Ceutä, unweit von Gades (Cadix) in Spanien, sich auf die
zwei Säulen des Samson beziehen. Gades nämlich, eine uralte
Pflanzstätte der Phönizier, besass einen berühmten Tempel
des Herkules in seiner Nähe, das heutige Cadix auf der Insel
Leon. Der afrikanische Schriftsteller Apulejus (geboren ca. 124
nach Christus zu Madaura) bezeichnete in seinem Buche „De
Mundo" (TTepi köcTjliou) n. 6. extr., die Säulen des Herkules als
columnae Gaditanae = die Säulen von Gades. Von Samson
nämlich (cf. 1. Judicum c. 16, 3) heisst es, dass er die Tor-Flügel
von Gaza (vgl. Gades) samt ihren Pfosten (Säulen) und Riegeln
aushob und auf seinen Schultern zur Spitze des Berges hin-
trug, welcher gegen Hebron (östlich gelegen) schaut.
Da nun Samson als Vorbild für den Hercules *) diente,
so lag es nahe, dass die Phönizier, als sie zum Andenken an
das heimatliche Gaza im fernen Westen eine Stadt unter dem
Namen von (Gaza) Gades gründeten, auch in dunkeler, sagen-
hafter Erinnerung an Samson und die Torsäulen, welche der-
selbe einst von Gaza auf das Gebirge trug, einen Tempel su
Ehren des Herkules daselbst erhauten, sowie die nahe (südöst-
^) Vergleiche das Verfahren der Engländer, der Phönizier unserer
Zeit, welche im Gebiete von Nordamerika während des i6. und 17. Jahr-
hunderts: Neu-England, New-Jersey, New- York, New-Hampshire (mit
Portsmouth: Friede zwischen Japan. und Russland am 29. August 1905),
New-Orleans usw. mit steter Beziehung auf ihr Mutterland gegründet
haben.
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lieh) gelegenen Bergspitzen von Calpe und Abyla als die
Säulen des Herkules heseichnelen. Auf dieser Überlieferung
fassend, veröffentlichte ca. 1528 der deutsche Meister Heinrich
Aldegrever einen berühmt gewordenen Kupferstich mit der
Inschrift: „Herkules trägt die Torsäulen von Gades." Dasselbe
Motiv behandelte a. 1545 der Künstler Hans Sebald Beham.
Wie nämlich bereits S. 173 sq. und besonders S. 175 usw.
dargetan wurde, haben die Phönizier durch ihre ausgedehnten
Handelsbeziehungen und die Anlage von Kolonien die Kultur
von Osten nach Westen hinübertragen und waren auch Ver-
mittler von religiösen Ideen ^).
Solange nun Israel dem Glauben seiner Väter getreu
blieb, so lange ehrte es auch seine eigenen Nationalhelden.
Als jedoch unter der Regierung des syrischen Königs Antiochus
Epiphanes(176— 162 vor Christus) der abtrünnige Hohepriester
Jason eine höchst verderbliche Hinneigung zum Heidentum
begünstigte^ da verehrte man selbst in Jerusalem statt des
hebräischen Samsons den phönisisch-griechischen Herkules.
„Als aber Antiochus, welcher Epiphanes (=Augustus: der
Erlauchte) genannt wird, die Regierung übernommen hatte,
strebte Jason, ein Bruder des Onias, nach dem Hohenpriester-
amte. Er ging zum Könige und versprach ihm 360 Talente
Silber Als hierauf der König zugesagt hatte und ihm
die Würde zuteil geworden war, begann er sogleich, seine
1) Die Ableitung der Worte : Gaza und Gades spricht für die Ansicht
des hl. Augustinus, dass die Phönizier usw. die Taten des biblischen
Samson zu ihrem Herkulesmythus sagenhaft umgestaltet haben.
Gaza, hebräisch: nry, von t^ = fest, stark, munitus (cf. Numeri
c. 21, 4 und 1. Judicum c. i6, i sq.), vollständig: nTr ^"^^ •=. urbs
munita, Festung, Die Septuaginta schreibt: PdZa.
Gades, phönizisch : Gadir; griechisch : fdbcipa, bedeutet ebenfalls soviel
als: Festung.
Die Phönizier übertrugen vermutlich den heimatlich bekannten
Namen der Stadt Gaza, welcher in ihrer Sprache Gadir lautete, mit den
Erinnerungen an das Tragen der Torsäulen durch Samson, in den fernen
Westen, wo sie Gadir, von den Römern später Gades genannt, gründeten
und den berühmten Tempel des Herkules errichteten. Herkules trägt
daher im phönizischen Sagenkreise die Säulen von Gadir (Gades) in
Spanien, wie der biblische Samson die Torsäulen von Gaza in Palästina.
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Stammesgenossen in die heidnische Lebensweise einzuführen.
Der Dienst am Altare kam in Vergessenheit, die Jugend wurde
den Buhlhäusem überwiesen und, die väterlichen Ehren-
stellen für nichts achtend, hielt man die griechischen Aus-
zeichnungen für sehr rühmlich. Zu jener Zeit wurde in Tyrus
(Phönizien) das fünfjährige Kampfspiel (nach Art der olym-
pischen Wettkämpfe) gefeiert, bei welchen auch der König
Antiochus Epiphanes zugegen war. Desshalb sandte der gott-
lose Jason ruchlose Männer von Jerusalem aus (der griechische
Text fügt hinzu: welche Antiochener waren), die 300 Didrach-
men Silber (ca. 700 M.) als Opfer für den Herkules über-
brachten. (Cf. Machabaeorum 1. IL, c. 4, 7 sq.) In Tyrus be-
fand sich nämlich ein prachtvoller Tempel des Herkules, in
welchem unter anderen Weihegeschenken auch Bwei Säulen
aufgestellt waren: die eine von reinem Golde, die andere von
Smaragdstein 1). (Cf. Herodoti ^Historiarum" 1. IL, c. 44.)
Samson ist eine historische Persönlichkeit. Die Volkstüm-
lichkeit des Inhaltes und der Darstellung seines Lebens be-
rechtigt nicht dazu, die ganze Erzählung als „Volkssage" zu
betrachten. Mythologische Deutungen, welche häufig versucht
worden sind (Samson-Sonnen-Heros), laufen auf Willkürlich-
keiten hinaus. Ein „historischer Kern" muss schliesslich doch
anerkannt werden. Mit dem Mythus von Herkules hat die
Geschichte Samsons nur das gemein, dass sie beide eine
grosse Stärke besassen und einen Löwen erlegten. Die
übrigen elf Taten des Herkules haben mit den Arbeiten des
Samson wenig zu schaffen. Möglich ist es, wie nach S. Augu-
stinus die Väter vermuten, dass geschichtliche Züge aus dem
Leben Samsons von den zum Teil aus dem palästinensischen
Ktistenlande stammenden Griechen, sowie durch die Phöni-
zier sagenhaft verdunkelt und dann zu ihrem Herkulesmythus
umgestaltet wären. (Vgl. Tübinger Quartalschrift 1886, S. 449 f.,
und S. 621 f. Auch Vigouroux „Die Bibel etc.", IIL Teil,
S. 306 f.)
Die neueste Methode, welche den Herkulesmythus mit
^) Das Werk des Apulejus „De Mundo" ist eine freie Bearbeitung
des dem Aristoteles (384 — 322 vor Christus) zugeschriebenen Buches:
irepl Köajiou = Von der Welt.
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den orientalischen Mythen von Gilgamesch in Verbindung
bringt und die Geschichte Samsons nach Motiven des Sonnen-
mythus durchsucht, um ihren Zusammenhang mit beiden zu
erweisen, ist nicht glücklicher, als die älteren Versuche. Sie
ist willkürlich; denn geringe und bloss äusserliche Ähnlich-
keiten haben keine Beweiskraft und vermögen die Hauptsache
nicht zu erklären. Gemäss dem bekannten Philologen Prof.
Philipp Buttmann besteht der Kern der Herkulessage in der
Darstellung von übermenschlicher Körperkraft verbunden mit
der Energie des Geistes, um alle Schwierigkeiten des Lebens
zu tiberwinden. Er ist der Repräsentant eines heroischen
Zeitalters. Vgl. hierzu Prof. Selbst „Handbuch zur biblischen
Geschichte", I. Teil, S. 585 f., Freiburg bei Herder 1906.
Als Kategorie könnte man wohl die Übertragung und
Aneignung biblischer Tatsachen und Ideen seitens der Heiden
aufstellen (Kategorie II).
Für die ganze Auffassung ist aber massgebend das Breve
Plus' X. vom 27. März 1906: „Quoniam in re biblica", welches
über das Studium der hl. Schrift handelt.
9. Der Uriasbrief des Königs David.
Jerusalem gehört zu denjenigen Städten, welche um den
Vorrang streiten, die älteste der Welt zu sein. Unter diesen
besitzt es mit wenigen den Vorzug, dass es heute noch bewohnt
ist. Während über dem hunderttorigen Theben und Memphis,
den alten ägyptischen Residenzen, jetzt die Pflugschar her-
geht, während zwischen dem Schutte von Babylon und Ninive
die Herden weiden, bedecken in der Gegenwart noch Häuser,
Paläste, Kirchen, Klöster und Moscheen die vier alten Berge
von Jerusalem: Sion, Moriah, i\kra und Bezetha. Ebenso um-
gürten Mauern und Zinnen den hoch über tief einschneidenden
Felsentälern gelegenen Ort, wie dies im Altertum schon der
Fall war.
Das erstemal, wo wir etwas von Jerusalem (Salem) ver-
nehmen, geschieht bei der Begegnung des Hirtenfürsten
Abraham mit dem Priesterkönige Melchisedech (etwa 2000
v.Chr.; cf. Genesis c. 14, v. 18 — 20), nach des ersteren sieg-
reichem Feldzuge gegen Chordorlahomor. Melchisedech kam
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von Salem herab und brachte Gott ein Opfer dar von Brot
und Wein; zugleich sprach er den Segen aus. (Cf. Psalm.
Davidis 75 resp. 76, v. 3 und Psalm. 109, v. 5.) Abraham hin-
gegen gab den Zehnten und erkannte ihn somit, obgleich er
selbst des unmittelbaren Verkehres mit Gott gewürdigt war,
dennoch als einen über sich Stehenden an. (Cf. Ep. ad Hebraeos
c. 5, V. 10; c. 7, V. 1—28.) Nach dem Hebräischen lautet der
3. Vers des 75. rep. 76. Psalmes also : „Geworden ist sein Gezelt
in Salem und seine Wohnung in Sion!" Die Begegnung dieser
zwei wunderbar von Gott begnadigten Männer — im Hinter-
grunde den Berg Sion — das ist ein Bild, welches aus dem
grauen Nebel des fernsten Altertums vor unseren Augen sich
erhebt, um uns zum ersten Male mit Salem (Jerusalem) bekannt
zu machen. Es verschwindet aber wieder in das Dunkel, aus
welchem es aufgetaucht ist. Fast 500 Jahre lang hören wir
nichts mehr von der hl. Stadt und ihrem Schicksale, bis uns
durch die bei Tell-el-Amarna (zwischen Memphis und Theben
in Aegypten) im Jahre 1888 aufgefundenen Briefe eine neue
Kunde aus uralter Zeit vermittelt wurdet).
In diesem Schreiben (Tafeln aus gebranntem Ton, sieben
an der Zahl, welche in den Museen zu Berlin, Kairo und London
jetzt aufbewahrt sind,) wendet sich Abdichiba, ein tributpflich-
tiger Gau- und Stadtfürst, an seinen Oberherrn, den König von
Ägypten, von Urusalim (Jerusalem) aus: „An den König (Ame-
nophis III. rep. IV.), meinen Herrn, dein Knecht Abdichiba.
Zu den Füssen meines Herrn falle ich siebenmal und abermals
siebenmal nieder usw." Die babylonisch-assyrische Sprache,
deren sich jener Briefsteller an den ägyptischen Hof bediente,
w^ar in jenen Zeiten die diplomatische Sprache des internatio-
nalen Verkehres. Ihre Abfassung fällt noch geraume Zeit
vor den Einzug der Israeliten in das gelobte Land (1450 a. Chr.)
Vgl. Prof. Dr. Carl Bezold in Heidelberg ^Ninive und Babylon",
S. 20 und 32. Kolonne 1 f. Bielefeld und Leipzig bei Velhagen
und Klasing 1903.
1) Dass mit Salem (Genesis c. 14, v. 18) Jerusalem, und nicht ein
anderer Ort in Palästina gemeint ist, hat neuerdings Moniert („Salem, die
Königsstadt des Melchisedech", Leipzig 1902) in überzeugender Weise
dargetan.
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Inzwischen kam Jerusalem in die Gewalt der Jebusäer,
deren König Adoni-Sedech durch Josua gefangen genommen
und hingerichtet wurde. (L. Josues c. 10, v. 1—26) Bei der
Verteilung des Landes an die zwölf Stämme Israel fiel Jerusalem
Benjamin zu, nur der Berg Moriah kam zu Juda. Dieser Stamm
bewohnte mit Benjamin und den noch nicht besiegten Jebusiten
zusammen die eigentliche Stadt. (L. Josues c. 15, v. 8 und 63.)
Erst unter der Regierung des Königs David (a. 1047 a. Chr.)
wurden die Jebusäer vollständig besiegt und verdrängt. (L. II.
Regum c. 5, v. 6 sq.) Vgl. Graf von Wartensleben „Jerusalem",
3. Auflage, S. 61; Berlin bei Paul Scheller 1875. Aus Jebus
und Salem scheint der Name: Jebu-Salem = Jerusalem ent-*
standen zu sein. So nach P. Franz Joseph Costa-Major „Das hl.
Land", I. Teil, S. 106. Mainz bei Kirchheim 1887.
David nun erhob Jerusalem zu seiner Haupt- und Residenz-
stadt, nachdem er vorhin sieben Jahre zu Hebron regiert hatte.
In seinem Leben findet sich eine dunkle Tat, welche einen
Schatten auf alle nachfolgenden Tage des grossen Königs
brachte. Es zeigte sich auch an ihm, dass jeder Mensch nur
durch Gottes Hilfe in der Tugend standhaft sein kann. David
vertraute zu viel auf sich selbst und versäumte es, die nötige
Wachsamkeit anzuwenden. Um die Gemahlin des tapferen und
treuen Urias zu gewinnen, liess er diesen absichtlich in die
Hände seiner Feinde geraten, und gab demselben, arglos wie
er war, noch sein eigenes Todesurteil, damit er dasselbe
dem Feldherrn Joab zur Vollziehung überbringe: Uriasbrief!
„Prima igitur luce scripsit David epistolam ad Joab misitque per
manum Uriae, scibens in epistola: Ponite Uriam ex adverso
belli, ubi fortissimum est proelium et derelinquite eum, ut per-
cussus intereat!" Und so geschah es denn auch. (L. Regum
c. 11, V. 14 sq.) Als es nun Morgen geworden war, schrieb
David einen Brief an Joab, und schickte denselben durch
die Hand des Urias. In dem Briefe schrieb er: „Setzet
den Urias einem Kampfe aus, wo das Treffen am heftigsten
ist; dann verlasset ihn, damit er erschlagen werde und um-
komme!'*
Diese höchst treulose Tat verfehlte nicht, allgemeinen
Unwillen hervorzurufen. Selbst die Heiden erfuhren dieselbe
und lästerten den geheiligten Namen des Gottes Israel: David
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will ein Verehrer des wahren Gottes in Jerusalem sein und
handelt so, dass wir Heiden es verabscheuen müssen!
David bereute seinen Frevel (vgl. 50. Psalm) : „Peccavi
Domino!" „Ich habe gesündiget wider den Herrn!" Darum
sprach der Prophet Nathan zum ihm: „Dominus transtulit
peccatum tuum. Verumtamen, quoniam blasphemare fecisti
inimicos Domini propter verbum hoc (hoc ßagititim apud gentes
innotuit) filius ttius morte morietur!^ Hieraus ersehen wir,
dass jene Meintat weithin bekannt geworden war.
„Der Herr hat deine Sünde von mir genommen! Weil
du aber durch diese Schandtat den Feinden des Herrn (den
'Heiden) Anlass gäbest zum Lästern, so wird dein Sohn des
Todes sterben." S. Paulus sagt im Briefe, an die Römer c. IL,
V. 24 : Tö T^P övojLia toO 0€Oö h\ ujuäq ßXaa9ri)aeiTai ev ToTq iGveöi,
Kaed)^ T^TpaTTTar Nomen enim Dei propter vos blasphematur inter
Gentes, sicuti scriptum est. Der Name Gottes wird durch
euch (um eurer Sünde willen) bei den Heiden gelästert, so wie
geschrieben steht. (Cf. 1. II. Regum c. 12, v. 14; Psalmi 78, v. 9;
(113 B, 2), 1. Ezechielis c. 36, 20; 1. Isaiae c. 52, 5.)
Die Gesänge des Homer, welche im 8. und 9. Jahrhunderte
vor Christus ausgestaltet sowie unter Peisistratos (600 — 527) ge-
sammelt, aufgeschrieben und in einer attischen Rezension
herausgegeben wurden (vgl. Drerup „Homer", S. 49 f., München
1903), bezeugen, dass der Uriasbrief des David in den Sagen
der vorderasiatischen Völker fortlebte.
In dem 6. Buche der Ilias (v. 168) gibtProetos, der König, dem
tapferen und tugendhaften Helden Bellerophontes sein eigenes
Todesurteil mit auf den Weg:
TTejLiTre hi jluv AuKirivbe, iropev b' Sife (Sy\\xaTa Xufpd,!
Ypdv|ia^ dv TTivaKi tttuktiu 0u|aop06pa TToXXd,
beiHai b' i^vuüTei iL iT€v0eptu, 89p' dTTÖXoiTO- (ut intereat!)
Aber gen Lykia sandt' er ihn hin, und traurige Zeichen
Gab er ihm, viel Mordwinke, geritzt auf gefaltenem Täflein :
Dass, wenn er solches dem Schwäher gezeigt, er das Leben
verlöre.
Zu Vers 1 68 ist exegetisch zu bemerken : ö t€ hebt die
Identität des Subjektes ausdrücklich hervor: wir, aber zugleich
gab er ihm mit cTrijuaTa XuTpd, verderbliche Zeichen = Runen:
ein zwischen dem Absender und dem Empfänger verabredetes
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Wahrzeichen, eine Art tessera hospitalis, Marke der Gast-
freundschaft. (Cf. Plauti „Poenuli" 1. V., 2, 38.) Vgl. auch
V. 176, 178. V. 169: ypoivpoK;, nachdem er eingeritzt hatte. — iv
TTivaKi TTTUKTUJ ift elfter gefalteten Schreibtafel : zwei mit Wachs
überzogene Holzbrettchen, welche zusammengefaltet oder ge-
schlossen wurden, damit der Inhalt dem Überbringer nicht
bekannt werde; — 8ujLio986pa TToXXd = Lebenzerstörendes, Tot-
bringendes in Menge; eine Art Geheimschrift, welche ^als
Uriasbrief^ den Tod des Überbringers herbeiführen sollte. (Nach
Prof. Dr. Ameis.) V. 170: nvuiTci ist die dritte Person. (Cf. Kr.
Di. 31, 1,2.)
Im Zusammenhange mit der Sendung dieses Todes-
briefeß werden zweimal die Männer von Solyma („Jerusalem")
genannt. (L. c. v. 184 und 204.) Die neuere Philologie, z. B.
Preller „Griechische Mythologie" II 2, 84, nennt den Brief,
welchen der König Proetos dem Bellerophontes mitgibt, gerade-
zu einen ^Uriasbrief^ . Ebenso auch Professor Ameis, dessen
Ansicht wir oben mitgeteilt haben. — Vgl. überdies Fischer
„Bellerophon" S. 25. Schon im Altertum war es bekannt, dass
Homer die Stadt Jerusalem unter dem Namen Solyma be-
sungen habe. So berichtet Flavius Josephus „Antiquitatum
Judaicarum" 1. 7, c. 3, n. 2: David hat aus Jerusalem die Jebu-
siter vertrieben und die Stadt zuerst nach seinem Namen
benannt : denn zur Zeit unseres Vaters Abraham (2000 v. Chr.)
hiess sie Solyma. Einige sind der Ansicht, es habe auch Homer
diese Stadt Solyma genannt; denn er nennt den Tempel Solyma
(wohl Odysseos 1. V., v. 283), welches Wort in der hebräischen
Sprache soviel als „Ruhe" und „Friede" bedeutet." (Cf. Iliados
1. VI., V. 184 und 204.)
Desgleichen schreibt Cornelius Tacitus „Historiarum"
1. V., c. 2: „Sunt, qui tradant, Assyrios convenas esse Hebraeos,
indigum agrorum populum, parte Aegypti potitos, mox pro-
prias urbes, Hebraeasque terras et propriora Syriae coluisse.
Clara alii Judaeorum initia, Solymos, carminibus Homeri
celehratam gentem, conditae urbi Hierosolyma nomen e suo
Tecisse." (Cf. Ciceronis illud: Romulus urbem constituit, quam
c stio nomine Romam jussit nominari.)
Der römische Geschichtschreiber Cornelius Tacitus gibt
im fünften Buche, Kapitel 2 seq. seiner Historien eine
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— loa —
kurze Übersicht über die Geschichte der Juden: ihre Herkunft,
ihre ersten Schicksale, sowie über den Ursprung und Namen
ihrer Stadt Jerusalem, auf welche wir im zweiten Bande
dieses Buches noch genauer zurückkommen werden:
„Einige nehmen an, die Juden seien Fremdlinge aus
Assyrien (Abraham kam aus Ur in Chaldäa), welche auf der
Suche nach ertragfähigem Boden einen Teil Ägyptens (die Pro-
vinz Gosen) sich angeeignet und hierauf (nach 430 Jahren) sich
eigene Städte und die hebräischen Gebiete (das Land Chanaan
nach dem Auszuge aus Ägypten), näherzu an Syrien gelegen,
in Besitz genommen hätten.
Andere Gewährsmänner sind der Ansicht, dass die Solymer,
ein in den Liedern des Homer schon besungenes Volk (üiados
1. VI., V. 184 u. 204, sowie Odysseos 1. V., v. 283). die hoch-
berühmten Urahnen der Juden seien; und diese hätten nach
ihrem eigenen Namen Solymi ihrer neu gegründeten Stadt
den Namen: Solyma, Hierosolyma (Jerusalem) gegeben.
(Sprachlich ist das Wort von Cicero zu vergleichen;
^^Romulus baute eine Stadt, welche er nach seinem Namen
^^Rom^^ nennen liess.") Hiermit stimmt auch der Bericht des Fia-
viusjosephus, welchen wir oben anführten, vollständig überein ^).
Der bekannte Philologe Prof. Dr. Ameis (Mülhausen in
Thüringen) behandelt in einer Anmerkung zu Homers Odyssee
1. 4, V. 84 den Namen 'Hp€^ßoi (Erember), welchen er als eine
Gesamtbezeichnung für die Hebräer ('Eßpatoi) mit dem Volke der
Aramäer und Araber ansieht: „Es kann an dieser Stelle ein
dunkles Gerücht von dem Reichtume Davids und Salomons
enthalten sein. Vgl, auch Solymi, ZöXujioi V., 283, ein Name,
welcher Anklang hat an Salem, Solyma, Hierosolyma Jeru-
lem." Die Stelle bei Homer (Odysseos 1. IV., v. 80 sq.) lautet:
1) Die Solymi des Tacitus sind zwar nicht die Urahnen des jüdischen
Volkes; wohl aber sind unter diesem Namen (von Salem abgeleitet) die
(ältesten) Bewohner von Jerusalem den Griechen und Römern zuerst
bekannt geworden, welche in der Folgezeit nach dem regierenden Stamme
Juda den Namen: Juden erhielten; das Land selbst wurde sodann: Judaea
von den Römern u. s. f. geheissen. Vgl. 1. Michaeae Prophetae c. V., v. 2 ;
Suetonii „Divi Vespasiani'* c. 4, n. ßisq.; Taciti „Historiarum" 1. V., c. 13.
Nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft (a. 536 a. Chr.)
wurde jene Bezeichnung allgemein.
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^ Ä03 —
'Avbpaiv b' f^ k^v ti^ |noi dpicrcyeiai f{l Kai ouk\
KTr\}xaa\v f\ TOip ttoXXci iraOuiv Kai ttöW 'dTraX^Oeiq
r\yay6}xr]v dv vT]uai Kai ÖYbodTUJ frei fjXOov,
KuTipov, 0oiviKr|V T€ Kai AiTVTTiouq d7TaXT]9eiq,
AiGioTid^ 9' lKÖ^T]v Kai Ziboviou^ Kai 'EpeMßoü^
Kai AißuTiv, iva t' äpveq aq)ap Kcpaoi tcX^Goucti. KtX'*
Doch ein Sterblicher mag mit mir wetteifern an Reichtum,
Oder auch nicht. Denn traun nach unendlichem Leiden und
Irren
Bracht' ich ihn heim in Schiffen, und kam im achten der Jahr' erst
Weit nach Kypros zuvor, nach Phoenike und Aegyptos;
Äthiopen auch sah ich, Sidonier und Erember,
Libya auch, wo die Lämmer sogleich aufwachsen mit Hörnern.
Menelaos, heimgekehrt nach Lacedaemon, erzählt dem
Telemach und Peisistratos, dem Sohne des Nestor, seine
Schicksale bei der Rückkehr aus dem trojanischen Kriege.
Von dem zerstörten Ilium wegfahrend, wurde er an die
syrische Küste verschlagen. Die nun weiterhin gleichsam
kreusweise aufgezählten Länder- und Völkernamen, um das
TTÖXX' eiraXTiOei?: v. 81, zu erläuteren {y;viel umherirrend^^)^ um-
fassen die östlichen und südwestlichen Gestade des Mittel-
meeres und die reichsten Völker Asiens und Afrikas: die
Insel Cypern, Phönizien, Ägypten, Äthiopien, Sidon; von
dem eigentlichen Phönizien hier unterschieden: die nördlichen
Phöniker; Erember = Hebräer (Juden); Libyen, das an Ägypten
grenzende Küstenland, als wunderbar gesegnet dargestellt.
Palästina, einschliesslich Judäa, war daher für Homer
kein unbekanntes Land.
Chörilos aus Samos, der wissenschaftliche Begleiter des
persischen Königs Xerxes auf dessen Kriegszuge gegen
Griechenland (480 — 479), bringt in seiner „Persöis" einen über-
zeugenden Beweis dafür, dass unter den Solymi (IöXu^ol) des
Homer die Bewohner von Judäa (Jerusalem) zu verstehen sind.
Flavius Josephus nämlich in seiner Verteidigungsschrift
gegen den alexandrinischen Gelehrten Apion (^Contra Api-
onem" 1. I, c. 22) führt eine Stelle aus Chörilus an, welche
lautet :
Tui 5' ÖTTiGev bi^ßaive t^vo^ Gaujuaaröv Ib^crOai,
rXujcTcyav \ikv Ooiviacrav (xttö (JTOiidTUiv dcpievreq,
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^ Ä04 —
'Qk^€t' ^v ZoXuMOiq öpecTiv trXaT^ij ^vi Xi^V1J.
AuxjLiaXeoi Kopuqxi^* xpoxoKOupibe^' auxdp ötrepOev
"Ittttujv bapia TTpöcTiuTr' dq>6pouv ^cyK\T]KÖTa KatTVoi'
Exin miranda specie gens castra secuta est,
Phoenicum ignoto quae voces ederet ore.
Haec Solymos habitans montes stagnum prope vastum,
lircumtonsa comis, squallenti vertice equini
Exurias capitis duratas fumo gerebat.
Aber nun kam ein Volk, ganz wunderbar für den Anblick;
Die phönizische Sprache floss ihnen vom Munde herab;
In den Solymer Bergen sie wohnten gans nahe beim Salsmeer;
Starrenden Nackens sie waren, geschoren am Haupte, von oben
Trugen sie Pferdekopfshaut, gehärtet im Dampfe.
(Vgl. Choerili Samii quae supersunt collegit Naeke. Lip-
siae 1817, p. 130 sq.; ferner Gesamtausgabe der Werke des
Flavius Josephus von Franz Oberthür, Leipzig 1785, Tomus III.
p. 1182 sq.)
Choerilus zählt alle Völker auf, welche dem Könige
Xerxes auf seinem Kriegszuge folgten (vgl. den Schiffskatalog
bei Homer Uiados 1. II., v. 484—785) und beschreibt last not
least die Hülfstruppen aus Judäa, die Juden nämlich. Er sagt
von ihnen: „Sie bewohnen die Solymer Berge, ganz nahe bei
dem Salzmeer (lacus Asphaltites), womit unstreitig das „Tote
Meer** die südöstliche Grenze von Judäa, bezeichnet wird,
„Die Solymer Berge" sind eben das Gebirge von Juda, von
ihrer Hauptstadt Solyma (Jerusalem) benannt. Daher kann es
keinem Zweifel mehr unterliegen, dass auch die (Odysseos 1.
V., V. 283) von Homer erwähnten öpea ZoXujlhjüv die Berge von
Judäa (von Jerusalem) sind:
Töv b' il AiGiÖTTUiv dviujv Kpeiuiv evedxOiuv
TTiXöGev Iy. ZoXujiUJV öp^uiv ibev
Aber Poseidon, zurück von den Äthiopern sich wendend,
Schaut den Odysseus fern von den Solymer Bergen. —
Wenn nun von den „Bewohnern der Solymer Berge ganz
nahe am Salzmeer" noch gesagt wird: ^,Die phönisische
Sprache floss ihnen vom Munde her ab^', so ist dies mit Movers
(„Untersuchungen über die Religion und Gottheiten der
Phönizier", II. Band, III. Teil, Seite 78 u. f., Bonn 1841) aus
dem Umstände zu erklären, dass von den älteren griechischen
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— 205 —
Schriftstellern die Hebräer, Phönizier und Syrier nicht von-
einander unterschieden wurden. Auch bildet die phönizische
Sprache, wie die hebräische, einen Zweig des grossen semi-
tischen Sprachstammes und ist mit der hebräischen im wesent-
lichen gleich. Zudem bedienten sich die Juden auch der phö-
nizischen Schriftzeichen bis auf die Zeit der babylonischen Ge-
fangenschaft (ca. 536 n. Chr.), nach welcher die jetzt übliche
chaldäische Quadratschrift sich allmählich einbürgerte.
Dass die Juden auch sonst bei anderen Völkern Kriegs-
dienste tibernahmen, beweist die Rede ihres Anführers Judas
(Machabaeorum 1. IL, c. 8, v. 20 f.), in welcher er seine Soldaten
daran erinnert, dass sie in Babylonien gemeinschaftlich mit
den Griechen (Mazedoniern) gegen die Galater siegreich
gekämpft hätten (vermutlich in der Zeit von 224—187 n. Chr.).
Auch berichtet Flavius Josephus „Antiquitatum Judaicarum" 1.
XI., c. 8 u. 5, dass viele Juden in das Heer Alexanders des
Grossen eingetreten seien (a. 332 a. Chr,).
Fassen wir nun die angeführten Zeugnisse aus Choerilos
Homer, Flavius Josephus und Tacitus sowie die An-
sichten der neueren Philologen: Ameis, Fischer, Mommert,
Naeke und Freller zusammen, so ergibt sich folgendes Resultat:
1. „Salem" (Dbu?) ist die älteste Bezeichnung für Jerusalem.
(Mommert.)
2. Die Form „Salem" dehnt sich bei den Griechen in
I6Xu)Lia („Solyma"): Flavius Josephus. In dem Corpus Inscrip-
tionum 4336 ^^ wird ein Zeu^ loXujieu^ angeführt. Cicero Orat.
pro Flacco c. 28 nennt die Stadt : Hierosolyma.
3. Die Bewohner von Solyma heissen bei den Griechen
IöXu|Lioi, Solymer. (Homer.)
4. Das Gebiet und die Umgebung von Solyma wird:
öp€a ZoXujiuiv, die Berge der Solymer, genannt. (Choerilos,
Homer, Flavius Josephus. i)
5. Diese Gebirgslandschaft wird durch den Zusatz:
1) Flavius Josephus („Contra Apionem" 1. I, c. 22) sagt nach An-
fühiung der Stelle aus Choerilos, wörtlich: „Es ist allen offenkundig, wie
ich glaube, dass Choerilos mit diesen Worten unserer (der Juden) gedacht
hat; weil sowohl „die Solymer Berge" eben die Berge in unserem Lande
(Judäa) sind, auf welchen wir wohnen, als auch der See, welcher Salz-
mcer (Ximvti (i(jq)aXTtTi<; = lacus Asphaltites), heisst, der ausgedehnteste und
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 1$
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— 206 —
„ganß nahe bei dem Salsmeer^^, unzweifelhaft als das Gebirge
von Juda charakterisiert, welches sich von Jerusalem bis un-
mittelbar an das Salzmeer (lacus Aphaltites=das Tote Meer)
erstreckt. (Choerilos und Flavius Josephus.)
6. Die Erzählung von dem Helden Bellerophontes enthält
als geschichtliche Unterlage vermutlich den biblischen Bericht
über den Uriasbrief des Königs David in griechischer Um-
arbeitung und Darstellung. (Nach Ameis, Fischer und Preller.)
Zur Beurteilung des Briefes von David und dem König
Proeios ist zu vergleichen : Nicolö Marini „La Biblia e Llliade"
S. 21 f., Roma 1900. Als Kategorie wäre an dieser Stelle die
Einwirkung biblischer Vorgänge auf die griechische Literatur
anzunehmen (vgl. S. 207 u. 208), Kategorie II.
Schuld und Sühne stellen uns zwei grosse Wechsel-
beziehungen im menschliihen Leben dar: — David hat ge-
sündigt, David hat gebüsst. — Die ganze Angelegenheit
wurde nach dem Zeugnisse der heiligen Schrift auch den
Heiden bekannt. Aber sein 50. Psalm: „Miserere mei Deus!"
wurde das Reueformular für die ganze Menschheit. Als der
Kaiser Theodosius (379—392 p. Chr.) in schwerer Übereilung
einen Massenmord zu Thessalonice veranlasst hatte, trat ihm
beim Kirchenbesuche der Erzbischof S. Ambrosius zu Mailand
entgegen und hielt ihn zurück, indem er ihm die grosse Blut-
schuld vor Augen stellte. Theodosius erwiderte: „Auch der
König David hat durch Mord an Urias schwer gesündigt."
S. Ambrosius aber sagte: „Hast du den König David in
seiner Schuld nachgeahmt, so folge ihm auch in der Sühne!"
Und wirklich nahm der grosse Alleinherrscher des Morgen-
und Abendlandes eine achtmonatige öffentliche Kirchenbusse
bereitwillig an. So sehr wirkte das Beispiel des Königs David.
grösste in ganz Syrien ist." t\\\xvx\ 7rXaT€ia (Choerilos) heisst sowohl: der
ausgedehnte, grosse, als auch: der salzige See. So sagt Herodot: iröna
TrXüTi» = salziger Trank; und Aristoteles: öba»p ttXqtO = salziges Wasser.
Die Stelle bei Herodot („Historiarum" 1. II, c. io8) lautet: AItOtttioi . . .
<jiravi2[ovT€(; öbdrcjv, irXaTUT^poiöi ^xP^ovto rote; iröinaai ^k cppccÄTUJV xp€ÖM€voi
sc. Toic; iröiLiaai. Die Ägyptier, welche (da sie nicht am Flusse wohnten),
Mangel an Wasser litten, benützten zum Tranke ein ziemlich salziges
Wasser, das sie aus Brunnen schöpften. Ähnlich bei Aristoteles: tiXotu
öbtup, salziges Wasser = sal. (Vgl. Griechisches W()rterbuch von Pape,
unter TrXaTO(;, wo noch andere Belegstellen verzeichnet sind.)
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— 207
10. Die Reise des Erzengels Raphael mit Tobias.
(L. Tobiae c. 5—12.)
K. Sittl „Geschichte der griechischen Literatur", I. Teil,
S. 117 (München 1884) stellt die Behauptung auf: in der Home-
rischen Frage wird es nie gelingen, eine allgemeine, oder auch
nur die meisten befriedigende Lösung zu finden; eben weil
der Geschmack, welcher qualitativ und quantitativ sehr verschie-
den ist, zu sehr mitspricht. Hierzu kommt noch, wie A. Baum-
gartner, S. J. „Die griechische und lateinische Literatur des klassi-
schen Altertums", S. 23 f. (III. und IV. Aufl. Freiburg, Breisgau,
1902) bemerkt, dass die Persönlichkeit, die Zeit und Heimat des
Homer, trotz so vieler und verdienstlicher Forschungen, nach
wie vor in ein sagenhaftes Dunkel gehüllt bleiben. Auch ist
die Entstehung der unter seinem Namen bekannten epischen
Gedichte keineswegs noch genügend aufgehellt.
Von tüchtigen Gelehrten der Neuzeit, wie Viktor Terret
(„Homere", Paris 1899), und Engelbert Drerup („Homer",
München 1903) wird nun angenommen, das die Heldengesänge:
Ilias und Odyssee in dem Jahrhundert nach dem Falle Trojas
als Einzellieder sich nach und nach unter dem griechischen
Volke ausbildeten , hierauf aber, etwa vom 9. bis zum 8. Jahr-
hundert V. Chr, zu einheitlichen Epen zusammengefasst, ver-
arbeitet und schriftlich aufgezeichnet worden seien. Die Re-
daktion derselben unter Peisistratos (600 — 527) bedeute wohl die
offizielle Feststellung und Rezeption einer attischen Homer-Aus-
gabe, um den Text der Heldengesänge vor weiteren Zudich-
tungen und Interpolationen sicher zu stellen. Eine genauere
Zeitbestimmung ist nach dem Stande der heutigen Forschungen
noch nicht möglich. Herodot nämlich („Historiarum" 1. IL,
c. 53) setzt Homer um das Jahr 854 v. Chr. an. Der Geschicht-
schreiber Theopompus aus Chios und der Grammatiker Eupho-
rien aus Chalcis rechnen dagegen für das Leben des Homer
die Jahre von 724 — 686. Vergleiche im vorhergehenden S. 72.
Da nun Einschiebungen und Interpolationen zur Ilias und
Odysee bis auf die Zeit des Peisistratus (ca. 540 v. Chr.) zu-
gegeben werden (vgl. Drerup „Homer" S. 49 f.), so verstösst
es nicht gegen die Chronologie, wenn wir nachstehendes
aufstellen :
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— 20S —
Im Buche Tobias (c. 722—652 v. Chr.) wird eine Reise
des Erzengels Raphael mit dem jüngeren Tobias auf folgende
Weise erzählt:
Tobias, der Vater, aus dem Stamme Nephthali in dem
Reiche Israel, wurde a. 722 durch Salmanassar, König von
Assyrien, mit seinem Volke in die Gefangenschaft nach Ninive
geführt. Weil der König ihm aber gewogen war, so erhielt
er das Amt eines Hofschaffners (dTOpaaTri^, LXX.). Derselbe
schenkte ihm sogar zehn Talente Silber (= 78000 Mark, oder
wenn babylonische Talente: 46800 Mark). Diese verlieh er gegen
einfache Handschrift an seinen Stammesverwandten Gabelus
zu Rages in Medien. Nach vielen Jahren nun gedachte der alte
Tobias, die längst verschriebene Geldsumme wieder einzufordern.
Weil aber die Stadt Rages von Ninive ca. 1000 Kilometer ent-
fernt lag, so suchte er für seinen Sohn, welcher die weite
Reise dahin ausführen sollte, einen kundigen Führer. Als
solcher erschien bald der Erzengel Raphael ; und mit den ver-
hüllenden Worten : „Ich bin Azarias, des grossen Ananias
Sohn!" führte derselbe sich bei Tobias ein. Nach dem grie-
chischen Texte war die Familie des grossen Ananias dem Tobias
auf seinen früheren Festesreisen zum Tempel in Jerusalem
höchst vorteilhaft bekannt geworden, so dass derselbe kein
Bedenken trug, dem geheimnisvollen Begleiter, welcher die
teuren Züge seines Gastfreundes trug, den einzigen Sohn
anzuvertrauen. (Cf. LXX „Tobit'' c. 5, 13 sq.) Unter Führung
des Himmelsboten nun ging die ganze Hin- und Herreise
sehr glücklich von statten. Zum Schlüsse jedoch gab derselbe
sich zu erkennen: „Ego sum Raphael, Angelus, unus, ex
Septem (Seraphinis), qui adstamus ante Deum!" (Cf. 1. Tobiae
c. 12, 15). „Ich bin Raphael, der Engel einer von den sieben
(Seraphinen), die wir vor Gott stehen!"
Dass nun in dem Zentrum der grossen assyrischen Welt-
Monarchie zu Ninive, der Hauptstadt des Reiches, diese ganz
ausserordentliche Tatsache nicht verborgen bleiben konnte, ist
schon bei der gesellschaftlichen Stellung des Tobias als Rent-
meister am Hofe des Königs leicht einzusehen. Zu Ninive
hatte schon ein Jahrhundert früher (ca. 828 v. Chr.) der Prophet
Jonas mit grossem Erfolge gepredigt, so dass der König und
die ganze Stadt öffentlich Busse taten. (Cf. 1. Jonae c. 3 und
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— 209 —
Evgl. S. Lucae c. 11, 32). Sodann war es ja, ausser der
Züchtigung des Reiches Israel während seiner Gefangenschaft
zu Assyrien, im Plane der Weltregierung Gottes gelegen, eben
durch die Israeliten dem heidnischen Volke am Tigris ein
Licht aufgehen zu lassen. Diesen Zweck spricht der ältere
Tobias mit folgenden Worten aus: „Darum hat Gott euch
(mit den hl. Büchern) unter die Heiden zerstreut, welche Ihn
nicht kennen, damit ihr seine Wunder erzählet und ihnen zu
wissen kund tut, dass kein anderer der allmächtige Gott isty
als Er!'^ (L. Tobiae c. 13, 4.) Auch hatte der Engel Raphael
der Familie des Tobias scheidend den Auftrag gegeben : „Vos
autem benedicite Deum et ndrrate omnia mirabilia ejusl^^
(Ibidem v. 20.) „Ihr aber preiset den Herrn und verkündet
alle seine Wundertaten!'^ Dies wurde sofort ausgeführt : „Hier-
auf priesen sie Gott . . , und machten alle seine Wunder kund."
(Vers 22.) Cf. Machabaeorum 1. II., c. 3, 34.
Da, wie oben gesagt wurde, Tobias wegen seines Amtes
bei dem königlichen Palaste zu Ninivje stadtbekannt war,
(dTopa(TTr|^ — Schaffner), so konnte er die Mitteilung von den
wunderbaren Vorgängen in seiner Familie sehr leicht weithin
verbreiten.
Stellen wir uns nun aber die Frage, ob die Nachricht
von diesem Himmelsbesuche auch bis nach Griechenland habe
gelangen können, so dürfen wir dieselbe bejahen. Denn Ninive
war eine Bandeisstadt ersten Ranges! Der Prophet Nahum
(ca. 726 v. Chr.) sagt von derselben, dass ihrer Kaufleute mehr
gewesen seien, als der Sterne am Himmel. Der Schwärm der
Handelsbeflissenen und Krämer zog — wie ein Insekten-
Schw^arm, ja unermesslich an Zahl, wie die Heerscharen des
Firmamentes — in Ninive ab und zu. Hier trafen nämlich
die Heerstrassen landeinwärts von Phönisien nach Kleinasien
(vgl. 1. Ezechielis prophetae c. 37, 23 sq.) mit jenen von Ägypten
her nach Persien^ Medien und Hochasien zusammen. Eine
Brücke über den Tigris erhöhte noch die Bedeutung von
Ninive für den damaligen grossartigen Weltverkehr. Indem
der Prophet Ezechiel (c. 27) die ausgedehnten Handels-
beziehungen der phönizischen Stadt Tyrus beschreibt, sagt er,
dass unter ihren Kaufleuten, nebst vielen anderen, auch Männer
von Juda, Israel, Assyrien (ibidem v. 17 u. 23), sowie von
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— 210 —
Griechenland sich befunden hätten (Vers 13). Die Phönizier
betrieben einen schwunghaften Landhandel von Tyrus, Sidon,
Joppe und von dem Hafen Ezeon- Gaber am roten Meere aus
über Jerusalem, Samaria, Damaskus, Palmyra (Tadmor) und
Tapsacus nach Babylon und Ninive. Desgleichen führten
sie einen ausgedehnten Seehandel nach den Inseln des Mittel-
meeres, besonders nach Griechenland (cf. Odysseos 1. 15, 414 f.),
sogar bis nach Ithaka in die Heimat und das Vaterhaus des
grossen Dulders Odysseus (1. c. v. 481: der Hirt Eumaios).
Selbst nach Kleinasien kamen sie in das Lager der Griechen
vor Troja. (Cf . Iliados 1. 23, 733 flf. : ein kunstreich gearbeiteter
silberner Becher.)
Wenn wir nun erwägen, dass Tobias die Markteinkäufe
für den königlichen Hof (dTopacTTri?) zu besorgen hatte, so war
er schon durch seine Stellung in die Mitte des grossartigen
Handelsverkehrs der Riesenstadt Ninive versetzt und hatte
somit die günstige Gelegenheit, den Auftrag des Erzengels
Raphael allseitig zu erfüllen. (Cf. 1. Tobiae c. 12, 30—22.) Vgl.
S. 200.
Zudem liebten es die griechischen Dichter ohnehin sehr,
die Himmlischen als Verkündiger des göttlichen Willens auf
Erden erscheinen zu lassen. Z. B.: Hermes (Odysseos 1. 1., 38,
84; I.V., 28 sq.); auch Pallas Athene (1. c. 1. I., 96 sq.; usf.).
Es kann daher nicht als allzu kühn erscheinen, wenn wir in
der Erzählung des 3. Buches der Odyssee, Vers 366 und fol-
gende, den Widerhall jenes biblischen Ereignisses bei Tobias
aus Assyrien im klassischen Hellas vernehmen. Denn unsere
Auffassung widerspricht weder der Zeitenfolge, noch schliesst
sie die Möglichkeit einer Übertragung nach Griechenland aus.
Überdies stimmen sogar die beiden Referate inhaltlich voll-
kommen überein.
Homer lässt (1. c. 1. III., 366 sq.) den jungen Telemach,
den Sohn des Odysseus, in Begleitung der Pallas Athene eine
Reise machen. Dieselbe erschien in der Gestalt des weisen
Mentors, welcher als treuer Verwalter im Hause des Odysseus
bekannt war. (Cf. Odysseos 1. IL, 225.) Die Reise ging zu
den Kaukonen, um eine grosse und alte Schuld einsuf ordern:
ganz wie bei Tobias. Die Kaukonen, ein altes pelasgisches
(phönizisch-semitisches) Volk, bewohnten zuerst das ganze west-
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liehe Küstenland, vom Rande Arkadiens an. Sie werden aber
in geschichtlicher Zeit nur noch in Triphylia, dem südlichen
Teile von Elis, nachgewiesen.
NOv dtctp TioiGev [xeiä KauKUiva^ ^eTa9u^ou?
€T|n', fvOa XP€iö^ Moi öcpeWeiai, oute veov ye
o\)h' öXiTOV. ax) b^ toOtov, dtrei t^ov ikcto boi^a
7T€|il|iOV CTUV biq)pUJ T€ Kttl uiei' ktX.
„Nun aber morgen früh zu den grossgesinnten Kaukonen
Zt'ehn will ich, um die Schuld, die weder neu noch gering ist,
Einsumehn, Doch diesen, den Gastfreund deines Palastes,
Send' im Wagen, vom Sohne begleitet usf."
Hieran lässt sich das Wort des Telemach (1. Odysseos
1. II., 372) anschliessend. Gdpaei |Liai' • inA oötoi fiveu Geoö fibe T€
ßouXri* yyHabe Mut, denn nicht ohne Gott ist dieser Rat!'*
Stellen wir nun zum Schlüsse die Vergleichungspunkte
zusammen, so ergibt sich folgende Übersicht:
1. Tobias und Telemach reisen in Begleitung von himm-
lischen Führern. (L. Tobiae c. 5, 5; Odysseos l. II., 286 sq.;
III., 366 sq.)
2. Dieselben stellen sich in der Person von bekannten
Hausfreunden vor, welchen man unbedingtes Vertrauen schenken
kann. („Tobit" c. 5, 13 sq. LXX.; Odysseos 1. II., 267 sq.)
3. Die Reise hat den Zweck, eine alte und grosse Schuld
einzufordern. (L. Tobiae c. 5, 2 sq.; Odysseos 1. III., 367.) .
4. Dieses Geschäft wird von den Himmelsboten persönlich
erledigt. (L. Tobiae c. 9, 6 sq.; Odysseos 1. III., 366 sq.)
5. Die himmlischen Führer geben sich zu erkennen; ihr
Verschwinden wird mit tiefer Ehrfurcht und Staunen wahr-
genommen. Danksagung und Lobpreis bilden den Schluss.
(Cf. 1. Tobiae c. 12, 6—22; Odysseos 1. III., 371—385.)
Der Erzengel Raphael sprach zu Tobias und seiner
Familie: „Durch den Willen Gottes war ich bei euch, jetzt
aber ist es Zeit, dass ich zurückkehre zu dem, welcher mich
gesandt hat . . ." Nachdem er dieses gesagt hatte, ward er
vor ihren Blicken entrückt . . . Hierauf priesen sie Gott drei
Stunden lang, hingestreckt auf ihr Angesicht.
Also redete Zeus glutäugige Tochter, und schwebte
Plötzlich ein Adler empor : da erstaunte die ganze Versammlung.
Wundernd stand auch der Greis, da seine Augen es sahen,
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— 212 —
Fasste Telemachos' Hand und sprach die freundlichen Worte :
„Lieber! Ich hoffe, du wirst nicht mutlos werden, noch kraftlos,
Denn es begleiten dich schon als Jüngling waltende Götter.
Siehe, kein anderer war's der himmelbewohnenden Götter,
Als des allmächtigen Zeus siegprangende Tochter Athene,
Die auch deinen Vater vor allen Achäern geehrt hat!
Herrscherin, sei uns gnädig und krön' uns mit glänzendem
Ruhme:
Mich und meine Kinder und meine teure Genossin!'*
Also sprach er flehend: es hörte ihn Pallas Athene.
Da gemäss dem ganzen Zusammenhange unserer voraus-
gehenden Darstellung (vgl. hierzu Seite 209) jenes wunder-
bare Ereignis in der Familie des Tobias den Zweck hatte,
weithin unter den Menschen bekannt zu werden ; so können wir
in den fast gleichlautenden Erzählungen bei Homer und der Bibel
eine stoff'liche Verwandtschaft, also Kategorie I., annehmen.
11. Achior, das Haupt der Ammoniter.
Die heilige Schrift bezeugt an vielen Stellen i) die Tat-
sache, dass die heidnischen Bewohner Asiens den Schick-
salen des Volkes Israel : seinem Blühen , Gedeihen und
Sinken, eine grosse Aufmerksamkeit geschenkt haben. Das
Buch Josua c. 9, 3 f., berichtet folgendes: Die Bewohner von
Gabaon, einer Stadt der Heväer, nur wenige Stunden von Jeru-
salem entfernt und späterdem Stamme Benjamin zugeteilt, kamen
zu Josua in das Lager zu Galgal und sprachen zu ihm und
zugleich zu ganz Israel: „Wir kommen von fernem Lande, mit
dem Wunsche, Frieden mit euch zu schliessen. Denn uns,
deinen Dienern^ ist bekannt geworden, dass der Herr, dein Gott,
dem Moses, seinem Diener, verheissen hat, euch das ganze
Land zu geben, und alle seine Bewohner zu vertilgen. (Cf. 1.
Deuteronomii c. 31, 3 f.) Darum fürchteten wir uns sehr und
waren besorgt für unser Leben; gedrängt durch die Furcht
vor euch, fassten wir jenen Entschluss." — Ein Denkmal an
die Siege Josuas im Lande Chanaan wurde noch im 6, Jahr-
hundert unserer christlichen Zeitrechnung auf dem Kriegszuge
des byzantinischen Feldherrn Belisar gegen die Vandalen in
^) Vgl. besonders 1. I. Esdrae, c. 4 — c. 7.
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— 213 —
Nordafrika vorgefunden. Der wissenschaftliche Begleiter des-
selben, Procopius nämlich, berichtet in seinem Werke „De Bello
Vandalico" (über den Krieg gegen die Vandalen) 1. II., c. 10:
„In der numidischen Stadt Tigisis befinden sich noch (a. 534)
zwei steinerne Säulen, auf welchen mit phönizischen Buch-
staben folgende Inschrift eingegraben ist: „Wir sind diejenigen,
welche vor Josua, dem Sohne des Nun, dem Eroberer, fliehen
mussten!"
Als unter dem Hohenpriester Heli die Arche des Bundes
in das Lager der Israeliten gebracht w^urde, riefen die feind-
liehen Philister: ^Venit Dens in castral^ „Vae nobis! quis
nos salvabit de manu Deorum istorum sublimium? Hi sunt Dii,
qui Aegyptum percusserunt omni plaga in deserto!" (Cf. 1. I.
Regum c. 4, 7 sq.) — ^^Gott ist in das Lager gekommen!
Wehe uns! Wer wird uns retten aus der Hand jener er-
habenen Götter? Das sind die Götter, welche einst Ägypten
schlugen mit jeglicher Plage in der Wüste!" (Die 10 Strafen
über Ägypten und der Untergang Pharaos im Roten Meere:
1500 vor Christi Geburt.) Als aber zur Züchtigung Israels
sein Heiligtum in die Hände der Philister gefallen war, Hessen
dieselben die Bundeslade im ganzen Lande herumführen
(eine Art Fronleichnamsprozession im Alten Testamente, nach
S. Thomas von Aquino). Der Herr aber strafte die Heiden
mit grosser Bedrängnis, so dass die Akkaroniter schrien:
„Adduxerunt ad nos Arcam Dei Israel, ut interficiat nos et
populum nostrum!" (1. c. c. 5, 9 sq.). „Sie haben die Bundes-
lade des Gottes Israels zu uns gebracht, damit er uns zugrunde
richte und unser Volk I*^ — Daher kamen sie auf den Rat ihrer
Priester überein, die Arche des Bundes wieder an Israel zurück-
zusenden (a. 1130 a. Chr.). Sie sagten nämlich: ^Dabitis Dco
Israel gloriam! Si forte relevet manum suam a vobis et a
diis vestris et a terra vestra, Quare aggravatis corda vestra
sicut aggravavit Aegyptus et Pharao cor suum? Nonne post-
quam percussus est (decem illis plagis) tunc remisit eos et
abierunt!" (1. c. c. 6, 5 sq.). ^Gehet doch dem Gotte Israels
die Ehre! Dass er etwa seine Hand wieder aufhebe von euch,
von eueren Göttern und von euerem Lande ! Warum verhärtet
ihr euere Herzen, so wie einst Pharao und Ägypten sich ver-
härtet haben?! Hat nicht Pharao, als er (von Gott durch jene
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— 214 —
10 Plagen) geschlagen war, das Volk Israel entlassen, und sie
zogen weg!"
Wir sehen hieraus, dass die Kunde von dem besonderen
Schutze Gottes über die Israeliten und dem grossen Strafgerichte
über ihre Dränger nach ca. 400 Jahren (1500—1130 a. Chr.)
im Morgenlande noch nicht erloschen war.
Diese Tatsache wird durch die nachfolgende Geschichte
bestätigt, welche 500 Jahre später sich ereignet hat. Als näm-
lich ca. 654 a. Chr. Manasses, der König von Juda, als Gefange-
ner in Babylon weilte, unternahm im Auftrage des Königs
Nabuchodonosor der Feldherr Holofernes einen Kriegszug gegen
die westlichen und südlichen Grenzländer, von Ninive ausgehend.
Auch Judäa war bedroht, denn sein Gebiet war ohne Herrscher.
Alle V^ölker Palästinas beeilten sich nun, dem siegreichen
Holofernes freiwillig Tribut zu geben. Die Juden allein weiger-
ten sich. Hierüber erzürnt, fragte der Befehlshaber die Fürsten
von Moab und Ammon, welcher Art denn jenes Volk sei, wel-
ches sich ihm zu widersetzen wage. Achtor, das Haupt der
Ammoniter, erwiderte ihm mit einer ausführlichen Darlegung
der ganBcn Geschichte Israels, Wir wollen dieselbe hier unver-
kürzt mitteilen, um darzutun, welche grosse Bedeutung das
jüdische Volk bereits unter „allen Söhnen des Ostens" (1. lob.
c. 1, 3) gewonnen hatte, so dass auch die Heiden sich ein-
gehend mit den Geschicken desselben beschäftigten.
„Achior dux omnium filiorum Ammon respondit: Populus
iste ex progenie Chaldaeorum est (ex civitate Ur Chaldaeorum
oriundus est). Hie primum in Mesopotamia habitavit, quoniam
noluerunt sequi deos patrum suorum, qui erant in terra Chaldaeo-
rum. Deserentes igitur caeremonias patrum suorum, quae in
multidine deorum erant, unum Deum Coeli coluerunt, qui etiam
praecepit eis, ut exirent inde et habitarent in Charan (Chanaan).
Quumque operuisset omnem terram fames, descenderunt in
Aegyptum, ibique per quadringentos annos sie multiplicati sunt,
ut exercitus eorum non posset dinumerari. Quumque gravaret
eos rex Aegypti atque in aedificationibus urbium suarum in luto
et latere subiugasset eos, ad Dominum suum clamaverunt, qui
totam terram Aegypti plagis variis percussit (1500 a. Chr. n.)
Quumque Aegyptii eos a se eiecissent, et plaga ab eis cessasset,
et iterum eos capere vellent et ad serviti'um suum revocare,
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fugientibus iis Deus Coeli mare aperuit, ita ut hinc inde aquae
quasi tnurus solidarentur, et isti pedc sicco fundum maris peram-
bulando transirent. In quo loco quum innumerabilis Aegyptio-
rum exercitus eos persequeretur, ita aquis coopertus est, ut non
remaneret vel unus, qui factum posteris nuntiaret. Egressi vero
mare rubrum, deserta Sinai montis occupaverunt, in quibus nun-
quam homo habitare potuit vel filius hominis requievit. lUic
fontes amari obdulcati sunt eis ad bibendum et per annos qua-
draginta annonam de coelo consecuti sunt (manna). Ubicunque
ingressi sunt sine arcu et sagitta, et absque scuto et gladio,
Deus eorum pugnavit pro eis et vicit. Et non fuit qui insul-
taret populo isto nisi quando recessit a cultu Domini Dei sui.
Quotiescumque autem praeter ipsum Deum suum, alterum colue-
runt, dati sunt in praedam et in gladium et in opprobrium.
Quotiescunque autem poenituerunt, se recessisse a cultura Dei
sui, dedit eis Deus Coeli virtutem restistendi. Denique Chana-
naeum regem et Jebusaeum et Pherezaeum et Hethaeum et
Hevaeum et Amorrhaeum et omnes potentes in Hesebon prostra-
verunt, et terras eorum et civitates eorum ipsi possederunt. Et
usque dum non peccarent in conspectu Dei sui, erant cum illis
bona. Deus enim illorum odit iniquitatem. Nam etiam ante
hos amnos quum recessissent a via, quam dederat illis Deus, ut
ambularent in ea, exterminati sunt proeliis a multis nationibus
et plurimi eorum captivi abducti sunt in terram non suam (A. 722
in Assyriam a Salamanassare rege, qui etiam Manassen regem
captivum abduxit). Nuper autem reversi ad Dominum Deum
suum, ex dispersione qua dispersi fuerant, adunati sunt, et ascen-
derunt in montana haec omnia, et iterum possident Jerusalem^
tibi sunt Sancta eorum.^ L.Judith e.V., 1 — 24.
Achior^ der Führer aller Söhne Ammons, erwiderte:
Dieses Volk ist aus dem Stamme der Chaldäer (insofern als
Abraham zu Ur in Chaldäa geboren wurde und von da nach
Chanaan übersiedelte: Genesis c. 11, 28 bis c. 12, 6). Es nahm
zuerst Wohnung in Mesapotamien, weil sie nicht folgen w^oUten
den Göttern ihrer Väter, welche im Lande der Chaldäer waren.
Sie verliessen daher die Religionsgebräuche ihrer Väter, welche
in der Vielheit der Götter bestanden. Sie dienten dem Einen
Gotte des Himmels, w^elcher ihnen auch gebot, von da weg-
zuziehen und Wohnung zu nehmen in Charan (Chanaan). Und
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— 2l6 —
als Hunger das ganze Land bedrückte, zogen sie (unter Jakob
und Joseph) hinab nach Ägypten und vermehrten sich daselbst
innerhalb 400 Jahren dergestalt, dass ihre Heerschar nicht mehr
gezählt werden konnte. (Cf. Genesis c. 42, 2; c. 46, 6; Exodi c. 1, 7;
c. 12, 40.) Als nun der König von Ägypten sie hart hielt, und
sie bei den Bauten seiner Städte mit Lehm und Ziegelsteinen
belastete, da riefen sie zu ihrem Herrn, und dieser schlug das
ganze Land Ägypten mit verschiedenen Plagen. (L. Exodi
5—13.) Nachdem hierauf die Ägypter sie von sich ausgestossen
hatten und die Plage von ihnen abliess, sie aber dieselben
wieder in ihre Dienstbarkeit zurückführen wollten, da eröffnete
für sie, welche flohen, der Gott des Himmels das Meer, so
dass hüben und drüben die Gewässer wie eine Mauer sich
festigten und sie, auf dem trockenen Boden des Meeres schreitend,
hinüberzogen.
Als nun dahin ein unzähliges Heer der Ägyptier sie ver-
folgte, wurde dieses so von den Wassern bedeckt, dass nicht
ein einziger übrig blieb, welcher die Begebenheit den Nach-
kommen berichten konnte. (Cf. 1. Exodi c. 14 — 16.) Heraus-
gegangen aber aus dem Roten Meere, lagerten sie in der Wüste
des Berges Sinai, in welcher nie ein Mensch wohnen konnte,
noch ein Menschenkind sich aufhielt. Daselbst wurden bittere
Quellen für sie süss zum Trinken; 40 Jahre hindurch erhielten
sie Speise vom Himmel (das Manna; cf. 1. Exodi c. 16, 15).
Überall zogen sie ein ohne Pfeil und Bogen, ohne Schild
und Schwert; denn ihr Gott kämpfte für sie und siegte! Und
nie war jemand, welcher dieses Volk bedrücken konnte, ausser
wenn es den Dienst seines Herrn und Gottes verliess. Sooft
sie nämlich ausser diesem ihrem Gotte einen anderen verehrten,
wurden sie der Plünderung, dem Schwerte und dem Gespötte
preisgegeben. Sooft sie jedoch bereuten y den Dienst ihres
Gottes verlassen su haben, verlieh ihnen der Herr des Himmels
Kraft 3um Wiederstande. (Cf. 1. Judicum.) Hierauf haben
sie den König der Chananäer, Jebusäer, Pherezäer, Hethäer,
Heväer, Amorrhäer und alle Machthaber in Hesebon geschlagen
und deren Länder und Städte in Besitz genommen. (Cf. 1. Jo-
sues c. 9 — 12.) Und solange sie nicht sündigten vor dem
Angesichte ihres Gottes, war das Glück mit ihnen, weil ihr
Gott das Unrecht hasst. Denn selbst vor diesen Jahren, als
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sie von dem Wege abgewichen waren, welche ihnen Gott an-
gewiesen hatte, dass sie darauf wandeln sollten, wurden sie
durch viele Völker im Kriege geschlagen, und die meisten
von ihnen wurden als Gefangene in ein Land geführt, das nicht
das ihrige war. (Cf. 1.4. regum c. 17, 6 sq.: Salamanassar,
König von Assyrien erstürmte Samaria und versetzte die
Bewohner des Reiches Israel in die Provinzen Hala und Habor,
an die Flüsse von Gozan und in die Städte der Meder a. 723
a. Chr. Bald darauf liess derselbe durch seinen Feldherrn Thartan
den Manasses, König in Jerusalem, mit vielen Angehörigen
des Reiches Juda nach Babylon deportieren. (Cf. 1. II. Parali-
pomenon c. 33, 11 sq.)
Neuerdings aber wandten sie sich wieder zu dem Herrn,
ihrem Gotte („Das Gebet des Manasses": 1. IL Paralip. c. 33,
12—14 und 18), und sie wurden aus ihrer Zerstreuung ver-
einigt und zogen hin auf dieses ganze Gebirge und öesüsen
wieder Jerusalem, wo auch ihre Heiligtümer sind. Manchen
Gefangenen wurde nämlich A'^or dem Könige Manasses die
Rückkehr nach Palästina gestattet. (Cf. 1. c. c. 33, 13 sq.)
Die kurz hierauf erfolgte Heldentat der Judith rettete
sofort das Land aus der Gewalt seiner Feinde und bestätigte
das Vertrauen des weisen Achior. Dieser schloss sich nun
dem Judentume vollkommen an: er verliess die Gebräuche des
Heidentums und glaubte an den wahren Gott. Nach Über-
nahme der Beschneidung wurde er und seine Nachkommen-
schaft in die Gemeinde Israel aufgenommen. (Cf. 1. Judith
c. 14,6.) Zu Judith aber sprach er: ^Gesegnet seist Du von
Deinem Gott im ganzen Wohnsitze Jakobs; weil bei jedem
Volke y welches Deinen Namen hört^ wird Israels Gott um
Deinetwillen gepriesen werden!^
Die hier erzählte Begebenheit sowie die nachfolgenden
Ereignisse im Alten Testamente hatten den Zw^eck, Jehova
und sein auserwähltes Volk überallhin bekannt werden zu
lassen und so die Wege für den kommenden Erlöser der Welt
vorzubereiten. „Parate viam Domini!" „Bereitet den Weg des
Herrn!" (Cf. Evgl. S. Marci c. 1, 2 sq.) So lautet der Mahn-
ruf S. Johannes des Täufers an seine Zeitgenossen.
Im vorstehenden Abschnitte haben wir ein positives Zeug-
nis aus dem Heidentume selbst dafür, dass die Geschichte
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- 2l8 -
Israels ein Gegenstand sorgfältiger Beobachtung seitens der
heidnischen Völker war. Nichts entging denselben: weder
das Glück noch das Unglück, weder die Tugenden noch die
Laster des auserwählten Volkes blieben ihnen verborgen.
Selbst die Sünden dieses Volkes konnten sie nicht irre machen;
denn sie wussten aus Erfahrung, dass auf einen Abfall von
Jehova jedesmal die verdiente Züchtigung nachfolgte, und dass
dieselben dann immer wieder auf den guten Weg zurückkehrten.
Zwar hat man in der neueren Zeit einige chronologische
Schwierigkeiten gegen das Buch Judith erhoben, doch lösen
sich dieselben allmählich auf. Die Zustände, welche das Buch
voraussetzt, treffen für die Zeit des Königs Manasse tatsäch-
lich zu. Was das Buch von assyrischen Sitten und Gebräuchen
erzählt, wird durch assyrische Inschriften bestätigt; so z. B., dass
der König von Assyrien sich Herr des Erdkreises nennt; dass
er die Götter der ganzen Erde auszurotten (und ihre Tempel
zu zerstören) sucht, und für sich göttliche Verehrung in An-
spruch nimmt ; ferner, was über die Kriegsführung der Assyrier,
ihre Grausamkeit und Ausschweifungen gesagt wird. Ins-
besondere sind die politischen Verhältnisse so weit aufgeklärt,
dass die im Buche Judith erzählten Ereignisse als möglich, ja
mit Wahrscheinlichkeit in die Profangeschichte eingereiht werden
können. Assyrien befindet sich auf dem Höhepunkt seiner
Macht, aber die Vasallenstaaten tragen nur unwillig sein Joch,
und es bedarf wiederholter Kriegszüge, um die abtrünnigen
Völker wieder zum Gehorsam zurückzuführen. Solche Heeres-
züge haben unter Assurbanipal (griechisch: Sardanapal), 668
bis 626, gegen Syrien, Kleinasien, Palästina und Ägypten statt-
gefunden. Somit ist hier unter „Nabuchodonosor" Assurbani-
pal, der letzte grosse König von Assyrien^ zu verstehen. Auch
wird statt „Arphaxad" Arbaces, statt „Mambre" Abrona, statt
„Saphet" Japhet zu lesen sein. (Versehen der Abschreiber.)
Andere Schwierigkeiten werden durch die eifrig betriebene
Textkritik und die Ergebnisse der profangeschichtlichen Quellen
wohl noch erledigt werden.
So viel ist sicher: die Geschichtlichkeit des Buches Judith
kann mit guten Gründen wissenschaftlich verteidigt werden.
Vergleiche Prof. Selbst „Handbuch zur biblischen Ge-
schichte«, I. Teil, S. 873 f. Freiburg im Breisgau, bei Herder 1906.
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12. Der Prophet Daniel in Babylon.
Professor Dr. Carl Budde aus Marburg sagte in einem
Vortrage, welchen er im Jahre 1903 zu Giessen über „das alte
Testament und die Ausgrabungen" gehalten hat: „So unab-
sehbar auch das babylonische Schrifttum anschwillt, der fest-
geschlossenen Reihe unserer Propheten und selbst der Geschichts-
erMhlung unserer ältesten Quellen hat es nichts Ebenbürtiges
an die Seite zu stellen" (Rede S. 39). Ausser den Israeliten
besass kein Volk der alten Welt die Institution der Propheten.
Diese waren Zeugen Jehovas und die Organe zur Verkündi-
gung seines hl. Willens an die Menschen. Ihrem Berufe ge-
mäss standen sie nicht bloss dem auserwählten Volke belehrend,
ermahnend, tröstend und strafend bei, sondern sie verkündigten
auch den mächtigen Weltreichen der Heiden in Babylonien,
Assyrien, Ägypten und Phönizien, also gerade den einfluss-
reichsten Nationen des Morgenlandes, die drohenden Straf-
gerichte Gottes, und bewiesen durch das Eintreff'en derselben
die Wahrheit ihrer Sendung. Damit griffen sie unmittelbar in
den Gang der Weltgeschichte ein und überzeugten die Heiden,
dass ihre Götter nichtig, Jehova aber allein der wahre Gott
des Himmels und der Erde sein müsse. So ward (vgl. oben
S. 208) der Prophet Jonas, selbst gegen seinen Willen, in die
heidnische Riesenstadt Ninive (ca. 828 v. Christus) gesandt,
um schon im hohen Altertume von dem allumfassenden Er-
lösungswillen Gottes daselbst Zeugnis abzulegen (1. Jonae c. 3,
Evgl. S. Lucae c. 11,32). Auch das Verweilen des Tobias in
Mnive (Assyrien), v. 722—650, diente zu einem ähnlichen
Zwecke. ^Dic Völker werden ihre Götzen verlassen und nach
Jerusalem kommen und Wohnung nehmen daselbst. Und alle
Könige werden sich dort erfreuen und anbeten den König
Israels!'' (L.Tobiaec. 14,8—10; cf.Evgl. S. Matthaeic.2, 1—12).
Die Kreuzesinschrift lautet: ^Jesus, König der Juden^. (Evgl.
S. Matthaei c. 27, 37; cf. 1. Jeremiae c. 1, 4 — 7). Am deutlichsten
aber zeigt sich diese Bestimmung bei dem Propheten Daniel,
welcher, aus königlicher Familie entsprossen und mit hervor-
ragenden Geistesgaben ausgerüstet, während der höchsten
Blüte Babylons am Hofe des Königs Nabuchodonosor (a. 606)
erzogen wurde und teils unter diesem Könige teils unter Cyrus
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— 2±0 —
und Darius Hystaspes die ersten Staatsämter bekleidete (1. Da-
nielis c. 2, 48 und c. 6, 1 — 4). Er hat also während der grössten
Veränderungen in Asien fast drei Menschenalter hindurch in
steter Verbindung mit den Machthabem jener Zeit gelebt und
kann ebenso ein Prophet der Heiden wie der Juden genannt
werden. Den Bewohnern Babylons lieferte er den Beweis von
der Nichtigkeit ihrer Götzen durch Zerstörung des Beltempels
und Tötung des göttlich verehrten Drachens (1. c. c. 14). Und
die Allmacht Jehovas zeigte sich an ihm vor allem Volke,
als er zweimal aus Todesgefahr in der Löwengrube wunder-
bar errettet wurde (1. c. c. 6 und c. 14). Auch seine Genossen:
Ananias, Azarias und Misael (Michael) standen ihm beiden
mutig bei, indem sie die Anbetung der goldenen Bildsäule in
der Ebene von Dura standhaft verweigerten und den Namen
Gottes priesen in den Flammen des himmelhoch auflodernden
Glutofens i).
Der Herr aber sandte seinen Engel, welcher die Flammen
auseinanderschlug und die mutigen Jünglinge unverletzt bewahrte.
Dies bewog den staunenden König zu folgendem Ausspruche:
„Gepriesen sei ihr Gott, welcher seinen Engel gesandt und
seine Diener gerettet hat. Diese haben an ihn geglaubt und
das Gebot des Königs beiseite gesetzt, und ihren Leib (den
Flammen) preisgegeben, um nicht zu dienen und anzubeten
vor irgend einem anderen, als vor ihrem Gott! Und von mir
wird daher dieser Befehl erteilt (1. c. c. 3, 95 sq.), dass jedes
Volk, Stamm oder Zunge, welche eine Lästerung aussprechen
würde gegen den Gott des Sidrach, Misag und Abdenago,
(chaldäische Namen der drei Jünglinge) zugrunde gehen soll;
und das Haus eines solchen werde zerstört ; denn nicht ist ein
anderer Gott, welcher so zu retten vermag!'^
1) S. Hieronymus spricht die Vermutung aus, der König Nebukad-
nezar (von dessen Stolze der Prophet Isaias c. 14, 4 — 14 geweissagt hat)
sei im Übermute so weit gegangen, dass er zur Verherrlichung seiner
Grosstaten das eigene Bild als Denkmal habe aufstellen lassen und göttliche
Ehren für sich verlangte, wofür er sieben Zeiten lang bis zur Lebensweise
der Tiere erniedrigt wurde (1. c. c. 4, 20 sq.). Nach der Septuaginta und
The(^doretus von Cyrus fand die Errichtung der Bildsäule im t8. Regie-
rungsjahre des Kcmigs statt.
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Ähnlich sprachen sich auch Cyrus und Darius Hystaspes
aus, als Daniel in der Löwengrube unverletzt blieb. (L. c. c.
8,25—28 und c. 14, 42 sq.) Hierauf wurde Daniel mit seinen
Genossen von den Königen Babylons hoch geehrt und gefeiert..
(L. c. c. 2, 48—50 und c. 3, 97.) Die Folgen dieser Ereignisse
hatten jedenfalls eine weittragende Bedeutung ; denn wir können
mit Sicherheit annehmen, * dass das Gesetz und die Religions-
gebräuche der Juden durch jene wunderbaren Tatsachen in
dem 120 Provinzen zählenden babylonischen Reiche eine erhöhte
Beachtung fanden und dazu noch staatlichen Schutz erhielten.
Es ist daher wie eine Krönung seiner ganzen Wirksamkeit zu
bezeichnen, als Daniel, der Staatsmann und Prophet, von Jehovah
zum Träger einer über die heidnischen Völker erweiterten
Offenbarung berufen wurde. Durch sie schaute er im Geiste
das Aufblühen des Reiches Gottes mit seiner Beziehung zu der
Entwicklung der vier grossen Weltreiche: der assyrisch-baby-
lonischen, persischen, mazedonisch-griechischen und römischen
Weltmonarchie voraus. Dahin gehört das Gesicht des Nabucho-
dönosor von der Statue aus Gold, Silber, Erz und Ton (ibidem
c. 2), sowie die Erklärung desselben durch Daniel; ebenso die
Vision von dem Charakter dieser vier Weltreiche im Bilde. einer
Löwin mit Adlersflügeln, eines grimmigen Bären, eines geflügelten
Parders und eines Tieres (Wölfin) mit eisjernen Zähnen. (Ibid.
c. 7, 1, sq.) „Noch ist die Zeit der vierten Weltherrschaft (der
römischen Wölfin mit eisernem Gebiss) nicht vorüber: da tritt
im prophetischen Schauen Einer auf in den Wolken des Himmels ;
er ist wie eines Menschen Sohn („Sohn der Jungfrau unter dem'
Bilde jenes Steines, welcher sich vom Berge loslöste ohne
Menschenhand, 1. c. c. 2, 34—36), und es ward ihm von Gott
gegeben: Gewalt, Ehre und Reich, dass alle Völker, Menschen
und Zungen ihm dienen werden. Seine Macht ist ewig, und
sein Königreich hat kein Ende,^ (L. c. c. 7, 13 — 15 und Evgl.
S. Lucae c. 1,33.) Zur Ergänzung dieser erhabenen Mitteilung
dient noch das Geheimnis der siebenzig Jahrwochen, welches der
Erzengel Gabriel dem hochbegnadigten Propheten als Zeitr
bestimmung für die Ankunft des Messias enthüllte (1. c. c. 8, 16 sq:).
In diesen welthistorischen Kundgebungen sehen wir die Propbetie
des alten Bundes auf ihrem Höhepunkt angelangt. Daniel, fast' ein
zweiter Moses, wird im entzückenden Schauen gleichsam auf den
Kröll, Die Be/iehunjfen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. l6
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— iä2 — .
Berg Nebo versetzt: die Ereignisse der kommenden Jahrhun-
derte bis zur Ankunft des Herrn und Heilandes ziehen wie
flüchtige Wolkengebilde an seinem Geistesauge vorüber, und
auf seinen Lippen schwebt der Ausspruch: „Ich bitte, Herr,
sende, den Du senden wirst!" (L. Exodi c. 4,31.)
Aber noch eine eminent praktische Tätigkeit war dem
Staatsmanne unter den Propheten beschieden. Als das „goldene
Reich" des Nabuchodonosor mit der „silbernen Herrschaft"
unter Cyrus (a. 538) sich vertauschte, da, so berichtet Flavius
Josephus (Antiquitatum 1. XI, c. 1, n. 1 und 2), legte Daniel
dem Sieger über Babylon die Weissagung vor, welche der
Prophet Isaias schon 210 Jahre vorher verkündigt hatte: „So
spricht der Herr zu meinem Gesalbten Cyrus, dessen Rechte
ich erfasst halte, dass ich niederwerfe vor seinem Angesichte
Völker, und ihm zuwende den Rücken der Könige und vor
ihm offene Türen und Tore, dass sie sich nicht verschliessen.
Ich werde vor dir einhergehen und die Hohen der Erde demü-
tigen; ich werde eherne Pforten sprengen und eiserne Riegel
zerbrechen. Um Jakob, meines Knechtes willen, und um Israel,
meines Erwählten, da rief ich dich bei deinem Namen und du
kanntest mich (noch) nicht!" (L. Isaiae prophetae c. 45, 1 — 5.)
Nachdem Cyrus die auf seinen Namen lautende Äusserung des
göttlichen Willens gelesen hatte, wurde er hocherfreut und
gab den Befehl, die gefangenen Juden in ihr Heimatland zu-
rückreisen und ihren Tempel in Jerusalem wieder aufbauen
zu lassen. So beginnt nämhch das I. Buch Esdras: „Im ersten
Jahre des Cyrus, des Königs der Perser, erweckte Gott, der
Herr, dessen Geist, und dieser liess ergehen den Ausruf, auch
durch Ausschreiben im gansen Reiche, und sagen : Das spricht
Cyrus, der König der Perser: alle Reiche der Erde hat mir
der Herr, der Gott des Himmels^ gegeben; und dieser hat mir
befohlen, dass ich ihm ein Haus baue zu Jerusalem, welches
in Judäa liegt. Wer nun ist unter euch von seinem ganzen
Volke? — Sein Gott sei mit ihm, und er ziehe hin nach Jeru-
salem, und baue das Haus des Herrn, des Gottes Israel!"
(L. I. Esdrae c. 1, 1—4.)
Cyrus hatte durch die Eroberung Babylons (538) die Vor-
macht in Asien errungen, und seine Herrschaft erstreckte sich
vom Mittelländischen Meere bis zum fernen Indien : Kleinasien,
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Babylonien, Assyrien, Medien und Persien waren ihm untertänig.
Die 12 Stämme der Israeliten wohnten nun in jenen Länder-
massen als Gefangene zerstreut umher. Das Reich Israel
(10 Stämme) war schon im Jahre 722 unter dem Könige Sal-
manassar aufgelöst und seine Bewohner nach Assyrien und
Medien: in die Provinzen Hala und Habor, an die Flüsse von
Gozan, sowie in die Städte Ninive, Rages und Ekbatana weg-
geführt worden (cf. 4. Regum c. 17, 6 sq.). Sie hatten sich
also mit ihren hl. Büchern seit ungefähr 200 Jahren (722—536)
in diesen Gegenden niedergelassen, als Cyrus auch für sie die
Erlaubnis bekannt geben Hess, nach Jerusalem zu reisen und
Judäa in Besitz zu nehmen. Das Reich Juda (2 Stämme) hatte
im Jahre 606 bezw. 588 sera Ende gefunden, und die Juden
trauerten an den Flüssen Babylons in dem 70jährigen Exile.
Als nun das Edikt des Cyrus ihnen die Freiheit verschaffte,
rüsteten sie sich zur Heimkehr in das Land ihrer Väter.
Dem ersten Zuge jedoch von Babylon nach Jerusalem schlössen
sich verhältnismässig nur wenige aus Assyrien und Medien
an, weil dieselben schon so lange Zeit in jenen Ländern an-
sässig waren. Viele sind sogar für immer dort zurückgeblieben.
Vgl. Buch Esther c. 2, 5 und c. 3, 8. Ihre Anzahl und ihr
Besitz muss gross gewesen sein, denn Aman versprach aus
dem Eigentum derselben der königlichen Schatzkammer an
10 000 Talente = zirka 52 Millionen Mark liefern zu können.
Ibid. V. 9. — Ernst von Lasaulx (1805—1861) stellt in seiner
Abhandlung „über die Bücher des Königs Numa Pompilius**
die Behauptung auf, dass die Mosaischen Satzungen, welche
sich so zahlreich in der Gesetzgebung des Numa vorfinden,
mit einer Auswanderung israelitischer Familien nach Westen
(Italien) im Zusammenhange stehen. So viel ist jedenfalls
gewiss, dass durch den langjährigen Aufenthalt der Bewohner
des Reiches Israel und Juda in Babylon, Ekbatana, Ninive,
Susa, Persepolis u. a., besonders aber durch die grossartige
Wirksamkeit des Propheten Daniel die Kunde von den hl. Schriften
des auserwählten Volkes wie in den Kreisen der morgenländischen
Fürsten und Regenten, so auch in den zahlreichen und aus-
gedehnten Provinzen ihrer Königreiche und zinspflichtigen
Länder sich unzweifelhaft verbreitete. (Cf. 1, Tobiae c. 13, 4;
c. 14, 8—10; 1. Esther c. 2. 17; c. 8, 9—17.) Besondere Erwäh-
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nung verdient der Königliche Schutzbrief für die Juden an die
Völker und Nationen in den 127 Provinzen des grossen per-
sischen Reiches, welches von Indien bis nach Äthiopien sich
erstreckte. (L. c. c. 8, 8 — 15.) Der Erfolg desselben wird
mit folgenden Worten geschildert: „Bei allen Völkern nun in
Städten und Ländern, wohin immer die Befehle des Königs
gelangten, war erstaunlicher Jubel, Gelage, Nachtmahle und
ein festlicher Tag, so zwar, dass viele von den anderen Völkern
und Sekten sich der Religion und den Gebräuchen der Juden
anschlössen (als Proselyten: II. L Esdrae c. 10^ 28)^), Denn
alle hatte eine grosse Furcht vor dem Namen der Juden befallen."
(Cf. 1. Exodi c. 15, 16; 1. Deuteronomii c. 11, 25; Psalmi 104, 38.)
Als nun 200 Jahre später Alexander der Grosse auf seinem
Siegeszuge in Palästina (332) auch nach Jerusalem kam, ging
ihm der Hohepriester Jaddus mit seinen dienenden Leviten
im feierlichen Aufzuge entgegen und seigte ihm die Weis-
sagungen des Propheten Daniel, dass ein Hellene das grosse
Reich der Perser zerstören werde. (L. Danielis c. 8, 3—8;
besonders Vers 21; ebenso c. 11, 3 f.) „Der Ziegenbock, den
du geschaut, und welcher den Widder (das persische Reich)
niederstossen wird, das ist der König der Griechen^ und das
grosse Horny welches sich zwischen seinen Augen befindet^ dies
bedeutet den ersten König,^ Als Alexander diesen Spruch
Daniels vernommen hatte, erkannte er in sich selbst den Vor-
herverkündigten und erwies dem Hohenpriester und seiner
Umgebung die grösste Auszeichnung. Er gestattete den Juden
zu Jerusalem, Babylon und Medien, nach ihrem Gesetze zu
leben; auch lud er ihre junge Mannschaft ein, in seine Armee
(Heer) einzutreten, in welcher sie ebenfalls freie Religionsübung
haben sollten. Nicht wenige folgten seiner Aufforderung. Hier-
auf begab sich Alexander mit seinem Heere nach Ägypten
zu dem Tempel des Jupiter Ammon, welcher mit einem Widder-
kopfe und gewundenen Hörnern dargestellt wird. (Cf. Ovidii
Metam. 1. V, 327 sq.) Seit jener Zeit Hess er sich stets gehörnt
abbilden. (L. Danielis c. 8, 21; Flavii Josephi „Antiquitatum"
^) Ol irpoaTrop€uö|bi€voi dirö Xauiv Tfjq th^ irpö^ v6|uiov toO Geou: alle,
welche sich abgesondert hatten von den Völkern der Länder zum Gesetze
Gottes = „Proselyten". IL Esdrae 10,28.
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— 2^5 —
1. 11, c. 8, n. 5. und Curtii Rufi „De rebus gestis Alexandri
Magni" 1. 4, c. 7, n. 5.)
Alexander vollsog in Judäa eine unblutige Eroberung:
nach seiner Anwesenheit hielt griechische Sprache und Bildung
daselbst ihren Einzug und gewann immer grössere Bedeutung
im Lande. Für das Volk Gottes bedeutete dies einen neuen
Abschnitt in der Geschichte der Offenbarung. Der Gesichts-
kreis wurde auf einmal um vieles erweitert: die Berührung
mit fremden Völkern mehrte sich und, was die Hauptsache
war, die leiste Phase des antiken Heidentums stand der Mosaischen
Religion gegenüber, — Fünfzig Jahre später wurde die hl. Schrift
in der zu Ehren des grossen Alexander (332) erbauten Hafen-
stadt am Nile unter dem Könige Ptolemaeus Philadelphus
(284—246) in die griechische Sprache übersetzt und hierdurch
der ganzen gebildeten Heidenwelt zugänglich gemacht. In der
Zeit von 166 — 160 v. Chr. schlössen die Israeliten auf den Rat
ihres Führers Judas Machabäus sogar Bündnisse mit den Römern
und Griechen. (Cf. 1. I. Machabaeorum c. 8; c. 12, 1 f.; c. 14,
16 und 24; 1. II. Machab. c. 11, 34 f.: Bündnisse zu Rom. L.I.
Machab. c. 12, 2 und 5—24; c. 14, 16 und 19-24: Bündnisse
zu Sparta. — Vgl. Seite 131—136.)
Unter dem Hohenpriester Simon, 140 a. Chr., erhielten
die Juden den wichtigen Hafen zu Joppe y^und damit einen
Zugang SU den Inseln des Meeres^ (1. 1. Machab. c. 14, 5), In
dem Herbste desselben Jahres erteilten ihnen die Römer durch
den Konsul Lucius (Calpurnius Piso) einen Schutsbrief an die
Könige und Fürsten von Griechenland, den Inseln und von
Kleinasien (1. I. Machab. c. 15, 16—24). Im Jahre 63 a. Chr.
wurde Judäa unter dem Konsul Cnejus Pompejus zu einer
römischen Provinz. (Ciceronis orationis pro Flacco c. 28;
Flavii Josephi „Antiquitatum" 1. 14, c. 4, n 1 sq.) Julius Cäsar,
dictator perpetüus, gab ihnen 45 a. Chr. die Erlaubnis, sich im
ganzen römischen Reiche eigene Synagogen zu bauen und
nach ihrem Gesetze ungehindert zu leben. (Flavii Josephi
„Antiquitatum" 1. 14, c. 10, n. 7 und 8.) Darum konnte Philo
Alexandrinus bereits vom Jahre 40 a. Chr. berichten, dass es
kein Land auf der weiten Erde gebe, in welchem nicht eine
zahlreiche Judenkolonie (mit ihren hl. BücberU; Sabbatvorlesun-
gen und Religionsgebräuchen) zu finden sei. -^ (Philonis „Lega-
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— i26 —
tionis ad Cajum" § 36.) — Während der Regierung des Kaisers
Augustus: am 25. Dezember 752 nach Erbauung der Stadt
Rom, wurde Christus, unser Herr, zu Bethlehem geboren i).
Die 70 Jahrwochen des Propheten Daniel gingen su Ende.
Der Heiland begann seine erlösende Tätigkeit mit den
Worten: „Erfüllt ist die Zeit! Genaht ist das Reich Gottes!
Tuet Busse und glaubet an das Evangelium!" (Cf. Evgl. S. Marci
c. I, 15.)
Erfüllt war die Erwartung aller Völker: Genesis c. 49, 10.
Die bisherigen Führungen Gottes in Israels Erziehung, Geschichte,
Vorbild und Weissagung standen unmittelbar an der Grenze
ihrer Vollendung und ihres Abschlusses: Anfang der christ-
lichen Epoche, — (Cf. 1. Danielis c. 9, 24; Ep. ad Hebraeos
c. 1, 2.)
Flavius Josephus „Contra Apionem" 1. II, c. 39 sagt von
seiner Zeit (37—101 nach Christus): „Es gibt keine hellenische
oder barbarische Stadt, und kein Volk (auf der ganzen Erde),
wo nicht die bei uns übliche Sabbatfeier sich Bahn gebrochen
hätte, wo nicht das Fasten, Lichterbrennen und viele unserer
Speisegesetze beobachtet würden." Cf. „Actus Apostolorum"
c. II., 5—13; c. XV., V. 21.
Von dem ersten christlichen Pßngstfeste su Jerusalem (am
15. oder 24. Mai a. 33 nach Christus) berichtet die Apostel-
geschichte: „Es waren aber in Jerusalem Juden wohnhaft,
gottesfürchtige Männer aus jeglichem Volke, das unter dem
Himmel ist." L. c. c. II, v. 5. In den folgenden Versen 7—13
werden die einzelnen Länder angeführt, aus welchen die Juden
und Proselyten derselben stammten, die in der Fremde
geboren und erzogen, für ihre spätere Lebenszeit aber Jerusalem
sich zum Aufenthalte erwählt hatten, oder als Festespilger
(V. 10) dort verweilten. Vers 9 bezeichnet die Landstriche
des Ostens: Medien, Parthien und Persien, in welchen seit der
Wegführung durch Salmanassar (a. 722 vor Christus) zahlreiche
Judenfamilien ansässig waren. (Vgl. Seite 223, f.) Ihre Mission
daselbst nahm ein Ende; die Rückkehr stand ihnen frei und
so kamen sie denn „aus Andacht" nach Jerusalem, um hier in
1) Nach der gewöhnlichen Annahme. Vgl. Riess „Das Geburtsjahr
Christi", S. 66 f., sowie „Nochmals das Geburtsjahr Christi", S. 59 f.
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der Fülle der Zeiten des messianischen Heiles teilhaftig zu
werden: S. Petrus verkündigte ihnen Christum^ den Herrn!
Cf. L. Tobiae c. 14, 8—10: „Die Völker werden ihre Götzen
verlassen und nach Jerusalem kommen und Wohnung nehmen
daselbst . . . Dort werden sie anbeten den König Israels.''
Der Apostel Jacobus erwähnte auf der Kirchenversammlung
zu Jerusalem (ca. 52 nach Christus): „Moses hat von alten-
Zeiten her in den einzelnen Städten seine Verkündiger in den
Synagogen, wo er jeden Sabbat vorgelesen wird." L.c.c.l5.,v.21,
Zu diesen Vorlesungen gehörte auch die Verheissung: „Einen
Propheten wie mich, wird der Herr, dein Gott, aus deinem
Volke und aus deinen Brüdern erwecken : Ihn sollst du hören /^
Libri Deuteronomii c. 18, 15. Vgl. Evgl. S. Matthaei c. 17, 5;
S. Johannis c. 5, 46—48; c. 6, 14; Actus Apostolorum c. 3, 22;
c. 7, 37.
Faktisch bildete die Synagoge im römischen Reiche den
Übergang zur Predigt an die Heiden. Cf. Assemani „Biblio-
thecae Orientalis" I, Pag. 10, 267, 218. sq., Romae 1719, 1728.
Zur ganzen Abhandlung ist zu vergleichen das Breve
Plus X. „Quoniam in re biblica", vom 27. März 1906, welches,
mit Bezugnahme auf die Encyclica Leo XIII. „Providentissimus
Deus", d. d. 18. November 1893 „de Studiis Scripturae Sacrae",
über das Studium der hl. Schriften sich eingehend verbreitet . . :
„Im alten Testamente sind, unter Berücksichtigung der Er-
gebnisse der neueren Forschungen, namentlich die Chronologie
und die Beziehungen des hebräischen Volkes zu den anderen
orientalischen Völkerschaften zu behandeln."
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Verzeichnis der Literatur.
1. Apuleji „De Mundo" (irepi köcJihou). Editio Hildebrand, Leipzig 1874.
2. Aristotelis „Metaphysica". Edit. Dübner, Paris 1874.
3. Assemani „Bibliotheca Orientalis". Romae 17 19, 1728.
4. Augustini „De civitate Dei", Edit. Dombart, II. Auflage Leipzig 1894.
5. Commentar dazu d. a. 161 3, Paris, Augustiner- Kloster.
6. Bardenhewer „Patrologie". Freiburg, Br., 1894.
7. Biblia Hebraica edidit Hahn, Leipzig 1899.
8. Vetus Testamentum secundum LXX. interpretes edidit V. Loch,
Regensburg 1899.
9. Deutsche Übersetzung der hl. Schrift des alten und neuen Testamentes
von Loch und Reischl. Neue illustrierte Ausgabe. Regensburg 1885.
10. Petri Bembi, Cardinalis, Opera. Argentorati 1609.
11. Ciceronis Opera edidit Goethe* Lipsiae 1887.
12. Caesaris „De Bello Gallico". . Ed. XV. Dittenberger. Berlin 1890.
13. Demosthenis „Oratio de Corona" edit. Harless. Leipzig 18 14.
14. Diodori Siculi „Bibliotheca Historica" edit. Eichstaedt, Halis Saxo-
num 1800.
15. Drerup „Homer'^. München 1903.
16. Eüsebii „Historia Ecclesiastica" ed. Laemmer, Schaffhusiae 1862.
1 7. Eschejaburg „Handbuch der klassischen Liteiratur" Berlin und Stettin 1 787.
18. Flavii Josephi Opera Omnia ed. Franz Oberthür. Lipsiae 1785.
19. Gockel „Das Gewitter". Cöln bei Bachern 1905.
20. Gerhard Voss „De theologia gentili". Amstelodami 1641.
21. Hagelüken „Die katholische Kirche als Erhalterin und Beförderin von
Kunst und Wissenschaft". Erfurt 1869.
22. Hinrichs „Griechische Epigraphik". Berlin 1894.
23. Herodoti Opera. Ed. Abicht. Leipzig 1876.
24. Hoberg „Die Genesis nach dem Literal-Sinne erklärt". Freiburg,
Breisgau, 1899.
25. Hoberg „Moses und der Pentateuch" 1 905. „Die Pentateuch-Frage" 1 907.
26. Homeri Opera. Ed. Ameis. Leipzig 1900.
2']. Horatii Opera. Edit. Müller. Lipsiae 1873.
28. Hülsen, Ch., „Die Ausgrabungen auf dem Forum Romanum" (1002 bis
1904). Rom, Verlag von Loescher & Co., 1905.
29. „Jerusalem" von Graf Wartensleben. Berlin 1875.
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— 229 —
30. Koenig „Die babylonische Gefangenschaft der Bibel". Stuttgart 1905.
31. Livii Opera edidit Müller. Leipzig 1888.
32. Leonhardi Coquaei, Ord. S. Augustini, „De civitate Dei" Parisiis 161 3.
Folio.
33. Lucani „Pharsalia". London 1900.
34. Mureti Opera cum brevi annotatione Davidis Ruhnkenii. Lipsiae 1834.
35. Nepotis Comelii Opera edidit Lupus. Berlin 1879.
36. Nikel „Die Genesis und die Keilschrift- Forschung". Freiburg, Breis-
gau, 1903.
37. Opera von Alexander Baumgartner S. J., „Die klassische Literatur
des Altertums". Freiburg, Br., 1902.
38. Ovidii Opera edidit Polle. Leipzig 1892.
39. Pastor, Ludwig, „Leo X." (151 3 — 1521). Geschichte der Päpste seit
dem Ausgange des Mittelalters. Freiburg, Br., bei Herder 1906.
40. Piazza, Dalla, Abbate „Latina Dantis Aligherii Operum Versio" edidit
Carolus Witte. Lipsiae 1848.
41. Piatonis Opera Editio Societatis Bipontianae 1784.
42. Plutarchi Opera edidit Bemardakis. Lipsiae 1902.
43. Quintiliani Opera edidit Friege. New- York 1889.
44. Reinhard „Emmanuel" und „Odysseus im Lichte christlicher Anschau-
ung". Heiligenstadt 1899, 1892.
45. Sadoleti, Cardinalis, Opera edidit Constantius. Romae 1749.
46. Seitz, Anton, „Christuszeugnisse aus dem klassischen Altertum".
Cöln a. Rh. bei Bachem 1906.
47. Sittl „Geschichte der griechischen Literatur". Leipzig 1884.
48. Stiefelhagen „Spuren der Uroffenbarung". Eupen 1857.
49. Symons „Germanische Heldensage". Strassburg 1898.
50. Taciti Opera edidit Wolff. Beriin 1886.
51. Terret „Plomere". Paris 1899.
52. Thiele, Richard, „Das Forum Romanum" mit besonderer Berücksich-
tigung der neuesten Ausgrabungen (1889 — 1903). Erfurt 1904.
53. Tranquilli Suetonii Opera edidit Roth. Lipsiae 1893.
54. Virgilii Opera edidit Ladewig. Berlin 1884.
55. Wilamowitz-Moellendorf „Philologische Untersuchungen". Berlin 1884.
56. Weiss, Hugo, „Moses und seine Zeit". Freiburg, Br., bei Herder 1885.
57. Xenophontis Opera, edidit Sorof. Leipzig 1897, bei Teubner.
58. York (New-) Klassiker- Ausgaben 1889.
59. Zamagna, Bemardo, „Hesiodi Opera Omnia". Parma 1785.
60. Zapletal, P. Ordinis Praedicatorum „Der Schöpfungsbericht". Freiburg
Schweiz, 1902.
Andere benützte Quellen sind im Buche selbst noch angegeben.
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Corrigenda.
Zur Ergänzung von Seite 119, 122 und 125 dienen nachstehende
Verse aus Hesiod, welche eine Beschreibung des Tartarus als Kerker der
Giganten enthalten:
Heic terra et pontus coelumque et Tartarus ipse
Accipiunt fontes extremaque littora signant
Squallida, dis invisa; ingens patet intus hiatus,
Nee quisquam subiens toto contingeret anno
Suppositi pedibus sola fundi huc actus et illuc
Vertici praecipiti ac violento turbinis aestu:
Monstrum horrendum, ipsis visu admirabile divis
Scilicet est: noctis sedes obscura soporae
Caligatque umbris nimbisque furentibus horret.
Dort hat die Erde und auch des Tartarus nächtliche Tiefe,
Das unfreundliche Meer und der stemenbekleidete Himmel —
Alles hat da nach der Reihe Beginnen zugleich und Vollendung:
Widrig mit Moder bedeckt, selbst ewigen Göttern ein Abscheu!
Tief ist der Schlund; ja selbst nicht in einem vollendeten Jahre
Könnte, wer hier eindringt, mit Füssen den Boden gewinnen.
Wohl aber hierhin und dorthin verschlüge die tosende Windsbraut
Ihn mit Gewalt; denn furchtbar ist selbst unsterblichen Göttern
Solch ein Schauder: der einsamen Nacht abschreckende Wohnung
Steht allda, umzogen von dunkelblauem Gewölke.
Sei
ite IX, Zeile 7 von unten lies: H. Grimme.
17, „ 12 von oben, lies: coelum für coleum.
20, „ 9 von oben, lies: Editio, besser als Edito, sc. libro.
87, „ 20 von oben, lies: \'va |laiv, statt Vva n€v.
89, „ 8 von unten, lies: Anaximenes.
93, „ 8 von oben, lies: ligavit, besser als ligarit.
118, „ 10 von oben, fehlt der Akzent: ^k(4öti|).
121, „ 19 von oben, lies: virtutem.
126, „ 4 von unten: elvoaCqpuXXov = ein Wort.
162, „ 9 von unten, lies: Thermometer.
168, „ 22 von oben, lies: consilium.
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— 231 —
Seite 170, Zeile 2 von oben, lies: juvent statt jurent.
„ 178, „ 10 von unten, lies: Den Griechen usw.
„ 193, „ 10 von unten, lies: die Bande seiner Begierden.
„ 198, „ 15 von unten, lies: In diesen Schreiben.
„ 205, „ 7 von oben, lies: (ca. 536 a. Chr.).
„ 205, „ 14 von oben, lies: (224 — 187 a. Chr.).
„ 206, „ 2 von unten (Text), lies: achtmonatUche Busse.
„ 206, „ 10 von oben: Bibbia, besser als: Biblia.
Das Wort: Jehovah wird teils mit h, teils ohne h am Schlüsse
geschrieben. Beide Schreibweisen sind üblich.
Andere kleinere Versehen wolle der gütige Leser selbst verbessern.
Ratschläge imd sachliche Bemerkungen werden erbeten und mit
Dank angenommen.
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Inhalts- Verzeichnis,
Seite :
Vorwort zur I. Auflage V — VII
Vorwort zur IL Auflage VIII— XX
Erster, grundlegender oder allgemeiner Teil.
Die Uroffenbarung i — 6
Die Entstehung des Heidentums 7 — 23
Die Beschäftigung der Theologie mit der klassischen Literatur
der Vorzeit ist uralt 24 — 54
Die hl. Schrift, zunächst die 5 Bücher Moses (Pentateuch),
gehört zu den vorzüglichsten und ältesten Büchern
der Welt 55—02
Zweiter, oder spezieller Teil.
1. Die Schöpfung 83 — 114
2. Der Engel Sturz 114 — 131
3. Die Sündflut 131 — 148
4. Der Himmelsbesuch bei Abraham und Sara 148 — 158
5. Josuas langer Tag 158 — 166
6. Der Raub der Sabinerinnen verglichen mit einem Vorgange
aus der Zeit der Richter 167 — 173
7. Seila, die Tochter des Jephte und Iphigenia, die Tochter
des Agamemnon 173 — 189
8. Samson und Herkules 189 — 197
9. Der Uriasbrief des Königs David 197 — 206
IG. Die Reise des Erzengels Raphael mit Tobias .... 207 — 212
11. Achior das Haupt der Ammoniter 212 — 218
12. Der Prophet Daniel in Babylon 219 — 22^
Verzeichnis der Literatur 228 — 229
Corrigenda (Verbesserungen) . 230 — 231
Alle Rechte vorbehalten.
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Die Beziehungen des klassischen
Altertums zu den hl. Schriften
des Alten und Neuen Testamentes.
Für die Freunde der antiken Literatur
aus den Quellen dargestellt
Michael KröU,
Pfarrer a. D. zu HOnningen a. Rh.
Zweiter Band.
Zweite, vollständig umgearbeitete und vermehrte Auflage.
BonO;
Carl Georgi, Universitäts-Buchdruckerei und Verlag
1910.
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J.-Nr. 3254.
Imprimi permittitur.
Cöln, am 6. Juli 1909.
Das Erzbischöfliche General- Vikariat :
(L. t S.) Dr. Kreutzwald.
Alle Rechte vorbehalten.
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Dem Andenken
der verstorbenen Hoch würdigen Herren Dechanten:
Pfarrer Jacob Gomm
(Waldbreitbach-Cunostein-Engers)
und
Pfarrer Heinrich Kroll
(Kyllburg- Wittlich)
in treuer Verehrung gewidmet.
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Vorwort zum IL Bande.
„De Sion exibit lex et verbum Domini de Jerusalem!"
„Von Sion aus wird das Gesetz ergehen, und des Herrn Wort
von Jerusalem!** Isaiae Pr. 3, 2. „Non erit alia lex Romae,
alia Athenis, alia nunc, alia posthac, sed et omnes gentes et
omni tempore una lex sempitema et immutabilis contineblt,
unusque erit communis quasi magister et imperator omnium:
Dens!'' Ciceronis „de re publica" 1. III, 22. Und nicht mehr
wird ein anderes Gesetz in Rom herrschen, ein anderes zu
Athen, ein anderes für die Gegenwart, ein anderes für die
Zukunft, sondern alle Völker zu allen Zeiten wird ein Gesetz
ewig und unwandelbar umfangen, und es wird über alle gleich-
sam nur ein Lehrer und Herrscher walten: Gott! (Cfr. Evangelii
S. Matthaei c. 28, 19 und 20.)
Das Volk Israel war von Gott berufen, Träger seiner
Offenbarung zu sein, dieselbe rein zu bewahren, das Reich der
Gnade anzubahnen und später alle Völker mit dem messia-
nischen Segen zu beglücken. (Genesis 12, 18; Actus Aposto-
lorum 3, 25.) Für diese welthistorische Aufgabe hatte Jehovah
seinem Volke auch einen vorzüglich geeigneten Wohnplatz
verliehen: das Land Kanaan oder Palästina. Sowohl dessen
geographische Lage als auch seine physische Beschaffenheit
(1. Exodi 3, 8) lassen die höhere Bestimmung sehr leicht er-
kennen. Eine gewisse Abgeschlossenheit neben der Möglichkeit
eines leichten Verkehres mit dem Auslande war im gelobten
Lande auf eine wunderbare Weise vorhanden. Die Abge-
schlossenheit Kanaans liegt in seiner geographischen Läge, in
der Begrenzung durch dsis Mittelländische Meer, die Sand wüsten
und hohe Gebirge. Ein leichter Verkehr aber ist durch die
nahe Verbindung mit Ägypten und Phöniziea sowie durch
beide auch mit Griechenland und Italien an die Hand gegeben.
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VI
Solange nun das Volk Israel eine gewisse Anhänglichkeit
an den Götzendienst zeigte und flir seine höheren Zwecke
nicht genügend eingeschult war, kam ihm seine strenge Ab
sonderung und Abgeschlossenheit von den übrigen Völkern
sehr zugute. Wohl waren noch Kanaaniter im Lande ansässig,
drohten oftmals im Osten die Ammoniter und Moabiter, im
Süden die Edomiter upd Amalekiter, im Südwesten die Philister
und im Nordosten die Syrer; jedoch waren dieselben alle zu-
sammen nicht stark genug, das Volk Gottes zu überwältigen.
Sie dienten vielinehr in der Hand Gottes nur als Zuchtrute,
um den Ungehorsam der Juden und ihren Abfall von Jehovah
zu bestrafen. Wäre ab^r Israel schon in früheren Zeiten seinem
Bestandes in das Völkergewoge hineingedrängt worden, wiej
später nach der babylonischen Gefangenschaft (606—535
a. Chr.), so hätte es wahrscheinlich seinen Glauben an den
einen und wahren Gott verloren. So aber schirmten es natür-
liche Grenzen vor dem gefährlichen Einfluss aus Ägypten und
Babylon her. Im Norden war es durch den Libanon abge-
schlossen, im Osten und Süden durch die syrisch arabische
Wüste und im Westen durch das hafenlose Meer. — Jedoch
andererseits forderte der Beruf des auserwählten Volkes eine
Welistellung inmitten der Kulturvölker des Altertums. Es
hatte nämlich die Verheissung erhalten, dass es ausbrechen
werde zur Rechten und zur Linken, seine Name Israel solle
die Heiden beerben, und die Reiche, welche ihm nicht dienen
würden, müssten zugrunde gehen und vernichtet werden.
(L. Deuteronomii c. 26, 17—19.) Gott, der Herr, sagt (Ezechielis
Prephi., c. 5, 5; c. 38, 12): „Ich habe Jerusalem mitten unter die
Völker gesetzt und Länder rings um sie her/' und „Israel
wohnt auf dem Nabel (d. i. auf der Mitte) der Erde/' (Cfr.
Odysseos 1. I, 50.) So nach dem hebräischen Texte. —
Palaestina bildete eine natürliche Brücke zwischen den drei
Weltteilen: Asien, Afrika und Europa. Gottes Vorsehung
leitete die Geschichte derart, dass die Israeliten der Reihe
nach mit allen Kulturvölkern der antiken Welt in Berührung
kamen : mit den Ägyptern, Phöniziern, Assyriern, Babyloniern,
Medem, Persern, Griechen und Römern. Unweit Kanaans war
die Landenge gelegen, welche damals Asien mit Afrika ver-
band (jetzt: Kanal von Suez), und von da ist Ägypten nicht
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vn
mehr fem. Durch das Mittelmeer hin konnte man nach drei
Weltteilen zur See reisen. Nordwestlich wohnten die see-
kundigen und handelstüchtigen Phönizier. Das Rote Meer
öffnete im Süden den Weg nach dem glücklichen Arabien,
nach Indien, nach Afrika (Ophir, das heutige Sofala) und rund
um Afrika hin nach Spanien (Tartessus = Tharsis). Nach dem
Nordosten gingen die Karawanen in die Euphrat- und Tigris-
länder, und nach dem Osten in den Persischen Meerbusen.
So war allen Mächten der damals bekannten Welt ein Zugartg
zu dem wahren Lichte und der wahren Religion geöffnet.
Auch konnten die Juden, besonders nach ihrer Auswanderung
nach Assyrien und Babylon sowie später unter Alexander dem
Grossen nach Griechenland und Italien, den Namen Jehosrahs
und die messianischen Weissagungen weithin bekannt machen,
und so dem Evangelium die Wege bereiten. (1. Tobiae c. 13, 4.)
Vgl. „Die Altertümer der Bibel« von Prof. B. Schaefer §3.
Zudem waren die Erlebnisse derselben und ihre Helden-
taten so ausserordentliche, dass sie die Aufmerksamkeit der
Nachbarländer in hohem Grade erregen mussten. Der phäno-
menalen Gesetzgebung auf Sinai folgte die Errichtung des
nationalen Heiligtums, die Konstituierung des Gottesdienstes,
die Begründung des Priestertums und die Einrichtung des
Königstums von Gottes Gnaden. Unter dem Segensstrahle
dieses wunderbaren Fünfgestirns, aufgegangen an dem sonnen-
losenHimmel einer gottes- undgnadenarmenHeidenwelt,erkämpf te
sich Israel seine Landesmacht in langjährigem Ringen mit den
streitbaren Söhnen Kanaans und krönte sein Siegeswerk mit
den stolzen Zinnen Sions. Und eine solche Menschenherrlich-
keit sollte nicht die Grenznachbarn und die Inseln des Meeres
in ihren Kreis gebannt, nicht den Gigantenschatten auf ganz
Hellas und selbst Italien geworfen haben? Alles dies vollzog
sich zu einer Zeit, in welcher anderwärts die Grosstat völlig
ruhte. Wo kreuzten denn die Völkerpfade im grauen Alter-
tume, wenn nicht in Kanaan?
Von Sidon und Tyrus bis zu den Säulen des Herkules
(Gibraltar und Ceutä) und den Silbergruben von Tartessus
(Tharsis in Spanien) diente Insel für Insel zum Stapelplatze
der ältesten Schützlinge Mercurs, welche für ihre Handels-
fahrten durch Signale und Leuchtfeuer selbst den Nächtkurs
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vm
sich gesichert hatten. Nicht eine Urstätte findet sich in
Griechenland, welche keine Spuren zeigte von Phöniziern.
Wozu bedarf es noch der Namen : Orchomenos und Theben,
.Tiryns, Argos und Mykene? Hatte doch das umsichtige
Handelsvolk gerade an den böotischen, argolischen und lako-
nischen Gestaden die Purpurschnecke vorgefunden, als die
Ausbeute an den heimischen Gewässern der ausgedehnten
Fabrikation nicht mehr gentigte. Andererseits stiess der
israelitische Verkehrsweg unter dem Könige Salomo vom
Roten Meere (Ezeon-Geber) über Jerusalem und Damaskus bis
an den Euphrat (Tapsacus) direkt an die grosse ostasiatische
Handelsstrasse 1). Die von David nämlich eingeleitete Blüten-
periode des hebräischen Volkes erreichte unter Salomo ihren
Höhepunkt. Eine bis zur Gegenwart erhaltene Überlieferung
ist in gutem JRechte, wenn sie dem Könige Salomo das Prä-
dikat „des Weisen" beilegte und seine Gestalt in Sage und
Spruchdeutung häufig als Vorbild der Weisheit anwendete.
Salomo stand zweifellos auf der Höhe der semitischen Kultur,
Auch wenn wir von dem göttlich inspirierten Charakter seiner
Schriften absehen, so dürfen wir doch die Behauptung auf-
stellen, dass er die geistigen Errungenschaften der semitischen
Kultur von den Grenzen Äthiopiens bis zu den Ostmarken
Chaldaeas sein eigen nennen konnte. Der König, welcher
jenen berühmten Tempel in Jerusalem baute, welcher am
Rande der Wüste, an der Karawanenstrasse vom Roten Meere
über Sion und Damaskus die Palmenstadt Palmyra schuf,
dessen Schiflfe von dem Hafen Ezeon-Geber aus nach Tharsis
und Ophir gingen, beherrschte das Wissen und künstlerische
Können seiner Zeit in vollem Masse.
Von ihm sagt die hl. Schrift: „Salomo ward erhaben über
alle Könige an Reichtum und Herrlichkeit. Und alle Könige
der Erde suchten das Antlits Salomos su sehen, und die Weis^
heit SU vernehmen, welche Gott in sein Hers gelegt hatte. Er
besass auch die Herrschaft über alle Könige vom Strome
Euphrat bis zum Lande der Philister und bis an die Grenzen
von Ägypten. Und sie brachten ihm Geschenke: silberne und
goldene Gefässe, Kleider und Waffen, Gewürze, Pferde und
^) Vgl. ,,Hefcules redivivus" von Prof. Joseph Schreiner, Seite 24.
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IX
Maultiere, alle Jahre hindurch." (II. Paralipomenon c. 9, 21— 27
sowie lU. Regum c. 4, 41.)
Ausführlich wird daher beschrieben, wie Balkis, eine Königin
im ferien Saba (Arabien), mit feierlichem Gepränge nach
Jerusalem reiste, um die Weisheit Salomos zu hören: „Selbst
die Königin von Saba, als sie Salomos Ruf hörte wegen des
Namens des Herrn^ kam, um ihn auf die Probe zu stellen
durcfti Rätsel. Und einziehend in Jerusulem nebst grossem
Gefolge und Reichtum und Kamelen, welche Gewürze und un-
zähliges Gold sowie kostbare Edelsteine trugen, kam sie zum
Könige Salomon und sprach zu ihm alles, was sie in ihrem
Herzen hatte. Und Salomon erklärte ihr alle Worte, welche
sie vorlegte, und es war keine Frage, die dem Könige un-
bekai^nt war, und welche er 'derselben nicht beantworten
konnte. Als aber die Königin von Saba alle die Weisheit
Salomons gewahrte, und das Haus, welches er gebaut, und
die Opfer, welche er im Hause des Herrn darbrachte, da war
sie aussef Fassung und sprach zum Könige: „Wahr ist das
Gerücht, welches ich in meinem Lande gehört habe; grösser
aber ist deine Weisheit und deine Werke, als der Ruf, den ich
vernommen habe." „Gepriesen sei der Herr, dein Gott, welcher
an Dir {sein) Wohlgefallen hat und dich auf Israels Thron
setste; weil der Herr Israel allezeit liebt und dich sum Könige
machte, damit Du übest Recht und Gerechtigkeit^ (III. Regum
c. 10, 1-11.)
Aus diesem Berichte geht zur Genüge hervor, dass in
den Tagen des Königs Salomo (1015—975 a. Chr.) Jerusalem
das Ziel der Wanderungen vieler Gebildeten jener Zeit war.
Daselbst erhielten sie Kunde von dem Namen des Herrn, und
sie lernten die Religion der Juden kennen. Mit Recht verkündigt
deshalb der Prophet Isaias: „Und es wird der Berg des Hauses
Gottes (in Sion) sich erheben über alle Hügel, und hinströmen
werden zu ihm die Nationen. Und viele Völker werden zu
ihm hingehen und sagen: Kommet und lasset uns hinangehen
zum Berge des Herrn und zu dem Hause des Gottes Jacobs. Er
wird uns lehren seine Wege, und wir wollen wandeln auf seinen
Pfaden: denn von Sion aus geht das Gesets und des Herrn
Wort von Jerusalem!'' (Isaiae prophetae II, 2 — 4.)
Als nun in späterer Zeit die Herrlichkeit der Salomonischen
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Regierung verschwunden und das ungeteilte Königreich in
zwei sich bekämpfende Staaten geschieden war, da diente
selbst eine schliessliche Wegftihrung derselben in die assyrische
(a. 722) und babylonische (a. 606 a. Chr.) Gefangenschaft noch
als Mittel der Vorsehung Gottes, das israelitische Volk seinem
welthistorischen Berufe entgegenzuftihren. Es wurde Träger
der Offenbarungen Gottes bis in das fernste Asien, selbt bis
nach China hin. In dem Werke des chinesischen Plato : Laot-
seu, welches den Titel „Tao-te-King" (liber de ratione et vir-
tute: über Vernunft und Tugend) hat, findet sich folgende
merkwürdige Stelle: „Wie eine welkende Pflanze nach dem
Tau und Regen des Himmels sich sehnt, so verlangen die
Völker nach einem Heiland und Erlöser." Hierin liegt ein
Anklang an den Spruch des Propheten Isaias: „Rorate coeU
desuper et nubes pluant justum: aperiatur terra et germinel
Salvatorem!" (C. 45,8.) „Tauet, Himmel! aus der Höhe, und
Wolken! regnet den Gerechten; auf tue sich die Erde und
lasse erblühen den Heiland!" — Mit der Wegführung nach
Assyrien und Babylon hing auch eine Auswanderung der
Juden nach Ägypten zusammen, wo sie eine starke Kolonie
bildeten. Als nun im sechsten Jahrhundert vor Christus
Pythagoras, in den folgenden Plato, Aristoteles, Heka-
taeus von Milet, Herodot, Archytas, ApoUonius von Rhodus,
Diodorus von Sizilien, Strabo und noch andere nach dem
Orient und besonders nach Ägypten sich begaben, um
den Kreis ihres Wissens zu erweitern, da konnten die lange
zuvor daselbst eingewanderten Juden mittelbar oder unmittel-
bar auf jene wissensbegierigen Männer einwirken. Die
Schriften derselben tragen auch unverkennbare Spuren davon
an sich. Von Plato z. B. sagt S. Justinus („Cohortationis ad
Graecos" n. 25), er habe in Ägypten vieles aus den Schriften
des Moses und der Propheten gelernt. Er beweist dies sodann
an mehreren Parallelstellen und bemerkt zu Piatons „Timaeus"
c. 37, d.: hier werde Gott als tö öv „Der da ist" bezeichnet.
Dies ist eine wörtliche Übersetzung von dem hebräischen
Worte: r.'yr (1. Exodi III, 14). Solche bündige Ausdrucksweise
habe Plato von Moses entlehnt ; aber scheuend den Giftbecher
seines Meisters Socrates, habe er den Namen des Moses nicht
genannt, sondern nur angedeutet. Dieser Ansicht sind auch
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XI
Theodoret, Clemens und Cyrillus von Alexandrien sowie andere.
Clemens Alexandrinus stellt im ersten Buche seiner Stromata
die Behauptung auf, in Ägypten sei lange Zeit vor der Ab-
fassung der Septuaginta schon der Pentateuch (^die fünf Bücher
Mosis") in die griechische Sprache übersetzt gewesen, so dass
Plato sich die Kenntnis desselben habe verschaffen können. —
Josephus Flavius erzählt in seinem ersten Buche contra Apionem
c. 22, dass Aristoteles, ein Schüler des Plato, einst mit einem
jüdischen Gelehrten zusammengekommen sei und mehr Weis-
heit von diesem gelernt habe, als er demselben habe mitteilen
können. Die Stelle lautet nach dem Berichte des Klearchus,
welcher ein Schüler des Aristoteles war, wie folgt: „Ich kam
einmal mit einem morgenländischen Philosophen zusammen
(Aristoteles wird redend eingeführt), welcher seiner Abstam-
mung nach ein Jude aus Coelesyrien war. Diese Männer
leiten ihren Ursprung von den Indiern (Chaldaeern) ab und
werden bei den Indiern „Kalanen", bei den Syriern aber
„Juden" genannt, indem sie ihren Namen von der Heimat
führen. Deis Land nämlich, welches sie bewohtien, heisst Judäa.
Ihre Hauptstadt aber hat den schwer auszusprechenden Namen:
Jerusalem. Dieser Gelehrte war aus den oberen Gegenden
zur Meeresküste gekommen und sprach nicht nur griechisch
sondern besass auch griechische Bildung. Zufällig verweilte
ich damals in Asien und traf ihn in einer Hafenstadt mit noch
anderen, welche Schüler der Philosophie waren, und suchte
sie auf die Probe zu stellen. Aber da zeigte sich, dass
jener, — sehr gewandt in der Unterredung mit gelehrten
Männern, — uns bedeutend mehr bieten konnte, als wir dem-
selben an Weisheit mitzuteilen vermochten." (De Somno 1. 1.)
Der berühmte Geschichtschreiber Hekataeus von Milet
(ca. 549—477 a. Chr.) hat uns eine wissenschaftliche Unter-
haltung, welche er mit dem Hohenpriester Ezechias von Jeru-
salem führte, in seinem Buche „Über die Juden" hinterlassen.
„Dieser Hohepriester", sagt er, „war ein Mann von 66 Jahren
und besass grosses Ansehen bei seinem Volke. Ihn zierte ein
nicht gewöhnlicher Grad von Weisheit und Redekunst sowie
eine umfassende Bildung. Obgleich er ein so hohes Amt be-
kleidete, erwies er sich uns (Griechen) dennoch sehr gütig und
erklärte uns in Gegenwart der Seinigen den ganzen Unter-
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schied der Religionsanschauung zwischen Juden und Griechen,
die Heimat der Juden, ihr Land und die bürgerliche Verfassung
derselben, welche er aufgezeichnet hatte." Hekataeus rühmt
femer den Gesetzeseifer der Juden, und dass sie bereit seien,
lieber alles zu erdulden, als die väterlichen Satzungen zu
übertreten. (Flavii Josephi „Contra Apionem" 1. I, c. 22.)
Ein wie grosses Interesse man aber hatte, die Gesetze
der Juden sich zu verschaffen und die Kenntnis derselben zu
gewinnen, beweist die Gesandtschaft des Königs Ptolemaeus
Philadelphus aus Ägypten an den Hohenpriester Eleazar (ca.
280 a. Chr.), um die Übertragung der jüdischen Thora in die
griechische Weltsprache zu veranlassen. (Flavii Josephi „ Antiqui-
tatum" 1. XII, c. 2.) Nachdem diese vollzogen war, erhielt sie
einen Ehrenplatz in der königlichen Bibliothek zu Alexandrien;
auch wurden unzählige Abschriften davon verbreitet, welche das
Verlangen aller Wissbegierigen erregten. — Im römischen
Reiche sah sich die Obrigkeit durch die Klagen der Juden
veranlasst, die hl. Bücher derselben durch ein Staatsgesetz
in öffentlichen Schutz zu nehmen und dieselben vor Ent-
wendung aus den Synagogen sicherzustellen. Der Wissens-
durst der römischen und griechischen Schriftsteller ging näm-
lich so weit, dass sie sich nicht scheuten, selbst auf unredliche
Weise sich die Gesetze der Juden zu verschaffen. Ähnliche
Vorfälle ereignen sich noch in der Gegenwart. Mitunter hört
man davon, dass wertvolle Handschriften und seltene Bücher
aus den öffentlichen Bibliotheken verschwinden, um in den
Privatbesitz von Unberechtigten überzugehen. — Der Erlass
des Imperators zu Rom hat folgenden Wortlaut: „Der Kaiser
Augustus, Pontifex Maximus, mit Tribunengemalt , tut hiermit
kund und su wissen: In Erwägung, dass das jüdische Volk
nicht bloss in der gegenwärtigen Zeit, sondern auch schon
früher, besonders zur Zeit meines dahingeschiedenen ( Adoptiv-)
Vaters, des Imperator Caesar, dem römischen Volke stets seine
Ergebenheit bewiesen hat^ so hat es mir und meinen ver-
eideten Räten nach eingeholtem Gutachten des römischen
Volkes gefallen, zu bestimmen, dass die Juden bei ihrem eigenen
Gesetze und herkömmlichen Einrichtungen zu belassen sind,
so wie es auch zur Zeit des Hohenpriesters Hyrkanus gehalten
worden ist; dass ferner ihre Tempelgelder nicht angerührt
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werden dürfen, sondern, dass dieselben ungeliindert • nach
Jerusalem gesandt und an die dortige Ksisse abgeliefert werden
können, und endlich, dass sie am Sabbat oder dem vorher-
gehenden Rtisttage von der neunten Stunde an (nachmittags
3 Uhr) nicht mehr zu gesetzlichen Verhandlungen herangezogen
werden sollen. Wird jemand bei Entwendung ihrer heiligen
Bücher oder Gelder aus dem Sabbathause oder Männersaale
betroffen, so soll er als Tempelräuber behandelt und seine
Güter als Eigentum des römischen Volkes erklärt, werden.
Der mir abschriftlich eingehändigte Beschluss, welchen sie
wegen meiner Milde gegen das ganze menschliche Geschlecht
und in Anbetracht der Verdienste des C. Marcius Censorinus
gefasst haben, soll zugleich mit dieser Verfügung in dem viel-
besuchten Heiligtume, das sämtliche asiatische Gemeinden mir
in Ancyra (Galatien; jetzt: Angora) geweiht haben, angeschlagen
werden. Zuwiderhandlungen gegen diese Verfügung sind mit
schweren Strafen su büssen/' (Flavii Josephi „Antiquitatum**
1. 16, 6.) Zwar verletzte die Abgeschlossenheit der Juden den
Stolz der wissenskundigen Griechen und der weltbeherrschen-
den Römer; das hinderte dieselben jedoch nicht, den heiligen
Schriften und Gebräuchen der Israeliten ihre Aufmerksamkeit
zu schenken. So sagt z. B. Juvenal in seiner 14. Satire,
Vers 96 fr.:
^Quidams ortiti metuentem sabbata patrem,
Nil praeter nubes et coeli numen adorant,
Nee distare putant humana carne suillam,
Qua pater abstinuit, mox et praeputia ponunt.
Romanas autem soliti contemnere leges
Judaicum ediscunt et servant et metuunt jus,
Tradidit arcano quodcunque volumine Moyses."
Manche haben zum Vater den Sabbathüter erhalten:
Nichts als Wolken und Gottheit des Himmels beten sie an.
Schweinefleisch ist gleich Menschenfleisch ihnen zuwider.
Weil ihr Vater solches nicht isst ; bald nehmen sie auch die
Beschneidung.
Römische Satzungen zwar zu verachten sind sie gewöhnt;
Jüdisches aber Gesets sie lernen, sie halten, sie fürchten,
Das in uraltem Buche einst Moses hat überliefert.
Nachdem wir dieses alles vorausgeschickt haben, wollen
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XIV
wir dlizu übergehen, eiiiige merkwürdige Sentenzen der
griechischen und römischen Klassiker mit den Aussprüchen
der lieiligen Schrift zu vergleichen und hierauf näher zu be-
sprechen mit Rücksicht auf das Alter ihrer Entstehung, sowie
ihrer inneren und äusseren Verwandtschaft. Bei dem Wissens-
eifer nämlich der klassischen Schriftsteller des Altertums kann
es nicht wundernehmen, dass sie auch die Weisheitssprüche
der Bibel sich zu eigen mächten, welche ihnen durch die Neu-
heit und Merkwürdigkeit des Inhaltes hierzu passend erschienen.
Gelegenheit, dieselben kennen zu lernen war seit dem fünften
Jahrhundert vor Christus schon verbanden. (Vgl. S. X fF,)
Hönniugen (Rhein), am hl. Pfingstfeste, den 30. Mai 1909.
Der Verfasser.
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Aussprüche der hl. Schrift
und der alten Klassiker.
Vgl. I. Band Seite 83 flgd.
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II. Aussprüche der hl. Schrift und der alten Klassiker.
Willst Gutes du und Schönes schaffen,
Das lebensvoll das Leben mehre,
Musst du dich ernst zusammenraffen,
Und darfst nicht scheun* der Arbeit Schwere.
Da hilft kein Schwärmen bloss und Hoffen,
Kein Traum von künftiger Entfaltung;
Nein, ringen musst du mit den Stoffen
Und stark sie zwingen zur Gestaltung!
Julius Hammer.
1. Arbeit und Mühe ist aUen Menschen beschieden.
Nachfolgende Stellen stimmen fast wörtlich überein: L.
Genesis III., 19: „In sudore vultus tui vesceris pane tuo!"
'Ev \bpuiTi ToO irpocTiüTTOu (Tou cpaTfi töv äprov (Tou* Im Schweisse
deines Angesichtes sollst du dein Brot geniessen!
Hesiodi ''EpTUüv Kai 'Hiiiepiliv v. 289: Tfi^ dpcTfi^ IbpwTa Geoi
TTpoTxdpoiGev fOriKav Virtutem anteire Dii voluere sudorem. Zur
Gewinnung der Tugend setzten die Himmlischen Schweiss an.
Horatii 1. I. Satirarum 9, 59—61: „Nil sine magno vita
labore dedit mortalibus". Nichts gibt das Leben ohne grosse
Mühe den Sterblichen.
Xenophontis „Memorabilium" 1. II, c. 1, 28: Tuiv övtuj^
dTaGuJV Kai KaXuiv oubtv fiveu ttövwv Kai dmineXela^ öeoi biböacTiv
dvOpunroi^' Eorum quae vere bona sunt et pulthra nihil Dii
sine labore et cura dant hominibus. Von dem, was wahrhaft
gut und schön ist, geben die Himmlichen den Menschen nichts
ohne Mühe und Sorge.
Ciceronis 1. de oratore II, c. 35: „Diligentia omnibus in
rebus plurimum valet. Haec praecipue colenda est nobis, haec
semper adhibenda, haec nihil est quod non assequatur". Fleiss
Kr 011, Die Bezieliungen des. klass. Altertums zu den Jil. Schriften. i
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— 2 —
vermag sehr viel in allen Dingen. Diesen müssen wir besonders
pflegen und immer anwenden: durch ihn werden wir alles
erreichen.
2. Die Sinne des Menschen sind zum Bösen geneigt.
Von der allgemeinen Gesinnung des Menschen sagt die
hl. Schrift (1. Genesis c. VIII, 21): ^Sensus et cogitatio cordis
humani in malum prona sunt a juventute sua". 'H bidvoia tou
dv6pu)7TOu dTTi|LieXiö^ im rd Trovripd dK veÖTTiTO^ auTOÖ' Das Sinnen
und Trachten des Menschen ist zum Bösen geneigt von seiner
Jugend an.
Ovidius Naso (Amores 1. III, c. 4, 17) drückt dieses fast
mit denselben Worten aus: „Nitimur in vetitum semper cupi-
musque negata". Wir streben nach dem Verbotenen immer,
und begehren, was uns versagt ist.
Propertius (Cartninum 1. II, c. 22, 17): „Uni cuique dedit
Vitium natura creato". Einem jeden Menschen gab die Natur
eine Neigung zu dem Bösen.
Stobaeus (Sermonum 1. II, c. 31): TTuj^ ttcvtipöv ecrriv dv-
6pu)7TOu (pü(Ti^ TÖ (TüvoXov O quam corrupta est omnis hominum
natural Wie ist die Natur des Menschen im ganzen so ver-
dorben! .
3. Die Hinfälligkeit des irdischen Lebens.
Über die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des mensch-
lichen Lebens schreibt Jesus Sirach (Ecclesiastici c. 14, 18 sq.):
*Q^ cpuXXov GdXXov im bevbpou baaioq, m )uifev KaTraßdXXei, dXXd
bk (pu€i, oÖTU)^ T€V€d (TapKÖ^ Kai a'i|LiaTO^, f) )uifev TcXeurqi, ^repa be
Tewäxai' Omnis caro sicut foenum veterascet et sicut folium
fructificans in arbore viridi. Alia (folia) generantur et alia de-
jiciuntur: sie generatio carnis et sanguinis, alia finitur et alia
nascitur. Alles Fleisch verdorrt wie das Gras und wie ein
sprossendes Blatt am grünen Baume : einige (Blätter) fallen ab,
und andere sprossen wieder. So ergeht es dem menschlichen
Geschlechte : eine Generation sinkt zu Grabe, und eine andere
ersteht dafür. (Cfr. Isaiae prophetae 40, 6 sq.; I. Ep. S. Petri
1, 24 sq.; Ep. S. Jacobi 1, 9 sq.). Hiermit ist zu vergleichen
Homeri Iliados 1. VI, 143 sq.: Tubeibn )uieTd0u|iie Tin T€V€nv ^€€i-
vei^; o?Ti 7T€p cpuXXiüv T^veri, TOirjbe Kai dvbpuiv cpüXXa rd jnfev t'
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— 3 —
äveiLio^ X«M<i^i? X^ei, äXXd bk 6' uXti TTiXe6öu)(Ta (pu€i, fapo^ b' im-
TiTverai uipri' (bq dvbpiöv T€V€r|, f| jnfev cpiiei, f) b' dTToXriTer
Tydide magnime, cur genus percontaris?
Quäle foliorum genus, tale et hominum:
Folia quidem alia ventus hurni fundit, alia vero silva
Pullubans g^gnit, quando venit veris tempus:
Sic hominum genus, alius quidem nascitur aliud autem moritur.
Cfr. Iliados 1. XXI, v. 460-464.
Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der
Menschen:
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wann neu auflebet der Frühling:
So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes
verschwindet.
(Cfr. Simonidis Fragmenta; Musaei Effata bei Clemens
Alexandrinus Stromatum 1. VI, Pindari Carminum Pythicorum
oda VIII. in fine; Sophocles in Ajace v. 125; Euripides bei
Plutarqhus de Consolatione ; Aristophanes in Avibus v. 686;
Horatii de Arte Poetica v. 60).
Die Parallele bei Jesus Sirach stimmt mit der Darstellung
des Homer wörtlich überein; es entsteht nun die Frage: Wie
ist das zu erklären?
Man könnte sagen, dass solche allgemeine Naturbetrach-
tungen der ganzen alten Welt angehörten. Daher findet sich
jener homerische Vergleich bei so vielen klassischen Dichtern.
Vergleiche oben. Soll aber bei der wörtlichen Übereinstimmung
eine Entlehnung in Betracht kommen, so müsste dieselbe von
Jesus Sirach geschehen sein. Mag nun dessen Ankunft in
Ägypten gemäss der Vorrede zum „Ecclesiasticus** auf ca.
132 a. Chr., oder zufolge einer anderen Berechnung für 310—291
a. Chr. angesetzt werden; auf jeden Fall ist die schriftliche
Aufzeichnung der Ilias um einige Jahrhunderte früher geschehen.
Jesus Sirach machte seine Studien zu Alexandrien, wo ein
reges wissenschaftliches Leben herrschte und Homer fleissig
gelesen und erklärt wurde. Es widerstrebt daher keineswegs
dem göttlich inspirierten Charakter seiner Schrift ^Ecclesiasticus",
wenn er eine allgemeine zutreffende Naturbeobachtung aus
der Ilias des Homer entlehnt hätte. Denn alle Wahrheit ist
aus Gott: Evgl. S. Johannis 14, 6. So z. B. hindert die Annahme
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— 4 —
und Übung des arabischen Ziffern-Systems keinen Christen
in seiner religiösen Überzeugung obgleich die Araber noch
Heiden sind*).
4. Erlösung aus diesen Beschwerden.
Der gegenwärtige Zustand einer leidenden und der Hin-
fälligkeit unterworfenen Menschheit bildete schon frühe den
Gegenstand des Nachsinnens der alten Denker. Wie eine
Ahnung dämmerte es bei ihnen auf, es gebe eine Befreiung
aus demselben durch die stellvertretende Sühne Gottes. Sehr
schön sagt in dieser Beziehung der griechische Dichter Aeschylus
in seinem gefesselten Prometheus:
Ko\ TOioObe |Liöx6ou T^pina ^f\ ti npoaboKo.
TTpiv &v Geiliv Ti^ bidboxo^ tüüv (Td)v uöviuv
cpdvij GeXrjCTij t' €i^ dvaütirrov jnoXeTv
"Aibiiv KV€(p€ia t' d)ui(pi Taprdpou ßdrir
(Aeschyli Promethei vincti v. 1016—1020).
Talis molis sperare non licet finem
Ni quis Dens pro Te paratus sit
Descendat ut in Tartari domum
Vicem gerens laboris Tui particeps.
Von dieser Drangsal hoffe nicht ein Ziel, bevor
Als Stellvertreter deiner Qual ein Gott erscheint,
Bereit, für dich in Hades' unbesonntes Reich,
Zu steigen und zur finsteren Kluft des Tartarus.
Wir Christen bekennen im Symbolum: „Qui propter nos
homines et propter nostram salutem descendit de coelis; cruci-
fixus etiam pro nobis descendit ad inferos". Der wegen uns
Menschen und um unseres Heiles willen vom Himmel herab-
stieg; er wurde auch für uns gekreuzigt und stieg zur Unter-
welt. Cicero („De haruspicum responsis" c. 28, v. 62) sagt:
^Nolite id putare accidere posse . . , ut Deus aliquis elapsus
e coelo coetus hominum adeat, versetur in terra?" Haltet ihr
es nicht für möglich, dass ein Gott vom Himmel steige, die
Gesellschaft der Menschen besuche und auf Erden verweile?
Hiermit ist zu vergleichen Baruchi Prophetae c. III, v. 38:
*) Die arabischen Ziffern sind durch Gerbert von Aurillac, den spä-
teren Papst Silves ter IL, im Abendlande eingeführt worden. Zeitalter des
deutschen Kaisers Otto III. (983^1002).
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— 5 -
„Deus post haec in terris visus et cum hominibus conversatus
est". Nach diesem (in der Zeiten Fülle) wurde Gott auf Erden
geschaut und ist mit den Menschen umgegangen. (Prophe-
zeihung). Die Erfüllung berichtet Johannes (Evgl. I, 14): „Et
verbum curo factum est et habitavit in nobis." Das Wort ist
Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
Der griechische Text bei Baruch lautet: '0 9€Ö^ ineTct TauTa
^TTi Tfi^ tri^ uJcpÖTi Kai dv ToT^ dvGpiJüTTOi^ (Tuvav€(TTpd(pr|' Bei Johannes:
Kai 6 AÖTO^ (JapH 4y€V€to Kai daKrjvuxTev iv fjjiiv^)
1) Wenn nun die angeführten Erwartungen sich zumeist auf die Er-
lösung beziehen, welche mit der I. Ankunft des Heilandes auf Erden be-
gonnen hat, so besteht für uns Christen ausserdem noch die Hoffnung
auf eine Vollendung derselben, die, mittelst Weihungen und Segnungen
der Kirche angebahnt, bei der IL und glorreichen Erscheinung (Wieder-
kunft) des Herrn am jüngsten Tage sich offenbaren wird.
Dieser Sehnsucht leiht S. Paulus im Briefe an die Römer c. 8, v. ig
bis 23 folgenden Ausdruck: „Das Harren der Schöpfung wartet auf das
Kundwerden der Kinder Gottes. Denn sie ist der Hinfälligkeit unter-
worfen (nämlich durch ein Straf- Urteil Gottes: Genesis 3, 17), nicht frei-
willig, sondern um Dessen willen, welcher sie auf Hoffnung hin unter-
worfen hat. Die Schöpfung aber wird aus der Knechtschaft der Ver-
gänglichkeit erlöst werden zur Freiheit in der Herrlichkeit der Kinder
Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung seufzet und in Wehen
ist bis jetzt. (Entgegenharrend der Stunde, in welcher „«« neuer Himmel
und eine neue Erde'^ erscheinen werden. Cfr. H. Petri 3, 13). Aber nicht
allein sie, auch wir selber, die wir die Erstlinge des Geistes haben, seufzen
in uns, indem wir die Annahme zur Kindschaft Gottes erwarten : „<Äf Er-
lösung unseres Leibes^', (Erlösung unseres Leibes aus dem Banne des Tades
und der Verwesung sowie dessen Verklärung zur Geistigkeit. Cfr. I. ad
Corinthios c. 15, 51 — 58.)
Hierzu können wir die Strophe aus dem „Klage-Liede der Mutter
Gottes" vergleichen, in welchem Friedrich von Schlegel (1772 — 1829),
Begründer der wissenschaftlichen Literatur-Geschichte, sich also vernehmen
lässt:
„Es geht ein allgemeines Weinen,
Soweit die stillen Sterne scheinen.
Durch alle Adern der Natur:
Es seufzt und ringt nach der Verklärung.
Entgegenharrend der Gewährung
In Liebesangst die Kreatur."
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~ 6 —
5. Gott bedarf der menschlichen Hilfe nicht.
Gott ist vollkommen und bedarf keiner menschlichen Hilfe.
In dieser Beziehung sagt Euripides: Aeirai t^P ö 0eö^, eiirep
iai' öpGuj^ 6€Ö^, oubevö^* Egel namque Deus, si vere est deus,
Nullius rei. In dem Begriffe des wahren Gottes liegt es ein-
beschlossen, dass er keiner Sache bedarf. (Herculis furentis
V. 1345).
Ganz ähnlich spricht David im 15. Psalme, Vers 2: ETira
Tiü Kupiip : Küpiö^ jLiou et aO, 8ti tuiv dTaOi&v iiiou ou xP^iciv ^x^K'
Dixi Domino: Deus meus es tu, quoniam bonorum meorum
non eges. Ich sprach zum Herrn: Mein Gott bist du; denn
meiner Güter bedarfst du nicht!
D^r Mensch dagegen, aus dem Staube der Erde erschaffen,
erscheint hilflos und beschwert. So sagt Socrates in den
„Wolken" des Aristophanes v. 232: 'AXX* f) Tn ßW ^^»^^i irpö?
auTf|v Tf|V iK)uidba rf]^ cppovribo^'
Terra autem vi
Ad se trahit mentis acumen. Der Erden Staub drückt
mit Gewalt des Geistes Flug. Zu vergleichen ist Horaz Sati-
rarum 1. II, 2, n. 77 :
„Quia corpus onustum
Hesternis vitiis animum quoque praegravat una
Atque affigit humo divinae particulam aurae".
Denn der beschwerte Leib belastet infolge der Übel-
taten auch den Geist und drückt zu Boden das Teilchen des
göttlichen Hauches (unsere Seele). (Cfr. Tusculanarum 1. V,
c. 13, n. 38 und Cato Major c. 21, 77).
Damit stimmt der Ausspruch im Buche der Weisheit
(c. IX, 14—16) fast wörtlich überein: „Corpus enim, quod cor-
rumpitur, aggrevat animum, et terrena inhabitatio deprimit
sensum multa cogitantem". Der verwesliche Leib beschwert
die Seele, und das irdische Gezelt drückt nieder den Geist,
den vielsinnenden. Der griechische Text lautet: Oeapiöv t^P
a(i)}ia ßapuvei vpuxi^v, Kai ßpiöei tö T^wbe^ (Tktivo^ voöv TroXucppovTiba'
6. Der leidende Gerechte ein Vorbild.
Um die Menschheit aus dem Staube zu erheben, war ein
Vorbild nötig, das mit allen Tugenden geschmückt, durch
Leiden vollendet, imstande war, durch unschuldiges Dulden
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die Schuld aller zu tilgen. Die Idee eines solchen vollkommenen
Gerechten stellt uns Plato in seinem Werke über den Staat
vor Augen, wenn er („De re publica** 1. II, Nn 361, b; und
„Gorgias" Nr. 468, a) sagt: Toioöto^ 6 bkaio^ ein* tv|iivu)T€0^ br\
TrdVTlüV, TlXflV blKttlOCTUVTl? , Kai TTOIIIT^O^ biaK€l|Ll€VO^ Ttfl upoT^ptfi
(aöiKiu)' mbkv TÄP dbiKUJV, böHav dxexu) Tf|V ix€fiavf\v dbiKiav iv'
fj ßeßa(Tavi(T)ui^V05 el^ biaKaiocruvTiv, tuj |Lifi TCTTecTöai öttö KaxaboHia^,
Ktti Twv Ott' auTTi^ t^TVOili^vujv dXX' firu) d)ui€TdKa(TTO^ M^XPi öavdTOU'
boKuiv iLifev etvai dbiKO^ bid ßiou, a)v bfe biKaioq* ^poOai bfe rdbe ötx
ouTU) biaK€i)ui€V05 6 biKttio^ |LiacrTiTU)<J€Tai, (TT€ßXiJü(TeTai, bebi^aeioi,
dKKau6i^(T€Tai TU) ö(p6aX|Liiü, TeXeuTiöv, irdvia Kam iraöibv dvacrxivbi-
X€ueri(T€Tai •
lustus talis Sit: privandus igitur rebus omnibus, praeter-
quam iustitia, atque ita ponendus, ut superiori (iniusto) contra-
rius Sit. Nihil enim iniuste agens, iniustissimus esse credatur;
ut quasi quodam examine ad iniustitiam sit probatus (iniuste
condemnatus), ex eo quod nee infamia, nee his rebus, quae
eam sequuntur, notetur, sed usque ad mortem immobilis perse-
veret, quum per omnem vitam iniustus existimetur, est tamen.
iustus. lustus enim ita adfectus caedetur, torquebitur, vincula
patietur: eruentur illi oculi ac denique omnia mala perpessus
suspendetur in cruce.
Der (vollkommene) Gerechte muss so beschaffen sein: Er
muss von allen Dingen (Ehre, Ruhm, Auszeichnung u. s. f.)
ganz losgelöst werden, nur nicht von der Gerechtigkeit, und
so dem Ungerechten gerade entgegengesetzt werden. Wenn
er auch nichts Ungerechtes begeht, muss er doch gleichwohl
den grössten Schein der Ungerechtigkeit haben, damit seine
Gerechtigkeit die Probe aushalte, ohne weder durch den tibelen
Ruf noch dessen Folgen in ihrer Lauterkeit getrübt zu werden.
Bis zum Tode muss er standhaft bleiben, und obgleich er in
seinem ganzen Leben als eia Ungerechter angesehen wird,
muss er doch (vollkommen) gerecht sein. Der so (ideal) dar-
gestellte Gerechte muss gegeisselt, auf die Folter gespannt,
in Fesseln gelegt, geblendet, und zuletzt noch nach allem aus-
gestandenem Leide gekreuzigt werden.
Gorgias 1. c. : Töv bfe toigOtgv biKaiov (el ti Kai dTpoiKÖiepov
eipficrOai) iHaiw dirl KÖp^ii^ TUTTTOvra )xx\ bibövai biKiiv. lamvero
eiusmodi virum iustum (etsi dictu sit agrestius) licet super
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- 8 -
genam impune pulsare. Einen Gerechten von solcher Tugend
darf man (obgleich 'der Ausdruck etwas gewöhnlich ist) un-
gestraft auf die Wange schlagen. (Cfr. Eusebii „De praepa-
ratione evangelica" 1. 12, 10). Hierzu sind zu vergleichen: 1.
Isaiae prophetae c. 50, v. 6 sq. ; Evgl. S. Matthaei c. 26, 67 sq. ;
S. Marci c. 14, 65 sq.; S. Lucae c. 22, 64 sq.; S. Johannis c. 18,
22 sq.).
Ein ahnungsvoller Blick in die Zukunft ist es, wenn Plato
(1. c.) ein Bild der höchsten Gerechtigkeit, oder der vollkom-
mensten Tugend, wie sie durch Leiden geprüft und verklärt
wird, entwirft und einen Gerechten schildert, welcher mit dem
grössten Scheine der Ungerechtigkeit belastet, durch nichts in
seiner Gesinnung wankend gemacht wird, der gefesselt, ge-
geisselt, gefoltert, geblendet und zuletzt noch an das Kreuz
geschlagen wird. Selbst der Backenstreich (bei Gorgias 1. c.)
ist nicht vergessen. Hierbei ist man versucht mit Ventura zu
sagen: Plato habe Christus am Kreuse gesehen. Als unser
Heiland am Kreuze hing und starb, rief der römische Haupt-
mann aus: „Vere hie homo justus erat!" (Evgl. S.Luc. 23,47).
Wahrhaft dieser Mann war ein Gerechter!, und: „Vere hie
homo filius Dei erat!" Wahrhaft dieser Mann war Gottes
Sohn! (Evgl. S. Marci 15, 39). Sankt Paulus verkündigte in
Griechenland, der Heimat des grossen Plato: 'Hjuet^ hx\ Kiipu0-
(To|Li€v XpicTTÖv ^(TTaupu)|Li^vov • Nos autem praedicamus Christum
crucifixum!" (L ad Corinthios c. 1,23). y^Wir aber predigen
Christum, den Gekreuzigten.^ Diese Botschaft war für die in
der akademischen Schule Gebildeten nicht fremd, sondern nur
die Erfüllung der Ahnungen des tiefsten Denkers in Hellas. —
Merkwürdig ist auch, dass Laot-seu, der chinesische Plato (vgl.
Abel R^musat), in seinem Buche Tao-te-king (liber de ratione
et virtute = über Einsicht und Tugend, nach P. Georg Maria
Stenz) fast dasselbe ausspricht: „Tien-gien erit Deus-Homo;
ipse inter homines versabitur, quamquam eum non cognoscent.
Percutite hominem sanctum, flagellis caedite eum, latronem
vero dimittite!" Tien-gien wird der Gott-Mensch sein; er wird
unter den Menschen wohnen, obgleich sie ihn nicht erkennen.
Schlaget den Heiligen, geisselt ihn mit Peitschenhieben und
setzet dagegen den Räuber in Freiheit! Cfr. Evgl. S. Johannis
I, 10 sq.: „In mundo erat et mundus per eum factus est, et
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— 9 —
niundus eum non cognovit Et verbum caro factum est et habi-
tavit in nobis." Er (Christus, das Wort Gottes) war in der
Welt, und die Welt wurde durch ihn erschaffen, und die Welt
hat ihn nicht erkannt . . . Das Wort ist Fleisch geworden,
und hat unter uns gewohnt. (Cfr. etiam Evgl. S. Lucae 23, 25).
Der schwedische Gelehrte A. Kolmodin hat in seinem Werke:
^Laotze, en profet bland Hedningare med en försök tili kort-
fattad biblisk grundl&ggning f6r hans System" (Stockholm 1888),
den Versuch gemacht, das Tao-te-king mit der Bibel in Ein-
klang zu bringen. Gemäss der Mitteilung des bekannten Mis-
sionars P. Georg Maria Stenz (aus der Wied-Gegend) herrscht
unter den Chinesen die Ansicht, durch Handels- Verbindungen
nach der Insel Ceylon, wohin schon im hohen Altertume Kauf-
leute aus Ägypten und Phönizien, sowie israelitische Geschäfts-
leute gekommen seien, hätten ihre Vorväter eine Kenntnis von
den Schriften des alten Testamentes erhalten. (Vgl. I. Band,
S. 57, 133, 179 u. 223.)
7. Erwartung eines Erlösers.
Der römische Dichter Virgilius (15. Oktober 70 — 21. Sep-
tember 19 a Chr.) singt in seiner 4. Ekloge ad Asinium Pol-
lionem consulem:
„Aggredere, o magnos, aderit iam tempus, honores,
Cara Deüm soboles: magnum lovis incrementum!
Aspice convexo nutantem pondere mundum,
Terrasque tractusque maris, coelumque profundum.
Aspice venturo laetentur omnia saeclo!''
Schicke dich an — schon nahet die Zeit — zum erhabenen Ruhm,
Teuerer Götter-Spross, du Jupiters herrlicher Anwuchs!
Schau, wie das Welt-All bebet in schwer umlasteter Wölbung,
Länder und Räume des Meers ringsum und die Tiefen des
Himmels 1
Schau, wie alles sich freut des künftigen Welt- Jahrhunderts!
Der Prophet Aggaeus (blühte um 520 v. Chr.) sagt: „Nolite
timere! Haec dicit Dominus exercituum: Adhuc unum modi-
cum est, et ego commovebo coelum et terram et mare et
aridam. Et movebo omnes gentes: et veniet Desideratus cunctis
gentibusi" (Cfr. c. 2,37 seq.) Fürchtet euch nicht! Denn so
spricht der Herr der Heerscharen : Noch einmal, und zwar nicht
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— lO —
in sehr entfernter Zeit, da werde ich den Himmel und die Erde
erschüttern, das Meer sowie das feste Land; ich werde alle
Nationen in Aufregung versetzen, und der von allen Völkern
Ersehnte wird erscheinen.
Diese beiden Stellen stimmen fast wörtlich tibere^n. —
In der 4. Ekloge des Virgil befinden sich ausserdem noch
manche Anklänge an prophetische Aussprüche. Der Inhalt
dieses Gedichtes kann darum, obgleich er dem äusseren Wort-
laute gemäss bloss auf einen Sohn des Konsuls Asinius PoUio
sich bezieht, in seinem tieferen Sinne jedoch nur aus dem
ganzen Zusammenhange der damaligen allgemeinen Weltlage
richtig verstanden und erklärt werden. Das Lied hat eine
höhere Bedeutung!
Horatius stellt die Frage (Carminum 1. 1, odae 2, v. 25 sq.) :
„Quem vocet divum populus ruentis
Imperi rebus? Prece qua fatigent
Virgines sanctae minus audientem
Carmina Vestam?
Cui dabit partes scelus expiandi
lupiter? Tandem venias, precamur,
Nube candentes humeros amictus
Augur Apollo!"
Welchen Gott soll anrufen das Volk
Zum Schutze des sinkenden Reiches? Mit welcher Bitte
Werden keusche Jungfrauen Vesta erweichen,
Die zu wenig hört auf heilige Lieder?
Wem wird zuteilen die Rolle als Schuld-Versöhner
Jupiter? Komm' doch endlich, wir bitten,
Die glänzenden Schultern mit der Wolke umhüllt
Du Seher Apollo!
Horatius deutet an, das römische Reich leide durch furcht-
bare Blutschuld, welche es sich in den Bürgerkriegen und durch
den grausamen Mord an dem grossen Cäsar zugezogen habe.
Darum muss ein Erlöser kommen, der die Sühne vollbringt.
Apollo wird in diesem Sinne von Pausanias (1. I, c. 3, n. 3),
Hesiodus und anderen 'AXeHiKaKoq genannt, welches Wort mit
'Fluchabwender, Entsündiger' richtig übersetzt wird.
Auch sagt Aeschylus in seinem gefesselten Promotheus
(1016-1020):
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„Von dieser Drangsal hoffe nicht ein Ziel, bevor
Als Stellvertreter deiner Qual ein Gott erscheint,
Bereit, für dich in Hades unbesonntes Reich
Zu steigen und zur finsteren Kluft des Tartarus!"
(Vgl. S. 4 und 5.) Rechnen wir hierzu, was Plato über das
Leiden des schuldlosen Gerechten schreibt (S. 6 f.), so müssen
wir sagen, dass die Idee von Schuld und Sühne den Griechen
und Römern nicht fremd war, sowie auch die Notwendigkeit
einer Erlösung durch Gott. Zudem wurden diese Vorstellungen,
aus der Ur- Offenbarung entnommen, wenn auch im Laufe der
Zeit bei den Heiden vielfach verdunkelt und entstellt, durch
die Juden, welche mit ihren hl. Büchern in 3 Weltteilen zer-
streut lebten, im Gedächtnisse der Völker lebendig erhalten.
Daher berichtet Volney in seinen ,,Ruinen" : „Die heiligen Über-
lieferungen und mythologischen Sagen der ältesten Zeiten hatten
in ganz Asien den Glauben verbreitet, dass ein grosser Mittler
kommen solle, ein Richter am Ende der Tage, ein künftiger
Retter, ein König, ein Gott als Eroberer und Gesetzgeber,
welcher der Erde das goldene Zeitalter zurückbringen und die
Menschen von der Herrschaft des Bösen befreien werde".
In Rom besonders war zur Zeit des Virgilius (70—19 a. Chr.)
die Erwartung eines zukünftigen Königs und Erlösers sehr ver-
breitet, so dass Cicero in seinem Werke „De Divinatione" l. II,
c. 54 die Frage stellt: „Auf welchen Menschen und auf welche
Zeit denn jene sibyllinische Weissagung, dass die Ankunft eines
Königs bevorstehe, den man anerkennen müsse, um gerettet su
werden^ sich beziehe. Sybillae versus observamus, quos illa
furens fudisse dicitur. Quorum interpres nuper, falsa quaedam
hominum fama dicturus in senatu putabatur, eum quem re vera
habebamus appellandum quoque esse regem, si salvi esse velle-
mus. Hoc si in in libris est, in quem hominem et in quod
tempus est?"" Cicero deutet hier auf dasselbe hin, was Sue-
tonius „Im Leben des Kaisers Augustus" c. 94 berichtet: dass
aus einem in Rom öffentlich vorgefallenen Wunderzeichen ge-
weissagt worden sei, die Natur stehe im Begriffe, den König
Roms hervorzubringen. Prodigium, Romae factum publice, quo
denunciabatur, regem populi Romani naturam parturire. Diese
Weissagung, fügt Suetonius hinzu, rief im Senate eine grosse
Bestürzung hervor: man glaubte, das Ende der Republik sei
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— 12 —
gekommen und veranlasste einen Beschluss, dass alle in jenem
Jahre zu Rom geborenen Knäblein getötet werden sollten. Da aber
viele Senatoren sich in ihren Familien bedroht sahen, so wurde
der Beschluss nicht ausgeführt. Anders dagegen verhielt es
sich in Judäa, wo Herodes auf die Anfrage der Weisen aus
dem Morgenlande: ^Wo ist der neugeborene König der Juden?^ ^
die Kinder zu Bethlehem ermorden Hess. — Diese im Mprgen-
und Abendlande verbreiteten Weissagungen, welche auch von
Tacitus und Suetonius noch speziell erwähnt werden (worüber
später berichtet wird), sowie die ähnlichen sibyllinischen Orakel,
von welchen Cicero spricht, schwebten dem Virgil vor Augen,
wie er das selbst ja ausdrückt: „Ultima Cumaei venit iam car-
minis aetas: Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo!"
Schon ist die Fülle der Zeiten gekommen des Liedes von
Cumae: Und von neuem beginnt der Jahrhunderte mächtige
Reihe. Die Sibylla von Cumae (eine uralte Kolonie der Griechen
an der Meeresküste von Kampanien) hatte gemäss der Über-
lieferung in zahlreichen prophetischen Sprüchen auf das Her-
annahen einer grossen neuen Epoche hingewiesen *). Ohne die-
selben aber in ihrer inneren Bedeutung genau zu verstehen,
benützte er sie zur stilistischen und inhaltlichen Ausgestaltung
eines Lobliedes auf den Sohn des Konsuls Asinius PoUio, seines
mächtigen Gönners. In ähnlicher Weise bezog Flavius Josephus
die Vorhersagung des Propheten Michaeas c. V, 2 sq.:
y^Tu Bethlehem, Ephrata etc."
„Du Bethlehem, im Stamme Juda usw."
^) Aus den Tagen der römischen Könige (Tarquinius Priscus) stam-
mend, waren die alten sibyllinischen Weissagungen bei dem Brande des
Kapitels im Jahre 84 a. Chr. zu Grunde gegangen. Der Senat schickte
deshalb a. 73 eine Kommission nach dem Orient (Erythrea), um eine
neue Sammlung von Oraklen zu bewirken. Bei dieser Gelegenheit sollen
Juden ihnen messianische Weissagungen mitgeteilt haben. (Vgl. E. Schürer,
„Geschichte des jüdischen Volkes", HL Band, S. 444flgd., Leipzig 1898.)
Zu Rom wurden diese Sprüche ohne allen inneren Zusammenhang einer
Redaktion unterzogen. Zwar Hess der Kaiser Augustus einen Teil derselben
vernichten (Suetonii „ Vitae Octaviaai" c. 3 1 und Taciti „ Annalium" 1. VI,
c. 12); jedoch erhielten sich derartige Orakel-Bücher noch bis zum 5. christ-
lichen Jahrhundert, in welchem Kaiser Honorius dieselben nebst dem
Apollo-Tempel verbrennen Hess.
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— 13 —
auf den nachmaligen Kaiser Vespasian und dessen Sohn Titus.
(Cfr. Flavii losephi „De hello ludaico" 1. III, c. 8, n. 9; 1. IV,
c. 10, n. 7; besonders: 1. VI, c. 5, n. 4.) Das lag in der höfischen
Art jener Zeiten.
Die Ausdrücke jedoch, mit welchen unser Dichter Virgil
den erwarteten Sohn des Asinius Pollio begrüsst, zeigen sofort,
dass sie auf einen höheren, als nur irdisch Geborenen hin-
deuten :
„lam redit et Virgo, redeunt Satumia regna:
lam nova progenies Coelo dimitittur alto.
Tu modo nascenti puero, quo ferrea primum
Desinet ac toto surget gens aurea mundo,
Casta, fave, Lucina, tuus iam regnat Apollo.
Teque adeo decus hoc aevi, te consule itiibit
Pollio, et incipient magni procedere menses.
Te duce, si qua manent, sceleris vestigia nostri
Irrita perpetua solvent formidine terras.
nie Deüm vitam accipiet Divisque videbit
Permixtos heroas, et ipse videbitur Ulis,
Pacatumque reget patriis virtutibus orbem.
At tibi prima, puer, nuUo manuscula cultu
Errantes hederas passim cum baccare tellus
Mixtaque ridenti colocasia fundet acantho.
Ipsae lacte domum referent distenta capellae
Ubera, nee magnos metuent armenta leones
Ipsa tibi blandos fundent cunabula flores.
Occidet et serpens, et fallax herba veneni
Occidet ....
Cara Deüm suboles, magnum lovis incrementum!
Aspice convexo nutantem pondere mundum
Terrasque tractusque maris coelumque profundum.
Aspice, venturo laetentur omnia saeclo!'*
Erdwärts kehrt nun „die Jungfrau" zurück und das Reich des
Saturnus ;
Schon enstammt ein neues Geschlecht dem erhabenen Himmel.
Sei dem erwarteten Knaben, mit dem sich das eiserne Alter
Erst abschliesst, und das goldene rings sich erhebt auf dem
Erdkreis,
Keusche Lucina, geneigt; schon führt dein Apollo die Herrschaft!
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— 14 —
Ja die herrliche Zeit wird mit dir, Konsul, beginnen
PoUio, Monate voll erhabener Bedeutung entfaltend.
Herrschen wirst du noch, da jegliche Spur von unserem Frevel
Endlich getilgt, die Erde gelöst wird von ewigem Schrecken.
Göttliches Leben erhält das Kind, wird schaun die Heroen
Zu den Göttern gesellt, wird selbst bei ihnen erscheinen,
Und die beruhigte Welt durch des Vaters Tugend beherrschen.
Sonder Bemühen wird dir als Erstlingsgeschenke die Erde
Efeu Ranken, o Kind, darbringen und duftende Narden,
Mit Kolokasier-Flor in Fülle den hellen Akanthus.
Strotzenden Euters wird die Ziege kehren nach Hause;
Sorglos weidet das Rind, nicht bang vor gewaltigen Löwen.
Kosend um dich entspriessen von selbst aus der Wiege die
Blumen.
Sterben wird das Schlangengezücht, hinwelken das Giftkraut,
Das so lockend gegrünt.
Teueres Götter-Kind, des Jupiters herrlicher Anwachs!
Schau, wie das Metall bebet in schwer umlasteter Wölbung,
Länder und Räume des Meeres ringsum und die Tiefen des
Himmels:
Schau, wie alles sich freuet des künftigen Welt-Jahrhunderts!
Dies sind die hauptsächlichsten Strophen des Liedes, soweit
sich dieselben auf messianische Vorhersagungen nach dem Urteil
namhafter Gelehrten beziehen. Der Inhalt unserer Ekloge
dürfte vollkommen klar sein. Virgil gibt gleich im Anfange
zii erkennen, dass seine Dichtung einen aussergewöhnlichen
Stoff zum Gegenstande habe:
ySicelides Musae, paulo major a canamus!^
Musen Siciliens hört, etwas Höheres wollen wir singen!
Dann bezieht er sich auf die Weissagung von Cumae und
begrüsst eine kommende, neu anbrechende goldene Zeit, welche
das eiserne, waffenstarrende Jahrhundert beschliesst und ein
besseres Menschengeschlecht hervorbringen wird. Ein Kind
aus göttlichem Stamme soll in dieser Zeit vom Himmel kommen
und die Herrschaft über die in Unruhe schmachtende Welt er-
halten. Dasselbe wird den Frieden bringeny die Menschen von
der steten Angst befreien; es wird ihre Sünden tilgen und
ihnen ein schöneres Dasein zuteil werden lassen: sie werden
glücklich sein. Darum freuen sich Himmel und Erde bei dem
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- 15 —
Erscheinen des göttlichen Knaben und harren in Sehnsucht
und Schauern des Glückes der kommenden Welt-Zeit. Selbst
die niedere Schöpfung (cfr. ad Romanos V, 19 sq.) wird der
Segnungen des Friedens teilhaftig: nicht mehr fürchten die
Herden auf der Weide, Unkraut und giftige Schlangen ver-
schwinden, Blumen sprossen aus der Wiege des ersehnten Er-
lösers.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die hier ausgesprochenen
Ideen mit den messianischen Weissagungen des alten Testa-
mentes, besonders bei Isaias und Aggaeus, sowie mit der Zeich-
nung, welche die Evangelisten von dem Erlöser entwerfen,
eine merkwürdige Übereinstimmung bekunden. Hierauf macht
schon S. Augustinus aufmerksam, wenn er „de civitate Dei"
1. X, c. 27 gegen den Neu-Platoniker Porphyrius sagt: „De quo
(Christo) etiam poeta nobilissimus (Virgilius) poetice quidem,
quia in alterius adumbrata persona (de Pollionis filio), veraciter
tarnen, si ad ipsum (Christum) referas, dixit: „Te duce, si qua
manent sceleris vestigia nostri, Irrita perpetua solvent formi-
dine terras". (Eclogae IV, 13 sq.) Auf Christus wendet auch
der vorzügliche Dichter Virgil nachstehende Verse an, die mit
poetischer Freiheit zwar auf einen anderen, nämlich den Sohn
des Konsuls PoUio, bezogen werden, in der Tat aber nur auf
Christus passen können, nämlich: „Herrschen wirst Du noch,
da jegliche Spur von unserem Frevel Endlich getilgt, die Erde
gelöst wird von ewigem Schrecken". (Vgl. Sermonis de Sym-
bole contra ludaeos, paganos, Arianos c. XV.) Die prophe-
tischen Stimmen des alten Testamentes lauten: „Ipse autem
(Messias) vulneratus est propter iniquitates nostras, attritus
est propter scelera nostra: disciplina pacis nostrae super eum,
et livore eius sanati sumus". Pro eo, quod laboravit anima
eius, videbit et exsurabitur: in scientia sua iustificabit ipse
iustus servus meus multos et iniquitates eorum ipse portabit.
Isaiae c. 53, 5 u. 11. Er aber (der Messias) ist verwundet wegen
unserer Sünden und zerschlagen wegen unserer Missetaten:
die Züchtigung zu unserem Frieden ruht auf ihm, und durch
seine Striemen sind wir heil geworden. -- Dafür, dass seine
Seele geduldet hat, wird er schauen und sich sättigen; durch
seine Kenntnis wird mein gerechter Knecht viele rechtfertigen,
und deren Missetaten wird er selber tragen. Vgl. hierzu die
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— i6 —
Erklärung, welche der Diakon Philippus dem Kämmerer der
Königin Candace aus Aethiopien gab : Actus Apostolorum c. 8,
V. 32 — 40 und Isaiae c. 53, v. 7 f. In der Beschreibung der
Segnungen, welche das sühnende Leiden des Messias zur Folge
hat, stimmt der Dichter Virgilius mit dem Propheten Isaias
merkwürdig überein:
1. Ein allgemeiner Friede.
Isaiae c. 9, v. 7: „Seine (des Messias) Herrschaft wird
gross werden und seines Friedens kein Ende sein; auf dem
Stuhle Davids und über seinem Reiche wird er tronen (Evgl.
S. Lucae c. 1, 32), dass er dasselbe festige und stütze durch
Recht und Gerechtigkeit". Virgilii v. 17: „Und mit d6s Vaters
Tugend wird er beherrschen den friedlichen Erdkreis".
2. Die grösste Sicherheit.
„Da wird der Wolf wohnen bei dem Lamme, und der
Pardel lagern bei dem Böcklein: junges Rind, Löwe und Schaf
weilen nebeneinander, und ein kleiner Knabe führet sie**.
Isaiae 11, 6—8. Virgilii v. 22 — 25: „Sorglos weidet das Rind,
nicht bang vor gewaltigen Löwen. Sterben wird die Schlange,
hinwelken das Giftkraut". Zu den letzten Worten ist zu ver-
gleichen: „Der Säugling spielt an der Natter Kluft, und der
kaum Entwöhnte streckt seine Hand in die Höhle der Schlange".
Isaiae 1. c.
3. Fruchtbarkeit der Erde.
„Blühen wird die Öde wie eine Lilie: üppig sprosset sie
auf. Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr gegeben, die Zierde
des Carmel und Saron". Isaiae c. 35, 1—2. Virgilii v. 21 sq.:
„Kosend um dich (o Himmelskind) entspriessen von selbst aus
der Wiege die Blumen . . . Selbst den wildernden Dorn um-
fängt die rötliche Traube und von der starrenden Eiche ent-
quillt der tauige Honig".
4. Freude in der ganzen Natur.
„Freuen wird sich das wüste und weglose Land, froh-
locken wird die Öde". Isaiae 35, 1.
Virgilii v. 51, 52: „Siehe die Länder ringsum und die Tiefe
des Himmels, Siehe wie alles sich freut auf das kommende
Welt-Jahrhundert".
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— 17 —
Das neue Testament entwirft ein Messias-Bild mit folgen-
den Zügen: er ist ausgerüstet mit göttlicher Gewalt und gött-
lichem Leben: Evgl. S. Johannis c. 7, 31—42, S. Mattaei c. 3,
13—17: er ist Sohn Gottes. Er wird eine Heilanstalt errichten,
in welcher eine höhere Ordnung erscheint S. Matthaei c. 16,
13 — 20; S. Lucae c. 1, 76—80. Er wird sein Volk von seinen
Sünden erlösen: S. Matthaei c. 1,21; S. Lucae c. 1,77. Er
wird herrschen über sein Volk mit nie endender Glückseligkeit
S. Lucae c. 1, 32—34; c. 2, 29—34. Seine Glückseeligkeit wird
von Israel aus sich über alle Völker der Erde verbreiten: S.
Marci c. 16, 15— 20; S. Lucae c. 24, 47—50; Actus Aposto-
lorum c. 1, 8—12.
Nach genauer Vergleichung ergibt sich eine auffällige
und offenkundige Übereinstimmung zwischen den messianischen
Weissagungen der hl. Schrift und der Schilderung unseres
Dichters Virgil. Wenn derselbe auch als Heide den tieferen
Sinn seines Liedes noch nicht erfassen konnte, so sind wir
Christen ihm doch zum Danke verpflichtet, dass er in demselben
objektiv die Ahnungen und Stimmungen zum Ausdruck brachte,
welche damals im römischen Volke mit Bezug auf einen kom-
menden Erlöser die Gemüter in Spannung erhielten. Wir wissen
zudem aus der hl. Geschichte (cfr. Evgl. S. Lucae c. 2, 1 sq.),
dass dem römischen Volke, speziell seinem Kaiser Augustus,
wenn demselben auch unbewusst, ein grosser Anteil an der
Erfüllung jener messianischen Weissagungen in der Vorsehung
Gottes beschieden war.
8. Das Edikt des Kaisers Augustus.
Der hl. Evangelist Lucas berichtet 1. c. : „Factum est autem
in diebus illis, exiit edictum a Caesare Augusto, ut describe-
retur universus orbis. Haec descriptio prima facta est a prae-
side Syriae Cyrino, et ibant omnes ut profiterentur singuli in
suam civitatem. Ascendit autem etiam Joseph a Galilaea de
civitate Nazareth, in Judaeam, in civitatem David quae vocatur
Bethlehem, eo quod esset de domo et familia David, ut profi-
teretur cum Maria desponsata sibi uxore praegnante. Factum
est autem quum essent ibi impleti sunt dies, ut pareret. Et pe-
perit filium suum primogenitum, et pannis eum involvit, et re-
KrOll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 2
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— i8 —
clinavit in praesepio, quia non eis erat locus in diversiorio".
In jenen Tagen erging ein Befehl von dem Kaiser Augustus,
den ganzen Erdkreis zu beschreiben. Dies war die erste Be-
schreibung und geschah durch Cyrinus, den Statthalter von
Syrien. Und alle gingen hin, sich anzugeben, ein jeder in
seine Stadt. Es ging auch Joseph von Galilaea aus der Stadt
Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Beth-
lehem heisst, weil er aus dem Hause und der Familie Davids
stammte, um mit Maria, seinem verlobten Weibe, sich anzu-
geben, welche gesegneten Leibes war. Es begab sich aber,
als sie daselbst waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie
gebären sollte. Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen,
und hüllte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, weil
in der Herberge für sie kein Platz war.
Nach der Seeschlacht von Actium (31 a. Chr.) hatte Au-
gustus die Alleinherrschaft gewonnen, und seine erste Sorge
bestand darin, in die zerrütteten Verhältnisse des grossen
Römerreiches wieder Ordnung einzuführen. Weil nun durch
die vielen vorausgehenden Kriege die Staatskassen sehr er-
schöpft waren, so suchte er durch eine allgemeine Volkszählung
und Steuereinschätzung diesem Übelstande abzuhelfen. Er
herrschte im Frieden über das Morgen- und Abendland. Daher
konnte jene Aufzählung auch in Judäa vollzogen werden. Da
aber gemäss dem mosaischen Gesetze sich der Erbbesitz in
den 12 Stämmen des israelitischen Volkes erhalten hatte, so
musste jeder an dem Stammsitze seiner Familie den Vor-
schriften der Volkszählung und Steuereinschätzung genügen.
Aus dieser Veranlassung reiste denn auch Joseph mit Maria
von Nazareth in Galiläa aus nach der Stadt Bethlehem in Ju-
däa, wo ihr königlicher Ahnherr David entsprossen war. Hier
nun, in der Davids-Stadt, wurde der verheissene Messias Jesus
Christus geboren und sofort in die amtlichen Listen der Volks-
zählung eingetragen. Als Geburtsdatum wird gewöhnlich der
25. Dezember des Jahres 752 nach Erbauung der Stadt Rom
bezeichnet. Weil nun jene offiziellen Schätzungstabellen im
Reichsarchive zu Rom unter dem Namen der „Quirinischen
Aufschreibung" (Katastrierung) hinterlegt waren, so konnte
man ein amtliches Geburtsseugnis für den Erlöser ausstellen.
Hierauf berufen sich die christlichen Apologeten zum Beweise
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— 19 —
dafür, dass der verheissene Messias eine historische Persönlich-
keit in der Weltgeschichte sei. So z. B. Justinus (150 p. Chr.)
in seiner „Oratio ad Antoninum Pium Imperatorem" LI, c. 30;
ferner Cyrillus Alexandrinus (ca. 428 p. Chr.) in seinem Werke
„Contra lulianum 1. VI; Orosius, Tertullian und andere. Im
Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit zogen Joseph und
Maria nach Bethlehem, und so erfüllte sich die Aussage
des Propheten Michaeas (c. 5, 2) über den Geburtsort des Er-
lösers.
Die Engel verkündigten zu Bethlehem: ^Pax hominibus!^
Friede den Menschen! (S. Lucae c. 2, 14) und der Kaiser Au-
gustus liess zum Zeichen des eingetretenen Weltfriedens den
Kriegstempel des lanus Quirinus schliessen. Derselbe Herrscher
befahl im ganzen römischen Reiche Strassen und Wege zu
bauen und führte aller Orten römisches Gesetz und Verwal-
tung ein. So wurden dem Evangelium Jesu Christi die Bahnen
bereitet. Der Völkerapostel Paulus konnte sich in Philippi
(Mazedonien), Jerusalem und Caesarea mit Erfolg auf sein rö-
misches Bürgerrecht berufen. Die drei Worte: j^Civis Roma-
nus sum!^ {Bin römischer Bürger!) schützten ihm Freiheit und
Leben. Cfr. Actus Apostolorum c. 16, 36— 40 (Philippi); c. 22,
24—30 (Jerusalem) und c. 25, 10, 25; sowie c. ^6, 32 (Caesarea).
Überall herrschten die Römer,
Am Rheine legten sie den zum Teil noch erhaltenen Limes
Transrhenanus oder Raethicus an, welcher zwischen Hönningen
und Rheinbrohl beginnend sich bis über Regensburg (Regina
Castra) an der Donau hinzieht. Dieser Grenzwall wird schon
bei Tacitus ^Annalium" 1. 1, c, 50 erwähnt. Auch gründeten
sie Cöln (Colonia Ubiorum) und legten von da bis Mainz über
50 Kastelle an, welche öfters zerstört und wieder aufgebaut,
allmählich die Grundlage bildeten, auf welcher sich die rhei-
nischen Städte erhoben. So Bonn (Bonna), Godesberg (Ära-
Ubiorum), Remagen (Regiomagus), Sinzig (Sentiacum), Breisig
(Brisiacum), Andernach (Antenacum = Militärstation vor der
Nette), Coblenz (Confluentes = Zusammenfluss von Rhein und
Mosel), Mainz (Montiacum) und andere mehr. Zum Schutze
des rechtsrheinischen Grenzwalles (limes) war bei Niederbieber
(Castra Hibema) ein befestigtes Läger errichtet, dessen Um-
fassungsmauern nebst wertvollen Münzen vor einigen Jahren
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— 20 —
(1901) aufgedeckt wurden *). Auch ist es historisch sicher,
dass römische Soldaten die erste Kunde von der christlichen
Religion an den Rhein gebracht haben.
9. Die Heimat des Messias.
Der Seher Michaeas (blühte 758—725 a. Chr.) berichtet
c. 5, V. 2: ^Et tu Bethlehem Ephrata parvulus es in millibus
ludae: ex te (autem) mihi egredietur, qui dominator sit in Israel:
et egressus eius ab initio, a diebus aeternitatis!" Und Du Beth-
lehem Ephrata, bist zwar klein unter den Tausenden Judas,
jedoch aus Dir wird Mir hervorgehen Derjenige, welcher
Herrscher sein wird in Israel Aber sein Ausgang ist von
Anbeginn, von den Tagen der Ewigkeit. Vor allen Propheten
ist Michaeas ausgezeichnet durch sein Wort von Bethlehem im
Stamme Juda als dem Geburtsorte des verheissenen Messias.
Die jüdische Synagoge war einstimmig in der Auslegung dieser
Stelle, dass Bethlehem, die Heimat des Königs David, auch
dem ersehnten „Sprossen Davids", dem Erlöser, das Wiegen-
bett bereiten würde. So gab dieselbe auf die betreffende An-
frage des Königs Herodes eine offizielle (amtliche) Entschei-
dung und Antwort ex cathedra (cfr. S. Matthaei c. 23, 2 f.) mit
spezieller Bezugnahme auf die angeführten Worte des Michaeas.
Vgl. S. Matthaei c. 2, 4—7.
Tranquillus Suetonius, der römische Geschichtsschreiber,
berichtet in seiner Vita Vespasiani (c. 4, n. 27) : „Percrepuerat
toto Oriente vetus et constans opinio, esse in fatis, ut eo tem-
pore ludaea profecti rerunt potirentur^'. Das ganze Morgen-
land hallte wieder von einer lange schon bestehenden und
konsequenten Annahme (Erwartung), es sei im Schicksale be-
schlossen, dass um jene Zeit Männer aus Judäa hervorgehen
würden, denen die Weltherrschaft beschieden sei.
Cornelius Tacitus „Historiam" 1. V, c. 13 hat folgendes:
„Pluribus persuasio inerat, antiquis sacerdotum litteris contineri,
ex eo ipso tempore fore, ut valesceret Oriens profectique ludaea
rerum potirentur^'. Sehr viele hatten die Überzeugung, es sei
in den alten Schriften der Priester enthalten, dass von jener
1) Die Fundstelle ist von Neuwied aus in einer halben Stunde zu
erreichen.
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— 21 ^
Zeit an das Morgenland erstarken werde und Männer aU$
Judäa hervorgegangen^ sich der Weltherrschaft bemächtigen
würden. Die antiquae sacerdotum litterae = die alten Schriften
der Priester deuten wohl auf die Bücher des Alten Testamentes
hin, welche in der griechischen Übersetzung der „Septuaginta"
durch jüdische Schriftgelehrten zu Rom verbreitet waren und
in den Synagogen vorgelesen wurden. Hieraus erklärt sich
die Wahrnehmung, dass Suetonius und Tacitus nicht bloss die
nämliche Tatsache bezeugen, denselben Gedanken aussprechen,
sondern es auch in fast gleichlautenden Ausdrücken tun. Der
Grund hiervon ist ohne Zweifel darin gelegen, dass beide die-
ßelbe Quelle der alten Schriften benützt haben, und dass jene
Weissagung des Michaeas in dieser Form zu Rom allgemein
bekannt war.
10. Der Kindermord zu Bethlehem.
Der hl. Evangelist Matthaeus schreibt c. 2, 16 sq.: „Tunc
Herodes, videns, quoniam illusus esset a Magis, iratus est
valde, et mittens occidit omnes pueros, qui erant in Bethlehem
et in Omnibus finibus eins a bimatu et infra secundum tempus quod
exquisierat a Magis". Damals nun, als Herodes gesehen hatte,
dass er (nach seiner Ansicht) von den Magiern getäuscht
worden sei, wurde er sehr zornig, und er schickte aus und
liess alle Knaben zu Bethlehem und dessen ganzer Umgebung
töten, im Alter von zwei Jahren und abwärts, gemäss der Zeit,
welche er von den Weisen erkundigt hatte. Die Nachricht von
dieser grausamen Tat verbreitete sich bis nach Rom zu Ohren
des Kaisers Augustus. So berichtet nämlich Aurelius>Macror
bius, Würdenträger (Staatsmann) an dem Hofe des Kaisers
Theodosius II. (408—450 p. Chr.), literarisch bekannt als Kom-
mentator von Ciceros „Somnium Scipionis", und Verfasser der
„Satumalia Convivia". In diesem Werke (saturn. conv. 1. II,
c. 4) sagt er: „Augustus imperator quum Romae audisset, inter
pueros, quos in Syria Herodes rex ludaeorum, infra bimatum
iussit interfici, filium quoque eins occisum esse (^odem fere
tempore Antipater jussu Herodis interfectus est) ait: „melius
est Herodis porcum esse quam filium". Als der Kaiser Augustus
zu Rom vernommen hatte, dass unter den Knaben, welche in
Syrien Herodes, König der Juden, im zweiten Lebensjahre hatte
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22 —
töten lassen, auch dessen eigner Sohn (Antipater) hingerichtet
worden sei, sagte er: „Besser ist es, ein Schwein, als ein Sohn
des Herodes zu sein". Nach Flavius Josephus „Antiquitatum"
1. XVll, c. 7 befahl Herodes seinen Sohn Antipater zu töten,
weil er denselben im Verdacht hatte, als strebe er nach dem
Throne. Diese Hinrichtung geschah kurze Zeit nach dem
Kindermorde zu Bethlehem, und gelangte die Kunde beider
Taten gleichzeitig nach Rom. Daher hielt der Kaiser Augustus
dieselben für ein Werk. In der griechischen Sprache, deren
er sich nach dem Zeugnisse des Suetonius mit Leichtigkeit
bediente, bildet sein Ausdruck: „Melius est Herodis porcum
quam filium esse" ein Wortspiel: *Ev oiKiqi toO 'Hpiubou fi^eivov
clvai cTuöv f\ uiöv mit Rücksicht auf das jüdische Verbot, Schweine
zu töten und deren Fleisch zu essen. Augustus meinte daher
spottend: im Judenlande des Herodes ist ein Schwein sicherer
für sein Leben, als ein Königssohn. Herodes tötet seinen Sohn,
aber die Schweine muss er leben lassen.
Flavius Josephus, der jüdische Geschichtsschreiber, schwieg
zwar über den Kindermord zu Bethlehem; aber das geschah
nicht aus historischen, sondern aus politischen Gründen. Wie
S. 12 f. dieses Buches angeführt ist, bezog derselbe die Weis-
sagung des Propheten Michaeas c. 5, v. 2 : „Du Bethlehem im
Stamme Juda u. s. f." auf den nachmaligen Kaiser Vespasian
und dessen Sohn Titus. Hätte er nun die Blutszene daselbst
berichten wollen, so lag für ihn die Notwendigkeit vor, auch
den Grund anzugeben, aus welchem Herodes die Kinder
zu Bethlehem ermorden Hess. Und hätte er geschichtlich er-
zählt, dass die jüdische Synagoge auf die gestellte Anfrage
ihres Königs jene prophetische Stelle auf den verheissenen
Messias in amtlicher Mitteilung bezogen habe, so erschien
seine eigene Dqutung hinfällig, und damit wäre sein Ansehen
bei Vespasian und Titus verloren gegangen.
11. Philo Alexandrinus über den Heiland.
Philo, geboren ca. 30—20 a. Chr. und gestorben ca. 54
n. Chr., wirkte zu Alexandrien als einer der merkwürdigsten
und einflussreichsten Männer seiner Zeit. Wenn man von dem
apostolischen Kreise absieht, so ist er jedenfalls der geistig
hervorragendste Schriftsteller, welchen die Juden damals be-
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- i3 —
Sassen, Er machte umfassende Studien und besass eine ver-
traute Bekanntschaft mit den Schätzen der griechischen Lite-
ratur sowie mit den hl. Büchern seines Volkes. Dabei war
er von ernster Frömmigkeit und fester Zuversicht. Seiner
Sprache und ganzen Bildung nach ein Grieche und von hoher
Bewunderung der antiken Philosophie blieb er gleichwohl ein
streng gläubiger Jude. Er war voller Begeisterung für seine
Religion und sein Volk und der grösste Verteidiger desselben
gegenüber der Heidenwelt. In seinen Augen sind die Juden
gleichsam als Priester und Propheten für alle Völker der Erde
von Gott bestimmt. Seine gefällige Darstellungsweise, sowie
das Geistreiche in seinen Allegorien übte zu allen Zeiten eine
mächtige Anziehung. Bis zu einem gewissen Grade kann man
sagen, dass, wie Johannes der Täufer mit seiner Predigt bei
den Juden, so Philo durch seine Schriften bei den gebildeten
Heiden und Juden vielfach ein Wegebahner für das Evangelium
geworden ist. In seiner Abhandlung „De praemiis et poenis",
(über Lohn und Strafe), editio Parisiensis d. a. 1640, pag. 925,
spricht er von einem ausserordentlichen Manne, welcher sich
viele und grosse Völker unterwerfen werde. Er bezieht sich
hierbei auf einen göttlichen Ausspruch und benützt fast wört-
lich die Redeweise des Sehers Balaam (Numeri c. 24, 5 u. 7):
„Wie herrlich sind deine Wohnungen, Jacob! und deine Zelte,
Israeli . . . Stehen wird sein König über Agag, und erheben
wird sich sein Reich !^' Damit schildert er den verheissenen
Messias als König, dem die Welt Untertan sein wird. Als
höheres aber und göttliches Wesen bezeichnet er denselben,
wenn er „De exsecratione** (über den Fluch) p. 937, sagt: er
sei ein göttlicheres Wesen, als man nach der äusseren Er-
scheinung vermuten könne; den übrigen verborgen werde er
nur den Geretteten bekannt. Die griechischen Texte lauten:
'EEeXeuacTai t^p fivOpioTro^, cpncTiv 6 XPn^MÖ?» ^^^ (TTpaTapxOüv Kai
TToXe^iBv lOvr) t€ ^€T<iXa Kai TroXudv6pu)Tra y(E.\p\ba^i(x\' OeioTcpa^ f\
KOTd cpiicTiv dvGpioTrivn? öipeu)^, fibn^o^ M^v ^T^poi^, ^övoi^ hl loxq
äva(TuiZ;o^dvoi^ i^cpavri^- Profiscetur enim homo ille (Messias)
atque belli dux (imperator) multas et magnas nationes supe-
rabit. Divinior pro humana natura atque hominum opinione,
ceteris quidem incognitus, solis autem eclectis cognitus erit.
Diese Ideen von der menschlichen und göttlichen Natur des
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— 24 —
kommenden Erlösers finden wir bei manchen Propheten des
Alten Bundes, und bezieht sich die erste direkt auf eine Schrift-
stelle: cpriaiv 6 xpn^MÖ^» ut: ait prophetia, so lautet nämlich die
Weissagung (des Balaam): 4. Buch Moses c. 24, v. 7.
Philo lebte wohl zur Zeit des Heilandes, aber in der Welt-
stadt Alexandria. Ob er persönlich etwas von Christus er-
fahren hat, ist ims nicht bekannt. Darum ist sein Zeugnis
ganz allgemein gehalten, gibt aber die Messiashoffnung seiner
Umgebung wieder: 'EHcXeuaeTai, er wird ausziehen, er wird
kommen! — Genaueres aber hören wir von einem anderen
jüdischen Schriftsteller, welcher um jene Zeit in Jerusalem
selbst lebte, dort geboren und erzogen war.
12. Flavius Josephus berichtet von Christus.
(„Antiquitatumludaicarum**, Jüdische Altertümer, 1. XVIII,
c. 3, n. 3.)
Der Schriftsteller Flavius Josephus wurde im Jahre 37
n. Chr. zu Jerusalem von angesehenen Eltern geboren. Schon
frühzeitig bekundete er bedeutende Anlagen, welche durch eine
sorgfältige Erziehung ausgebildet wurden. Mit 19 Jahren schloss
er sich den Pharisäern an, ohne jedoch der strengsten Richtung
derselben zu huldigen. Etliche Zeit vor dem Ausbruche des
jüdischen Krieges (a. 66 n. Chr.) begab er sich nach Rom, um
ein Fürsprecher für einige gefangen gehaltene Freunde zu sein.
Seine Reise war von Erfolg. In der grossen Stadt lernte er
fremde Sitten und Gebräuche und kehrte als Weltmann zurück.
Sein Hers war zwischen Rom und Jerusalem geteilt. Als bald
hierauf die Juden sich gegen die römische Herrschaft erhoben,
wurde er vom Hohen Rate zum Befehlshaber von Galilaea
ernannt. Fast zwei Monate lang verteidigte er sich in der
Festung Jotapata mit Mut und Geschick gegen den römischen
Feldherrn Vespasjan. Nach Erstürmung derselben kam er in
Gefangenschaft, verkündigte aber dem Vespasian und seinem
Sohne Titus den römischen Kaiserthron. (Vgl. S. 12 f.) Als
dies eingetroffen war, erhielt er die Freiheit und nahm aus
Dankbarkeit d«h Namen Flavius an. Bei der Belagerung von
Jerusalem weilte er im Lager des Titus und versuchte mehr-
mals fruchtlos, die Juden zu einer freiwilligen Übergabe zu
bewegen. Nach dem Falle der Stadt (a. 70) zog er mit nach
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- 25 -
Rom und erhielt das Bürgerrecht daselbst, nebst Jahresgehalt
und Wohnung im Hause des Kaisers. Hier lebte er in Frieden
und Ruhe bis zum Jahre 101 n. Chr., schriftstellerischen
Arbeiten zugewandt, welche eine Aufnahme in die römische
Staatsbibliothek fanden. Auch wurde ihm eine Statue (auf
dem Forum Romanum) errichtet. (Cfr. Eusebii „Historiae Ec-
clesiasticae" 1 III, c. 9.) In seinem Werke „Antiquitates lu-
daicae**, Jüdische Altertümer, 1. XVIII, c. 3, n. 3, spricht er
von dem römischen Landpfleger Pontius Pilatus (26 — 36 n. Gkr.)
in Jerusalem und fährt dann weiter:
riTV€Tai bi Kaxci toötov töv xpovov 'IncToö^ xi^, (Tocpö^ <ivf|Py
€it€ fivbpa auTÖv X^Y^iv xpn- ?iv T^P irapaböHiov lpTU)v TTOiirrfi^, bibd-
cXKaXo^ dvGpuiTruiv täv fibovq t' dXr]On bexo^^vuiv Kai ttoXXou^ iiiv
noubaiou^, TToXXou^ bfe Kai dirö toO ^EXXtivikoO dTniTdT€TO. '0 XpicTT.ö^
ouTO^ fjv Kai auTÖv dvbeiHci tOuv Tipurruiv dvbpöv nap' fjjiiiv' (TTaupip
dTTiTCTijLiTiKÖToq TTiXdTOu oök dTTaucTavTC ol TÖ TipdiTOV äfam\aoyTi.(;'
icpdvr] tdp auTOiq xpiTTiv ?x^v f^^pav irdXiv Ciliv, tuiv Geiiov irpo-
(pilToiv TaCra re Kai dXXa jiiupia irepi aÖToO OaujiidcTia elpHKÖTiov
eiq Iti re vöv tOjv XpicTTiavdiv dirö loObe d)vo^a(T^^vlüV oök dir^XiTTC
TÖ cpOXov (Cfr. Eusebii „Historiae Ecclesiasticae** 1. I, c. 11;
„Demonstrationis Evangelicae" 1. III, c. 5, p. 124).
lisdem temporibus lesus quidam f uit, vir sapiens, si tarnen
virum eum appellare fas est. Erat quidem admirabilium ope-
rum effector, doctorque eorum, qui veritatem libenti animo
amplexabantur. Multos ille partim ex ludaeis partim ex gen-
tilibus sectatores sibi adjunxit. Bic erat Christus. Quem a
gentis nostrae delatum primoribus quum Pilatus crucis supplicio
addixisset, ii twnen, qui illum dilexerant, eum deinceps colere
non destiterunt. Tertio enim die vivus ac spirans eis apparuit,
prout divini prophelae haec et alia quam plurima de illo mi-
rifica praedixerant. Abhinc porro Christiailprum genus, qui
ab eo nomen sumpserunt, ad nostram usque aetatem continua-
tum manet.
Um diese Zeit lebte Jesus, ein Mensch voll Weisheit, wenn
man ihn überhaupt einen (gewöhnlichen) Menschen nennen darf.
Er tat nämlich ganz unglaubliche Dinge (Wunder) und war
Lehrer derjenigen Leute, welche gern die Wahrheit aufnahmen ;
so zog er viele Juden und Viele aus dem Heidentume an sich.
Er war der (verheissene) Messias. Auf die Anklage der Vor-
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- 26 -
nehmen bei uns verurteilte ihn zwar Pilatus zum Kreuzestode;
gleichwohl wurden ihm die, welche ihn früher geliebt hatten,
auch jetzt nicht untreu. Er erschien ihnen nämlich am dritten
Tage wieder lebend^ wie gottgesandte Propheten neben tausend
anderen wunderbaren Dingen von ihm vorausgesagt hatten.
Noch bis jetzt hat das Volk der Christen, welche sich nach
ihm benennen, nicht aufgehört zu existieren*
Das Werk über „Die jüdischen Altertümer" vollendete
Flavius Josephus erst gegen 94—95 unserer Zeitrechnung in
Rom, während er inzwischen die Grabschrift seines Volkes
„Über den jüdischen Krieg" (De hello ludaico) in 7 Büchern
fertiggestellt hatte. Wie oben gesagt wurde, fanden seine
Schriften eine Aufnahme im römischen Staats - Archive , in
welchem sie vor willkürlichen Veränderungen und Zusätzen
gesichert waren. Als nun Constantin nach dem Siege über
Maxen tius (28. Oktober 312) in Rom eingezogen war, fielen
ihm auch die Staats-Archive zu, deren Benützung er seinem
Freunde, dem Geschichtsschreiber Eusebius Pamphili, freistellte.
So konnte dieser das Original „der jüdischen Altertümer" für
seine historischen und apologetischen Arbeiten verwenden.
(Cfr. „Historiae Ecclesiasticae" 1. I c. 11, und 1. III, c. 9; sowie
„Demonstrationis Evangelicae" 1. III, c. 5.) Seit dieser Zeit
finden wir den griechischen Text des „Christus-Kapitel'' in allen
Handschriften der „Jüdischen Altertümer" unverändert vor»).
Darum ist die Behauptung, die Christen hätten dieses Kapitel
unterschoben, wissenschaftlich nicht haltbar. Bis zum 16. Jahr-
hundert blieb dasselbe unbeanstandet; erst seit dieser Zeit
tauchen Zweifel auf. Man vergisst aber hierbei, dass schon
die ältesten Kirchenschriftsteller, wie Eusebius, Hieronymus,
Ambrosius, Cassiodorus u. a. dieses Zeugnis kennen und sich
desselben bedienen. Demgegenüber hat ein Wahrscheinlich-
1) Für die Textüberlieferung von den Tagen des Eusebius an und
die folgenden Jahrhunderte ist es von grosser Bedeutung, dass seit Eu-
sebius alle erhaltenen Handschriften, abgesehen von einigen ganz unerheb-
lichen Verschiedenheiten, wie den Differenzen von Partikeln und Prä-
positionen, z. B. : (iiniT(iT€TO für iitti^dyeTO ; iEciraOaovTO für iiraOaavxo u. dgl. ;
genau übereinstimmen. Die kleinen Varianten sind auf Rechnung der
Abschreiber zu setzen.
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— 27 —
keitsgrund keine Bedeutung. Zudem müssen wir auch die
Zeit und Umstände genau erwägen, unter denen Flavius Jose-
phus schrieb, um seine Angaben über Christus recht würdigen
zu können. Er verfasste sein Werk zu Rom, nachdem Jeru-
salem und sein Tempel schon längere Jahre zerstört in Schutt
und Asche lagen. Der jüdische Staat war vernichtet, sfeine
nationale Existenz war dahin: das Volk selbst irrte heimatlos
und flüchtig in der ganzen Welt umher ohne Führer, ohne
Tempel, ohne Altar und hohen Priester. Die Geschlechts-
register der zwölf Stämme Israel waren mit dem Tempel-
archive im Brande der Stadt vernichtet worden. Diesen tra-
gischen Untergang seiner Nation hatte Flavius Josephus mit
eigenen Augen gesehen und in den sieben Büchern „Über den
jüdischen Krieg" beschrieben, ehe er sein Werk „Über die
jüdischen Altertümer" vollendete. Ungehindert durch den Streit
der Parteien, welche einst zu Jerusalem sich auf den Tod. be-
feindeten, konnte er in dem fernen Rom ruhig und objektiv
die Vergangenheit seines Volkes überdenken und geschichtlich
aufzeichnen. Überdies von seinen Stammesgenossen wegen
seines Anschlusses an die Römer gemieden, glaubte er auch
keine Rücksicht mehr auf ihre Abneigung gegen den gekreu-
zigten Messias nehmen zu sollen. Zudem sah er in dem Masse,
wie das Judentum versank, das junge Christentum sich er-
heben und aufblühen. In seiner Jugendzeit (ca. 52 n. Christus)
wurde das Appstelkonzil zu Jerusalem gehalten, die 12 Send-
boten des H^rrn predigten in der ganzen Welt, die 4 hl. Evan-
gelien wurden geschrieben, und viele Heiden und Juden glaubten
dem Worte Gottfes. In Rom selbst war sc^on eine Christen-
gemeinde, und die Apostelfürsten Petrus und Paulus hatten
hier im Jahre 67 den Martyrtod erlitten. Sogar in der Flavi-
schen Regentenfamilie zählte das Christentum seine Bekeniier:
den Konsul Titus Flavius Clemens und die edle Jungfrau
Flavia Domitilla. Unter diesen Umständen konnte Flavius
Josephus das Referat über „Christus" ungefährdet nieder-
schreiben. Für die Heiden war ja Christus der vielgenannte
Stifter einer neuen Religionsgesellschaft , für die Juden freilich
der gehasste Jesus von Nazareth, für die Christen aber der ver-
heissene Messias. Das Zeugnis des Flavius Josephus ist so vor-
sichtig gehalten, dass er dasselbe überall verteidigen konnte.
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-^ 28 -
Heiden und Christen hatten nichts dagegen einzuwenden,
und der Zorn der Juden konnte ihm nichts anhaben, denn er
stand in der Gunst des kaiserlichen Hauses.
Wir Christen sind zwar auf dieses Zeugnis nicht beson-
ders angewiesen, um die Wahrheit unserer hl. Religion ?u ver-
teidigen. Wir haben andere und sichere Gründe dafür, immer-
hin ist es wertvoll als geschichtliches Dokument nebei^ den
vier Evangelien-Schriften. Es beweist nämlich: 1. "bie ge-
schichtliche Existenz Jesu Christi; 2. seine weise Lehrmethode;
3. seine Wunder; 4. den Hass der regierenden Volkspartei;
5. seinen Kr^euzestod unter dem Landpfleger Pontius Pilatus;
6. seine Auferstehung am dritten Tage; 7. die treue Liebe
seiner Jünger, und 8. die Fortdauer seiner Kirche. — Die Echt-
heit dieses „Christus-Kapitel" in seinem vollen Umfange ver-
teidigen u. a. in neuerer Zeit: Prälat Kaulen „Des Flavius
Josephus Jüdische Altertümer", Anmerkung zu Buch 18, Kap. 3;
Kneller, S.J. „Stimmen aus Maria-Laach", 53. Bd., S. 1 f., 1897:
Seite 7 : „Das Christus-Kapitel ist von Seiten der Überlieferung
ebenso gesichert, wie nur irgend eines im Josephus". Femer
Professor Anton Seitz zu München „Christus Zeugnisse aus dem
klassischen Altertume", Seite 9 f. Cöln bei J. P. Bachem 1906.
13. Suetonius über Christus und die Christen.
Der römische Geschichtsschreiber Suetonius Tranquillus,
geboren nach der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.), war
Sachwalter und zeitweilig Sekretär des Kaisers Hadrian (117
bis 138). Auch verfasste er einen Literaturbericht und die
Lebensbeschreibung der römischen Kaiser von Julius Caesar
bis auf Nerva. In seiner Biographie des Claudius erzählt er:
„ludaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma ex-
pulit" (1. V, c. 25). Claudius verbannte die Juden aus Rom, weil
sie auf Anstiften eines gewissen Chrestus in beständiger Un-
ruhe sich befanden. Damit stimmt überein, was der Evangelist
Lucas in der Apostelgeschichte c. 18, v. 2 erwähnt. Er sagt
nämlich: Paulus habe auf seiner zweiten grossen Missionsreise
im Jahre 53 den Aquilas nebst Priscilla zu Korinth angetroffen,
welche von^ Italien dahin gekommen waren, weil der Kaiser
Claudius befohlen hatte, dass alle Juden aus Rom sich ent-
fernen müssten. Als Grund für die Ausweisung gibt Suetonius
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— 29 —
an: Auf Anstiften eines gewissen Chrestus sei die römische
Judenschaft in beständiger Unruhe gewesen. Höchst wahr-
scheinlich ist hiermit Christus, der Erlöser gemeint, über wel-
chen die Juden durch die Predigt des Apostels Petrus auf dem
Pfingstfeste zu Jerusalem (Apostelgeschichte c. 2, 10), und
später in Rom selbst (ibidem c. 12, 27) genauere Kunde er-
hielten.
Es waren daher dogmatische Fragen zur Diskussion ge-
stellt: ob Jesus von Nasaret h der Gekreusigte^ der CkristuSy d,h.
der rerheissene Messias sei oder nicht. Von diesen sehr lebhaft
geführten Erörterungen in der römischen Judenschaft berichtet
Lucas : Apostelgeschichte c. 28. v. 23—30. Als nämlich Paulus
nach Rom gekommen war, beschied er die Juden zu sich in
die Herberge und hielt unermüdlich Vorträge von dtesem Thema,
indem er aus Moses und den Propheten tiberzeugend nachwies,
dass Jesus von Nazareth der Christus sei : „Nachdem er ihnen
dieses gesagt hatte, gingen die Juden weg von ihm, während
viel Streitens unter ihnen war''. (Vers 29.) Die Bemühungen
der Apostel hatten den Zweck, die Annahme des Christentums
in Rom zu erwirken, was auch bei sehr vielen erreicht wurde.
(Cfr. Ep. ad Romanos I, 7—9.) Aus, diesem Grunde gab es
ausser den theologischen Differenzen unter den Heiden, Juden
und Christen auch noch weitgreifende gesellschaftliche Unter-
schiede und Folgen. Das alles fasst Suetonius mit dem Aus-
drucke zusammen : Claudius Imperator ludaeos impülsore Chresto
assidue tumultantes Roma expulit. Dass aber unter Chrestus
wirklich Jesus Christus zu verstehen sei, entnehmen wir aus
dem Kirchenschriftsteller TertuUian (160 nach Chr.), welcher
in seiner Apologie c. 8 sagt: „quum perperam CAr^stianus (pro
Chr/stianus) a vobis pronunciatur". Und in seinem Buche „Ad
nationes" 1. I, c. 8: „quum corrupte a vobis <Chr^stiani' pro-
nunciatur". Das Wort: Christianus (ein Christ) wird von euch
falsch: Chr^stianus ausgesprochen. Bei den Römern war es
üblich: Christus für Chr/stus, Chr^stianus statt Chr/stianus zu
sagen. Und so hat wohl Suetonius die Schreibweise Chrestus
aus der von ihm benutzten Staatsurkunde der kaiserlichen
Erlasse des Claudius entnommen und beibehalten. In dama-
liger Zeit glaubte man, Juden und Christen seien eine zusam-
mengehörende Religionsgenossenschaft, bis unter dem Kaiser
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- 30 -
Nero eine Scheidung eintrat. In der Lebens-Beschreibung des-
selben sagt nämlich Suetonius (L VI, c. 16): „Afflicti Christiani
suppliciis, genus hominum superstitionis novae et maleficae^.
Die Christen wurden mit dem Tode bestraft ; sie bilden näm-
lich eine Menschensorte, welche einen neuen (nicht staatlich an-
erkannten) und schädlichen (wegen der grossen Propaganda)
Aberglauben eingeführt haben.
Als der Kaiser Nero die alte Stadt Rom in Brand gesetzt
hatte, um eine neue Stadt bauen zu können, liess er sich von
den Juden aufreizen, den Verdacht von sich abzulenken und
die Christen als Schuldige hinzustellen. Nur so dachte er
den Zorn des erbitterten Volkes besänftigen zu können. Die
Christen wurden hierauf in der grausamsten Weise hingerichtet:
die lebenden Fackeln des Nero! Als Hof -Biograph meint aber
Suetonius: Die Christen hatten eine solche Strafe verdient; denn
sie bilden eine Menschenklasse, welche sich erkühnt haben,
einen neuen und schädlichen Kultus einzuführen. Nach heid
nischer Auffassung stand es bloss dem römischen Senate zu,
eine neue Religionsübung zu gestatten. Auch vermochte man
nicht zu begreifen, wie die Christen es wagen konnten, gegen
alle Sitte und abweichend von dem römischen Volksglauben,
nur einen und dazu noch gekreuzigten Gott anzubeten. Her-
kömmlich wurden die Sklaven allein, die geringste Menschen-
sorte, zur Strafe ihrer Frevel an das Kreuz geschlagen. Zu-
dem hielten sich die Christen von den glanzvollen Begehungen
der heidnischen Staatsreligion ganz fern. Das beleidigte den
Stolz der hochfahrenden Römer. Schliesslich hegten dieselben
noch die Besorgnis, durch die erfolgreiche Propaganda für das
Christentum würden die Tempel ihrer Götter verödet. Dies
bezeugt ausdrücklich Plinius, der Jüngere, in einem Briefe an
den Kaiser Trajan, deren beider Freund Suetonius war. (Epi-
stola 96. editionis Keil, Leipzig 1886.) Also: Hinweg mit den
Christen, welche eine neue und schädliche Religion ohne Er-
laubnis des römischen Senates eingeführt haben! Aus diesen
Gründen war Suetonius gegen die Christen eingenommen und
eine gerechte Würdigfung derselben ihm nicht möglich. (Cfr.
Evgl. S. Matthaei c. 24, 9 sq.; I. ad Corinthios 1,23.)
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- 31 —
14* Die Ahnungen des Cicero von der Aufgabe des Evangeliums.
Der römische Redner Marcus TuUius Cicero war geboren
zu Arpinum am 3. Januar 106 und starb (ermordet) am 7. De-
zember 43 V. Chr. Von seiner Jugend an widmete er sich
mit ungewöhnlichem Fleisse und hohem Ernste den vielseitig;
sten literarischen Arbeiten, um seine guten Anlagen gründlich
auszubilden. Er studierte zu Rom, Athen und Rhodus, wo er
die vorzüglichsten Meister hörte und sich auf das Amt eines
Gerichtsredners und feinen Stilisten allseitig vorbereitete. Seine
Schriften sind zahlreich und bleiben ein Muster der lateinischen
Sprache. Obgleich er zu Rom in einer sehr verdorbenen Um-
gebung lebte, so lassen doch nur wenige Stellen in seinen
vielen Abhandlungen das Zartgefühl vermissen. Wie S. Augu-
stinus „Confessionum" 1. III, c. 4 bemerkt, hat Ciceros Schrift
„Hortensius" ihn mit hoher Begeisterung und grossem sittlichen
Ernst erfüllt und zu Gott hingelenkt, so dass er ein besserer
Mensch geworden sei.
In unseren Tagen („Deutsche Rundschau** 1899) sagt
E. Hühner von Cicero, derselbe habe aus dem gesamten Er-
trage der griechischen Philosophie mit grossem Takte zuerst
das herausgehoben, was seitdem ein Gemeingut der höheren
Bildung aller Zeiten geblieben ist.
In seinem Werke „De republica" 1. III, c. 22 eilt Cicero
sogar ahnend der grossen Weltaufgabe voraus, welche bald
nach il^m das Christentum in Angriff nehmen sollte. Die be-
treffenden Worte lauten : „Non erit alia lex Romae, alia Athenis,
alia nunc, alia posthac; sed et omnes gentes et omni tempore
una lex sempiterna et immutabilis continebit, unusque erit
communis quasi magister et Imperator omnium: Dens! Und
nicht mehr wird ein anderes Gesetz in Rom herrschen, ein
anderes in Athen, ein anderes für die Gegenwart, ein anderes
für die Zukunft, sondern alle Völker aller Zeiten wird ein Gesets
ewig und unwandelbar umfangen, und es wird über alle gleich-
sam nur ein Lehrer und Herrscher walten: Gott!
Hierin liegt eine Vorbedeutung der segensreichen Wir-
kung des Evangeliums Jesu Christi, in welchem die Sehnsucht
der ganzen Menschheit erfüllt wird. Nicht lange Jahre nach
Ciceros Tode erschien der Welterlöser und hinterliess seinen
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— 32 —
Jüngern den Auftrag: „Gehet hin in alle Welt, lehret alle Völker
und taufet sie . . . Lehret sie auch, alles zu halten, was ich
euch befohlen habe. Siehe: ich bin bei euch alle Tage bis
zur Vollendung der Weltzeit!" Vgl. Evgl. S. Matthaei 28, 19
u. 20. Folgsam dem Worte des Heilandes zogen die Apostel
aus Jerusalem und predigten tiberall, indem der Herr mit ihnen
wirkte und ihre Rede bestätigte durch die nachfolgenden Zeichen
(Wunder). Nach Markus' Evgl. 16, 20.
Über den tatsächlichen Erfolg dieser weltumfassenden
evangelischen Verkündigung berichtet am Schlüsse des 2. christ-
lichen Jahrhunderts S. Irenaeus, Bischof und Märtyrer zu Lyon
(177 — 202), wenn er sagt: „Ecclesia Christiana etsi per orbem
Universum usque ad extremos terrae fines dispersa est, fidem
(doctrinam atque disciplinam) tamen eam, quam ab Apostolis
eorumque discipulis accepit, summo studio et cura perinde at-
que unam domum incolens conservat, atque velut animam unam
unumque idemque cor habens, his aeque fidem accommodat,
et miro consensu quasi uno ore praedita. haec praedicat et
docet et tradit. Quamquam enim dispares inter se linguae simt,
una tamen et eadem est traditionis vis (Inhalt) ac neque eae^
quae in Germania sitae sunt Ecclesiae aliter credunt aut aliter
tradunt, neque quae in Hispaniis^ aut Galliis, aut in Oriente,
aut in Aegypto^ aut in Mediterraneis orhis regionibus sedem
habent.
Verum ut Sol hie a Deo conditus in universo mundo unus
atq[ue idem est, ita etiam veritatis praedicatio passim (an allen
Orten) lucet, omnesque homines, qui ad veritatis Cognitionen!
venire cupiunt, illustrat." S. Irenaei „Ad versus omnes haereses"
1.1, c. lOsq.i).
Die christliche Kirche ist nunmehr über die ganze Welt
bis zu den äussersten Grenzen der Erde verbreitet. Aber den
Glauben, welchen sie von den Aposteln und deren Jüngern
empfangen hat, bewahrt sie mit höchstem Eifer und treuester
Sorge, gleichsam als bewohnte sie nur ein Haus, und sei mit
nur einer Seele und ein und demselben Herzen begabt*). Auch
^) Der griechische Text der kursiv gedruckten Worte lautet : Kai oÖt€ a\
bt r€p|uav(ai(; ibpu}ji^vat *EKKXr]ö(ai äXXuj^ ireTTiaxcOKadiv f\ dXXuu^ irapaöiööaatv,
oÖT€ ^v Ta1(; 'lßr)p{ai(; ktX.
*) Vergleiche die grosse Bemühung, welche sich in der Encyclica
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— 33 —
vertraut sie der apostolischen Wahrheit gleichmässig, und in
wunderbarer Übereinstimmung wie mit einem Munde predigt,
lehrt und überliefert sie dieselbe. Obgleich nämlich die Sprachen
unter sich verschieden sind, so ist der Inhalt der kirchlichen
Lehre und Überlieferung dennoch ein und derselbe. Und so
kommt es, dass die Kirchen, "welche in Germanien (Deutschland:
Trier, Mains und Cöln) gegründet sind, keinen anderen Glauben
und keine andere Überlieferung haben, als diejenige, welche in
Spanien, Gallien (Frankreich), im Morgenlande, in Ägypten^ in
Afrika und in den Gegenden des mittelländischen Meeres (Italien:
Rom; Griechenland: Athen u, s.f) ihren Sits haben. Denn
gleichwie unsere von Gott erschaffene Sonne auf der ganzen
Welt eine und dieselbe ist, so strahlt auch die Verkündigung
der christlichen Wahrheit an allen Orten, und erleuchtet alle
Menschen, welche Verlangen haben, zur Erkenntnis der Wahr-
heit zu kommen.
Wenn wir nun an dieser Stelle die Worte des Cicero:
„Und nicht mehr wird ein anderes Gesetz in Rom herrschen,
ein anderes in Athen" u. s. f., mit der obigen Darlegung des
hl. Irenaeus vergleichen, so gelangen wir zu dem Resultate,
dass seine Ahnungen von einem die ganze Weit und alle Zeiten
umfassenden einheitlichen Gottesreiche sich in der christlichen
Kirche wunderbar erfüllt haben.
15. Tacitus erzählt über Christus und die Christen.
Von den idealen Anschauungen eines Cicero in der repu-
blikanischen Zeit waren die Ansichten der Historiker aus den
Tagen der Kaiser weit entfernt. Sie hielten nämlich den römi-
schen Staat für die einzige Quelle alles Rechtes. Aus diesem
Grunde besassen sie noch kein Verständnis für das Christen-
tum, welches seine Existenzberechtigung aus einer höheren
und geistigen Welt herleitete und die geforderte Anbetung
der Cäsaren Oberhoheit versagte. Bei dieser grundsätzlichen
Verschiedenheit der gegenseitigen Rechtsbegriffe konnte eine
für die Christen höchst schmerzliche Auseinandersetzung nicht
ausbleiben. Wie schon S. 30 f. angegeben wurde, entstand im
Pius* X. vom 8. September 1907 „Pascendi Dominici Gregis" kund gibt,
um die Reinheit des Glaubens in unseren Tagen zu bewahren.
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 3
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- 34 -
Jahre 64 n. Chr. ein furchtbarer Brand zu Rom, welcher sechs
Tage und sieben Nachte anhielt und einen grossen Teil der
alten Stadt vernichtete. Manche nun beschuldigten den Kaiser
Nero, dieses Flammenmeer verursacht zu haben, um eine neue
und schönere Stadt zu gewinnen. Aber wenn auch die Römer
schon gelernt hatten, von ihren Kaisem sehr Hartes zu erdulden,
so erweckte dennoch jene mutwillige Barbarei eine grosse und
bedrohliche Aufregung im Volke. Damit er nun das Gehässige
der Tat von sich abwälzen könne, verfiel Nero auf ein bos-
haftes Mittel. Doch wollen wir hierüber den Geschichtsschreiber
Tacitus vernehmen, welcher ca. 54 n. Chr. geboren das Un-
glück seiner Vaterstadt persönlich erlebt und beschrieben hat.
Er starb ungefähr 120 n. Chr. In den „Annalen", oder, wie
sie in der ersten Mediceischen Handschrift bezeichnet werden,
die Bücher „ab excessu divi Augusti", 1. XV, c. 38 sq. erzählt
er diesen Vorgang, und kommt dann c. 44, n. 10 sq. auf die
Beschwichtigungsversuche des Kaisers Nero zu sprechen: „Ergo
abolendo (,Romae incensae*) rumori Nero subdidit reos et quae-
sitissimis poenis adfecit, quos per flagitia invisos vulgus Chri-
stianos appellabat. Auetor nominis ejus Christus Tiberio im-
peritante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio (crucis)
adfectus erat: repressaque in praesens exitiabilis superstitio
rursus erumpebat, non modo per ludaeam^ originem ejus mali,
sed per urbem etiam (Romanam), quo cuncta undique atrocia
aut pudenda confluunt celebranturque. Primum igitur correpti
qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens haud
perinde in crimine incendii, quam odio generis humani convicti
sunt" 1). Um dieses Gerücht zu unterdrücken (der Kaiser habe
1) Dieses Zeugnis ist um so bedeutsamer, als Tacitus seine Angabe
machte auf Grund von eigenen Prüfungen, deren Spuren gerade an dieser
Stelle sich nachweisen lassen. Wie nämlich die neueren Untersuchungen
der diesbezüglichen Handschrift zeigen, stand an der Stelle „quos vulgus
Christianos appellabat", nicht Chr/stianos, sondern Chr^tianos; dagegen
ist gleich darauf Chr/stus und nicht Chr^tus (cfr. Seite 28 und 29: auctore
Chr^to, nach Suetonius) geschrieben. Prof. Adolph Harnack, von welchem
wir diese Mitteilung entnehmen, bemerkt dazu : „Nun ist alles klar, Tacitus
sagt, das Volk nenne diese Sekte: Chr^tiani, er aber — auf besseres
Wissen gestützt, wie ja auch Plinius (vgl. Seite 36 sq.) Chnstiani schreibt —
korrigiert stillschweigend diese Bezeichnung, indem er den auctor nominis
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- 35 -
selbst die Stadt anzünden lassen) gab Nero andere als schuldig
an und verhängte die ausgesuchtesten Strafen über jene, welche
das Volk allgemein Christen nannte, und die wegen ihrer
Schandtaten verhasst waren. Der ursprüngliche Träger jenes
Namens: Christus war unter der Regierung des Tiberius durch
den Statthalter Pontius Pilatus mit dem (Kreuzes-)Tode bestraft
worden. Für den Augenblick schien nun jener verderbliche
Aberglaube zurückgedrängt zu sein; bald aber brach er sich
wieder Bahn, nicht bloss im Gebiete von Judaea, dem Herde
dieses Übels, sondern auch in der Stadt Rom, wohin alles Un-
glückdrohende und Schändliche zusammenströmt und verbreitet
wird. Man ergriff zunächst diejenigen, welche ein Geständnis
ablegten. Sodann wurde auf ihre Anzeige hin eine zahllose
Menge, nicht sowohl wegen des Verbrechens der Brandstiftung
als des Hasses der menschlichen Gesellschaft für schuldig er-
kannt. — Nach kurzer Schilderung der furchtbaren Peinen,
welche nunmehr über die Christen verhängt wurden, schliesst
Tacitus: „Unde quamquam ad versus sontes et novissima exempla
meritos miseratio oriebatur lamquam non utilitate publica, sed
in saevitiam unius absumerentur". Und so regte sich denn
Mitleid gegen die Christen, welche gleichwohl schuldig waren
und die härtesten Strafen verdienten, gleichsam als ob sie nicht
zur öffentlichen Wohlfahrt, sondern um der Grausamkeit eines
Einzigen wegen in grosser Masse getötet würden. Aus der
ganzen Darstellung geht hervor, dass Tacitus in seinem Ur-
teile über die Christen ungerecht ist. Obgleich er den ver-
leumderischen Charakter der gegen dieselben erhobenen An-
klage der Brandstiftung dargelegt hat, hält er sie gleichwohl
für schuldig und grösster Bestrafung würdig. Auch schenkt
er den landläufigen Beschuldigungen der Christen ein williges
Gehör: sie seien ein lichtscheues und gefährliches Gesindel,
welches die Adorierung der Götter- und Kaiserbilder ablehne
und durch Fernbleiben von den prunkvollen Begehungen der
richtig „Chnstus" nennt. Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass
die Zeitform „appellabat" auffallend ist. Warum schrieb Tacitus nicht
„appellat'9 Wollte er andeuten, dass maxi/efzf allgemein über den Ursprung
dieses Namens aufgeklärt sei ?'* Vgl. Harnack, „Die Mission und Ausbreitung
des Christentums iri den drei ersten Jahrhunderten". Leipzig 1902, S. 297!
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- 36 -
vaterländischen Religion das Nationalgeftihl des weltbeherrschen-
den Römers beleidige. Und Tacitus eiferte für die Wiederher-
stellung des altrömischen Wesens in allen seinen Schriften.
Darum kannte er keine Schonung für die Christen, welche ihm
verhasst waren. Sein Zeugnis aber für Jesus Christus und
dessen Kreuzestod unter Pontius Pilatus ist immerhin wertvoll
als geschichtliche Nachricht. .
16. Das Zeugnis des Plinius Junior.
Ein Freund des Geschichtsschreibers Tacitus und des
Kaisers Trajan war Plinius Caecilius Secundus Junior. Geboren
im Jahre 61 oder 62 n. Chr. starb er 114 zu Rom. Von seinem
Oheim Plinius Secundus Major, dem Verfasser der Historia
Naturalis (Naturgeschichte) in die Wissenschaft eingeführt,
weilte 111—113 als kaiserlicher Statthalter in Bithynien (Klein-
Asien). Das Christentum hatte sich durch die Wirksamkeit
der Apostel (vgl. I. ep. S. Petri c. 1, v. 1 sq.) auch in dieser
Provinz sehr ausgebreitet, so dass der neue Landpfleger darüber
erstaunte und nicht recht wusste, ob er milde oder strenge
gegen die Christen auftreten sollte. Von einigen Prätoren war
bereits ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden, welches
die Todesstrafe über dieselben ausgesprochen hatte. Um nun
sicher zu gehen, wendete sich Plinius an den Kaiser Trajan,
damit er Verhaltungsmassregeln erhalte. Sein Gesuch hat
folgenden Wortlaut:
C. Plinius Trajano Imperatori S. D. P,!
Solemne est mihi, Domine, omnia de quibus dubito ad
Te referre. Quis enim potest melius vel cunctationem meam
regere, vel ignorantiam exstruere? Cognitionibus de Christianis
interfui numquam: ideo nescio quid et quatenus aut puniri
soleat aut quaeri. Nee mediocriter haesitavi, sitne aliquod dis-
crimen aetatum, an quamlibet teneri nihil a robustioribus difl*e-
rant, detur poenitentiae venia, an ei qui omnino Christianus
fuit desisse non prosit, nomen ipsum, si flagitiis careat, an fla-
gitia cohaerentia nomini puniantur. Interim in iis, qui ad me
tamquam Christiani deferebantur, hunc secutus sum modum.
Interrogavi ipsos an essent Christiani. Confitentes iterum ac
tertio interrogavi, supplicium minatus: perseverantes duci (ad
supplicium) iussi. Neque enim dubitabam, qualecunque esset
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— 37 -
quod fraterentur, pertinaciam certe et inflexibilem obstinationem
debere puniri. Fuerunt alii similis amentiae, quos, quia cives
Romani erant, adnotavi in urbem remittendos. Mox ipso trac-
tatu, ut fieri solet, diffundente se crimine plures species inci-
derunt. Propositus est libellus sine auctore multorum nomina
continens. Qui negabant esse se Christianos aut fuisse, quum
praeeunte me deos appellarent et imagini Tuae, quam propter
hoc iusseram cum simulacris numinum adferri, ture ac vino
supplicarent, praeterea male dicerent Christo, quorum nihil cogi
posse dicuntur, qui re vera sunt Christiani, dimittendos esse
putavi. Alii ab indice nominati esse se Christianos dixerunt
et mox negaverunt; fuisse quidem, sed desisse, quidam ante
plures annos, non nemo ante viginti quoque. Omnes et ima-
ginem Tuam deorumque simulacra venerati sunt et Christo
male dixerunt. Affirmabant autem hanc fuisse summam vel
culpae suae vel erroris, quod essent soliti stato die ante lucem
convenire carmenque Christo quasi Deo dicere secum invicem^
seque sacramento non in scelus aliquod obstringere, sed ne
furta, ne iatrocinia, ne adulteria committerent, ne fidem falle-
rent, ne depositum appellati abnegarent: quibus peractis morem
sibi discedendi fuisse rursusque coeundi ad capiendum cibum,
promiscuum tamen et innoxium; quod ipsum facere desisse
post edictum meum, quo secundum mandata Tua hetaerias esse
vetueram. Quo magis necessarium credidi ex duabus ancillis,
quae ministrae dicebantur, quid esset veri etiam per tormenta
quaeri. Nihil aliud inveni quam superstitionem pravam, im-
modicam. Ideo dilata cognitione ad consulendum Te decucurri.
Visa est enim res digna consulatione, maxime propter pericli-
tantium numerum. Multi enim omnis aetatis, omnis ordinis,
utriusque sexus etiam vocantur in periculum et vocabuntur.
Neque civitates tantum sed vicos etiam atque agros super-
stitionis istius contagio pervagata est: quae videtur sisti et
corrigi posse. Certe satis constat prope iam desolata templa
coepisse celebrari et sacra sollemnia diu intermissa repeti pas-
turaque venire victimarum, cuius adhuc carissimus emptor in-
veniebatur. Ex quo facile est opinari, quae turba hominum
emendari possit, si sit poenitentiae locus. Vale!
Plinius sagt dem Kaiser Trajan bestes Heil!
Es ist mir zur Gewohnheit geworden, über alles, was mir
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-^ 38 --
Zweifel verursacht, an Dich, o Herr, zu berichten. Wer näm-
lich ist besser imstande, mein Zaudern zu beseitigen und meine
Unkenntnis zu belehren? Gerichtlichen Verhandlungen über
die Christen habe ich niemals beigewohnt; daher ist mir unbe-
kannt, was hierbei als Straf Objekt angenommen wird, oder
wie weit die Untersuchungen sich su erstrecken pflegen. Und
nicht in geringem Masse bin ich unschlüssig, ob nicht etwa
eine Rücksicht auf die Altersstufen zu nehmen ist, oder ob die
ganz Zarten (Schwachen) in gleicher Weise wie die Stärkeren
zu behandeln sind; soll nicht für die reuige Gesinnung eine
Verzeihung sein, oder wird es demjenigen, welcher zwar früher
ein Christ war, jetzt aber nicht mehr, keinen Vorteil bringen;
ist vielleicht der blosse Name: Christ, auch wenn er frei von
Verbrechen ist, schon hinreichend zur Bestrafung, oder sind
die Übeltaten, welche mit dem christlichen Namen als solchem
verbunden sind (nach dem Volksglauben : Verachtung der Götter,
^enschenhass, Hochverrat u. s. f.) ein Strafobjekt? Inzwischen
habe ich gegen diejenigen, welche mir als Christen angezeigt
wurden, nachstehendes Verfahren eingeschlagen. Ich befragte
dieselben, ob sie Christen seien. Die Geständigen fragte ich
wiederum und zum dritten Male, indem ich ihnen Todesstrafe
androhte. Die nun standhaft blieben, Hess ich zur Strafe ab-
führen. Ich zweifelte nämlich keineswegs, was auch immer
ihr Geständnis sein mochte, dass ihre Hartnäckigkeit und ihr
unbeugsamer Starrsinn (Widersetzlichkeit gegen die römischen
Staatsgesetze) auf jeden Fall zu bestrafen seien. — Andere gab
es zwar von ähnlicher Torheit; ich habe sie aber, weil sie
römische Bürger waren, in das Verzeichnis derer eingetragen,
welche (da sie an den Kaiser appelliert hatten) nach Rom zu
schicken sind. — Bald aber zeigte sich in der Gerichtsver-
handlung, wie es zu geschehen pflegt, dass bei dem weitver-
zweigten Verbrechen (der Christen) mehrere Unterschiede zu
machen waren. Es wurde nämlich ein Verzeichnis ohne Unter-
schrift mit den Namen vieler Christen vorgelegt. Die nun
leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu sein, habe ich
frei entlassen, besonders, da sie auf mein Vorbeten die Götter
anriefen, und Dein Bild, welches ich deshalb mit den Statuen
der Götter bringen liess, durch Spendung von Weihrauch und
Wein göttlich verehrten und überdies noch auf Christus schmäh-
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-- 5^ -
ten. Man sagt nun, dass die echten Christen sich hierzu durch-
aus nicht bewegen liessen. (Vgl. S. Polycarpus.) Andere da-
gegen, welche im Verzeichnisse angegeben waren, sagten zivar,
sie seien Christen, bald aber leugneten sie es : sie wären früher
Christen gewesen, jetzt aber nicht mehr; einige vor mehreren
Jahren, manche auch vor zwanzig Jahren. Alle haben sowohl
Dein Bild verehrt als auch die Statuen der Götter, auf Christus
aber schmähten sie. Sie beteuerten als ihre Hauptschuld und
ihren grössten Irrtum, dass sie gewohnt seien, an einem be-
stimmten Tage („Sonntag") vor Sonnenaufgang zusammen-
zukommen und Christus als Gott im Weckselgesange ein Lob-
lied darzubringen und sich heilig su verpflichten, kein Ver-
brechen zu begehen: keinen Diebstahl, keinen Strassenraub,
keinen Ehebruch auszuführen, nicht das gegebene Wort zu
brechen, auch nicht das anvertraute Gut abzuleugnen; hierauf
hätten sie die Sitte gehabt nach Hause zu gehen und bald
wieder sich zu versammeln, um eine Speise zu nehmen, welche
gemeinschaftlich sowie unschuldig war. Sie hätten das aber
sofort unterlassen, nachdem ich gemäss Deinem Auftrag einen
Befehl erliess, durch welchen y^die geheimen Gesellschaften^
untersagt waren. Um so mehr hielt ich es für nötig, durch
Anwendung der Folter aus zwei Dienstmägden, welche „Z)/a-
konissen^ genannt wurden, in Erfahrung zu bringen, was Wahres
an der Sache sei. Ich fand aber nichts, als einen verkehrten
und tiberspannten Aberglauben. Darum habe ich das Gerichts-
verfahren eingestellt, um Deinen Rat einzuholen. Denn die
Angelegenlieit scheint mir der Überlegung wert, besonders
wegen der grossen Ansaht der Gefährdeten. Viele nämlich
aus jedem Alter, jedem Stande, Männer wie Frauen, sind und
kommen in Gefahr. Und nicht bloss in die Städte, sondern
auch in die Dörfer und auf das flache Land hat sich die An-
steckung dieses Aberglaubens verbreitet: es scheint mir aber,
dass derselbe zum Stillstande und zur Einsicht gebracht wer-
den kann. Gewiss ist es schon zur Genüge bekannt, dass die
fast ganz verödeten Tempel (unserer Götter) wieder besucht
werden, und die schon seit geraumer Zeit unterlassenen feier-
lichen Opfer wieder in Übung kommen, dass ausserdem noch
Futter für die Opfertiere beschafft wird; für dasselbe fand sich
bisher nur höchst selten ein Käufer. Aus allem diesem kann
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man sich leicht einen Begriff machen, eine wie grosse Anzahl
von Menschen gebessert werden kann, wenn ihnen Zeit zur
Besinnung geschenkt wird. Lebe wohl!
Der Kaiser gab folgenden Bescheid:
Trajanus Plinio S. Z). P.!
Actum quem debuisti, mi Secunde, in excutiendis caussis
eorum qui Christian! ad te delati fuerant secutus es. Neque
enim in Universum aliquid, quod quasi certam formam habeat,
constitui potest. Conquirendi non sunt: si deferantur et argu-
antur, puniendi sunt, ita tarnen, ut qui negaverit se Christianum
esse idque re ipsa manifestum fecerit, id est: supplicando Diis
nostris, quamvis suspectus in praeteritum, veniam ex poeni-
tentia impetret. Sine auctore vero propositi libelli in nullo
crimine locum habere debent. Nam et pessimi exempli, nee
nostri saeculi est. Vale!
Trojan entbietet dem Plinius seinen Gruss!
Bei dem gerichtlichen Verfahren gegen diejenigen, welche
Dir als Christen angezeigt wurden, hast Du, mein Secundus,
pflichtmässig gehandelt. Denn hierin lässt sich keine allgemein
gültige Regel aufstellen. Die Christen sollen nicht aufgesucht
^werden. Bringt man sie jedoch zur Anzeige und überführt sie
(als Christen), so sind dieselben zu bestrafen; mit der Mass-
gabe, dass die, welche leugnen, Christen zu sein, um ihrer
Reue willen Verzeihung erhalten, auch wenn sie mit Bezug
auf ihre Vergangenheit Bedenken erregen. Ihre Gesinnes-
änderung müssen sie aber durch die Tat bestätigen, indem sie
unsere Götter durch Gebet und Opfer feierlich verehren. ^4«-
seigen ohne Unterschrift dürfen aber bei keiner Gerichtsver-
handlung als Beweis dienen. Das würde nämlich ein sehr
schlimmes Beispiel geben, und ist auch meiner Regierungs-
weise nicht angemessen. Lebe wohl!
Diese beiden Schreiben erhalten durch Tertullian (160 p.
Chr.) eine äussere Bestätigung. Er schreibt nämlich „Apologie"
c. 2: jyinvenimus inquisitionem quoque in nos prohibitam.
Plinius enim $ecundus quum provinciam regeret, damnatis qui-
busdam Christianis, quibusdam gradu pulsis, ipsa tamen mul-
titudine perturbatus, quid de cetero ageret consuluit tunc
Trajanum imperatorem, allegans praeter obstinationem non
sacrificandi nihil aliud se de sacramentis eorum comperisse
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- 41 —
quam coetus antelucanos ad canendum Christo ut Deo et ad
confoederandam disciplinam^ homicidium, adulterium, fraudem,
perfidiam et cetera scelera prohibentes. Tunc Trajanus rescrip-
sit, hoc genus (hominum) inquirendos non esse, oblatos vero
puniri oportere. Wir finden auch, dass eine Untersuchung gegen
uns (Christen) verboten 'wurde (durch den Kaiser Trajan). Als
nämlich Plinius Secundus Statthalter einer Provinz (Bithynien)
war, liess er einige Christen (zum Tode) verurteilen, andere
ihrer Würden entsetzen. Durch die grosse Menge der zu Be-
strafenden wurde er jedoch unschlüssig, was er für die Zukunft
tun sollte^ und wandte sich um Verhaltungsmassregeln an den
Kaiser Trajan. In seinem Gesuche führte er an, ausser der
hartnäckigen Weigerung den Göttern zu opfern, habe er nichts
anderes über die Geheimnisse der Christen in Erfahrung ge-
bracht, als ihre frühmorgendlichen Zusammenkünfte, um Christus,
als ihrem Gott, ein Loblied darzubringen. Sodann hätten die-
selben ein feierliches Bündnis geschlossen, um Mord, Ehebruch,
Betrügerei, Hinterlist (Treulosigkeit) und jegliches Laster unter
sich zu verhindern. Hierauf antwortete Trajan, diese Gesell-
schüft der Christen seien s'war nicht aufzusuchen, würden sie
dagegen angezeigt, so seien sie zu bestrafen.
Die Echtheit der genannten Briefe ist ferner aus inneren
Gründen unzweifelhaft. Nicht nur dass sich in sprachlicher
Beziehung eine enge Verwandtschaft mit den übrigen Briefen
zeigt; die Hauptsache besteht darin, dass dieselben so recht
das Gepräge der Schriftstücke eines Plinius und Trajan be-
kunden. Der Bericht des Plinius zeigt uns den unentschlos-
senen und pedantischen Statthalter, welcher keinen wichtigeren
Schritt ohne Befragen seines Herrn unternimirit; die Antwort
des Kaisers trägt ganz den Stempel des Trajänischen Geistes,
welcher mit klarem Blicke den Fall beurteilt und in lakonischer
Kürze die Entscheidung trifft. Darum sagt Prof. Adolph Har-
nack zu Berlin „Chronologie" I, S. 256: ^^Die Echtheit ist so-
wohl durch die Sprache als die Art der Überlieferung als die
keineswegs häufige oder gar geflissentliche Benützung durch
christliche Schriftsteller als endlich durch das Fehlen jeder
Beziehung auf die im Gebete der Christen für den Kaiser (cfr.
I ad Timotheum c. 2, 1—4) hervortretende Loyalität sicher-
gestellt^.
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- 4i -
Durch den Brief des Plinius erhalten manche Angaben der
Apostelgeschichte eine Bestätigung. Gleich im ersten Satze
redet er den Kaiser mit „Dominus" (Herr) an. Diesen Titel
hatten Octavianus Augustus und selbst noch Tiberius abgelehnt.
— Caligula und Claudius Hessen sich ihn gefallen, aber Nero
(54—68) forderte denselben. Daher drückte sich der Land-
pfleger von Judaea und Samaria: Porcius Festus (60— 62 n. Chr.)
pflichtschuldig aus, wenn er nach dem Zeugnisse der Apostel-
geschichte (c. 25, V. 26) zum König Agrippa II. in Caesarea
sagte: „Was ich aber Zuverlässiges über ihn (den gefangenen
Paulus) ,dem Herrn* (C. Claudius Nero) schreiben soll, habe
ich nicht zur Hand". De quo quid certum scribam Domino non
habeo. — Der Apostel Paulus nämlich hatte auf die Anklage
der Juden gegen ihn vor dem Landpfleger Festus als römischer
Bürger an den Kaiser Berufung eingelegt. Er sollte nun zu
diesem Zwecke nach Rom abgeschickt werden, und der Statt-
halter Festus musste ein Begleitschreiben mitgeben. Ähnlich
verfuhr Plinius in Bithynien. In seinem Briefe an Trajan sagt
er: „Andere Christen habe ich, weil sie römische Bürger waren,
in das Verzeichnis derer eingetragen, welche (da sie an den
Kaiser appelliert hatten) nach Rom zu schicken sind." (Vgl.
S. 19,) Uralte und wiederholt eingeschärfte Gesetze (z B. lex
Porcia und die leges Semproniae, cfr. Ciceronis act. II, c. 5, 63
„in Verrem") sicherten dem „römischen Bürger*^ alle Wohl-
taten eines geordneten Rechtsverfahrens und schützten ihn bei
allen römischen Gerichten vor entehrender Ruten- oder Geissei-
strafe. Auch hatte derselbe ein unbestrittenes Recht, an den
Kaiser Rekurs zu ergreifen. Eine Verletzung dieser Privi-
legien wurde gleich „Vatermord" an allen Beteiligten geahndet.
Bekannt sind die Worte Ciceros gegen Verres: „Facinus est
vincire civem Romanum, scelus verberare, prope paricidium
necare!" „Ein Vergehen ist es, einen römischen Bürger zu
binden, ein Verbrechen, ihn zu geissein, und nahezu ein Vater-
mord, ihn zu töten!" So war unter dem Kaiser Claudius
(41—54) in Rhodus eine Vergewaltigung römischer Bürger
vorgekommen, wofür die ganze Insel mit Entziehung ihrer
bürgerlichen Freiheiten gestraft wurde. Kaiser Galba (68—69)
Hess den Statthalter von Germanien Capito hinrichten gemäss
der lex lulia de vi, weil derselbe eine Appellation an den Kaiser
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-- 4i -
nicht vollzogen hatte. (Cfr. Dionis Cassii „Historiae Romanae"
1. 64, 2.)
Aui diese Vorrechte berief sich der Apostel Paulus als römi-
scher Bürger zu Philippi (Apostelgeschichte c. 16; 22—40); zu
Jerusalem (ibid. c. 22, 24—30) und in Caesarea, (ibid. c. 25, 10
— 26; c. 26, 32 und c. 27, 1 f.). Der Berufung an den Kaiser
verdankte er Freiheit und Leben. (IL Tim. c. 4, 16—18.)
Zum Verständnisse der oben angeführten Briefe des Plinius
und. Trajan müssen wir auf die Verhältnisse der Provinz Bi-
thynien in der damaligen Zeit etwas näher eingehen. Die
Sendung dahin als Statthalter war eine Vertrauensmission.
•Der Kaiser deutet dies mehrmals an: epp. 18. 32. 117. Es galt,
vieles dort in Ordnung zu bringen: „Meminerimus, idcirco te
in istam provinciam missum esse, quoniam multa in ea emen-
danda apparuerint". (Ep. 32.) Wir wollen es nicht vergessen.
Du seiest darum in jene Provinz geschickt worden, weil in der-
selben offenbar vieles zu verbessern ist. Unter der bisherigen
Verwaltung hatten sich grosse Missbräuche eingeschlichen,
welche dringend abgestellt werden mussten. Zu diesen Übeln
war vor allem die Bildung von Hetärien und geheimen Ge-
sellschaften zu rechnen. „Hetärien" nannte man gewisse Ver-
eine, die politische Umtriebe zum Zwecke hatten und deswegen
im Staatsinteresse nicht geduldet werden konnten. Der Name
draipia (ep. 34 und 96) deutet auf griechischen Ursprung. Schon
Thucydides („De hello Peloponnesiaco" 1. III, c. 82) beklagte
das unheilvolle Treiben derselben. In Rom nannte man die-
selben coUegia. Ihrer staatsfeindlichen Tendenz halber löste
der Senat sie auf. (Cfr. Ciceronis ep. 25 ad Quintum fratrem).
So hatte denn auch Kaiser Trajan an Plinius einen Befehl er-
lassen, mit aller Strenge gegen diese Gesellschaften vorzugehen
(ep. 96: „secundum mandata tua hetaerias esse vetueram^). In
der Vollziehung des erhaltenen Mandates wurde Plinius auf
die Christen aufmerksam, welche eine geheime Verbindung
zum Umstürze der bestehenden Ordnung zu sein schienen.
Er trat daher gegen sie auf, nicht aus religiösen Motiven, son-
dern weil für ihn die Christengemeinden unter das Verbot
der Hetärien fielen. Da sich nun im Laufe der Verhandlung
Schwierigkeiten ergaben, so berichtete er dieselben an seinen
kaiserlichen Freund, um spezielle Verhaltungsmassregeln zu
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— 44 —
gewinnen. Gleich im Eingange des Briefes kommt er auf den
Gegenstand seiner Anfrage: ^Cognitionibus de Christianis inter-
fui nunquam: ideo nescio quid et quatenus aut piiniri soleat aut
quaeri". (Vgl. S. 40) Schon unter Domitian (81-96 p. Chr.)
hatten Untersuchungen gegen die Christen stattgefundeii; auch
liess derselbe einige Personen aus der Verwandtschaft Jesu
von Judäa nach Rom führen, um sie zu verhören. Nadhdem
er sich aber von ihrer Ungefährlichkeit überzeugt lÄtte, ent-
liess er sie in Frieden. (Cfr. Eusebii „Historiae Eccl." 1. 111,
c. 19 — 21.) Solchen Gerichtsverhandlungen gegen die Christen
hatte Plinius bisher noch nicht beigewohnt, war dagegen über-
zeugt, dass dieselben zu bestrafen seien. Es handelte sich für
ihn nur darum: was hierbei das Objekt der Ahndung sei, und
wie weit sich die Untersuchung zu erstrecken habe. Diese
Zweifel legte er nun dem Kaiser vor und fragte bei ihm dar-
über an: 1. ob Alter und Geschlecht der Beklagten eine Ver-
schiedenheit in der Behandlung zuliessen; 2. ob die Reuigen
ohne Strafe entlassen werden könnten; 3. ob die blosse Zuge-
hörigkeit zum Christentum, auch ohne jedes andere Verbrechen,
schon an sich strafbar sei. Mit diesen Fragen verbindet er
einen Bericht über das Verfahren, welches er bisher gegen die
Christen eingeschlagen hatte, sowie eine umfassende Schilde-
rung der Vorgänge in seiner Provinz, die mit dem Prozesse
gegen die Christen in Verbindung standen.
Demgemäss hatte Plinius alle, welche ihm als Christen
angezeigt waren, zunächst gefragt, ob sie wirklich dem Christen-
tume angehörten; den Geständigen legte er die Frage zum
zweiten und dritten Male vor unter Androhung der Todes-
strafe. Wer nun bei seiner Aussage beharrte, wurde sofort
hingerichtet. Plinius begründet sein rasches Vorgehen in nach-
stehender Weise: „neque enim dubitabam, qualecunque essel,
quod faterentur, pertinaciam certe et inflexibilem obstiriationem
debere puniri.*' Als Statthalter des Kaisers zweifelt er keinen
Augenblick, dass er eine bedingungslose Unterwerfung unter
die römischen Staatsgesetze zu fordern berechtigt sei, und
dass die unbeugsame Widersetzlichkeit der Christen gegen die
Staatsgewalt an und für sich schon den Tod verdiene, ganz
abgesehen davon, was ihr religiöses Bekenntnis sonst zu be-
deuten habe. Plinius erwähnt noch, dass er die Christen,
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- 45 --
welche das römische Bürgerrecht hatten, zur Aburteilung vor
dem Kaiser aufgeschrieben habe.
Als nun die Untersuchungen im vollen Gange waren,
mehrten sich die Verdächtigungen, und schliesslich wurde dem
Statthalter ein Verzeichnis aller Christen überreicht, welches
aber keine Unterschrift trug. Wie nämlich der Schluss unseres
Briefes beweist, verödeten die heidnischen Tempel durch das
Anwachsen der Christen; die feierlichen Opfer in denselben
unterblieben, und es fand sich niemand mehr, welcher Opfer-
tiere oder Futter für sie kaufen wollte. Dass nun die heidnischen
Opferdiener und sonstige Geschäftsleute sich in ihrem Erwerbe
bedroht und geschädigt glaubten, ist leicht anzunehmen. Aus
materiellem Interesse mögen dieselben wohl dazu gekommen
sein, auf die Unterdrückung des Christentums hinzuarbeiten,
ähnlich wie früher der Silberschmied Demetrius in Ephesus
mit seinen Genossen. (Vgl. Apostelgeschichte c. 19, 23—40).
Im Besitze jener anonymen Mitteilung lud Plinius alle
darin Bezeichneten vor seinen Richterstuhl und stellte mit
juristischer Klugheit ein Verfahren an, welches ganz geeignet
war, schnell und sicher die Angehörigkeit zum Christentum
klar zu machen. Er befahl nämlich den Beschuldigten zunächst
die Götter anzurufen, indem er ihnen das übliche Gebet vor-
sprach; hierauf mussten sie das Bild des Kaisers nebst den
Statuen der Götter durch die Opfer von Weihrauch und Wein
feierlich anbeten und endlich auf Christus schmähen. Auch
später noch unter Antoninus Pius (138 — 161) wurde dieses Mittel
gegen^die Christen angewendet. Wie Eusebius in seiner Kirchen-
geschichte (1. IV, c. 15) erzählt, forderte der Prokonsul von
Smyrna den hl. Polycarpus auf, Christus zu verfluchen, um
sein Leben zu retten. Derselbe gab die schöne Antwort:
,,86 Jahre diene ich ihm, und er hat mir nichts zuleide getan;
wie sollte ich meinen König, der mich erlöset hat, lästern!?**
Hierauf wurde er zum Feuertode verurteilt. — Doch die Heiden
sagten: „Das muss eine gute Herrschaft sein, für welche man
nach 86 jährigem Dienste noch durch das Feuer geht!** (Claudius).
— In Bithynien dagegen Hessen sich einige zum Abfalle be-
wegen, und Plinius berichtet an den Kaiser, dass dieselben
keine Christen gewesen seien ; denn wirkliche Christen Hessen
sich dazu niemals bewegen.
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- 46 -
Die göttliche Verehrung der regierenden Imperatoren war
seit Nero in Übung gekommen; darum stellte Plinius das Bild
Trajans ohne weiteres mit den Statuen der Götter zusammen,
und der Kaiser missbilligte dieses Verfahren nicht. Die Ver-
weigerung des Cäsaren- Kultus konnte entweder eine Anklage
auf sacrilegium (döeÖTTi^ = Religionsverletzung), oder majestas
(d(T€ß€ia = Majestätsverbrechen) nach sich ziehen; die Strafe
war in jedem Falle die nämliche. So wurden unter Domitian
(81 — 96) der Konsul Flavius Clemens und Flavia Domitilla
wegen dOeÖTiiq; verurteilt und jener mit dem Tode, diese mit Ver-
bannung auf die Insel Pontia bestraft. Dio Cassius sagt
„Historiae Romanae" 1. 67, c. 15: ^TTrixön bk djucpoTv ^TKXnMct deeö-
TriTO^, ambo sacrilegii accusati sunt, beide wurden auf Religions-
verletzung angeklagt (und verurteilt). — Das Christentum stellte
sich der Staatsgewalt nicht feindlich gegenüber, eingedenk der
Mahnung Jesu: ^Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und
Gott, was Gottes istf-" (Evgl. S. Matlhaei c. 22, v. 21); es sah
vielmehr in der Obrigkeit eine Anordnung Gottes, welcher man
sich in allem, was recht und erlaubt, zu unterwerfen habe:
(I. Ep. S. Petri c. 2, v. 13—15; ad Romanos c. 13, v. 1 — 10). Der
hl. Paulus befiehlt seinem Schüler Timotheus (I. ep. c. 2, r. 1 — 5),
— in den gottesdienstlichen Versammlungen für das Wohl-
ergehen der weltlichen Obrigkeit zu beten. Dagegen war es
strenge Pflicht, eine göttliche Verehrung der Staatsgewalt zu
versagen, gemäss dem Worte des Herrn: ^^Gebet Gott was Gottes
ist!^ In diesem Sinne verkündigt Tertullian („L. Apologetici"
c. 33): „Den Kaiser nenne ich nicht Gott, einerseits weil ich
nicht zu lügen verstehe, andererseits weil ich ihn nicht zu
verspotten wage!*^
Wie bereits oben (S. 38 flgd.) bemerkt wurde, Hessen sich
einige Christen durch die Drohungen ihres Statthalters ein-
schüchtern und verleugneten den Glauben. Aus diesen Ab-
gefallenen nun suchte Plinius etwas Genaueres über die Art
und Weise des christlichen Kultus zu erfahren, damit er an
Trajan einen Bericht erstatten könne. Er vernahm hierauf
folgendes: „Ihre Hauptschuld oder Verirrung, sagten sie, habe
darin bestanden, dass sie gewöhnt waren, an einem bestimmten
Tage („Sonntag") vor der Dämmerung sich zu versammeln,
und Christus als Gott im gegenseitigen Wechselchore ein Lied
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— 47 —
ZU singen (Vormesse) sowie eidlich zu geloben (bei der Homilie
in der hl. Messe), nicht irgend welches Verbrechen, sondern
keinen Diebstahl, keinen Raub, keinen Ehebruch, zu begehen,
keinem die Treue zu brechen, kein an vertrautes Gut nach der
Rückforderung abzuleugnen. Sodann hätten sie die Gepflogen-
heit gehabt, auseinander zu gehen (d. h. die Katechumenen
zu entlassen), und sich wieder zu versammelen, um eine Speise
zu nehmen, welche aber gemeinschaftlich sowie unschuldig
war (Kommunionmahl). — Hierin finden wir die Darstellung
des altchristlichen Gottesdienstes, welcher sich nach Justinus
(„Apologiae" 1. I, c. 67) dreifach gliedert: Schriftvorlesung und
Predigt, Gemeindegebet und Abendmahlsfeier. — Die Ab-
trünnigen (lapsi) erklären in der Bemühung, die gegen sie er-
hobenen Anklagen möglichst abzuschwächen, dass sie nach
dem Bekanntwerden des kaiserlichen Verbotes sich von der
Beteiligung des christlichen Gottesdienstes losgesagt hätten.
Hierauf Hess Plinius zwei christliche „Wärterinnen" (mihistrae =
bidKovoi cfr. ad Romanos c. 16, 1) auf die Folter spannen, um
noch genauere Kenntnis von ihrer Religion zu gewinnen. Er
fand aber nur, wie er sich ausdrückt, einen „verkehrten und
überspannten (masslosen) Aberglauben". Ein solches durch
gerichtliche Untersuchung gewonnenes Resultat muss den Be-
weis erbringen, dass von dem Christentume dasselbe gilt, wie
von seinem Stifter: „Wer aus euch kann mich einer Sünde
beschuldigen?!" (Evgl. S. Johannis c. 8, 46.) Vergleicht man
damit die grosse sittliche Korruption des Heidentums der da*
maligen Zeit, so ist die Frage leicht zu beantworten, wem
die Zukunft gehören würde. Plinius nämlich berichtet am
Schlüsse seines Briefes von der grossen Verbreitung, welche
das Christentum in jener Gegend gewonnen hatte. Schon
Tacitus redet von einer „ingens multitudo", von einer ungemein
grossen Anzahl der Christen zu Rom (vgl. S. 34 flgd.), welche
unter Nero hingerichtet wurde. Hierzu kam noch die Ver-
folgung des Domitian. Alle diese Gewaltmassregeln hatten
aber nicht dazu geführt, das Christentum zu unterdrücken,
sondern nur dazu gedient, dasselbe zu läutern und weiter aus-
zubreiten. In die Provinzen von Kleinasien war der christliche
Glauben schon bald gekommen, und die Briefe, welche die
Apostel Petrus und Paulus dorthin sandten, beweisen, dass die
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- 48 -
Anzahl der Gläubigen in der heidnischen Diaspora (vgl. I. Petri
c. 1, V. 1) nicht unbedeutend gewesen sein kann. Aus diesem
Grunde ist die Angabe des Plinius keineswegs übertrieben,
wenn er sagt, dass eine grosse Menge jeden Standes und jeden
Alters sich dem Christentume zugewandt habe, so dass die
Tempel der Götter verödeten und die Opfer in denselben unter-
blieben, weil sich keiner fand, welcher das Futter für die
Opfertiere kaufen wollte. Er glaubt nun durch seine Ver-
ordnungen gegen die Christen habe sich dieser Zustand in
etwa gebessert. Allein die hieran geknüpften Hoffnungen er-
füllten sich nicht: das Christentum konnte durch die Aus-
scheidung unwürdiger Mitglieder nur gewinnen.
Gehen wir nun zu dem Antwortschreiben des Trajan über.
Derselbe billigt im allgemeinen das Verfahren seines Statt
halters, glaubt aber, eine feste und allgemeingültige Norm lasse
sich hierin nicht aufstellen. Dann geht er auf die einzelnen
Fragen ein, welche Plinius an ihn gestellt hatte. Dieser hatte
um Auskunft gebeten, ob die blosse Angehörigkeit zum Christen-
tum, auch ohne ein sonstiges Verbrechen, schon strafbar sei;
was der Kaiser für richtig hielt. Er gab nämlich zur Antwort:
„Die Christen sind zwar nicht aufzusuchen; werden sie aber
angeklagt und übertührt, dass sie wirklich Christen sind, so
müssen sie (mit dem Tode) bestraft werden. Hiermit hat
Trajan zuerst grundsätzlich festgestellt, dass „Christ-Sein** an
sich schon (nomen ipsum), auch ohne den Nachweis einer
sonstigen strafbaren Handlung, ein todeswürdiges Verbrechen
sei. Die Kirchenschriftsteller der nächstfolgenden Zeit, wie
Hermas („Similitudinum" 9, 28) und Justinus Apologiae" 1. 1, c. 11)
beklagen sich mit Recht über diese verderbliche Auffassung.
Auf die weitere Frage des Plinius : ob die Reuigen ohne
Bestrafung zu entlassen seien, gibt der Kaiser den Bescheid,
dÄs könne geschehen, wenn dieselben die schuldige Anbetung
der römischen Götter (supplicando diis nostris) tatsächlich
leisteten ; die Renitenten seien zu bestrafen. Hieraus geht her-
vor, dass Trajan als Grund der Bestrafung die Verweigerung
der supplicatio ansieht, also wegen Religionsfrevel (sacrilegium)
die Christen zum Tode führen liess. (Cfr. Exodi c. 20, i— 6.)
Endlich hatte Plinius noch eine Belehrung darüber erbeten,
ob nicht Alter und Geschlecht der Angeklagten eine Ver-
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- 49 —
schiedenheit in der Behandlung zuliessen. Obgleich nun das
römische Recht (cfr. Ulpiani „Digestorum" 1. 48, c. 13, n. 7) eine
solche Rücksichtnahme gestattete, geht der Kaiser über diese
Anfragen stillschweigend hinweg und entscheidet sie im ver-
neinenden Sinne. Wir sehen daher in der Folgezeit, dass die
Heiden bei den Christenverfolgungen weder Frauen noch Kinder
schonten. Das Christentum galt für staatsgefährlich, und darum
hatte man kein Erbarmen.
Nachdem nun Tfajan im allgemeinen das Verhalten seines
Statthalters gutgehieissen und die einzelnen Fragen desselben
beantwortet hat, kommt er schliesslich auf die Anzeigen ohne
Unterschrift (libelli sine auctore) zu sprechen, welche jener an-
genommen hatte. Dies aber findet nicht die Zustimmung des
Kaisers: er verbietet ausdrücklich, dass in Zukunft namenlose
Klagen vor Gericht zugelassen werden. Unter Domitian hatte das
Delatorenunwesen sehr geblüht, so dass jeder Ankläger williges
Gehör fand und mancher wegen der geringsten unbedachten
Äusserung gegen die Majestät des Kaisers zum Tode geführt
wurde. (Cfr. Suetonii ^Domitianus" c. 12.) Dieses Übel be-
seitigte aber Trajan, indem er die Delatoren an den Pranger
stellen und verbannen liess. (Cfr. Plinii „Panegyrici" c. 34.)
Der Hass gegen die Denuntianten kam den Christen zugute,
da sie wenigstens vor anonymen Anzeigen geschützt waren.
Unter dem folgenden Kaiser Hadrian wurde es ebenso ge-
halten. — Trajan hält die geheimen Anklagen für ein sehr
schlechtes Beispiel und seiner Regierungsweise durchaus un-
würdig.
Dieses Reskript an Plinius hatte nicht die Bedeutung eines
Reichsgesetzes; der Kaiser betont ja „dass sich hierbei keine
bestimmte und allgemeine Norm aufstellen lasse". Es war
eine Massregel der Verwaltung und nur an Plinius gerichtet.
Gleichwohl hat dasselbe in der Folgezeit sehr viele Anwen-
dung gefunden. Zum ersten Male wurde das Verfahren gegen
die Christen auf kaiserlichen Befehl hin im Prozesswege ge-
ordnet. Und als bald hierauf die ganze Korrespondenz zwi-
schen Trajan und Plinius der Öffentlichkeit übergeben ward,
erhielt jene Verfügung weitgehenden Einfluss. Ja man kann
sagen: die Bestimmungen derselben haben in ihren Grundzügen
fast zweihundert Jahre lang Anwendung gefunden.
K r 1 1> Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 4
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- 50 ~
TertuUian (f 27. April 227) berichtet in seiner Apologie
c. 10: „Deos, inquitis, non Colitis, et pro imperatoribus sacri-
ficia non impenditis. — Itaque sacrilegit et maiestatis rei cir-
cumvenimur*^. Die Heiden beschuldigen uns: Die Götter ver-
ehrt ihr nicht, und den Kaisern bringet ihr keine Opfer dar. —
Daher kommen wir als Religionsfrevler und Majestätsbelei-
diger vor Gericht. — Der weltgeschichtliche Kampf zwischen
Heidentum und Christentum wogte jahrhundertelang hin und
her, bis schliesslich die heidnische Staatsgewalt während der
Regierung der Kaiser Diocletian und Maximianus Herculeus
(284—305 f.) der Macht der neuen Ideen und der weltüberwin-
denden Kraft des christlichen Glaubens unterliegen musste.
Eine letzte Christenverfolgung unter Diocletian, welche von
304—310 dauerte, brachte die entscheidende Wendung. Am
28. Oktober 312 siegte Constantin über seinen Gegner Maxen-
tius an der milvischen Brücke und zog als Triumphator zu
Rom ein. Im folgenden Jahre (Januar oder Februar) erliess er
gemeinsam mit seinem Mitregenten Licinius das berühmte Edikt
von Mailand, durch welches jedermann freie Religionsübung
und den Christen sogar Rückgabe der eingebogenen Kirchen-
güter zugesichert wurde. (Cfr. Eusebii „Historiae Ecclesiasticae"
1. 10, c. 5 und Lactantii „De mortibus persecutorum" c. 48.)
Hiermit kamen alle vorausgehenden Verfolgungs-Dekrete in
Wegfall und der Staat erhielt ein christliches Gepräge. Schon
am Schlüsse des 1. Jahrhunderts hatte der Apostel Johannes
verkündigt: „Haec est victoria, quae vincit mundum: fides
nostra!" (I. Joh. c. 5, v. 4.) Das ist der Sieg, welcher die Welt
überwindet: unser hl. Glaube!
17. Tacitus und die Juden; Bericht über Palästina.
In seinem Werke ^Historiarum libri" 1. V, c. 2—14, gibt
Tacitus eine kurze Übersicht über die Geschichte des jüdischen
Volkes und die Geographie von Palästina, welche nebst manchen
Unrichtigkeiten auch vieles sehr Wahre und Zutreffende ent-
hält und zur Vergleichung mit den Angaben der hl. Schrift
geeignet ist. Nachdem er berichtet hat (1. c. c. 1), dass der
römische Feldherr Caesar Titus von seinem Vater Vespasian
beauftragt war, den in Judäa entstandenen Aufruhr der Juden
völlig zu besiegen, erzählt er, Titus sei mit kriegstüchtigen
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— 51 —
Legionen und vielen Hilfstruppen ausgerüstet in das Land der
Feinde eingerückt und habe in der Nähe von Jerusalem sein
Lager aufgeschlagen. Damals erfüllte sich, was der Seher
Balaam ge weissagt hatte: „/« Dreirädern werden sie von Italien
kommen^ die Assyrier (die Syrier unter Trajan) besiegen und
die Hebräer schlagen (unter Titus)". (Numeri 24, 24). Vgl. Evgl.
Lucae c. 21, 20: „Wenn ihr aber Jerusulem von Heerscharen
umgeben sehen werdet, so wisset, dass seine Verwüstung ge-
nahet ist".
Tacitus fährt weiter: „Sed quoniam famosae urbis supre-
mum diem tradituri sumus, congruens videtur primordia eins
aperire". Da ich nun im Begriffe stehe, den letzten Tag (die
Zerstörung) jener weltberühmten Stadt zu überliefern, so scheint
es angemessen zu sein, den Ursprung (die Gründung) derselben
darzulegen. (L. c. c. 2.)
„ludaeos Creta insula profugos novissima Lybiae insedisse
memorant, qua tempestate Saturnus vi lovis pulsus cesserat
regnis. Argumentum e nomine petitur : inclytum in Creta Idam
montem, accolas Idaeos aucto in barbarum cognomento ludaeos
vocitari". Man erzählt, es hätten die Juden, aus der Insel Kreta
flüchtig, sich am äussersten Rande von Lybien niedergelassen
zur Zeit, als Saturnus durch die Gewalt des Zeus vertrieben,
ihm die Herrschaft abgetreten hatte. Der Beweis hierfür wird
von dem Namen hergenommen: auf der Insel Kreta liegt der
berühmte Berg Ida, und seine Bewohner hiessen „Idaeer", deren
Name durch eine fremdartige Dehnung in „ludaeer" (Juden)
entstellt worden sei. — Es ist off'enbar, dass Tacitus sich mit
dieser Ableitung im Irrtume befindet ; denn die Benennung des
jüdischen Volkes rührt nicht von dem Berge Ida her, sondern
von dem führenden und königlichen Stamme „Juda" in Pa-
lästina. — Auch berichtet er von dem Aufenthalte der Kinder
Israels in Ägypten, wenn er sagt, dieselben hätten sich am
äussersten Rande von Libyen niedergelassen. Gibt sich in
diesen Worten auch bloss eine dunkele Erinnerung an das
Wohnen derselben in der ägyptischen Provinz „Gosen" kund,
so spricht er sich aber im folgenden deutlicher hierüber aus:
„Quidam regnante tside exundantem per Aegyptum multitudi-
nem ducibus Hierosolymo ac Inda proximas in terras exono-
ratam (esse tradunt)". Einige berichten: Unter der Regierung
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- 52 —
der Isis habe sich die in ganz Ägypten überströmende Be-
völkerung der Juden mit ihren Führern Hierosolymus und
Judas in die nächsten Länder ergossen. — Hierin liegt eine
Bestätigung des Wortes an den Patriarchen Jacob : „Ziehe hinab
nach Ägypten; denn ich werde dich zu einem grossen Volke
machen daselbst! Ich werde mit dir hinabziehen und dich von
dort heraufführen, wenn du zurückkehrest". (L. Genesis c. 46,
3—5.) Und ferner: „Je mehr man sie (die Kinder Israels in
Ägypten) bedrückte, desto stärker mehrten sie sich und wuchsen
sie". (L. Exodi c. 1, 12.) — „Plerique Aethiopum prolem (esse
dicunt), quos rege Cepheo metus atque odium mutare sedes
pepulerit". Viele behaupten, die Juden seien ein äthiopischer
Stamm, welcher unter dem Könige Cepheus durch Furcht und
Hass getrieben seinen Wohnsitz geändert habe. — Erinnerung
an die Bedrückung der Israeliten während der Regierung des
Pharao Menephta in Ägypten sowie eine Begründung ihres
Auszuges.
Genauer ist folgende Angabe: „Sunt qui tradant, (ludaeos
esse) Assyrios convenas, indigum agrorum populum, parte Ae-
gypti potitos, mox proprias urbes Hebreasque terras et pro-
prioria Syriae coluisse". Manche sagen auch, die Juden seien
Fremdlinge aus Assyrien (Abraham kam aus Ur in Chaldäa:
Genesis c. 11,28 c. 12, 6), ein Volk, welches sich auf der Suche
nach ertragfähigem Boden eines Teiles von Ägypten (der Provinz
Gosen) bemächtigte und später (nach 430 Jahren) eigene Städte
und die hebräischen Lande („das gelobte Land"), nämlich Pro-
vinzen, welche näher bei Syrien liegen, zum Wohnsitz sich
erwählten.
„Clara alii Hebraeorum initia, Solymos, carminibus Ho-
meri celebratam gentem, conditae urbi Hierosolyma nomen e
suo fecisse". Andere schliesslich führen noch an, und dies
macht den Ursprung der Juden berühmt, die Solymer, ein durch
die Lieder des Homer (Iliados VI, 184, Odysseos V, 282) be-
kannter Volksstamm, hätten nach ihrem eigenen Namen Solymi,
ihrer neugegründeten Stadt, den Namen.- Solyma, Hierosolyma
(Jerusalem) gegeben. Der vorstehende sowie der folgende
Bericht (Kap. 3 f.) über die Herkunft und die ersten Schicksale
der Juden ist aus mehreren weder jüdischen noch judenfreund-
lichen Quellen entnommen, welche wohl von der ägyptischen
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— 53 —
Volksüberlieferung stark beeinflusst waren. Der Geschichts-
schreiber Flavius Josephus führt ausser dem Werke des Ober-
priesters Manetho (3. Jahrhundert v. Chr.) auch noch Stellen
von den Schriften alexandrinischer Gelehrter, Chaeremon und
Lysimachus an, mit welchen die an Irrttimern reiche Erzählung
des Tacitus grosse Ähnlichkeit hat. Weniger durch fabelhafte
Einzelheiten entstellt ist die bei Diodor (Fragm. V, B. 40) ent-
haltene Darstellung des Hekataeus von Abdera (unter Ptole-
maeus Lagi). Vgl. Strabo XVI, 2. lustinus XXXVI, 2 hat von
anderen Quellen andere Irrtümer übernommen.
Tacitus nun (1. c. c. 3) beschreibt den Auszug der Israeliten
aus Ägypten: „Plurimi auctores consentiunt orta per Aegyptum
tabe quae corpora foedaret regem Bochorim adito Hammonis
oraculo remedium petentem, purgare regnum et id genus ho-
minum ut invisum deis alias in terras avehere iussum. Sic
conquisitum collectumque vulgus, postquam vastis locis relic-
tum Sit, ceteris per lacrimas torpentibus, Moysen unum exulum
monuisse, ne quam deorum hominumve opem exspectarent
utrisque deserti, sed sibimet ducem coelestem crederent, primo
cuius auxilio praesentes miserias pepulissent. Adsensere et
omnium ignari fortuitum iter incipiunt. Sed nihil aeque quam
inopia aquae fatigabat, iamque haud procul exitio totis campis
procubuerant, quum grex asinorum agrestium e pastu in rupem
nemore opacam concessit. Secutus Moyses coniectura herbidi
soll largas aquarum venas aperit. Id levamen, et continuum
sex dierum iter emensi, septimo pulsis cultoribus obtinuere
terras in quibus urbes et templum dicata.
Die meisten Auktoren stimmen darin überein: Als (cfr.
l. Exodi 9, 1—11) eine die Körper grauenhaft entstellende Seuche
in Ägypten ausgebrochen war, habe der König Bocchoris (um
die Mitte des 8. Jahrhunderts vor Christus, so Lysimachus bei
Flavius Josephus contra Apionem 1. I, 34) sich an das Orakel
des Jupiter Ammon um ein Heilmittel gewandt. Er sei nun
aufgefordert worden, sein Reich zu säubern und dieses Volk
(der Juden), als den Göttern verhasst, in andere Länder fort-
zuschaffen. (Der Auszug aus x^gypten geschah wahrscheinlich
unter Pharao Menephta, dem Nachfolger Ramses II. (Sesostris)
ca. 1500 V. Chr.) — Das Orakel des Jupiter Ammon lag in
der Wüste Siva, westlich von Unter-Ägypten. — Nachdem aber
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- 54 -
das Volk zusammengesucht und vereinigt war, überliess man
es in der Wüste seinem Schicksale. Während nun alle übrigen
in Tränen versunken waren, hielt Moses, einer der Verbannten,
eine Rede an sie und gab ihnen zu bedenken, sie möchten
keine Hilfe, weder von Göttern noch Menschen, erwarten; denn
sie seien von beiden verlassen. Wohl aber sollten sie sich
demjenigen als einem vom Himmel gesandten Führer anver-
trauen, unter dessen Hülfe sie zuerst das gegenwärtige Elend
überwinden könnten. Sie stimmten bei und traten hierauf, ob-
gleich sie mit allem unbekannt waren, auf das Geratewohl
ihre Reise an. Nichts aber plagte sie in dem Masse, als der
Mangel an Wasser, und schon waren sie, dem Verschmachten
nahe, auf allen Feldern niedergesunken. Da kam eine Herde
Waldesel von der Weide auf einen Felsen zugelaufen, welcher
von einem Haine beschattet war. Moses folgte nun derselben
nach und entdeckte, wie er schon dem grasreichen Boden ent-
sprechend vermutet hatte, sehr reiche Wasserquellen. Das
brachte Erquickung, und nach einer Wanderung von sechs
Tagen (40 Jahre nach der hl. Schrift: Numeri c. 14, 33—35)
erreichten sie ihr Land (Chanaan), und nachdem sie die Be-
wohner desselben (unter Josua und Caleb: 1. Josues c. 1, 2 — 7)
vertrieben hatten, bauten sie Stadt und Tempel.
Im 4. und 5. Kapitel gibt Tacitus eine Beschreibung der
jüdischen Religions-Gebräuche.
^Moyses quo sibi in posterum gentem firmaret, novos
ritus contrariosque ceteris mortalibus indidit. Frofana illic
omnia, quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae
nobis incesta. Effigiem animalis, quo monstrante errorem si-
timque depulerant, penetrali sacravere, caeso ariete velut in
contumeliam Hammonis; bos quoque immolatur, quoniam Aegyp-
tii Apin colunt. Sue (carne suilla) abstinent, memoria cladis,
quod ipsos Scabies quondam turpaverat, cui id animal obno-
scium. Longam olim famem crebris adhuc ieiuniis fatentur,
et raptarum frugum argumentum panis ludaictis nuUo fermento
detinetur. Septimo die otium placuisse ferunt, quia is finem
laborum tulerit; deinde blandienti inertia septimum quoque
annum inertiae datum. Alii honorem eum Saturno haberi, seu
principia religionis tradentibus Idaeis, quos cum Saturno pulsos
et conditores gentis accepimus, seu quod de Septem sideribus,
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- 55 -
quibus mortales res reguntur, altissimo orbe et praecipua po-
tentia Stella Saturni feratur et pleraque coelestium vim suam
et cursus septenos per numeros compleant."
Moses führte nun, um sich die Herrschaft über dieses
Volk in Zukunft zu sichern, in demselben ganz neue und von
denen der übrigen Menschen durchaus abweichende Religions-
gebräuche ein. (Vgl. Friederich Delitzsch!) Bei ihnen ist näm-
lich alles unheilig, was bei uns heilig, und umgekehrt bei ihnen
alles erlaubt, was bei uns ein Frevel ist (z. B. das Heiraten
unter nahen Verwandten). Ein Bild des Tieres, welches ihnen
den Ausweg aus der Irrfahrt und dem Verschmachten gezeigt
hatte, weihten sie in ihrem Heiligtume. — Hierin liegt eine
Verwechslung mit der Anbetung des goldenen Kalbes vor:
Exodi c. 32, 1 — 7. Der Waldesel, welcher nach ägyptischem
Volksglauben den Israeliten die frischen Wasserquellen gezeigt
haben sollte (vgl. dagegen den Bericht: 1. Exodi c. 17, 1-8),
galt bei denselben als Tier des bösen Gottes Typhon, und man
hielt dafür, dieser habe das verstossene Volk unterstützt.
Dagegen töten sie den Widder zur Beschimpfung des
Jupiter Ammon, welcher (cfr. Ovidii Metam. 1. 5, 327 f.) mit
einem Widderkopfe und gewundenen Hörnern dargestellt wurde.
Auch der Stier dient bei den Juden als Opfergabe, den ja die
Ägyptier als ihren Apis verehren. Vom Schweinefleisch aber
enthalten sie sich zur Erinnerung an die Plage, mit welcher
auch sie der Aussatz früher entstellt hatte (ungeschichtlich;
cfr. 1. Levitici c. 11,7 sowie 1. Exodi c. 9, 1—8), dem dieses
Tier unterworfen ist. Von ihren ehemaligen längeren Ent-
behrungen (Hunger u. s. f.) legen sie jetzt noch durch häufiges
Fasten ein Zeugnis ab (irrtümlich: vgl. Isaiae c. 58, 6 — 8, und
Joelis c. 2, 12—15); und zum Gedächtnisse daran, wie sie das
Getreide einst gierig aufgerafft haben, dient das sogenannte
^Judenbrot^ (Mazzen), welches ungesäuert ist. Die richtige
Deutung hiervon gibt Moses: 1. Exodi c. 12, 32 — 35; (vgl. ibid.
c. 16, 3 — 6) nämlich: die Eile bei dem Auszuge aus Ägypten
Hess keine Zeit zum Durchsäuern des angesetzten Brotes. —
Man sagt auch, dass sie am 7. Tage der Ruhe pflegen (^Sab-
bat^)j weil dieser Tag ihren Beschwerden ein Ende gemacht
habe. — Tacitus meint wohl: am 7. Tage nach ihrem Auszuge
hätten sie das gelobte Land erreicht; vgl. S. 54; der Ruhetag
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- 56 -
aber war zur Erinnerung an die Vollendung der Schöpfung
eingesetzt; Genesis c. 2, 2 — 4; Exodi c. 20, 8 — 11.
Hierauf, so fahrt Tacitus weiter, sei ebenfalls das ganze
siebente Jahr dem Müssiggange gewidmet worden, weil das
ihrer Trägheit so wohl behagte. Die richtige Auffassung vom
„Sabbatjahre" gibt Moses: 1. Exodi c. 20, 10 u. 11 sowie Levi-
tici c. 25, 2—7; es sollte ein Jahr der Erlassung für die Schulden
und die hebräischen Knechte sein; 1. Deuteronomii c. 15, 1—11.
Andere behaupten, es sei dies eine Ehre, welche man dem
Saturnus erweise; sei es, dass die Idäer (Bewohner des Berges
Ida, vgl. S. 51), von denen wir vernommen haben, sie wären
zugleich mit dem Saturnus vertrieben und des Volkes Stamm-
väter geworden, ihnen die Begründung dieses Kultus über-
heferten; sei es, weil von den sieben Gestirnen, welche die
Geschicke der Menschen regieren, der Stern des Saturnus im
höchsten Kreise und besonders machtvoll sich bew^ege, wie ja
auch die meisten Himmelskörper ihre Kraft und ihren Umlauf
in der Sieben-Zahl vollenden.
Diese Mitteilung lehnt sich an die babylonische Astro-
logie von der Sieben-Gottheit der Plejaden an. (Vgl. H. Grimme
„Der Plejadenkult", Paderborn bei Schoeningh 1907). Im christ-
lichen Sinne wird diese Erklärung von Dante „Göttliche Ko-
mödie", Paradies X. Gesang, v. 10— 22; ebenso XXII. Gesang,
V. 133—138 angewendet. Nach Aristoteles, welchem das Mittel-
alter hierin folgte, bewegten sich Mars, Merkur, Venus, Saturn,
Sonne, Mond und Jupiter als 7 besondere Himmel um die Erde.
Diese galt als der unbewegte Zentralpunkt des ganzen Welt-
alls. Niemand bezweifelte, dass jene 7 Himmelskörper einen
geheimnisvollen, günstigen oder nachteiligen Einfluss auf die
Weltereignisse und Menschenschicksale ausüben könnten. [Wäl-
lenstein und Senü]
„Hi ritus quoque modo inducti antiquitate defenduntur:
cetera instituta, sinistra foeda, pravitate valuere. Nam pessi-
mus quisque, spretis religionibus patriis, tributa et stipes illuc
congerebant, unde auctae ludaeorum res, et quia apud ipsos
fides obstinata, misericordia in promptu, sed adversus omnes
alios hostile odium. Separati epulis, discreti cubilibus, pro
jectissima ad libidinem gens, alienarum concubitu abstinent;
inter se nihil illicitum, circumcidere genitalia instituerunt, ut
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- 57 -
diversitate noscantur. Transgressi in morem eorum idem usur-
pant, nee quidquam prius imbuuntur, quam contemnere deos
exuere patriam, parentes, liberos, fratres vilia habere. Augen-
dae tarnen multitudini consulitur; nam et necare quemquam
ex agnatis nefas, animosque proelio aut suppliciis peremptorum
aeternos putant: hinc generandi amor et moriendi contemptus.
Corpora condere quam cremare ex more Aegyptio, eademque
cura et de infernis persuasio, coelestium contra. Aegyptii ple-
raque animalia effigiesque compositas venerantur; ludaei mente
sola unumque mimen intelligunt: profanos, qui d eorum imagines
mortalibus materiis in species horainum effingant; summum
illud et aeternum neque imitabile neque interiturum. Nulla
igitur simulacra urbibus suis, nedum templis sistunt. Non
regibus haec adulatio, non Caesaribus honor. Sed quia sacer-
dotes eorum tibia tympanisque concinebant, hedera vincieban-
tur vitisque aurea templo reperta Liberum Patrem coli, domi-
torem Orientis, quidam arbitrati sunt, nequaquam congruentibus
institutis, quippe Liber festos laetosque ritus posuit, ludaeorum
autem mos absurdus sordidusque."
Diese Religionsgebräuche, mag ihre Einführung auch durch
zufällige (oder absurde) Gründe veranlasst sein, haben jeden-
falls ein hohes Alter für sich: 1500 vor Christus. Cfr. 1. Exodi
c. 23, 14 sq.; 1. Levitici c. 25, 2—22. Die übrigen sonderbaren
(für die Heiden unverständlichen) Einrichtungen haben nur
durch ihre Verschrobenheit einen Bestand gewonnen. Denn
jeder Nichtswürdige, welcher seine vaterländische Religion ver-
achtete, brachte ihnen Beisteuer und Gaben (Tempelsteuer);
und so geschah es, dass die Macht der Juden sich hob ; hierzu
kommt noch, dass sie untereinander selbst sich hartnäckige
Treue und Barmherzigkeit erweisen, dagegen wider alle übrigen
einen feindlichen Hass an den Tag legen. (Cfr. Ciceronis oratio
pro Flacco c. 28.) — Ein Hieb auf die jüdischen Proselyten. —
Sie speisen abgesondert, trennen ihre Lagerstätte von anderen,
sie gehen keine Ehe mit Fremden (Heiden) ein; unter ihnen
selbst ist nichts verboten. Die Beschneidung haben sie ein-
geführt, um durch dieses Abzeichen kenntlich zu sein. —
Schiefe Darstellung: es war ein von Jehovah anbefohlenes
Zeichen des Bundes; vgl. Genesis c. 17, 10—14; c. 21, 3 — 5.
Diejenigen, welche zu ihrer Religion übertreten, beob-
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- 58 -
achten eben dasselbe, und nichts wird ihnen früher eingeschärft,
als die Götter zu verachten, ihr Vaterland zu verleugnen, ihre
Eltern, Geschwister und Kinder für gering zu halten. Dennoch
wird für die Vermehrung des Volkes Sorge getragen. Denn
wie sie es für einen Frevel halten, irgendeinen Spätgeborenen
(diriTOvoi, aus 2. Ehe oder nach Abfassung des Testamentes u.s.f.)
zu töten, so glauben sie auch, dass die Seelen der in der Schlacht
oder durch Hinrichtung Gefallenen unsterblich sind. (Cfr. 1. II
Machabaeorum c. 12; 42 — 46: Opfer für die Verstorbenen.) Da-
her stammt ihre Liebe zur Fortpflanzung und ihre Todesverach-
tung. Die Leichen begraben sie, anstatt sie zu verbrennen
(wie es Sitte bei den Römern war, welche keinen Glauben an
die Unsterblichkeit hatten). Die Juden tun dies nach ägyp-
tischer Weise, mit welcher sie auch die Sorgfalt dabei (Ein-
balsamierung u. s. f.) und den Glauben an die Unterwelt (Scheol
= Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen) teilen. Cfr. Ge-
nesis c. 37, 35; c. 50, 2 und 13. Von den himmlischen Dingen
dagegen haben sie (noch) keine Überzeugung. — Die Lehre
vom ^Himmelreich" gehört vorzüglich dem neuen Testamente
an: Marci c. i, 15. — Die Ägyptier verehren allerlei Tiere und
selbstgeschaffene Bilder; die Juden aber erkennen nur eine ein-
zige Gottheit an, , welche im Geiste anzubeten ist. Cfr. Evgl.
S. Johannis c. 4, 24: „Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten,
müssen Ihn im Geiste und der Wahrheit anbeten!" Für gott-
los werden alle gehalten, welche von Göttern sich aus irdischen
Stoffen menschlichen Figuren ähnliche Bilder herstellen; denn
jenes höchste Wesen sei weder darstellbar noch vergänglich, weil es
ewig ist, Cfr. 1. Exodi c. 20, 1—7. Daher dulden sie keine Götter-
bilder in ihren Städten, geschweige in Tempeln. Nicht einmal den
Königen wird dies als Schmeichelei, auch nicht den Cäsaren als
Ehre zuteil! Weil aber ihre Priester Flöten- und Paukenspiel
erschallen Hessen, sich mit Efeu bekränzten und man eine
goldene Rebe im Tempel fand, so glaubten einige, es werde
der Vater Bacchus verehrt, jener Bezwinger des Morgenlandes,
womit ihre Satzungen aber keineswegs übereinstimmen; denn
Bacchus hat festliche und fröhliche Gebräuche eingerichtet, die
Weise der Juden dagegen ist (für heidnische Auffassung) ver-
schroben und niedrig.
Mit der „Vitis aurea'' verhielt es sich aber also: Herodes
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der Grosse hatte einen Rebstock, an welchem goldene Trauben
von Manneslänge hingen, den Juden geschenkt, und liess den-
selben über dem Tempeleingange befestigen, weil er in demselben
keine Verwendung finden konnte. Cfr. Flavii losephi „De hello
ludaico" 1. V, c. 5, n. 4., und „Antiquitatum ludaicarum" 1. XV.,
c. 11, n. 3. In ihrer Unkenntnis nahmen die Heiden das Vor-
handensein dieses Weihegeschenkes als Zeichen des römischen
Götzen Liber (Bacchus) an.
Auch die Deutung „des Flöten- und Paukenspieles und
des Bekränzens mit Efeu seitens der jüdischen Priester" ist
irrig. Denn nach Moses l. Levitici c. 23, v. 40 flgd., beziehen sich
diese Feierlichkeiten auf das Ernte- oder Pfingstfest der Juden.
Kapitel 6, 7 und 8 sind der Geographie von Palästina ge-
widmet. „Terra finesque qua ad Orientem vergunt, Arabia
terminantur, a meridie Aegyptus objacet, ab occasu Phoenices
et mare, septentrionem e latere Syriae longe prospectant.
Corpora hominum salubria et ferentia laborum. Rari imbres,
über solum: fruges nostrum ad morem, praeterque eas bal-
samum et palmae. Palmetis proceritas et decor, balsamum
modica arbor: ut quisque ramus intumuit, si vim ferri adhibeas,
paventvenae; fragmine lapidis, aut testa, aperiuntur; humor in
usu medentium. Praecipuum montium Libanum erigit, mirum
dictu, tantos inter ardores opacum fidumque nivibus ; idem am-
nem lordanen alit funditque. Nee lordanes pelago accipitur,
sed unum atque alterum lacum integer perfluit, tertio retinetur.
Lacus immenso ambitu, specie maris, sapore corruptior, gravi-
tate odoris accolis pestifer, nequ^ vento impellitur, neque pisces
aut suetas aquis volucres patitur. Inertes undae, superiacta ut
solido ferunt; periti imperitique nandi perinde attoUuntur. Certo
anni bitumen egerit cujus legendi usum, ut ceteras artes, ex-
perientia docuit. Ater suapte natura liquor et sparso aceto
concretus innatat; hunc manu captum, quibus ea cura, in summa
navis trahunt, inde nuUo juvante influit oneratque, donec ab-
scindas. Nee abcindere aere ferrove possis: fugit cruorem
vestemque infectam sanguine quo feminae per menses exsol-
vuntur. sie veteres auctores, sed gnari locorum tradunt undantes
bitumine moles pelli manuque trahi ad litus, mox, ubi vapore
terrae, vi solis inaruerint, securibus cuneisque ut trabes aut
saxa discindi."
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— 6o —
Das Land und Gebiet (von Palästina) wird in seiner Aus
dehnung nach Osten von Arabien begrenzt, von Mittag her ist
Ägypten vorgelagert, von Sonnenuntergang bildet Phoenizien
und das mittelländische Meer die Grenze, nach Norden hin
dehnt es sich seitwärts von Syrien weit aus. Die Menschen
sind gesund und können Anstrengung ertragen. Der Regen
ist selten, der Boden aber fruchtbar; die Erzeugnisse desselben
sind die nämlichen, wie bei uns (in Italien) nur kommen noch
Balsam und Palmen hinzu. Die Palmenwälder sind hoch und
schön. Die Balsamstaude dagegen ist von massiger Grösse.
Schlägt man einen Ast davon, sobald der Saft recht in den-
selben geschossen ist, mit Eisen, so stocken die Gefässe
(Adern); durch Ritzung mit einem Steine oder Scherbe lassen
sie sich öffnen, und die herausquellende Flüssigkeit wird von
Ärzten gebraucht. — Jericho, auf der Westseite des Jordan,
war durch seine Palmenhaine besonders ausgezeichnet, wie
denn auch der Name „Jericho" = „Palmenstadt", schon besagt.
In einem nahe gelegenen Tale und am See Tiberias gedieh die
Balsamstaude besonders gut. (Cfr. Justini „Epitomes'* 1. XXXVI,
c. 3, 1 — 5; Plinii „Historiae Naturalis" 1. XII., c. 25 und c. 54;
Taciti „Germaniae" c. 45.) — Als Hauptgebirge ragt der Li-
banon („weisser Berg") empor, welcher in wunderbarer Eigen-
tümlichkeit mitten in so grosser Hitze kühl ist und den Schnee
bewahrt: d. h. und mit ewigem Schnee bedeckt. Von ihm geht
der Fluss Jordan aus und hat seine Nahrung. — Der Jordan
entspringt übrigens am Hermon. — Derselbe wird nicht vom
Meere aufgenommen, sondern durchfliesst in gleicher Fülle
einen und noch einen anderen See, im dritten aber bleibt er.
— Gemeint sind die Seen Merom, Genesareth und das Tote
Meer. — Dieses letztere Gew^ässer ist ein See von unermess-
lichem Umfange, dem Meere gleich, von Geschmack noch
bitterer (widriger), und durch die Schärfe seines Geruches
den Anwohnern verderblich. Kein Wind kann ihn bewegen,
auch vermögen sich Fische und die sonst an Wassern heimischen
Vögel daselbst nicht aufzuhalten. — Gemäss den neueren Reise-
berichten kommen am Toten Meere noch Enten und Taucher
vor. Vgl. I. Band, Seite 131. — Die Wellen (wenn man hier
so sagen darf, oder besser: die Oberfläche des Wassers) be-
wegen sich nicht; was darauf geworfen wnrd, tragen sie wie
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— 6i —
auf festem Boden: des Schwimmens Kundige wie Unkundige
werden (vom Wasser) emporgehoben. Zu einer bestimmten
Zeit des Jahres wirft der See Erdharz aus, dessen Sammlungs-
weise, wie andere Fertigkeiten, die Erfahrung gelehrt hat. Die
von Natur aus bereits schwarze, aber erst, wenn man Säure
dazu giesst, sich verdichtende Flüssigkeit, schwimmt auf der
Oberfläche. Diejenigen, welche sich damit beschäftigen, er-
greifen sie mit der Hand und ziehen sie an Bord des Schiffes;
dann fliesst sie ohne Beihilfe hinein und belastet es, bis man
sie abschneidet. Doch kann man dieses nicht mit Erz oder
Eisen vollziehen: sie weicht bloss dem Blute und schon einem
vom Blute getränkten Kleide. So erzählen die alten Geschichts-
schreiber ; Leute jedoch, welche die Gegend kennen gelernt haben,
berichten, die von Erdharz wogenden Massen treibe und ziehe
man mit der Hand an das Ufer, und sobald sie durch den
Wärmestoff der Erde und die Glut der Sonne getrocknet sind,
schneide man sie mit Beilen und Keilen wie Balken und Steine
auseinander.
Die Landesbeschreibung, welche Tacitus von Palästina
gibt, enthält manches Ungenaue und Übertriebene. Selbst „die
Ortskundigen", auf deren Zeugnis er sich beruft, waren offen-
bar in manchen Irrtümern befangen. Man denke übrigens nur
daran, welche Berichte Julius Caesar in seinen Kommentarien
über Germanien (Deutschland) in gutem Glauben aufgenommen
hat! Cfr. „De bello Gallico" 1. VI., c. 11 sq. — Kapitel 7 be-
schreibt den Untergang der Städte Sodoma und Gomorra so-
wie die Umgebung des „Toten Meeres". Vgl. I. Band, Seite
151 flgd.
Im folgenden ist eine kurze Darstellung der Geschichte
des jüdischen Volkes enthalten. Kap. 8 schildert die Verhält-
nisse unter der assyrischen, medischen, persischen und maze-
donischen Oberhoheit. Es werden die Bemühungen des Königs
Antiochus von Syrien erwähnt, um den Juden die Gebräuche
der Heiden aufzuzwingen; ebenso die Freiheitskämpfe der
Makkabäer. Die Kapitel 9 und 10 behandeln die Geschichte
der römischen Herrschaft in Judaea von Pompejus (a. 63 a. Chr.)
bis zum Ausbruche des jüdischen Krieges (a. 66), welcher durch
den Caesar Titus im Jahre 70 zu Ende geführt wurde.
Kapitel 11 bietet eine Darstellung der Kämpfe unter den
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— 62 —
Mauern von Jerusalem. Igitur castris, ut diximus (c. 1 am
Schlüsse; vgl. Seite 51), ante moenia Hierosolymorum positis,
Titus instructas legiones ostentavit : ludaei sub ipso muro struere
aciem, rebus secundis longius ausuri et si pellerentur, parato
perfugio. Missus in eos eques cum expeditis cohortibus ambiguo
certavit; mox cessere hostes et sequentibus diebus crebra pro
portis proelia serebant, donec assiduis damnis intra moenia
pellerentur. Romani ad oppugnandum versi; neque enim dignum
videbatur famem hostium opperiri, poscebantque pericula, pars
virtute, multi ferocia et cupidine praemiorum. Ipsi Tito Roma
et opes voluptatesque ante oculos, ac ni statim Hierosolyma
conciderent, morari videbantur; sed urbem arduam situ opera
molesque firmaverant, quibus vel plana satis munirentur. Nam
duos coUes in immensum editos claudebant muri per artem
obliqui aut introrsus sinuati, ut latera oppugnantium ad ictus
patescerent. Extrema rupis abrupta, et turres, ubi mons iu-
visset, in sexagenos pedes, inter devexa in centenos vicenosque
attoUuntur, mira specie ac procul intuentibus pares. Alia intus
moenia, regiae circumiecta, conspicuoque fastigio turris Antonia,
in honorem Marci Antonii ab Herode appellata". C. 12 „Tem-
plum in modum arcis propriique muri labore et opere ante alios ;
ipsae porticus quibus templum ambiebatur, egregium propu-
gnaculum.
Titus schlug demnach, wie oben gesagt wurde (S. 51),
vor den Mauern von Jerusalem sein Lager auf und zeigte die
Legionen in kampfbereiter Stellung. Die Juden ordneten ihre
Schlachtlinie dicht vor den Mauern, um im glücklichen Falle
sich weiter vorzuwagen, und wenn sie zurückgedrängt würden,
gleich eine Zuflucht zu haben. Die mit den leichtbewaffneten
Kohorten (zu 600 Mann) gegen sie abgeschickte Reiterei kämpfte
unentschieden Bald zwar wichen die Feinde, lieferten aber
an den folgenden Tagen wieder häufige Gefechte, bis sie durch
anhaltende Verluste hinter die Mauern zurückgeschlagen wurden.
Die Römer schritten nun zu einem Angriffe mit Sturm vor.
Denn es schien unwürdig, die Aushungerung der Feinde ab-
zuwarten; man verlangte nach Gefahren: ein Teil der Soldaten
aus Tapferkeit, viele aus Wildheit und Begierde, dafür belohnt
zu werden. Dem Titus selbst schwebten schon die Stadt Rom,
Machteinfluss und Vergnügungen daselbst vor Augen; und
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- 63 -
wenn nicht Jerusalem alsbald unterliegen werde, so schien es
damit noch im weiten Felde. Aber die an sich bereits hoch-
gelegene Stadt schirmten Bollwerke aus Quadersteinen, mit
welchen sie selbst in ebener Lage durch solche Riesenmauern
genugsam gesichert gewesen wäre. Denn zwei fast unermess-
lich grosse Hügel (nämlich die Erhebungen, an welche sich
die nördlichen Stadtteile Akra und Bezetha anlehnten) wurden
von Mauern eingeschlossen, welche vor- und einspringende
Winkel bildeten, um die Stürmenden unter Kreuzfeuer zu
nehmen. Der äusserste Rand der Felsenmasse war abschüssig,
und da erhoben sich Türme, je nachdem der Abhang (das na-
türliche Niveau) die Festigkeit mehr oder minder erhöhte,
zu sechzig, und in den Einsenkungen zu hundertundzwanzig
Fuss; sie waren von wunderbarer Gestalt und schienen beim
Anblicke aus der Ferne einander gleich zu sein. Andere Mauern
waren innerhalb um die Königsburg gezogen und von ansehn-
licher Höhe der Antoniusturm, welchen der König Herodes so
zu Ehren des römischen Feldherrn Marcus Antonius benannt
hatte. (Er befand sich auf dem Berge Moriah, nordwestlich
vom Tempel und war unter den Makkabäern errichtet worden
„Antiquität." 1. XV, c. 11, n. 4). Kap. 12. Der Tempel erhob
sich wie eine Burg und hatte eine besondere Mauer, welche
mit mehr Mühe und Kunst ausgeführt war, als die anderen.
Selbst die Säulengänge, welche um den Tempel herliefen, waren
ein vortreffliches Bollwerk.
Tacitus berichtet axich von den klugen Einrichtungen,
welche die Juden durch Anlage von unterirdischen, in Felsen
eingehauenen Wasserleitungen für den Fall einer langwierigen
Belagerung, getroffen hatten, und lobt die kriegstüchtige Be-
festigung der Stadt Jerusalem. Schliesslich erwähnt er noch
die verschiedenen, sich selbst bekämpfenden Parteien in der
Stadt, welche aber durch die Ankunft der Römer zu gemein-
samem Handeln vereinigt wurden.
Kapitel 13 ist den drohenden Vorzeichen gewidmet, welche
den baldigen Untergang von Jerusalem ankündigten. Evenerant
prodigia, quae neque hostiis neque votis piare fas habet gens
superstitioni obnoxia, religionibus adversa. Visae per coelum
concurrere acies, rutilantia arma et subito nubium igne con-
lucere templum, apertae repente delubri fores et audita maior
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humana vox: excedere Deos, simul ingens motus excedentium.
Quae pauci in metum trahebant: pluribus persuasio inerat anti-
quis sacerdotum litteris contineri, eo ipso tempore fore ut va-
lesceret Oriens profectique ludaea, rerum potirentur, quae am-
bages Vespasianum ac Titum praedixerat, sed vulgus more
humanae cupidinis sibi tantam factorum magnitudinem inter-
pretati ne adversis quidem ad vera mutabantur. Multitudinem
obsessorum omnis aetatis, virile ac muliebre secus, sexcenta
milia fuisse accepimus: arma cunctis, qui ferre possent, et
plures quam pro numero audebant. Obstinatio viris feminisque
par ; ac si sedes transferre cogerentur, maior vitae metus quam
mortis. Hanc adversus urbem gentemque Caesar Titus, quando
impetus et subita belli locus abnueret, aggeribus vineisque
certare statuit: dividuntur legionibus munia et quies proelio-
rum fuit, donec cuncta expugnandis urbibus reperta apud ve-
teres aut novis ingeniis struerentur.
Es hatten sich Vorzeichen ereignet, welche jedoch das
dem Aberglauben ergebene und heiligen Gebräuchen abgeneigte
Volk weder durch Schlachtopfer noch durch Gelübde zu sühnen
für gestattet hielt. (Die Juden waren verblendet: sie glaubten
nicht dem Worte Gottes und rannten mit offenen Augen in
das Unglück ; die Christen Hessen sich warnen und zogen nach
Pella, auf der linken Seite des Jordan, nordöstlich von Jerusalem.
Vgl. Evgl. S. Matthaei c. 24, 15—22.) Man sah über den Himmel
hin (am Firmamente) Schlachtreihen zusammentreffen, rot (blutig)
funkelnde Waffen und von plötzlichem Wolkenfeuerschein den
Tempel erhellt. Mit einem Male öffneten sich die Tore des
Heiligtums, und man vernahm eine übermenschliche Stimme;
jyDie Götter stehen aus!'' und zugleich das gewaltige Getöse
der Wegziehenden. — Vgl. II Machabaeorum c. 5, 1—5: „Und
es flehten alle, dass die Vorzeichen zum Guten ausschlagen
möchten". Diese so merkwürdigen Erscheinungen deuteten
nur wenige zum Schrecken (d. h. : sie sahen hierin wirklich
drohende Anzeichen, dass Stadt und Tempel bald zugrunde
gehen sollten); die meisten hatten die Überzeugung, es sei in
den alten Schriften der Priester enthalten, dass von jener Zeit
an das Morgenland erstarken werde, und Männer aus Judäa
hevorgegangen, sich der Weltherrschaft bemächtigen würden.
— Vgl. hierzu Tranquillus Suetonius in der vita Vespasiani
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c. 4, n. 27; zur ganzen Stelle aber Seite 20—22 di^sef Abhahdrf
lung. — Diese rätselhaften Worte hatten zwar auf Vespasian
und Titus als zukünftige Herrscher des Morgen- und Abend-
landes hingedeutet — (nämlich zufolge der Auslegung des
jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus; vgl. im vor-
Husgehenden Seite 12 und 22); — aber die grosse Menge, wie
Qs denn die Art der menschlichen Begehrlichkeit so mit sich
bringt, bezog sogar diese hochbedeutsamen Ereignisse auf sich
selbst und wurde nicht einmal durch das Unglück zur Wahr-
heitbekehrt. Die ganze Menge der Belagerten, jedweden Alters,
Männer wie Frauen, betrug, wie uns berichtet worden ist,
sechsmalhunderttausend. Waffen hatte jeder, der sie irgendwie
tragen konnte, und mehr noch, als die Zahl erwarten liess,
w^agten sich damit in den Kampf. Gleich hartnäckig bewiesen
sich Männer wie Frauen; und sollten sie gezwungen werden,
ihre Sitze zu verlegen (d. h. : auszuwandern), so fürchteten sie
das Leben mehr als den Tod. — Das nun war die Stadt und
das Volk, gegen welche der Caesar Titus, weil die Lage des
Ortes einen, stürmischen und plötzlichen Überfall nicht zuliess,
mit Erdwällen und Schutzdächern zu kämpfen beschloss. Die
Arbeiten wurden unter die Legionen verteilt, die Gefechte
ruheten, bis alles vorbereitet war, was schon von den Alten
zur Eroberung von Städten erfunden oder jetzt neu erson-
nen war.
Dieses alles hatte Christus, der Herr, vorausgesehen, als
er am Palmentage beim Anblicke von Jerusalem in Tränen
ausbrechend sagte: „Wenn du es doch erkannt hättest, und
zwar an diesem deinen Tage, was dir zum Frieden dienet;
nun ist es aber verborgen vor deinen Augen!"
„Es werden nämlich Tage über dich kommen, wo deine
Feinde einen Wall um dich aufwerfen und dich ringsumher
einschliessen und dich ängstigen werden von allen Seiten her,
Sie werden dich und deine Kinder, welche in dir wohnen, zu
Boden schmettern und keinen Stein auf dem anderen lassen:
— weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast!"
S. Lucae c. 19, 41 — 45. — Diese Prophezeihung ging wörtlich
in Erfüllung!
Tacitus verlässt nun den östlichen Kriegsschauplatz und
führt uns (c. 74 sq.) nach dem germanischen Westen. Seine
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 5
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— 66 —
weitere Schilderung der Belagerung und deren Ausgang ist
mit den übrigen Büchern der „Historien" verloren gegangen. In
dieser Hinsicht sind wir auf den Bericht des Dio Cassius „Rerum
Romanarum ** 1. LXVI, c. 4— 11, und des Flavius Josephus „De
hello ludaico" 1. V und VI angewiesen.
Die Stadt wurde mit einem Walle umgeben und ein Teil
nach dem anderen mit Sturm genommen. Am 17. Juli (70 n.
Chr.) hörte das tägliche Opfer auf, vom 10.— 15. August wurde
der Tempel erstürmt und in Asche gelegt; endlich am 2. Sep-
tember fiel auch die obere Stadt. Alles wurde jetzt dem
Boden gleich gemacht, und nur die drei Türme: Hippicus,
Phasael und Mariamne Hess Titus als Wahrzeichen seines
Sieges stehen. Über den blutnassen Boden der hl. Stadt ging
die Pflugschar des Eroberers, und Salz des Fluches ward in die
traurigen Furchen gestreut. Flavius Josephus („de belle lu-
daico** 1. VI, c. 8, n. 5) berichtet als Augenzeuge: „Die
Morgensonne des achten Tages im Herbstmonate ging auf über
den rauchenden und flammenden Trümmern von Jerusalem,
einer Stadt, die, wenn sie seit ihrer Erbauung so viele glück-
liche Tage gesehen hätte, als sie während ihrer Belagerung
Elend erfahren, wahrhaft beneidenswert sein würde."
i8. Der Untergang des Kapitolinischen Tempels zu Rom
und des jüdischen Tempels in Jerusalem.
Eine merkwürdige Tatsache in der Weltgeschichte ist es,
dass der Tempel des Jupiter auf dem römischen Kapitol und
die für Jehovah erbaute Stätte in Jerusalem kaum durch ein
Jahr geschieden (19. Dezember 69 — 15. August 70) innerhalb
8 Monaten ein Raub der Flammen geworden sind.
Flavius Josephus „de hello ludaico** 1. VI, c. 4, nr. 5, und
c. 5 sq. berichtet: "EvGa hk aTpatiiJüTaiv tk; ouTe TrapaffcX^a ircpi-
jLieiva^ ouT€ iiA TrjXiKOUTiu heiaaq dTXcipniiaTi baijioviiju 6p|iQ xP^M€vo^
dpTrdCci jifev ^K Tn^ (pX€TOjüievTi? öXti<; dvaKoocpiaeci^ b' uttö aTpaTiiuTOu
TÖ TTup ivir](Si Gupibi XP^<J^ ^ctö' iiv €i^ Touq irepi töv vaöv oikou?
elaiTÖv fjv ToO ßopeiou KXijuiaTO^ • eipojuieviic xfiq qpXoTÖ^ 'loubaiiuv ji^v
dT€ip€Tai KpauTT) toö irdGcu^ dHia, Kai irpö^ Tr|V äjiiuvav CTuv^öeov
oÖT€ ToO lf\v It\ qpeibuj XajißdvovTe^ out€ Tajiiveuöjüievoi Tr|V iaxuv
hl ö Ktti qpuXaKTiKOi TTpötepov fjaav oixojievou ... 6 jifev vaö^
ouTU)^, dicovTO^ Kaiaapo^, d|LiTri7TpdTai.
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- 67 -
Quo tempore miles quidam, torre correpto, non exspec-
tato cuiusdam mandato, neque tantum facinus veritus, divino
quodam impetu fretus ex ardente materia aliquid rapit et a
milite altero sublevatus ignem per fenestram auream injicit;
unde ad cellas circa templum aedificatas de septentrionalt
aditus erat regione. Flamma igitur excitata, ludaeorum oritur
clamor calamitatis magnitudini par, et ad defensionem concur-
rebant, neque iam vitae amplius parcendum rati, neque viribus
temperandum rati eo pereunte, ad quod servandum antea erant
intenti. (L. c. c. 4, n. 5, 6 und 7 im Auszug.) Titus Caesar
quum accurisset frustraque flammam ignis tentasset exstinguere,
quumque templi incendium augeretur, una cum ducibus intro
sacrarium templi ingressus, quidquid in eo erat conspexit,
multo quidem fama apud aligenas maiora, iactatione vero et
opinione domestica non minora. Quum autem flamma etiam
ad interiora penetrasset, Titus cum ducibus recessit. Et tem-
plum quidem hoc modo exuritur, invito Caesare.
Damals nun, als Feuer ausgebrochen war, ergriff ein
römischer Soldat, ohne einen Befehl abzuwarten und ohne die
Tragweite einer solchen Handlung zu tiberlegen, gleichsam
einem tibermenschlichen Antriebe gehorchend, einen Holzbrand
und Hess sich von einem anderen Soldaten in die Höhe heben.
Hierauf schleuderte er das lodernde Scheit durch das goldene
Fenster der nördlichen Seite in einen Gang, der in Verbin-
dung stand mit den Gemächern, welche das Heiligtum um-
gaben. Als nun die Flamme hoch aufleuchtete, erhob sich bei
den Juden ein Klagegeschrei, das der Grösse dieses Unglückes
entsprechend war. Sie liefen zum Schutze des Tempels herbei,
und nicht mehr ihres Lebens noch ihrer Kräfte glaubten sie
schonen zu dtirfen, wenn der Tempel zugrunde gehen sollte,
dessen Hüter sie vordem waren. Caesar Titus eilte herbei
und suchte vergebens das Feuer zu löschen. Da nun der
Brand sich immer mehr ausdehnte, so ging Titus mit seinen
Unterfeldherren in das AUerheiligstQ des Tempels und beschaute
sich die ganze Einrichtung desselben. Er fand sie nun viel
kostbarer, als man bei Fremden wusste, dagegen ganz ent-
sprechend der hohen Vorstellung und dem Rtihmen seitens der
Juden. (Cfr. das gleiche Verhalten des Cnejus Pompejus,
welcher im Jahre 63 a. Chr. als Sieger in das AUerheiligste
<>^
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— 68 —
des Tempels zu Jerusalem eingetreten war. Ciceronis orat.
pro Flacco c. 28; siehe Seite 136 flgd. des I. Bandes.) —
Unterdessen hatte sich der Brand bis in das Innerste des
Tempels verbreitet, und als auch hier die Flamme aufschlug,
verliess Titus mit seinen Begleitern das Heiligtum. — So ge-
schah es, dass der Tempel zu Jerusalem, freilich gegen den
Willen des Caesar, in Feuer und Flammen unterging. — Noch
in unseren Tagen steht der Triumphbogen des Titus zu Rom
als ein Wahrzeichen seines Sieges über Judäa.
Im Jahre 71 p. Chr. liess der Kaiser Vespasian den jü-
dischen Tempel bei Heliopolis in Ägypten zerstören. Derselbe
war 150 a. Chr. durch Onias erbaut worden, und der Gottes-
dienst in ihm wurde genau so, wie im Tempel zu Jerusalem,
gefeiert. Cfr. Flavii Josephi „de hello ludaico" 1. VII, c. 10,
n. 2-4.
Untergang des kapitolinischen Tempels zu Rom (69).
Cornelii Taciti 1. Historiarum III, c. 71 sq.:
Vixdum regresso in Capitolium Martiale furens miles
aderat, nuUo duce, sibi quisque auctor. Cito agmine forum et
imminentia foro templa praetervecti erigunt aciem per adversum
coUem usque ad primas Capitolinae arcis fores. Erant antiquitus
porticus in latere clivi dexterae subeuntibus, in quarum tectum
egressi saxis tegulisque Vitellianos obruebant. Neque illis
manus nisi gladiis armatae, et arcessere tormenta aut missilia
tela longum videbatur: faces in proeminentem porticum jecere
et sequebantur ignem ambustasque Capitolii fores penetrassent,
nisi Sabinus revulsas undique statuas, decora maiorum, in ipso
aditu vice muri obiecisset. . Tum diversos Capitolii aditus in-
vadunt iuxta lucum asyli et qua Tarpeia rupes centum gradibus
aditur. Improvisa utraqu vis ; propior atque acrior per asylum
ingruebat. Nee sisti poterant scandentes per coniuncta aedificia,
quae ut in multa pace in altum edita solum Capitolii aequabant.
Hie ambigitur, ignem tectis oppugnatores iniecerint, an obsessi,
quae crebrior fama, dum nitentes ac progressos depellunt.
Inde lapsus ignis in porticus oppositas aedibus ; mox sustinentes
fastigium aquilae vetere ligno traxerunt flammam alueruntque.
Sic Capitolium clausis foribus indefensum et indireptum con-
flagravit.
Hoc facinus post condit^m urbem luctuosissimum foedissi-
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- 69 -
mumque rei publicae populi Romani accidit, nuUo externe hoste,
propitiis, si per mores nostros liceret, diis, sedem lovis Optimi
Maximi auspicato a maiöribus pignus imperii conditam, quam
non Porsenna dedita urbe neque Galli capta temerare potuissent,
furore principum excindi. Arserat etiam ante Capitolium civili
bello, sed fraude privata: nunc palam obsessum palam incen-
sum, quibus armorum causis, quo tantae cladis pretio? Stetit
dum pro patria bellavimus!
Strassenkämpfe zu Rom unter den Anhängern des Ve-
spasian und Vitellius.
Kaum war Cornelius Martialis (Primipilar bei den Ve-
spasianern c. 70 n. 1) auf das Kapitol zurückgekehrt, als auch
schon das rasende Kriegsvolk herankam, ohne Führer, jeder
nach eigenem Gutdünken tätig. Im schnellem Zuge über das
Forum und an den sich anschliessenden Tempeln vorbeieilend,
rückten sie in Schlachtordnung gerade über den Hügel hin bis
zu den ersten Toren der kapitolinischen Burg. Hier befanden
sich von alters her Säulenhallen, an der Seite des Hügels zur
rechten Hand gelegen, wenn man hinaufstieg. Sie stürmten
jetzt auf das Dach derselben und überschütteten die Vitellianer
mit Steinen und Ziegeln. Diese nun hatten nichts als ihre
Schwerter in Händen; Schleudergeräte aber und Wurfgeschosse
erst herbeizuschaffen, schien ihnen zu weitläufig. Sie warfen
deswegen brennende Fackeln auf den vorstehenden Teil der
Halle, und würden, dem Feuer nachgehend, durch die ange-
brannten Pforten des Kapitols eingedrungen sein, wenn nicht
Flavius Sabinus (Parteigänger des Vespasian c. 69, n. 1) die
überall herabgerissenen Bildsäulen, die Ehrendenkmale der
Vorfahren, gerade am Eingange wie eine Mauer ihnen entgegen
geworfen hätte i). Nun griffen sie die auf der anderen Seite
1) Der kapitolinische Berg hatte zwei Höhen : die nördliche, wo man
heutigen Tages 124 Stufen zur Kirche S. Maria in Ära Coeli hinaufsteigt,
trug die eigentliche Arx, die Zitadelle Roms; auf der südwestlichen,
dem Kapitol, wo sich jetzt die deutsche Botschaft und das archäologische
Institut befinden, lag der dreischiffige Jupiter-Tempel. In der Senkung
zwischen den beiden vor alters bewaldeten Kuppen, lag das Asylum
(Titi Livü 1. I. c. 8, n. 5). — Der geschilderte Angriff von dem Fomm
aus (forum praetervecti), war also zunächst auf den südöstlichen Zugang
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— 70 —
des Kapitols liegenden Zugänge an, neben dem Haine des
Asyls, und da, wo man auf hundert Stufen zum Tarpejschen
Felsen hinaufsteigt. Unerwartet kam auf beiden Seiten der
Sturm, näher und heftiger brach er über das Asyl herein.
Nicht mehr aufzuhalten waren die Soldaten, welche über die
anstossenden Gebäude kletterten, die, im Vertrauen auf eine
lange Friedenszeit, hoch emporgerichtet, mit dem Boden des
Kapitols eine Ebene bildeten. Hier ist es zweifelhaft, ob die
Belagerer Feuer auf die Dächer geworfen haben, oder die
Belagerten, wie die gewöhnliche Erzählung lautet, um so die
Emporklimmenden imd immer weiter Vordringenden hinabzu-
drängen. Von da schlug der Feuerbrand in die neben den
Häusern liegenden Säulenhallen ; hierauf fingen die das Tempel-
dach stützenden, aus altem Holze gefertigten Adler auch noch
Feuer und nährten die Flamme. Auf diese Weise brannte das
Kapitol bei verschlossenen Türen und ungeplündert nieder. —
Seit Gründung der Stadt hat sich kein jammervolleres und
schmählicheres Ereignis im ganzen römischen Reiche zugetragen.
Ohne dass ein Feind von aussen her uns bedrängte, als die
Götter, wenn sie bei unserem sittlichen Zustande es vermöchten,
uns gnädig waren, da geschah es, dass der Sitz des besten
und grössten Jupiter, von unseren Vorfahren unter günstigen
Anzeichen als Unterpfand der Herrschaft gegründet, durch das
wahnsinnige Beginnen der Fürsten zerstört wurde, obgleich
ihn weder Porsenna, als die Stadt sich ihm ergab, noch die
Gallier, als sie dieselbe eroberten, zu entweihen vermochten!
Zwar hatte das Kapitol im Bürgerkriege schon gebrannt,
aber nur durch die Arglist einzelner; was war aber jetzt, wo
es offen in Brand gesteckt wurde, die Ursache des Kampfes?
Welchen Gewinn hoffte man von solchem Unglück? Solange
wir einen Krieg für unser Vaterland unternahmen, hatte das
Heiligtum auf dem Kapitol dauernden Bestand!
zum Kapitol gerichtet. Die nordöstliche Abdachung des letzteren zum
Asyl hin, rechts von den Stürmenden, (wo jetzt der Palazzo dei Conser-
vatori steht), war mit Häusern bedeckt, welche bei dem Sturme in Flammen
aufgingen. Der andere Angriffspunkt war an der steileren Westseite, wo
wahrscheinlich bei der Porta Carmentalis, jene Treppe zum Trapejischen
Felsen hinaufführte, dessen Lage nicht genau zu bestimmen ist. (Eduard
Wolff.)
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— 71 —
So waren binnen wenigen Monden das römische Kapitol
mit den hochverehrten Heiligtümern des Jupiter, der Jimo und
der Minerva sowie der religiöse Mittelpunkt des Reiches, nebst
dem Tempel des wahren Gottes in Jerusalem, diese s^wei be-
deutendsten Kultusstätten der alten Welt, durch römische Sol-
daten, ohne es zu wissen, Vollstrecker höherer Ratschlüsse
und Gerichte, vernichtet worden. Wenn der Kern reif ge-
worden ist; so springt die Schale entzwei und hat keine Be-
deutung mehr. (Evgl. S. Lucae 23, 45: Der Vorhang im Tempel
zu Jerusalem.) Die Schale für das Judentimi und das Heiden-
tum waren die Tempel in Jerusalem und Rom. Als nun der
Kern, das Christentum, reif geworden, erschienen war, da
sprang die leblose, wertlose Schale ab: Der Tempel su Jeru-
salem und Rom verbrannten in Frist eines Jahres !
19. ,,Saxa loquuntur!'* Die Steine reden! Die Auffindung der
Gruppe des Laokoon und deren Bedeutung für die christliche
Welt- Anschauung.
Am 14. Januar 1506 fand Felix de Fredis unter den
Ruinen der Bäder des Kaisers Titus zu Rom am nördlichen
Abhänge von S. Pietrö in Vincoli die herrliche Gruppe des
Laokoon. Als Papst Julius II. dies vernahm, sandte er den
Architekten Giuliano di Sangallo zur Ausgrabungsstätte. In
seiner Begleitung waren Michelangelo und der neunjährige Sohn
Sangallos, namens Francesco. Nachdem der Pontifex das Kunst-
werk am 23. März erstanden hatte, wurde dasselbe auf einem
prächtig geschmückten Fahrzeuge in den Vatikan gebracht.
Ganz Rom jubelte über diesen kostbaren Fund und zierte die
Strassen wie zu einem Festtage. Gefeiert wurde das Werk
in Elegien, Oden und Epigrammen von den Dichtern der da-
maligen Zeit. Es stammt aus der rhodischen Schule, welche
von 323 bis 146 vor Christus blühte und seine Meister waren:
Agesandros, Athenodoros und Polydoros. Es ist jetzt im Bel-
vedere des Vatikan aufgestellt. (Cfr. Virgilii Aeneidos L II,
201 sq.; Plinii Hist. Naturalis 1. 36.) Als Kunsterzeugnis ersten
Ranges von allen Kennern gepriesen stellt die Laokoongruppe
einen Vater mit zwei Söhnen dar, welche von grossen Schlangen
unerrettbar umschnürt sind. Schon Goethe sagt in einer Ab-
handlimg über diesen Gegenstand; Die Bildhauerkunst wird
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— 7Ji —
mit Recht so hoch gehalten, weil sie die Darstellung auf ihren
höchsten Gipfel bringen kann und muss, weil sie den Menschen
von allem, was ihm nicht wesentlich ist, frei darstellt So ist
auch bei dieser Gruppe Laokoon ein blosser Name ; von seiner
Priesterschaft, von seinen trojanisch-nationellen, von allem poe-
tischen und mythologischen Beiwesen haben ihn die Künstler
losgelöst; er ist nichts von allem, wozu ihn die Fabel macht:
es ist ein Vater mit zwei Söhnen und in Gefahr, zwei gefähr-
lichen Tieren zu unterliegen. Diese Gruppe stellt also die
Menschheit im allgemeinen dar. So lebendig ist der Ausdruck
des Schmerzes wiedergegeben, dass man unwillkürlich glaubt,
den Angstschrei der armen Todesopfer hören zu müssen. Diese
Gruppe stellt die leidende Menschheit dar ; sie repräsentiert das
in Marmor ausgehauene, versteinerte Sündenelend der unerlösten
Welt : im Banne der Schlange ! — Friedrich von Schiller sagt
in dem Gedichte „Das Ideal und das Leben'' (1795), 12. Strophe:
„Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
Wenn dort Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz:
Da erhebe sich der Mensch, es schlage
An des Himmels Wölbung seine Klage
Und zerreisse euer fühlend Herz!"
Winkelmann (9. Dezember 1717 bis 8. Juni 1768), Be-
gründer der neueren Kunstgeschichte, sagt von dieser Statue:
y^Die Augen des leidenden Vaters sind nach der höheren Hilfe
gewandt!^ (Vgl. L Band, S. 20.) — Einen ähnlich tieferen
Sinn hat das schlangenumgürtete Medusenhaupt der Gorgo.
Es bedeutet das in Ers gegossene Schuldhewusstsein, das böse
Gewissen der armen Heidenwelt, Ovid „Metamorphosen" 4. Buch,
Vers 817 und folgende, gibt die Erklärung dazu:
„Nun schwieg Perseus wider Erwartung. Einer der Edlen
Nahm das Wort und fragte : Warum hat eine der Schwestern
Nur mit Schlangen umwundene Haare getragen? Und Perseus
Gab ihm zur Antwort: Weil du nach Dingen, die der Erzählung
Wert sind, forschest, so höre den Grund der Geschichte: Medusa
War von schöner Gestalt, und die Neid erregende Hoffnung
Vieler Bewerber. Nichts aber war schöner an ihr als die Locken ;
Dieses bezeugen, welche sie sahen. Sie hat Neptunus aber
In der Minerva Tempel geschändet. Voll Abscheu bedeckte
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- 73 —
Jupiters Tochter die keuschen Augen mit der Aegide
Und verwandelte, um es nicht ungebtisset zu lassen^
Der Medusa Locken in schreckliche Schlangen. Bis jetzt noch
Trägt sie, dass mit Entsetzen sie die erschrockenen Feinde
Verjage, auf ihrem Schilde die Schlangen, welche sie schuf.**
20. Die in Jesus Christus vollbrachte Erlösung.
Von dem Schuldbewusstsein der un erlösten Menschheit
gibt ebenfalls der btissende Prometheus Zeugnis. Ein Geier
riss ihm jeden Tag von neuem die Leber auf: „Wo der Wurm
nicht stirbt!" Cf. Isaiae proph. 66, 24; und Evgl. S. Marci 9, 4v5.
Aber auch die Hoffnung einer Erlösung aus diesem qualvollen
Zustande durch die stellvertretende Sühne Gottes wird ihm
verkündigt :
Kai TOioöbe iioxOou r^p^a jiti ti irpocrbÖKa
TTpiv av Geiliv xi^ bidboxo^ tujv (Tiliv ttövuüv
<l>dvi;i 0eXri(Ji;| x' ei^ dvauTtiTOV iioXeiv
"Aibnv Kveqpaia x' djuiq)! Tapxdpou ßdxir
Vgl. Seite 4u. s.f.! (Aeschyli Promethei vincti v. 1016— 1020.)
Talis molis sperare non licet finem,
Ni quis Deus pro Te paratus sit
Descendat ut in Tartari domum,
Vicem gerens laboris Tui particeps!
Von solcher Drangsal hoffe nicht ein Ziel, bevor
Als Stellvertreter deiner Qual ein Gott erscheint,
Bereit, für dich in Hades unbesonntes Reich
Zu steigen und zur finstern Kluft des Tartarus!
Damit sind die Worte des Symbolums zu vergleichen:
„Qui propter nos homines et propter nostram salutem
descendit de coelis; crucifixus etiam pro nobis descendit ad
inferos!* Der wegen uns Menschen und um unseres Heiles
willen vom Himmel herabstieg; er ward für uns gekreuzigt
und stieg zur Unterwelt.
Die im Heidentum sehnlich erhoffte Erlösung durch die
stellvertretende Busse eines Gottes ist durch Jesus Christus
wirklich vollzogen worden. Die vollendetste Wirkung derselben
zeigt sich bei der „Virgo Immaculata". Sie ist ohne Makel
der Erbsünde und frei von jeder Tatsünde; sie ist „pleiia
gratia" = voll der Gnaden. (S. Lucae 1, 28.)
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— 74 —
Aus diesem Grunde ist die Statue der „Virgo Immacu-
lata" das sinnreichste Pendant zu der Gruppe des Laokoon
und dem schlangenumgürteten Medusenbaupte der Gorgo. Die
Madonna trägt auf ihrem Haupte eine Sternenkrone^ und ihr
Fuss vertritt die Schlange. (Apocalypsis 12, 1 sowie Genesis
3, 15.) Laokoon wird erlöst und Medusa wird begnadigt!
„Nur wer sich auf den Mittelpunkt gestellt,
Auf Golgatha^ vom Licht der Welt umflossen,
Versteht die alte und die neue Welt.
Den andern bleibt ihr ewiger Sinn verschlossen.
Nur wer die aufgegangene Sonne schaut.
Sieht in der alten Welt des Lichts Verhüllung,
Nur der hört ihrer Sehnsucht Schmerzenslaut,
Der da frohlockend glaubt an die Erfüllung!**
Oscar von Redwitz „Thomas Morus".
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1. Anhang:
Die Beziehungen der griechischen Eleusinien zu dem jüdischen
Laubhüttenfeste.
Der griechische Schriftsteller Plutarch wurde um das Jahr
50 nach Christus zu Chaeronea in Boeotien geboren und starb
zwischen 120 — 134. Er studierte zu Athen unter Ammonius
und wurde später als Neuplatoniker selbst Lehrer der Philosophie
in Rom. Seine Schriften zerfallen in vergleichende Lebens-
beschreibungen (Parallelbiographien) berühmter Griechen und
Römer sowie in moralische Darstellungen vielseitigsten Inhaltes.
In der Abhandlung Zu|Li7T0(JiaKa TTpoßXii^aTa, Quaestiones Convi-
vales = Tischgespräche 1. IV, c. 6„ nr. 1 und 2, führt er den
Athener Moeragenes ein, welcher den versammelten Gästen
einen Vortrag hält über die griechischen Eleusinien (Diony-
sien etc.) und das jüdische Laubhüttenfest. Er suchte zu be-
weisen, dass diese beiden religiösen Gebräuche eine grosse
Ähnlichkeit unter sich haben. Hierbei nennt er auch die jüdischen
Leviten, deren Name aber nach seiner Ansicht von dem grie-
chischen Worte : Maioq (Lysius), oder Emoq (Euius) herzuleiten
ist. Auch das Sabbatfest der Juden will er mit der griechischen
Dionysosfeier in Verbindung bringen und glaubt die Bezeich-
nung desselben auf das Wort: Zdßo(; zurückführen zu dürfen.
Schliesslich gibt er eine Beschreibung der Amtstracht des
Hohenpriesters. Hören wir nunmehr den Vortrag im Urtexte
selber: TTdvTWV ouv KcXeuövxujv Kai b€0|i€vu)v 'irpaiTOV |li€v' fqpri
MoipatevTi^ 6 'A0iivaiO(; 'Tr]q ixe-xiarriq Kai TeXeiOTaxTi^ io^Tf\<; nap'
auToT^ loubaioi^ 6 Kaipö? iüTx Kai ö xpoiroq Aioviiaiu TrpocJriKuiv •
Tr\v faß X€TO^€VT]v VTiaxeiav fitovxe^ otKiiidlovTi xputilTif» ipairÄa^ le
TTpoTiOevrai TravTobaTrfiq önOüpaq uttö aKT]vaT(; Kai iraXidaiv ^KKXimdxujv
jidXicTTa Kai kittou bia7Te7rXeT)i€vai(; • Kai Tf)v npoTcpav ifiq dopiriq
aKTivfiv övojidZiouaiv ' öXitai^ b' öarepov fiiii^pai^ dXXiiv ^opiriv, ouk
av bi' aiviT^druDv dXX' ävTiKpu(; BdKxou KaXou)Li€VTiv, leXoGaiv. toxi
bi Kat Kpabf](popia xi^ ^opxf) Kai 0up(Jo<popia nap'. auxoi^, iy § 0upr
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- 7^ -
aovx; ?xovT€(; ei^ tö lepöv elaiaaiv. eiaikQovxeq bt, 8 xi bpiliaiv, ouk
Xa^ey • eiKÖ^ bfe ßaKX€iav eivai xct 7roioü)Li€va ' Kai Tap cTaXTiiTHi iniKpai^,
ujatrep 'ApTeToi Toxq AiovucJioi^ dvaKaXou)Li€voi xöv 6eöv xP^J^viai*
Ktti Ki9api2[ovx€^ ?x€poi Tipotaaiv, oöq auxoi Aeuixa^ TTpo(Jovo^d2[ou(Tiv,
€Tx€ TTapd xöv Aiiaiov eixe jnäWov irapa xöv Eöiov Tf]q diriKXricJeujq
T€TevT])i^VTi^. ol^ai bfe Kai x^v libv Zaßßdxujv tepxfjv )ir\ TravxdTramv
dTTpoabiövuaov elvar Zdßou? Tdp Kai vuv fxi ttoXXoi xou^ BdKxouq
KaXoOai Kai xauxT]v dqpiäai xf|v qpuüvrjv oxav öptid2[ujai xui öeui'
ßeßaiiwaiv b' l(7xi briirou Kai Trapd AinnoaG^vouq Xaßeiv Kai irapä
Mevdvbpou. Kai ouk dirö xpönov xi^ av cpaiT] xouvo)Lia ireTTOificyGai
Ttpö^ xiva (7ößri(7iv, f[ Kaxex€i xou^ ßaKX€uovxa(;. auxoi bfe xiu Xötw
jiapxupoöaiv, oxav Zdßßaxov xijiOüai, jidXiaxa iiifev ttivciv koi olvoöaGai
irapaKaXouvxe^ dXXr|Xou(;- oxav b^ KuüXiii] xi iieilow; dnoTeueaGai -^i
TTdvxu)^ dKpdxov vojiiCovxe^. Kai xaöxa iiifev elKÖxa qpaiT] xi<j av eivar
Kaxd Kpdxo^ bfe xouq dvavxiou? TtpOuxov jifev 6 dpxiepeu^ eXetxei,
liixpoqpöpo^ x€ TTpotuJv ev xai^ ^opxai? Kai veßpiba xpwc^ÖTraaxov evvri-
ILievoq, x^TiIiva bk irobiipTi qpopujv Kai KoGöpvouq- KiLbuDve^ be ttoXXoI
KaxaKpejiavxai xfiq eaGfixo^, u7roKO|LiTTouvx€^ ^v xijj ßabiZieiv, üjq xal
irap' f]|iiv' ipöcpoi^ bfe xP^vxai Tiepi xd vuKxeXia Kai x^iXkokpöxou^
xd^ xoO OeoO xiGtiva? TrpocraTopeuouai • Kai ö beiKvu)Lievo^ ev xoi^
dvavxioi^ xoö veuj Gupoo^ dvxexuTiujiLievo^ Kai xujiTrava' xaöxa ifotp
oubevi br|iT0u6€v dXXiu Geuiv f| AiovucJcu 7rpo(7r|Kei.
Die Überschrift des 6. Kapitels im 4. Buche der Tisch-
reden lautet: „Wer ist der Gott der Juden?" Die heidnische
Tischgesellschaft: Symmachus, Lamprias und Moeragenes
glaubten aus den religiösen Gebräuchen der Juden schliessen
zu dürfen, dass dieselben von den Griechen herstammten und
sich auf Dionysos (Liber) bezögen. Moeragenes, der Athener,
erbot sich nun, diese Beziehungen nachweisen zu können.
Da nun alle es wünschten und ihn darum baten, begann
er: „Fürs erste entspricht das grösste und heiligste Fest der
Juden der Zeit und der Feier nach dem Dionysos. Denn an
den so genannten Fasten, wenn die Weinlese so recht im Gange
ist, stellen sie unter Zelten und Hütten, welche zumeist aus
Wein- und Efeuranken zusammen geflochten sind, Tische
mit Sommerfrüchten aller Art auf, wie sie auch den Tag vor
dem Feste ^Hüttenfesf-' nennen. Wenige Tage später sodann
feiern sie ein anderes Fest, welches nicht bloss vermutungs-
weise, sondern wörtlich . nach dem Bacchus benannt ist. Es
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- 77 -
gibt aber auch bei ihnen ein Fest mit dem Namen „Tragen von
Feigenbaumzweigen", und ein anderes, das „Tyrsus-Tragen",
an welchem sie mit Tyrsusstäben in den Händen den Tempel
betreten. Was sie nun in demselben tun, weiss ich nicht. Es
ist aber wahrscheinlich, dass sie eine Bacchusfeier halten; denn
sie bedienen sich, wie die Argiver an den Dionysien, kleiner
Trompeten zur Anrufung ihres Gottes. Diesen schliessen sich
die Zitherspieler an, welche die Juden selbst ^Levüen^ nennen;
sei es nun, dass dieser Name von Lysius, oder richtiger von
Euius herkommt. (Beides sind Bezeichnungen des Dionysos.)
Auch ihr Sabbatfest, glaube ich, ist nicht gan? ohne dionysische
Feier; denn viele nennen selbst jetzt noch die Bacchanten
„Sabben" und rufen diesen Namen aus, wenn sie den Gott
mit Orgien verehren. Hiervon kann man sich aus Demosthenes
(orationis de Corona c. 18, § 260) und Menander (Kock. 3 p. 260)
überzeugen. Auch wäre es nicht unpassend, anzunehmen, dass
dieser Name von jener lebhaften Bewegung gebildet sei, in
welcher die Bacchanten befangen sind. — Diese Ableitung
sowie die frühere „der Leviten" von Lysius oder Euius sind
irrtümlich; denn das Wort „Leviten" kommt vom jüdischen
Stamme „Levi", und die Bezeichnung „Sabbat" bedeutet „Ruhe-
tag", also das Gegenteil von Orgien des Bacchus. — Beide
Erklärungen des Atheners Moeragenes sind aus der Unkenntnis
der hebräischen Sprache hervorgegangen.
Auch folgendes kann man anführen, was bei den Juden
viele Ähnlichkeit mit dem bacchischen Kultus darstellt. Den
ersten Beweis liefert der Hohepriester derselben, welcher an
Festen mit einer Binde um das Haupt, einena mit Gold ge-
stickten Hirschfelle als Überwurf, und in einem bis auf die
Füsse reichenden Untergewande nebst „Kothurn" (Fus^beklei-
düng) erscheint. An seinem Kleide hängen viele Schellen,
welche bei der Bewegung klingeln; gerade so, wie man bei
uns während der nächtlichen Feier ein Geräusch macht und
die Ammen Gottes eherne Becken und Pauken schlagen nennt.
Und oben an der Vorderseite des Tempels sieht man den
Tyrsusstab und Pauken in Relief abgebildet, Attribute, welche
doch wohl keinem anderen Gott, als dem Dionysos zukommen.
Wenn der Athener Moeragenes hier von einem Tyrsus-
stabe nebst Pauken an der Vorderseite des Tempels zu Jerun
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~ 78 -
salem spricht, so liegt offenbar eine Verwechslung mit dem
goldenen Rebstocke (vitis aurea bei Tacitus „Historiarum"
1. V, c. 5) zutage, welchen der König Herodes über dem Tempel-
eingange befestigen liess. Cornelius Tacitus deutet dieses
Weihegeschenk ebenfalls als Zeichen der Verehrung des Gottes
Liber, des griechischen Dionysos. Cfr. 1. supra cit. , und
Flavius Josephus „de bello ludaico" 1. V, c. 5, n. 4, sowie
„ Antiquit. ludaicarum" 1. XV, c. 1 1 n. 3. — Professor Wytten-
bach hält den Text des Plutarch an dieser Stelle für unsicher
und liest: „ah den inneren Wänden des Tempels". Gemäss
dem 3. Buche der Könige, Kap. 6, Vers 18 und Buch der
Chronik II, c. 3, 5—8 liess Salomo die Innenseite des Tempels
mit Zedernholz und Goldplatten verzieren, auf welchen Bild-
werke von Koloquinten mit aiifgebrochenen Knospen sowie
Palmen und Cherubinen ausgeschnitten waren.
Nachdem wir diese allgemeine Übersicht vorausgeschickt
haben, ist noch klar zu stellen, welche .von den genannten
Festgebräuchen den Vorrang des höheren Alters besitzen.
Hierauf muss noch die Ähnlichkeit der einzelnen Riten unter-
einander genauer nachgewiesen und besprochen werden. Vgl.
I. Band S. 80 flgd., und II. Band S. 56 flgd.
Der Tischgesellschaft bei Plutarch war die Ähnlichkeit
des jüdischen Laubhtittenfestes mit den griechischen Dionysos-
festen so auffallend, dass sie glaubten, die Juden hätten sich
den Dionysoskult angeeignet. Allein offenbar haben nicht die
Juden dionysische Festgebräuche entlehnt, sondern umgekehrt.
Schon Tacitus sagt : „Hi ludaeorum ritus, quoquo modo inducti,
antiquitate defenduntur^ . Die Religionsgebräuche der Juden,
mögen sie auch aus zufälligen Gründen entstanden sein, (wir
wissen, libri Exodi c. 23, 14 sq. und 1. Levitici c. 25, 2 — 22),
^hahen jedenfalls ein hohes Alter für sich^. Unstreitig geht
die Gesetzgebung auf Sinai mit der Verkündigung der jüdischen
Festordnung den religiösen Einrichtungen der Griechen um
mehr als 500 Jahre voraus. Wenn nun dieselben mit den
jüdischen Gebräuchen so auffallend übereinstimmen, wie die
Bacchus-, Dionysos- und Eleusinischen Feierlichkeiten, so sind
sie gewiss auf diese als ihre Vorbilder zurückzuführen. Cfr.
1. I, Machabaeorum 3, 48. Dieses soll nun an den Eleusinien,
mit welchen die Dionysien vereinigt waren, nachgewiesen, und
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- 79 —
ZU diesem Zwecke dasjenige, worin die Ähnlichkeit zwischen
den Eleusinien und dem Laubhüttenfeste besonders augenfällig
ist, hervorgehoben werden, nämlich die Zeit^ Art und Weise
der Feier,
Am 10. des Monates Tischri, welcher teils unserem Sep-
tember, teils dem Oktober entspricht, war der grosse Buss-
und Fasttag oder das Versöhnungsfest der Juden. Am 15.
desselben Monates wurde das Laubhtittenfest gefeiert. Es war
durch eine besondere Fröhlichkeit ausgezeichnet und hiess
deswegen auch „das Fest mit Auszeichnung**. Alle Männer
und Jünglinge, Kranke, Greise und Knaben unter 12 Jahren
ausgenommen, mussten bei der Stiftshütte oder später in Jeru-
salem sich versammeln. Das Fest dauerte vom 15. — 23. Tischri,
mithin volle acht Tage. Rechnet man noch hinzu, dass die jü-
dischen Feste mit dem Vorabende begannen, so haben wir neun
Tage. (L. Levitici c. 23, 33 flgd., Numeri c. 29, 7 flgd.). Die
Bedeutung des Festes ist schon in seinem Namen ausgedrückt;
es bezog sich nämlich auf das Wohnen der Israeliten in Hütten
oder Zelten während ihres Umherirrens in der Wüste und auf
die daselbst von Gott empfangenen Wohltaten, wie z. B. das
Manna, welches jeden Tag neu vom Himmel taute. Um diesen
Zweck noch mehr zu versinnlichen , hatte Jehovah beföhlen,
dass alle eingeborenen Israeliten während des Festes unter
Zelten von grünen Zweigen wohnen sollten (L. Levitici c. 23,
43). Wegen des Zusammentreffens mit der Obst- und Wein-
ernte hatte dieses Fest zugleich die Bedeutung eines Erntefestes
(1. Exodi c. 23, 16, Deuteronomii c. 16, 13).
Auch die Eleusinien bei den Griechen übertrafen an Glanz
und Ruhm alle anderen Institute ähnlichen Charakters und
hiessen daher vorzugsweise „die Mysterien". Ihren Namen
hatten sie von Eleusis, einer Stadt und Gemeinde (bfjiLioq) in
Attika, mit einem Tempel der Ceres (Göttin des Getreides).
Während die öffentliche Volksreligion nur für die glücklichen
und frohen Menschen eine Anregung geben konnte, bot sie für
die Unglücklichen und Trauernden keine Tröstung noch Stütze.
Auch das Verlangen nach innerer Heiligung und Entsühnung
fand in derselben keine Befriedigung. Daher suchte man die
Geheimkulte auf, in welchen Fasten, Kasteiungen und Gebets-
übungen u. s. f. den Frieden der Seele beförderten. Diese
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— 8o
Mysterien wurden sehr hoch geschätzt, und viele Hessen sich
in dieselben einweihen. Das galt besonders von den grossen
Eleusinien. Voraus gingen die kleinen Mysterien, in welchen
gewisse Reinigungen und Sühnungen vorgenommen wurden
bis zum Anfang der Hauptfesttage. Diese begannen mit dem
15. Boedromion, welcher Monat mit dem hebräischen Tischri
übereinstimmt, und dauerten bis zum 23. einschliesslich, also
neun Tage. So lange nämlich durchstreifte Demeter (identisch
mit der römischen Ceres) die Erde, indem sie Fackeln in den
Händen trug; sie ass und trank nicht während der ganzen
Zeit und suchte ihre Tochter. (Ovidii „Metamorphoseon" 1. X,
431.) Zur Erinnerung an dieses Umherirren der Demeter, und
zugleich an die Mitteilung ihrer Gaben, der Feldfrüchte {Getreide
u. s. f.) und der Mysterien, wurden die Eleusinien gefeiert. Die
Verbindung des -wandernden Weingottes Dionysos mit den
cerealischen Göttinnen und die Zeit der Festfeier .beweisen,
dass die Eleusinien, wie das Laubhüttenfest zugleich ein Dank-
fest für die vollbrachte Ernte und Weinlese waren.
Gleichwie nun beide Feste in bezug auf die Jahreszeit,
in welcher, und die Anzahl der Tage an welchen sie gehalten,
und den Zweck zu welchen sie gehalten wurden, merkwürdig
übereinstimmen, so gleichen sich auch die Hauptpersonen,
welche dabei tätig waren, sowie die untergeordneten Begleiter
derselben, in mehr als einer Beziehung.
An der Spitze des mosaischen Priestertums stand der
Hohepriester. Nur ihm kam es zu, das Jahr einmal in das
Allerheiligste zu treten, um sich und das Volk mit Jehovah zu
versöhnen. (L. Levitici c. 16.) Er hatte die Oberaufsicht über
den Gottesdienst und den Vorsitz bei dem höchsten Gerichte
(L. Deuteronomii c. 17,8—12), welches später Synedrium hiess.
(Evgl. S. Matthaei c. 26, 57.) Unter die Erfordernisse zum hohen
Priestertum gehörte an erster Stelle die Abstammung von Araon,
(Numeri c. 18, 7.) Er musste von körperlichen Gebrechen frei
sein. (L. Levitici c. 21, J7.) Er durfte nur eine Jungfrau hei-
raten (Levitici 21, 13) und hatte während seiner priesterlichen
Funktionen enthaltsam zu leben. An der Ausübung seines
Amtes hinderte ihn sogar eine unfreiwillige Makel, wie die
Berührung einer Leiche u. s. f. (Levitici c. 22, 1 flgd.) Seine
Kleidung war ausgezeichnet und bis ins einzelnste bestimmt.
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— 8i —
(1. Exodi c. 28.) Ein Gewand von Linnen reichte ihm bis auf
die Füsse. Über demselben trug er ein hyazinthblaues Ober-
kleid: Flavii Josephi „Antiquitates" III, c. 7, n. 1 — 7. Dasselbe
reichte bis an die Knie und war am unteren Saume mit künst-
lichen Granatäpfeln und goldenen Glöckchen verziert, welche
beim Gehen einen vernehmbaren Klang verursachten. Vgl.
oben Seite 77, und l Exodi c. 28, 31—36.
Die Kopfbedeckung des Hohenpriesters hiess : nsastJa,
welches hebräische Wort Philo Alexandrinus (und Flavius
Josephus) mit Kibapi^ = Tiara übersetzen ; ebenso S. Hieronymus.
Sie war eine Art Diadem oder Turban (Mitra), vorne mit einer
goldenen Platte versehen, welche die Aufschrift trug: tiiJT'lbuJnj?
= 'Atia0|Lia Kupiou (Septuaginta) , Sanctum Domino (Vulgata),
Heilig bin ich dem Herrn! (L. Exodi c. 28, 36.) Das Haupt
musste er bei dem Gottesdienste stets bedeckt halten. (L.
Levitici c. 10, 6.)
Dem Hohenpriester waren die einfachen Priester aus den
übrigen Nachkommen Aaraons untergeordnet. Sie hatten die
täglichen Opfer zu besorgen, die Gesetzbücher zu bewahren
und abzuschreiben, das Volk zu unterrichten u. s.,f. Unter
ihnen standen die Leviten, aus dem Stamme Levi, welche die
niederen Dienste bei dem Opfern verrichteten, bei dem Gottes-
dienste sangen^ verschiedene Instrumente spielten, auch bei dem
Unterrichte des Volkes sich beteiligten. . Die Priester und
Leviten, der Hohepriester an ihrer Spitze, samt den Ältesten
Israels bildeten ein Kollegium, den Hohen Rat (Sanhedrin,
Synedrium, Synagoge), welcher nicht' bloss die schriftlichen
Offenbarungen, wie sie Moses niedergelegt hatte, bewahren,
(Deuteronomii c. 31, 9), sondern auch die dem geschriebenen
Worte zur Seite gehende mündliche Überlieferung (Tradition)
fortleiten und erklären sowie über schwierige Rechtsfälle end»
gültig entscheiden sollte. Ihre Auktorität wurde von Christus
bestätigt, Evgl. S. Matthaei c. 23, 2 — 4. Wer dem Spruche des
Hohen Rates trotzte, musste sterben. (Deuteronomii c. 17, 8 sq.)
Interessant ist die Wahrnehmung, dass bei dem Eleusinischen
Kultuspersonal fast die nämliche Organisation bestand, und
mitunter wörtlich übereinstimmende Anordnungen gültig waren.
Vor allen ragte der Hierophant = Offenbarer heiliger Dinge
hervor. Er wird von Plutarch mit dem Hohenpriester der
Kröll, Die Beziehangren des klasa. Altertums zu den hl. Schriften. 6
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* 8a ~
Juden (vgL Seite 77), und von Dionysius von Halicamassus mit
dem Pontifex Maximus der Römer verglichen (vgL Dionysii
Hai. „Antiquitatum" 1. II, c. 73, 1. III, c. 36).
Der Hierophant musste stets aus der Familie des Eumolpus,
des ersten Hierophanten genommen werden. Sein Hauptgeschäft
bestand darin, in die Mysterien einzuweihen. Sein Amt be-
kleidete er lebenslänglich. (Pausaniae 1. II, c 14.) Nach Über-
nahme desselben war er zur beständigen Enthaltsamkeit ver-
pflichtet (S. Hieronymi ad versus lovinianxmi opp. IV, 192.)
Er musste ohne sichtbare körperliche Gebrechen sein. Seine
Amtskleidung war genau bestimmt. Ein weisses Kleid reichte
bis zu den Füssen; an dem Oberkleide waren Glöckchen
angebracht, welche bei dem Einherschreiten ein Geräusch
machten. (Plutarchi „Alcibiades" c. 22, vgl. Seite 77 flgd.).
Alles wie bei dem jüdischen Hohenpriester.
Ausser dem Hierophanten waren noch Priester niederen
Ranges bei den Eleusinien tätig, nämlich der Keryx^ der £>aduch
und Epibomius, deren Familie mit derjenigen des Hierophanten
verbunden war. KflpuE = Verkündiger Herold ; AqiboOxo? = Fackel-
träger; *Emßu)^io^ = Altardiener. Den Genannten waren andere
untergeordnet, welche die niederen Dienste bei den Mysterien
zu besorgen hatten, ähnlich wie die Leviten der Juden. Aus
dem Eleusinischen Kultuspersonal bildete sich ein ^Heiliger
Rat^ (i€pd fcpouaia), dessen Pflicht es war, die Gesetze zu
bewahren und zu erklären, welche die Eleusinischen Mysterien
betrafen. (Cfr. PoUux aus Naukratis 1. 1, c. 35.) Hiermit war
das Gericht der Eumolpiden identisch, an welches Klagen
wegen 'Acr^ßcta = impietas, Irreligiosität gerichtet werden konnten
Das gerichtliche Verfahren gründete sich auf geschriebene
Gesetze und mündliche Überlieferungen, wie sie bei den Eumol-
piden üblich waren. (Lysiae contra Antigonum § 10.) Die
Geschichte des Alcibiades und des Demetrius geben interessante
Beispiele derartiger Verhandlungen. (Plutarchi „Alcibiades**
c. 22, 33, „Demetrius" c. 26.)
Die Festfeier selbst ging bei den Juden in folgender Weise
vor sich. Am Vorabende des ersten Feiertages mussten sich
alle reinigen, baden und salben. Nach Mitternacht wurden die
Tore des Tempels geöffnet. In aller Frühe kamen schon die
Leute dahin, jeder trug einen Strauss von Palmmyrten und
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- «3 -
Weidenzweigen nebst einer Zitrone. Den ganzen Tag über
wurden Opfer dargebracht und das grosse Hallel (die Psalmen
113 — 118) gesungen, während die Leviten dazu spielten. Alle
Festteilnehmer gingen täglich einmal, am siebenten Tage jedoch
siebenmal um den Brandopferaltar, die Palmzweige nach allen
Seiten hin schwingend. Ebenso wurde es an den folgenden
sechs Tagen gehalten. Am achten Tage aber kam noch eine
feierliche Wasserspende hinzu. Zum Trankopfer gentigte es
nicht, Wein zu bringen; dann gehörte auch Wasser herbei.
Mit goldenem Kruge begab sich ein Priester zu dem am Fusse
des Berges Zion befindlichen Brunnen Siloahj schöpfte aus
demselben und brachte das Wasser in den Vorhof des Tempels.
Hier sang man die Worte aus dem Propheten Isaias: ^Ihr
werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Quellen des
Erlösers". (Isaiae c. 12, 3.) Haurietis aquas in gaudio de fontibus
Sabvatoris. Dieses Wasser wurde in feierlichem Aufzuge durch
das Wassertor des Tempels getragen, in dessen innerem Vor-
hofe ein Altar errichtet war. Zu den Stufen desselben stieg
sodann der Priester hinan und goss das Wasser nebst Wein
in zwei silberne mit Ablaufröhren versehene Schalen aus, und
zwar an der Westseite des Altares das Wasser, an der Ost-
seite den Wein. Während der Prozession sangen die Priester
und Leviten unter Posaunenschall eine Antiphon aus Isaias
(c. 12, 3), und beim Ausgiessen des Wassers wurde das grosse
„Hallel" (die Psalmen 113 — 118) angestimmt. Nachdem der
Gottesdienst mit der Wasserspende vollendet war, begann die
Nachtfeier. In einem der grossen Vorhöfe des Tempels wurden
hohe Leuchter angezündet, welche den ganzen Raum tages-
hell erstrahlen Hessen. Die Vornehmen tanzten hierauf vor
dem ganzen Volke, indem sie Fackeln trugen, dieselben in die
Höhe warfen und wieder auffingen. Die ganze Nacht hindurch
hielt diese Feier an und bildete den Höhepunkt des Festes.
Die Rabbinen nannten dasselbe auch „Gesetzesfreude". Die
Leviten spielten inzwischen auf musikalischen Instrumenten, und
alles Volk sang die Stufenpsalmen 119 — 133.
Alle sieben Jahre musste während dieses Festes das Gesetz
Gottes dem versammelten Volke sowie den in Palästina woh-
nenden Fremden vorgelesen werden. (L. Exodi c. 23, 16, und
Levitici c.23, 34—43, Numeri c. 29, 12, Deuteronomiic.3l, 10—12.)
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- «4 -
Vergleichen wir nun mit diesem so freudenreichen Feste
der Israeliten die Eleusinien der Griechen, so finden wir im
wesentlichen, selbst in einzelnen Nebensachen, dieselben Ge-
bräuche, nämlich: Reinigungen, Opfer, Prozessionen^ fröhliche
Musik, nächtliche Feier, religiöse Tänse mit Fackeln^ Wasser-
spenden und Mitteilungen von Heilslehren.
Die. Tage der grossen Eleusinien hatten von den an ihnen
stattfindenden Festzeremonien ihren Namen. Der erste Tag
der Feier, der 15. Boedromium, *Atupm6^, war der Vorbereitungs-
tag. An demselben wurden die Einzuweihenden durch einen
öffentlichen Ausruf des Hierophanten und Daduchen mit der
Ordnung des Festes und den Bedingungen der Teilnahme an
der Weihe bekannt gemacht. Die Unreinen und Barbaren
(Nichtgriechen) waren ausgeschlossen. „Unreine" = Mörder u.s. f.
Der 2. Tag hiess : "AXabc ^uarm, sacris initiandi ad mare !
Die Einzuweihenden an das Meer! Daselbst wurden Reini-
gungen vorgenommen.
Der 3. imd 4. Tag hiessen: 9ua und 'kpeia von den ver-
schiedenen Opfern, welche dargebracht zu werden pflegten.
Am 4. Tage war gewöhnlich eine feierliche Prozession mit den
mystischen Körben. Dieselben enthielten: Sesam, Salz, eine
Schlange, Granatäpfel, Efeuzweige, Kuchen sowie noch andere
Dinge, welche sich teils auf die Geschichte der Demeter (Ceres),
teils auf die in den Mysterien vorgetragene Lehrsätze f kpoi
Xöfoi) bezogen.
Der 5. Tag: AainndbuDV fm^pa, war durch eine Prozession
mit Fackeln berühmt. Die Thriasische Ebene an der Küsten-
strecke des Eleusinischen Meerbusens war der Hauptort und
der Brunnen Kallichoron bildete den Mittelpunkt dieser nächt-
lichen Feier. (Cfr. Aristophanis „Ranarum** v. 340 sq.) Bei der
Nacht sah man die Eingeweihten paarweise aus dem Tempel
hervorgehen, während sie brennende Fackeln in den Händen
trugen. Bei der Rückkehr zur heiligen Stätte beeilten sie sich,
schwenkten sich schnell durcheinander, drehten dabei ihre
Fackeln und übergaben sie einander oft, alles unter tiefstem
Stillschweigen. (Cfr. Lactantii „Divinarum Institutionum" 1. 1,
c. 21.) Diese nächtliche Feier wurde auch an den folgenden
Tagen abgehalten.
Der feierlichste Tag aber war der 6. oder der 20. des
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- 85 -
Boedromium, "laxxo^ (Bacchus) genannt von der Prozession, in
welcher die Bildsäule des "laxxo^ von Athen nach Eleusis gebracht
wurde. Der Zug bewegte sich langsam . unter dem Schalle
einer rauschenden Musik, unter Absingung heiliger Lieder; er
hielt auch von Zeit zu Zeit an, weil Opfer dargebracht und
religiöse Tänze aufgeführt wurden. Viele Tausende nahmen
an dem Zuge teil: Priester, Obrigkeiten und Weihekandidaten
waren mit Myrten und Eppich bekränzt und trugen Fackeln,
weil die Prozession erst mit beginnender Dunkelheit in Eleusis
ankam. Hierauf folgte die Nachtfeier, bei welcher die Ein-
weihung in die Mysterien vorgenommen wurde. Das Ganze
schloss am 9. Tage mit einer TTXimoxör]i einer Wasserspende^
welche aus besonderen Gefässen dargebracht wurde, von denen
das eine gegen Osten, das andere gegen Westen unter Aus-
sprechung geheimnisvoller Worte ausgegossen zu werden
pflegte. Hierzu kam noch die Mitteilung von Geheimen Lehren
(Teilen aus der UroflFenbarung), die aus einer in zwei grossen
Steinen (^Gesetztafeln Mosis") verschlossenen Schrift den Ein-
geweihten vorgelesen wurden. (Cfr. Pausaniae T\^p\ry{r\a\^ ti^^
'EXXdbo^ 1. VIII, c. 14 und 15: „Beschreibung merkwürdiger
Dinge in Griechenland".) Diese beiden Steine hiessen Petroma,
und bei ihnen wurde der Eid abgelegt. Sie erinnern an die
Bundeslade des Moses mit den beiden steinernen Gesetztafeln.
Die Schrift mit den Geheimlehren soll eine mosaische gewesen
sein. (Cfr. Dr. P. Willibald Freymüller „Orpheus und Moses",
S. 26 flgd., Programm des Kgl. Gynmasiums zu Metten (Bayern)
1857/58.)
Das ganze Alte Testament mit seinen hl. Festen und
Zeiten war ein Vorbild Jesu Christi und seiner barmherzigen
Erlösungsgnaden. Auch das sich selbst überlassene Heidentum
mit seinem Suchen und Verlangen nach Entstindigung und
Heiligung, das sich vorzüglich bei den Eleusischen Mysterien
offenbarte, zielte unbewusst auf den „unbekannten Gott" hin,
weicher ihm von S. Paulus verkündigt wurde. (Cfr. I. Band,
Seite 42 flgd.) Der Heiland sagte daher: y^Selig sind^ die nach
Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie sollen gesättigt
werden!^ Evgl. S. Matthaei c. 5, v. 6. Und die Erfüllung dieser
Verheissung berichtet S. Johannes, Evgl. c 7, v. 37 — 42 : ^Am
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— 8b —
letzten und grossen Tage des Laubhüttenfestes, als die Pro-
zession mit dem Wasser aus der Quelle Siloah in den Tempel
einzog, und die Antiphon gesungen wurde: „Ihr werdet mit
Freuden Wasser schöpfen aus den Quellen des Heilandes!",
da stand Jesus da und rief, mit göttlichem Zurufe den Jubel
des Volkes tibertönend und sich selbst als den wahren und
echten Born der Gnaden bezeugend, von welchem das Aus-
giessen des Wassers am Laubhtittenfeste ein Vorbild war:
y^Wenn jemand dürstet^ so komme er su mir und trinke!^
„Wer an mich glaubt, aus dessen Inneren werden, wie die
Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fliessen." Johannes
fügt erklärend hinzu: Dies sagte er von dem Geiste^ welchen
die Gläubigen empfangen sollten.
Und er berichtet weiter : Aus dem Volke aber sagten sie,
nachdem sie diese seine Worte gehört hatten : ^Dieser ist wahr-
haft der Prophet 1^ Andere aber sagten: ^Er ist der Christus!^
Am Pfingstfeste kam der Geist des Herrn über seine Jünger,
und die Apostelgeschichte c. 10, v. 44 sq. erzählt, dass der
heidnische Hauptmann Cornelius mit seinem ganzen Hause die
Fülle des hl. Geistes empfing. Jetzt hatte das jüdische Laub-
hütten- und das griechische Eleusinienfest, innerlich so sehr
verwandt, eine glorreiche Erfüllung gewonnen und die wahre
Kirche spricht: „Da Tuis Fidelibus, in Te confidentibus Sacrum
SeptenariumI" „Gib den Gläubigen, welche auf Dich vertrauen.
Deine siebenfache Gnadengabe!"
2. Anhang.
Der Peldzug des Senacherib gegen Judäa.
(Cfr. ILRegum c. 18, 13—19, 37; Isaiae c. 36 und 37; II. Paralip.
c. 32 sowie Herodoti Historiarum 1. II, c. 141.)
„Höre Israel! Mit fremden Völkern (Heiden) schliesse
kein Bündnis!" Diese Mahnung wird im Gesetze Mosis öfters
wiederholt: Exodi c. 23, 32, c. 34, 15; Deuteronomii c. 7, 2.
„Gesegnet ist der Mann, welcher auf den Herrn vertraut und
dessen Zuversicht der Herr ist!", so verkündigt der Prophet
Jeremies seinen Zeitgenossen (c. 17, 7). Isaias warnt eindring-
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- 87 -
lieh vor politischen Verbindungen mit Assyrien und Ägypten.
(Kap. 10, 30, 31.) Sie predigten aber tauben Ohren. Unter
Begünstigung des Götzendienstes hatte eine falsche Staats-
klugheit bei dem Volke Gottes Platz gegriffen. Uneingedenk,
dass Jehovah Schutz und Trost zu jeder Zeit gewähren konnte,
rief Jehu, König von Israel, den assyrischen König Salmanassar IL
zur Hilfe gegen Damascus. Dies führte zu einer drückenden
Abhängigkeit von Assur und bot in der Folgezeit eine Veran-
lassung zur Vernichtung des Reiches und zur Wegführung
seiner Bewohner nach Assyrien (722 a.). Nicht gewarnt durch
das Unglück von Samariä, und dem Zuspruche des Isaias direkt
entgegen, suchte Achaz, König zu Jerusalem, in seiner Bedrängnis
Schutz und Hilfe bei dem Grosskönige von Ninive. Weil er
so den Herrn verlassen und die Worte seines Propheten in den
Wind geschlagen hatte, musste er lebenslänglich einen hohen
Tribut entrichten. Nach seinem Tode kam dessen Sohn Ezechias
a. 727 zur Regierung. Dieser hatte aus den Missgriffen seines
Vaters die Erkenntnis gewonnen, dass es bitter imd böse sei,
die Gesetze Gottes zu übertreten und fremden Göttern zu
dienen. Aus diesem Grunde sah er die Abhängigkeit seines
Reiches von Assyrien als eine Strafe Jehovahs an. Zuerst
nun entrichtete er noch den auferlegten Tribut an Assyrien;
aber mit männlicher Entschiedenheit und den Ermahnungen
des Propheten Isaias folgend, suchte er den Götzendienst zu
entfernen und in dem Volke wieder die Überzeugung zu be-
festigen, dass nicht Vertrauen auf heidnische Hilfe, sondern
nur der Schutz des wahren Gottes dem Reiche Juda eine ge-
sicherte Zukunft bereiten könne. Als daher im Jahre 705 der
Grosskönig Sargon gestorben war, entzog sich Ezechias dem
bisherigen Vasallendienste und stellte die Tributleistimg ein.
Ihm folgten die Nachbarstaaten am Mittelländischen Meere. In
Voraussicht eines assyrischen Rachezuges liess Ezechias die
Befestigungswerke von Jerusalem und den übrigen Städten
seines Reiches ausbessern und verstärken. Kaum war Senacherib
auf Sargon gefolgt, als auch rasch, und den meisten palästinen-
sischen Regenten unvermutet, eine starke Heeresmacht von
Assur gegen Westen vorrückte. Askalon am Meere war schnell
bezwungen, und von hier aus gelangte Senacherib in wenigen
Tagen vor die jüdische Stadt Lachis, um Hilfstruppen von
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— 88 —
Süden aus (Ägypten u. s. f.) fem zu halten. In dieser Not ent-
schloss sich Ezechias, den Grosskönig Senacherib durch Tribut-
leistung zu versöhnen. Dies gelang ihm auch. Aber die
Hoffnung, dass Senacherib jetzt dauernd Frieden halten werde,
erwies sich als hinfällig. Von Lachis entsandte er zwei Unter-
feldherrn mit starker Mannschaft gegen Jerusalem, um diese
Stadt zur Übergabe zu bewegen. iEr selbst blieb zurück, da
ein Entsatzheer von Ägypten im Anzüge war. Mit Schmähung
und Lästerung gegen Jehovah und den König Ezechias ver-
langten seine Legaten die Öffnung der Tore und fügten schwere
Drohungen bei. Ezechias aber, von.Isaias durch eine Offen-
barung des Herrn ermutigt, verweigerte standhaft das Ansinnen
der feindlichen Assyrier. Als nun die Hilfstruppen aus Ägypten
unter Führung des mutigen Äthiopierfürsten Tirhaka in gefähr-
liche Nähe heranrückten, liess Senacherib seine Soldaten von
Jerusalem her abrufen, um sie mit der Streitmacht von Lachis
zu vereinigen. Bei Elteke stiessen die feindlichen Heersäulen
aufeinander, und die Assyrer gewannen die Obmacht. Bevor
nun Senacherib den fliehenden Ägyptiem nachsetzte, entbot er
wiederum einen Teil seiner Truppen gegen Jerusalem, mit der
schriftlichen Aufforderung an Ezechias, sofort die Tore zu
öffnen. Hierbei lästerte er den geheiligten Namen Jehovahs
auf die schmählichste Weise. Ezechias trug dieses Schreiben
in den Tempel Gottes: „Domine defende caussam Tuam!"
„Erhebe Dich, Herr, in Deiner Kraft und zerschmettere die
Feinde Deines Namens!** So ähnlich lautete sein Gebet.
Der Prophet Isaias kam ihm entgegen und tröstete ihn mit
der Verheissung Gottes, dass die heilige Stadt nicht in die
Hände der Feinde geraten werde : der König der Assyrer werde
mit Schmach abziehen und in seinem eignen Lande fallen; so
hatte er ihn schon früher ermutigt.
In der folgenden Nacht fuhr der Racheengel Jehovahs
(Sanct Michael) vom Himmel hernieder und erschlug im Heere
der Assyrer 185000 Mann samt ihren Führern und Haupt leuten.
Als Senacherib am nächsten Morgen sich von seinem
Lager erhob und den Hauptkern seiner Truppen als Leichen
erblickte, überfiel ihn ein grosser Schrecken: eiligst flüchtete
er mit den kläglichen Überresten seines Heeres nach Assyrien,
um nie wieder Palästina zu bedrängen. Ob er sich wohl seiner
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- «9 -
Stolzen Überhebung und seiner Lästerungen gegen den Gott
Israels erinnert hat?!
Dieser Feldzug ist in das Jahr 701 vor Christus zu setzen.
Für das Jahr 681 ist der Tod des Senacherib keilinschriftlich
bezeugt. Er fiel durch die Hand seiner eigenen Söhne infolge
einer Verschwörung, als er im Tempel seines Gottes anbeten
wollte. So erfüllte sich das Wort, welches Isaias verkündigt
hätte, in vollem Masse. Das 2. Buch der Chronik c. 32, 21—23
berichtet: „Auf diese Weise errettete Jahve den Ezechias und
die Einwohner von Jerusalem aus der Hand des Senacherib,
des Königs von Assyrien, und schaffte ihm Ruhe ringsum. Und
viele brachten Geschenke für Jahve und für Ezechias Gaben
nach Jerusalem, und er kam in den Augen aller Völker zu
hohem Ansehen".
Die Berichterstattung der hl. Schrift, Ezechias sei in den
Tempel gegangen, um den Schutz Gottes gegen Senacherib zu
erflehen, infolgedessen eine grosse Sterblichkeit im Lager der
Assyrer eintrat, findet in der Darstellung des griechischen Ge-
schichtsschreibers Herodot eine Parallelbezeugung. Derselbe,
zu Halicarnassus in Kleinasien ca. 484 a. Chr. geboren und in
Thurii (Unteritalien) gegen 424 gestorben» verwendete den
gfössten Teil seines Lebens darauf, die meisten der damals
bekannten Länder zu besuchen, um die Ereignisse, welche sich
bei den Fürsten und Völkern zugetragen hatten, zu erkunden
und in seinem nach den neun Musen bezeichneten Geschichts-
werke schriftlich niederzulegen. Im 2. Buche der „Historien'',
Kap. 141, beschreibt er den Feldzug des Königs Senacherib
gegen Ägypten (welcher zugleich gegen Judäa gerichtet war)
auf folgende Weise:
Mexa bk TOÖTOv ßaaiXeOcrai töv ipda loö 'HcpaicTiou tijj oövo|Lia
ZeGiüv, TÖV dv aXoTiijcTi ^X^w Trapaxpn^yaiLievGV tOjv |uiaxi|LiüJV Aitv^tttiujv
ib^ oub^v b€Ti(T6|ui€VOV aÖTÄv . . . Mexa bk in' Ait^tttov dXauveiv
cTTpaiöv ixefav Zavaxdpißov ßamXte 'Apaßiuiv t€ Kai 'A(J(Jupiu)v • ouk
luv bf| eGeXeiv xou^ )Liaxi|iou^ tujv Aitutttiijüv ßu)0€€iv xöv bk ip^a
iq dTTOplTiv direiXTiiui^vov dcTeXGövxa e^ tö iii^Tapov 7rpö<; idj^aXiLia diro-
bupecrGai, ola Kivbuveüei iraGeTv öXocpupöiiievov b' dpa iiiiv direXGeiv
UTTVOV, Kai Ol böEei dv tiq 8i|/i xöv Geöv GapcTuveiv, ib^ oub^v ireicTeTai
dxctpi dvTidCiüV TÖV 'Apaßiiwv (TTpatöv auTÖg ydp o\ Tr^iuipeiv Ti|Liujpou^-
TOUTOKTi br\ \x\v iricTuvov TOicTi dv\JTrvioi(yi TrapoXaßövxa AItutttiiüv tou^
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— 90 —
ßouXo|Lidvou^ o\ ?7r€(T0ai aiparonebevaaaBai iv TTnXoucTiiJu • . . . 'EvOaura
dTriKO)Lidvoi(Ji dvavTioicTi dirix^O^vra^ vuktö^ |liö^ dpoupaiou^ Kaxct [xkv
qpaYeiv xou^ cpaperpeiöva^ auxdiv, Kaxä bk xd xö£a, npöq he dairibujv
xd 8xava% tScTxe xfi uaxepaiij qpeuYÖvxiuv (Tqpdiuv tv^ilivoiv öttXujv iteaeiv
TToXXou^. Ktti vOv oöxo^ 6 ßacTiXeu^ ^crxriKe ^v xtu \pCb xoö 'Hq)ai(Txou
Xi0ovo^, fx^v dm xfi^ X^ipö^ MÖv, X^t^v bid Ypa|Li|Lidxa)v xdbe:
'EZ 'EME TIZ 'OPQN EYIEBHI 'EZTQ.
Die Priester zu Memphis (vgl. 1. II, c. 2) erzählten dem
Herodot folgendes: Nach diesem (sc. König Anysis, c. 137)
sei ein Priester des Hephaistos namens Sethos König in Ägypten
geworden. — Ein Pharao Sethos regierte aber 600 Jahre früher.
Nach anderen Quellen führte Tirrhaka, der Äthioper, in der
Zeit, um welche es hier sich handelt, (710 — 700 a. Chr.), die
Herrschaft im Nillande. — Der nun habe die ägyptische Krieger-
Kaste geringschätzig und mit Vernachlässigung behandelt,
gleich als ob er derselben niemals bedürfen werde. Als jedoch
bald hierauf Senacharib, König von Arabien und Assyrien einen
grossen Feldzug gegen Ägypten unternahm, hätten die streit-
baren Männer der Ägyptier sich geweigert, zur Verteidigung
auszurücken. Der Priesterkönig nun, in Bedrängnis geraten,
sei in das Heiligtum gegangen und habe vor dem Götterbilde
geklagt, welch grosse Gefahr er zu leiden habe. Während er
also jammerte, habe der Schlummer ihn überkommen, und in
einem Traumgesichte schien es ihm, als ob der Gott an seiner
Seite stehe und ihn ermutige : es werde ihm nichts Schlimmes
begegnen, wenn er dem Heere der Araber entgegenziehe;
denn er selbst wolle ihm Helfer senden. Voll Vertrauen auf
diese Traumerscheinung habe er alsdann die Ägyptier, welche
ihm Heeresfolge leisten wollten, an sich gezogen und bei Pelu-
sium (am Nil gelegen) ein Lager aufgeschlagen. Als hierauf
die Feinde dort hingekommen waren, seien in der Nacht grosse
Scharen von Feldmäusen eingebrochen und hätten die Leder-
und Riemenzeuge ihrer Bogen und Schilde gänzlich zernagt,
so dass sie am folgenden Tage hilflos ohne Waffen die Flucht
ergriffen und viele hierbei umkamen, (indem die Ägyptier sie
verfolgten). Und noch jetzt steht ein steinernes Bild dieses
Königs in dem Tempel des Hephaistos, welches eine Maus in
der Hand trägt und durch eine Inschrift also spricht: y^Schaue
auf mich und sei gottesfürchtig !^ Flavius Josephus „Antiqui-
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— 91 —
tatum ludaicarum'* 1. X, c. 1 n. 4, bemerkt zu diesem Berichte:
„Von dem Könige Senacherib erzählt auch Herodot in dem
II. Buche seiner Geschichte, er sei gegen den König von
Ägypten, der ein Priester des Hephaistos war, gezogen und
habe Pelusium belagert, die Belagerung aber aus folgender
Ursache aufgehoben. Der Priester habe zu dem Gott der
Ägyptier gefleht, und dieser habe auf seine Bitte eine Plage
über die Araber geschickt. Hierbei irrt sich Herodot wieder,
indem er ihn bald einen assyrischen, bald einen arabischen
König nennt. Er fährt fort: eine Menge von Mäusen habe
über Nacht die Bogen und alle Waffen der Assyrier zernagt,
und da sie also keine Angriff swaffen mehr gehabt hätten, sei
der König genötigt gewesen, sein Heer von Pelusium zurück-
zuziehen. So erzählt Herodot. Berosus aber, welcher die
chaldäische Geschichte geschrieben hat, sagt bei Erwähnung
des Königs Senacherib, dass er über Assyrien geherrscht, und
ganz Asien und Ägypten mit Krieg überzogen habe". — Die
Katastrophe seines Heeres vor Jerusalem, die eilige Flucht nach
Assyrien und seinen Tod im Tempel zu Ninive berichtet Fla-
vius Josephus nach der Darstellung der hl. Schrift. — Prof. Dr.
Abicht, Erklärer des Herodot, bezieht sich ebenfalls auf die
hl. Schrift bei Isaias Kap. 36 und 37, um die Niederlage des
Senacherib zu veranschaulichen. Nach seiner Ansicht bedeutet
die Maus in der Hand des Priesterkönigs zu Ägypten (cfr. 1. II,
c. 141 n. 10) das Sinnbild des Unterganges und der Vernichtung,
und so habe Herodot irrtümlicher Weise die grosse Sterblich-
keit im Lager der Assyrier auf eine Verheerung durch die
Mäuse zurückgeführt. Es sei eben nicht ausgeschlossen, dass
die Erzählung der ägyptischen Priester auf einem Missverständ-
nisse beruhe, indem sie das sinnfällige Zeichen für den Begriff
des Unterganges nicht richtig deuteten.
Es erübrigt noch, auch einen assyrischen Bericht über
diesen Feldzug mitzuteilen. Derselbe erzählt von Senacherib,
dass bei seiner Thronbesteigung, das ganze Westland (Palästina
nebst Judäa) sich im Aufruhr gegen Assyrien befunden habe.
Rasch sei er von Ninive aus vorgedrungen, und Stadt um
Stadt an der Meeresküste von Sidon bis nach Gaza hin sei
im Sturme genommen worden. Eine unermessliche Beute habe
er gewonnen. Ein zum Ersätze von Ägypten her anrückendes
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— 9« —
Heer sei von ihm bei Altaq (Elteke) besiegt worden. Hierauf
richtete sich sein Zug gegen Jerusalem, das er ^wie emen
Vogel im Käfig" eingeschlossen habe. Hiskia, König der Judäer,
sei vor dem Glänze der Macht Senacheribs in Furcht geraten
und habe sich erboten, einen grossen Tribut zu entrichten,
welcher dem Grosskönige nach Ninive gebracht worden sei.
Sehr ausführlich wird dieser Beutezug beschrieben. (Cfr. Prisma-
Inschrift. Kol. 2, 14 bis Kol. 3, 65. Keilinschr. Bibliothek II,
91 flgd.) — Hierbei ist es auffallend, dass, obgleich von den
anderen Städten gesagt wird, sie wären mit Gewalt erstürmt
worden und hätten neue, Assurfreundliche Regenten erhalten,
nichts derart von Jerusalem erzählt wird: Senacherib zieht in
seine Hauptstadt Ninive zurück und lässt einen Tribut von
Judäa sich nachschicken. Hier muss man zwischen den Zeilen
lesen, dass ein bedeutender Misserfolg bei Jerusalem sich für
Senacherib ereignete, welchen der assyrische Hofbiograph der
Nachwelt nicht überliefern durfte.
Das sechsseitige Tonprisma, welches wir oben zitierten,
hat noch folgende Nachricht: Die Könige von Babylon und
Elam vereinigten ihre Kriegsmacht bei Halule am Tigris.
Assur nun zog gegen sie aus, Senacherib erzählt: Löwengleich
ergrimmte ich und liess mir die Rüstung anlegen. Eilig
stieg ich im Zorne des Herzens auf meinen gewaltigen Streit-
wagen, der meine Feinde dahinschmettert. Den mächtigen
Bogen, welchen mir Assur gegeben, nahm ich in meine Hände,
und den wuchtigen Speer ergriff ich, welcher das Leben
durchschneidet. Wie ein Sturmwetter, wie ein Gott des Or-
kanes brauste ich auf gegen Front imd Flanke und zer-
schmetterte meine Hasser in gewaltigem Toben usf. Es
folgt noch eine poetische Ausmalung des vermeintlichen Sieges.
Die Wahrheit aber vernehmen wir aus der babylonischen
Chronik. Sie berichtet: Im ersten Jahre des Mugezib-Marduk
(des Königs von Babylon) am 28. Ab wurde Kudur, der König
von Elam bei einem Aufstand ergriffen und ermordet. Dann
bestieg Ummanmenanu den Thron von Elam. Dieser bot die
Heere von Elam und Babylon auf und lieferte bei Halule den
Assyriern eine Schlacht und warf Assyrien darnieder.
Senacherib errang demgemäss keinen Sieg, sondern erlitt
eine regelrechte Niederlage!
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- 93 -
Ähnlich erging es in dem Kriege zwischen China und
Japan im Jahre 1894. Die verlorenen Schlachten wurden in
chinesischen Tagesblättern als glänzende Siege ausposaunt.
Die geschichtliche Treue und die nüchterne Wahrheits-
liebe ist eben keine besondere Tugend bei den Orientalen. —
Mit Recht sagte daher Leo XIII. in seiner Encyclica „Provi-
dentissimus Deus" d. d. 18. November 1893 über das Studium
der hl. Schrift: „Leider gibt es viele, welche mit der Auf-
bietung eines grossen Scharfsinnes die Denkmale des Alter-
tums, die Kultur der Völker und historische Zeugnisse ähn-
licher Art erforschen und veröffentlichen, aber oft dabei das^
Ziel verfolgen^ in den Büchern der hl. Schrift Mängel und
Fehler su entdecken, damit deren Ansehen nach jeder Richtung
hin ins Wanken gebracht und in Zweifel gesogen werde.
Manche gehen dabei ungerecht und unbillig zu Werke: den
profanen Schriften und alten Dokumenten vertrauen sie in dem
Masse, dass ihnen nicht einmal der Verdacht eines Irrtums
aufsteigt; dagegen den Büchern der hl. Schrift schenken sie
keinen solchen Glauben, wo auch nur ein vermeintlicher Schein
des Irrtums vorliegt; untersucht wird die Sache gar nicht
weiter, um der Wahrheit auf den Grund su kommen. Wir
können es nicht genug beklagen, wie diese Anfeindung der
hl. Schrift mit jedem Tage wächst und um sich greift. An
erster Stelle werden die Gelehrten und Gebildeten in den
Kampf hineingezogen; doch diese können sich immerhin noch
leicht vor Schaden hüten. Aber besonders das der Wissen-
schaft fern stehende Volk wird auf allerlei Weise von den
Gegnern der hl. Schrift behelligt. In Büchern, kleineren Bro-
schüren und Tagesblättern (Zeitungen) wird das verderbliche
Gift beigebracht; öffentliche Vorträge und private Unter-
redungen dienen derselben Sache."
Indem nun Leo XIII. den katholischen Klerus zur Ver-
teidigung aufruft, empfiehlt er das Studium der alten Sprachen
und der Bibelkritik, damit wir befähigt seien, mit der Waffen-
rüstung angetan „allen alles zu werden, stets bereit, jedem
Rechenschaft zu stehen, welcher Rechenschaft fordert und
Auskunft verlangt über die Hoffnung, die wir in uns tragen".
(Cfr. I. Ep. S. Petri c. 3, 15; II. Petri c. 3, 18; Ep. S. Pauli ad
Eph. c. 6, 10-18; I. ad Corinthios c. 9, 22.)
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- 94 —
3. Anhang.
Divus Plato.
j^Du bist nicht ferne vom Reiche Gottes/"
Evgl. S. Marci XII., 34.
Die Schriften Piatos und ihr Verhältnis su den Büchern des
Alten Testamentes.
„Der Charakter des Metallischen fehlt zwar keinem Silbererze,
tritt aber nur im gediegenen Golde am deutlichsten hervor.**
Clemens Vedanus.
Monsignore Niccolö Marini, Mitglied der Cancellaria
ApostoUca zu Rom, sagt in seiner Abhandlung: „La Bibbia
e Llliade,** S. 17 flgd. (Roma 1900, Tipografia del Cav.
V. Salviucci), welche er dem Papste Leo XIII. zu dessen
Namenstage (19. August: S. Joachim) überreichte: Non posso
tenermi dal citare il belhssimo ragionamento del dotto EUenista
Toscano del seculo scorso: Angelo Ricci, il quäle nelle sue
„Dissertazione Omeriche" e precisamente nella XXX. a pro-
posito delle attinenze del graeco poeta, coUa S. Scrittura
espone i criteri, che debbono servir di guida in simili casi.
Dopo aver premesso e provato con moltissimi esempi che in
genere i pagani „fabulis divinarum Literarum vera dicta per-
vertere soUemne habuerunt", cosi continua: „Neque enim
dubium esse posslt, Homerum, Hesiodum, aliosque illius aetatis,
sive etiam aetatum antiquiarum sapientes viros, Musaeum,
Orpheum, Linum et si qui fuerunt alii, ea quae Divinae Literae
docent, plane non ignorasse, multoque magis non ignorasse
Platonem, Aristotelem, ceterosque philosophos, qui recentioribus
aetatibus floruerunt, ac proinde omne sapientiae Studium coe-
lestis esse originis, et a Judaeis veluti e fontibus in exteras
gentes ita manasse, ut scriptores ethnici e sacris litteris plu-
rima accepisse videantur, quae corrupta erroribus fabulisque
lacerata vulgaverint. Neque vero illud quod vulgo jactatum
esse accepimus, verum esse omnes concedunt, Hebraeos ceteris
nationibus Sanctos Libros de industria abscondisse, maximeque,
ne in eorum manus venirent cavisse. Nam Flavius Josephus
„Antiquitatum Judaicarum" prooemio luculentissime testatur,
quum Ptolemaeorum Secundus rex (Ptolemaeus Philadephus)
maxime disciplinis librisque coUigendis deditus magnopere
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— 95 —
contenderet, ut Hebraeorum legem reique publicae ex ea Con-
stitutionen! in sermonem Graecum viri sapientes transferrent,
Eleazarum, qui virtute non inferior esset quam quisquam
Pontificum superiorum, hanc regi non invidisse utilitatem,
reclamaturum omnino, nisi mos patrius exstitisset, res bonas
et honestas celare neminem." — Ich kann mich nicht ent-
halten, die sehr schöne Beweisführung mitzuteilen, welche
Angelo JRiccif der gelehrte toskanische Hellenist aus dem
vorigen Jahrhundert, in seinen Abhandlungen über Homer
niedergelegt hat. Besonders in der dreissigsten derselben ver-
breitet er sich über die Beziehungen jenes griechischen Dich-
ters zur hl. Schrift und legt hierauf die Grundsätze dar,
welche in ähnlichen Fällen als Richtschnur dienen können.
Unter Anführung nämlich von sehr vielen Beispielen erbringt
er den Beweis, dass die Heiden im allgemeinen die Gewohn-
heit hatten, die wahren Aussprüche der hl. Schrift durch ihre
Fabeln zu entstellen, und fährt dann weiter:
^Es kann ja nicht zweifelhaft sein, dass dem Homer,
Hesiod und den anderen Dichtern jener Zeit und sogar noch
den weisen Männern früherer Tage, wie dem Musaeus,
Orpheus, Linus und welche sonst noch genannt werden, die
Lehren der hl. Schriften durchaus nicht unbekannt waren.
Mit viel grösserem Rechte können wir von Plato, Aristoteles
und den übrigen Philosophen jüngerer Zeit diese Behauptung
aufstellen. Es ist nämlich festzuhalten, dass alles Streben nach
Weisheit einen himmlischen Ursprung hat und von den Juden
wie aus einer Quelle zu den übrigen (fremden) Nationen über-
gegangen ist, in dem Masse, dass die heidnischen Schriftsteller
manches aus den hl. Schriften entnommen zu haben scheinen,
was sie mit Irrtümern und Fabeln verdorben herausgegeben
haben. Auch können wir das nicht zugeben, was vielfach be-
hauptet wird, es sei wahr, die Hebräer hätten mit Fleiss die
hl. Schriften vor den anderen Völkern verborgen, und eifrigst
sich bemüht, dieselben nicht in ihre Hände kommen zu lassen.
Dafür legt Flavius Josephus in der Vorrede zu seinen
„Jüdischen Altertümern" ein sehr glänzendes Zeugnis ab. Er
berichtet nämlich, als Ptolemaeus IL (Philadelphus), König von
Ägypten, welcher ein eifriger Sammler von Gesetzgebungen
und Völkergeschichten war, ein grosses Verlangen trug, das
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- 96 -
jüdische Gesetz und die ihm angepasste Staatseinrichtung möge
von weisen Männern in die griechische Sprache übertragen
werden, so habe der jüdische Hohepriester Eleazar, der keinem
seiner Vorgänger an Tugend nachstand, durchaus kein Be-
denken getragen, dem Könige diesen Nutzen zu gestatten,
während er sich doch entschieden geweigert haben würde^
wenn es irgendeine väterliche Sitte gewesen wäre, gute und
nützliche Dinge verborgen zu halten." (Cfr. Flavii Josephi
„Antiquitatum** prooemii n. 3; sowie 1. XII, c. 2, n. 1 — 15.)
Über die grosse Bedeutung, welche der alexandrinischen
„Septuaginta" zukommt, vergleiche I. Band dieses Buches,
Seite 131 und folgende; desgleichen über Plato und Aristoteles
S. 134 und 181 sowie in der Vorrede S. X flgd. dieses II. Bandes;
besonders Augustinus „de civitate Dei** 1. VIII, c. 11. Derselbe
beantwortet die Frage: „Unde Plato eam intelligentiam potuerit
acquirere, qua scientiae Christianae propinquavit?" Woher
hat Plato jene Weisheit sich erwerben können, durch welche
er der christlichen Weisheit nahe gekommen ist? Er führt
diese Kenntnis auf seine Reise nach Ägypten zurück, wo er
mittels eines Dolmetschers sowohl den Inhalt der ägyptischen
als auch der hebräischen Schriften kennen lernen konnte. Da-
selbst blühte schon lange Zeit eine jüdische Kolonie, bevor
griechische Weisen zur Bereicherung ihrer Gelehrsamkeit hin-
kamen. (Vgl. in der Vorrede S.X flgd.) Zudem bestand nach dem
Zeugnisse des Clemens Alexandrinus (im l. Buche seiner Stro-
mata) schon viele Jahre früher, ehe die „Septuaginta" verfasst
wurde, eine griechische Übersetzung der fünf Bücher Mosis im
Pharaonenlande, so dass Plato sich unmittelbar daraus unter-
richten konnte.
Mit dieser allgemeinen Auffassung stimmt überein, was
Justinus Martyr in seiner Cohortatio ad Gentiles sagt: „Die
in der griechischen Wissenschaft enthaltene Wahrheitselemente
sind aus den hl. Büchern der Juden entnommen: Orpheus,
Homer, Solon, Pythagoras, Plato u. a. haben in Ägypten den
Mosaismus kennen gelernt und sind dadurch wenigstens zu
einer teilweisen Berichtigung ihrer Ansichten über die Gott-
heit gelangt.*^
Wenn wir nun in nachfolgendem die Wahrnehmung
machen, dass manche Aussprüche des grossen Plato einen-
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— 97 —
Anklang und Ähnlichkeit so:virie Übereinstimmung mit den
Sentenzen der Bibel verraten, so können wir uns die Ursache
für den inneren Zusammenhang dieses Verhältnisses wohl
erklären.
Die Werke des Plato fügen sich so zweckmässig an-
einander, dass sie einen Tempel in grossartigem Stile bilden;
welcher durch die Öffnung im Kuppelgewölbe sein Licht von
oben erhält.
Daher berichtet S. Justinus M. in seiner (a. 150) dem
Kaiser Antoninus Pius und dem römischen Senate überreichten
Schutzschrift für die Christen: ^Die platonischen Lehrsätze
sind dem Christentum nicht fremdartig. Wenn wir Christen
sagen^ dass von Gott alle Dinge geschaffen und geordnet
seien, so scheinen wir einen Lehrsatz des Plato auszusprechen,
und zwischen unserer Ansicht vom Wesen Gottes und der
seinigen scheint bloss der Artikel einen Unterschied zu machen.**
Oux ÖTi dXXÖTpia iOTx rd TTXdTuivo^ bibdTjiaTa toO XpicTToO' Justini
M. Apologiae 1. 1, c. 2; p. 97, c. (Justini Opera, Haag 1742, folio.)
Apol. I, c. 55 c: Tii» ydp X^tciv f||iä^, örrö 0€oO itdvra K€KO|if^aeoi
TTXdTiüvoq böHoiLiev X^t^v bÖTM«* Cohortationis ad Graecos c. 23,
a.: ToOto. QU öokci Sv.Kal rauröv elvai, xijj fipGptji iiövtp bidXXarov;
'0 ixkv Tdp Miwaf^^, 6 S)v fcpn* '0 bk TTXdTuiv, rd öv. Dialogi
cum Tryphone c. 105, d.: "Qq cpriai TTXdTwv, Kai Ifih itcieo^ai
aUTlü K. T. X. I
Es ist nicht schwer zu beweisen, dass S. Justinus, ähnlich
wie später S.Augustinus, zu dieser Denkweise über das Verhältnis
Piatos zum Christentum gelangte. War er doch früher ein
begeisterter Verehrer der Akademie gewesen, ehe er im Evan-
gelium diejenige Befriedigung gewann, welche er dort vergebens
gesucht hatte. Die philosophischen Schulen blühten damals
noch alle. Da nun Justinus, (wie später Augustinus) selbst
der platonischen Schule angehörte, so kannte er aus Erfahrung
die Grundsätze, die Gepflogenheiten und Überlieferungen (Tra-
ditionen) der Philosophen seiner Zeit. Es ist daher sein Zeugnis
um so höher anzuschlagen, je näher er der ganzen Sache
gestanden hat.
Das Evangelium Gottes steht ihm natürlich ohne Grenzen
höher als die platonische Philosophie; aber mit Recht sah er
diese als eine Vorstufe füi' jenes an: launiv iiövriv eöpiaKOv
Kr 011, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 7
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- 9« -
cpiXoaoqpiciv &(Tq)aXf) t€ Ka\ au)i<popov toi^ b6T^a(Tl toO XpicTToO* Dia-
logi cum Tryphone c. 193 d.
Die auffallende Ähnlichkeit zwischen beiden suchten die
Kirchenväter (vgl. oben Seite 96) hauptsächlich aus der Bekannt-
schaft zu erklären, welche Plato auf seinen Reisen teils mit
jüdischen Gelehrten, teils mit den hl. Schriften der Israeliten
gemacht hatte. So S. Justinus: 'Eitel itöecv äWoOev ^€^aOT^KUi^
6 TTXdTuiv, €l ^f| TOi^ TÄv TtpoqpnTÄv taropiai^; Cohortationis ad
Graecos c. 30 c, ; cfr. etiam c. 29 b, c. 22 d ; Apologiae 1. 1, c. 70 a,
c. 78 a K.T.X.
Der Platoniker Numenius hatte Piaton geradezu einen
attizisierenden Moses genannt: T( f&p iCTxv 6 TTXdTuiv f\ Miuafj?
diTiKttiüv ; Qementis Alexandrini Stromatum 1. 1, c. 251 b. (Cle-
mentis Alex, Opera. Lugduni Batavorum 1616 folio.)
Es wurde zur herrschenden Ansicht in der christlichen
Kirche, dass Plato und die heidnischen Schriftsteller überhaupt
sehr vieles aus den Büchern Mosis und der Propheten entlehnt
hätten. So schreibt TertuUian (160 — 240): „Quis poetarum, quis
sophistarum, qui non de prophetarum fönte potaverit? Inde
igitur philosophi sitim ingenii sui rigaverunt. Nam quum quae-
dam de nostris habeant, nos comparant illis." Tertulliani libri
Apologetici c. 47; Migne Patrum Latinorum Tom. I, n. 515, 519.
Wer von ihren Dichtem, wer von ihren Rednern hat nicht aus
der Quelle unserer Propheten getrunken? Dort haben ihre
Philosophen den Durst ihres Geistes gestillt. Und weil sie
einiges von unseren Schätzen besitzen, darum vergleicht man
sie mit uns,
KX^HiavT€^ TttUTa Ik toO vöjiou Ka\ tOjv itpocpTTnliv (sie entnahmen
dies aus dem Gesetze Mosis und der Propheten) sagt Theo-
phylus von Pindar, Sophocles, Euripides, Plato und anderen,
nachdem er einzelne schöne Stellen aus ihnen angeführt hat.
(Cfr. Theophili Antiochini ad Autolicum 1. II, c, 378 d, Eusebii
„Praeparationis Evangelicae** 1. X, c, 1.)
Daher nennt Clemens Alexandrinus den Plato geradezu:
Tdv ii Tßpaiiuv (piXö<TO(pov = den Philosophen aus den Hebräern.
(Paedagogi 1. III, p. 200.)
Wenn wir uns nun die Schriften Piatos genauer ansehen,
so glauben wir den Grund bald zu entdecken, warum die
Christen ihm solche Anerkennung zuteil werden Hessen. Wir
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— 99 —
finden nämlich manche Aussprüche in demselben, welche uns
deutlich an die hl. Schrift erinnern, und vielfach sogar in den
einzelnen Worten und Redewendungen eine überraschende
Ähnlichkeit mit diesen haben.
Eine Menge Belegstellen hierfür sind bei Clemens Alexan-
drinus (editio Danielis Heinsii) „Stromatoum" 1. II, c. 260, 270;
1. IV, c. 356 ; 1. V, c. 447 k. t. X. angegeben.
Die Idee, welche dem geheimnisvollen Namen: nirr. in
dem Prädikate des allein y^Setenden"' zugrunde liegt, (cf. 1. Exodi
c. III, 14), wird auch von Plato auf das höchste Wesen über-
tragen: X^TOficv Toip» ^<i Iv, fori Kai forai, wir sagen: „es war",
„es ist" und „es wird sein" = die Zeit; t^ bfc tö fari jiövov, Kaxa
Töv ä\r\Bf\ \6yov iipoaf\Ke\. Dem ewigen Wesen = Gott, kommt
nach der richtigen Auffassung nur das „Ist" = Gegenwart zu. Cfr.
Timaei c. 37 c, c. 27 d.: xi tö öv iikv dcl, T^veaiv bk ouk fxov; was
ist das ewige Sein, welches keinen Ursprung hat? Cfr. Eusebii
„Praeparationis Evangelicae" 1. XI, c. 9 und die interessante
Stelle aus der Schrift des Plutarch über das et am Tempel zu
Delphi {^Du bist!''), ibid. l. XI, c. 11.
Gott ist über der Zeit.
Er ist Anfang, Mitte und Ende von allem: die absolute
Gegenwart. Ihm kommt bloss das „Ist" zu. „Es war" und
„es wird sein" sind in das Dasein getretene ZeitbegriflFe,
welche wir, uns selbst unbewusst, unrichtig auf das unver-
gängliche, ewige „Sein" übertragen. (Cfr. „De Legibus" 1. IV,
c. 715 sq.) Es ist nicht eine endliche Zeit oder unendliche
Zeit abgelaufen, bevor Gott daran dachte, eine Welt zu bilden ;
sondern das Bewusstsein und der Gedanke, dieses zu tun, ist
ewig wie er selbst; und wieder hat nicht nach bestimmter oder un-
bestimmter Zeit Gott den Entschluss gefasst, dieses Vermögen
(Willen) in Tat umzusetzen sondern diese Gedanken zu ver-
wirklichen, hat er von da attj dass er Gott ist, und folglich von
Ewigkeit her hat er das Weltall gedacht, gewollt und be-
schlossen, es in der von ihm bestimmten Zeit zu wirken.
Daher hat die Welt einen Anfang: sie besteht nicht aus sich
selbst, sondern ihr Dasein ist ein von Gott bedingtes. Gott
ist demnach^ wie Xenophanes lehrte, Anfang von allem und
darum ewig. (Cfr. Aristotelis „Rhetorica" n. 1399, b. 6.)
Hiermit ist zu vergleichen der Ausspruch des Welt-
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— 100 —
erlösers auf die Frage der Juden: „Wer bist Du?" ^Ich hin
der Anfang ^"^^ „der ich auch zu euch rede". (Joh. VIII., 25.)
Glaubet, dass derselbige, welcher sich in Knechtsgestalt herab-
gelassen hat und zu euch redet, das schöpferische Wort und
aller Dinge Uranfang ist: der Erlöser (vgl. I, 1). Israel
sprach zum Propheten Jeremias: „Von ferne (in früherer Zeit)
ist mir der Herr erschienen." Darauf gab Jeremias zur Ant-
wort: „Mit ewiger Liehe habe ich dich geliebt, um dessent-
willen dich herangezogen in Erbarmung" spricht der Herr.
(Jeriemiae c. 31, 3.) Nicht bloss in alten Tagen, sondern von
Ewigkeit her: vor aller Zeit, und jeder geschichtlichen Zeit
gegenwärtig ist die Liebe, welche Gott seinem Volke zu-
wendet. S. Paulus schreibt an die Ephesier (I, 4 u, 9): „Gott
hat uns auserwählt vor Grundlegung der Welt, dass er
uns kundgebe das Geheimnis seines Willens: die Erlösimg
in Christo Jesu durch sein Blut." Gott hat von Ewigkeit her
„die Grundlegung der Welt" nicht gedacht und vollzogen,
ohne in Voraussehung der Sünde auch die Erlösung in Christus
mit einzubefassen.
Ähnlich sagt er ibidem c. 111,8—12: „Gott hat mir die
Gnade gegeben, alle zu erleuchten, welches sei das Walten
des Geheimnisses, welches in Gott von Ewigkeit her ver-
borgen war, um nach der Ewigkeiten Vorherbestimmung es
zu erfüllen in Christo Jesu."
Ebenso im II. Briefe an Timotheus c. 1, v. 9—11: „Gott
hat uns errettet und berufen, nicht infolge unserer Werke,
sondern gemäss seiner Vorherbestimmung und der Gnade,
welche vor ewigen Zeiten in Jesus Christus uns gegeben
worden ist, die aber jetzt durch die Erscheinung unseres Hei-
landes offenbar geworden ist." — Wie tief hat Plato das
Wesen Gottes aufgefasst, wenn wir diese erhabenen Gedanken
des Apostels erwägen! Bezeichnend und recht treffend kleidet
daher Schürmann das Gesamtergebnis seiner Untersuchung
über den platonischen Gottesbegriff in die Worte: „Deum
mentem (voOv) esse perfectissimam, omnium rerum auctorem
a nemine ortum, sui ipsius causam." Gott ist der vollkommenste
Geist (die höchste Vernunft), aller Dinge Urheber, von nie-
mand entstanden und Ursache seiner selbst. — So heisst es
in dem Dialoge „Timaeus" (Zeitgenosse des Plato und Philo-
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— lOt —
soph aus Locri) von Gott (c. 27): AriMioupTÖ^ toO KÖö'^ou, 6 iroiri-
Tf|^ KQi Ttarfip ToOb€ Toö TTavTÖ^, 6 ^m n&a\ 9€Ö^, Tf{q (pucTeu)^ KTiani^,
Toö iravTÖ^ Äpx^j irdviiüv atriov, voO^ irdvTiuv ßaaiXeü^, voOg outo-
KpdTUip TTdVTa K0(7)iUJV, bld TTdVTUIV llbv, TOO TTaVTÖ^ KußcpvifJTii^, 6
TTpurro^ G€Ö^, \x4.j\aToq baifiujv, 6 ixifiaTO^ Geiüv, xd Bv del T^vecTiv
b' ouK ?xov.
Bildner der Welt, der Schöpfer und Vater dieses Alls,
der Gott, welcher über allen ist. Hervorbringer der Natur,
Anfang des Ganzen, die Ursache aller Dinge, die Vernunft
als Königin über alles, die Vernunft, welche in sich die Herr-
schaft über alles hat, alles durchdringt, der oberste Gott, das
höchste Wesen, das von Ewigkeit war und keinen Ursprung
hat. — Am meisten scheinen die platonischen Ausdrücke:
König, Herrscher, Regierer der Welt, das höchste Wesen, dem
Ewigkeit zukommt, die Ursache aller Dinge usf. mit den
christlichen Bezeichnungen Gottes übereinzustimmen. Die Be-
nennung ^Schöpfer", welche Plato von Gott mitunter gebraucht:
iTOii]Tf|^, briMioupriö^, Timaei 28. c; 41. a, k. x. X., ist wie S. Jus-
tinus „Cohortationis ad Graecos" 1. 23, c. d. schon bemerkt, von
dem christlichen Sinne durchaus verschieden; denn: Weltbildner
ist nicht gleich Weltschöpfer. Der ^Weltbildner" setzt einen
vorhandenen Stoff voraus, der „Weltschöpfer" dagegen bringt
dieselbe aus Nichts hervor. Sprachlich ist das Wort brmioupriö^
(Weltbildner) mit dem Ausdrucke yeveaiovp-xd^ (Grund des Ur-
sprunges) im Buche der Weisheit c, 13,5 zu vergleichen.
Eusebius Pamphili in seiner „Praeparatio Evangelica"
L 11, c. 29 weist darauf hin^ dass Plato im Timaeus zur Be-
gründung der Weltursache sich fast des nämlichen Vemunft-
schlusses bedient, wie S. Paulus im Hebräerbriefe c. III, v, 4:
TTd^ fäp oIko^ KaxacJKeudCcxai öirö xivo^' 6 bi irdvxa Kaxa(7K€udaa^ :
Vulgata: ^Omnis [namque domus fabricatur ab aliquo:
qui autem omnia creavit, Dens est."
Denn jegliches Haus wird von irgend jemand errichtet;
der aber, welcher alles erschaffen hat, ist Gott.
Plato sagt nun „Timaei" c. 28 c: „TiJ» V aö T€VO|Lidvuj <pd^€v
utt' alxiou xivö^ dvdipcTiv eTvai xev^crGai. xöv jitv ouv TTOiiixf|v Kai
iraxepa xoObc xoO iravxöq €i&p€iv x€ ?pTOV (sc. Seöv)."
Quidquid autem gignitur, ab aliqua causa necessario gigni
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— loa —
asseruimus. Factorem quidem et patrem hujus mundi invenire
opus est (sc. Deum).
Alles, was Dasein hat, sagen wir, hat notwendig einen
Grund zu seiner Existenz. Den Schöpfer und Vater dieses
Alls (nämlich Gott) zu finden, ist eine Arbeit. Der frühere
Akademiker S. Augustinus bemerkt in seinem Buche „de civi-
tate De " 1. XIII., c. 12: „In Timaeo autem Plato, quem libruni
de mundi constitutione scripsit, Deum dicit in illo opere terram
primo ignemque junxisse. Manifestum est autem, quod igni
tribuat coeli locum ; habet igitur haec sententia quandam illius
similitudinem, qua dictum est: In principio fecit Deus coelura
et terram. Deinde illa duo media, quibus interpositis sibimet
haec extrema copularentur, aquam dicit et aörem: unde puta-
tur sie intellexisse quod scriptum est: Spiritus Dei superfere-
batur super aquam. Parum quippe attendens, quo more soleat
illa scriptura appellare Spiritum Dei: quoniam etiam a^r Spiri-
tus dicitur, quattuor opinatus elementa loco illo commemorata
videri potest . . . Quod me plurimum adducit, ut paene assentiar,
Platonem librorum illorum (Moysis) expertem non fuisse."
In dem Buche, welches Plato über die Einrichtung der Welt
schrieb, im „Timaeus" c. 32 c, sagt er^ Gott habe bei jenem
Werke zuerst die Elemente der Erde und des Feuers mit-
einander verbunden. Es ist nun offenbar, dass er dem Feuer
die Stelle des Himmels zuteilt. Darum hat jener Ausspruch
eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erzählung der hl. Schrift, in
welcher es heisst: „Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde."
(Genesis I, 1.) Hierauf bezeichnet er jene beiden mittleren
Elemente, durch deren Zwischenstellung diese äussersten (näm-
lich: Erde und Feuer) miteinander verbunden würden, als
Wasser und Luft. Daher wird angenommen, Plato habe also
die Worte der hl. Schrift verstanden: „Der Geist Gottes
schwebte über den Wassern." Er nahm freilich zu wenig
Rücksicht darauf, in welchem Sinne die hl. Schrift den Aus-
druck „Geist Gottes" (Hauch des Herrn) anzuwenden pflegt
(er begriff nicht, dass unter dieser Benennung „der hl. Geist**,
die dritte Person in der Gottheit, zu verstehen ist). Sprach-
lich ist es allerdings sicher, dass mit dem Worte : aör = Luft
auch: Spiritus = Hauch bezeichnet werden kann („Luft-Hauch").
Dem Anscheine nach hat Plato an der genannten Stelle eine
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Erwähnung der vier Elemente gefunden. Nachdem Augustinus
noch darauf hingedeutet hat, dass Plato den Namen Gottes = ^der
Seiende" (Exodi III, 14) mit „das Seiende" wiedergibt, kommt
er zu folgendem Schluss: Diese Wahrnehmung bewegt mich
am meisten, denen förmlich beizustimmen, welche behaupten,
Plato habe die hl. Schriften gekannt.
Die Welt, von Gott erschaffen, ist ein Gegenstand seines
Wohlgefallens: 6 T€vvfiaa^ irarfip, i^ix<s^ t€ kqI cöcppavOei^ „Timaei"
c. 37 c. ; als Gott die Welt hervorgebracht hatte, erfreute er
sich daran von Herzen. Moses berichtet: „Vidit Deus cuncta
quae fecerat, et erant valde bona." Genesis c. 1, v. 31. Gott
sah alles, was er geschaffen hatte, und es war sehr gut. Ferner:
„Diligis omnia quae (creata) sunt, Domine!" L. Sapientiae c. 11,
V. 25. Du liebest alles, was Dasein hat (was Du erschaffen hast)!
Ist nun die Welt ein Gebilde Gottes, des höchsten Wesens,
so muss derselben auch (im Paradiese) eine vollendete Schönheit
und Ordnung zukommen. Sie ist nämlich das gelungene Abbild
des höchsten Urbildes in Gott: *0 K6a^o^ cIkuiv hsix voutitgO toO
OeoO, fidTMTro^ Kai äpiOro^; KdXXi<rr6^ T€ koI TeXeiiiTaTO^ T^TOvev.
Timaei c. 92 c; cfr. Philebi c. 28 c. d. k. t. X. Mundus est imago
Dei intelligibilis, maximus, optimus, pulcherrimus, perfectissimus.
Das Weltall ist ein Bild des intellektuellen Gottes, sehr gross
und gut, sehr schön und vollendet.
Schon Thaies von Milet stellte den Satz auf: KdXXiaTO^ 6
K6a^o^• TToinjAOt t^p OcoO* Diogenis La^rtii I, 35. Pulcherrimus
est mundus, quum Dei opus sit. Die Welt ist sehr schön, denn
sie ist ein Werk Gottes. Damit ist zu vergleichen, was Salomon
von der Weisheit Gottes sagt: ^'H aocpla AitauTaaiia t^P i<yTi
qxAiTÖ^ dibiou Kai dcTöirrpov ÄKriXlbiuTöv tt)^ toö öeoO dvepxeia^ Kai
elKibv Tfl^ dTaeöTTiTO^ auroO* Vulgata: ^Candor est enim lucis
aetemae et speculum sine macula Dei maiestatis et imago
bonitatis illius. L. Sapientiae c. VII, 26. Die Weisheit nämlich
ist ein Abglanz des ewigen Lichtes, der ungetrübte Spiegel
der Majestät Gottes und ein Bild seiner Güte.
Die kirchliche Liturgie wendet diesen Satz auf die „Virgo
Immaculata" (die weiseste Jungfrau), den ^Sedes Sapientiae"
(Sitz der Weisheit) und „Speculutn lustitiae" (Spiegel der
Gerechtigkeit) an, welche eine höhere Schöpfung als die sicht-
bare Welt darstellt.
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— t04 -
In höchster Weise führt dies S. Paulus im Hebräerbriefe
c. I, V. 3 von Jesus Christus selbst aus („gleichwesentlich mit
dem Vater"): ""O^ uiv dirauiraana Tf\q b6if\q xai xapaKxfip xng utto-
<nd(7€U)^ auToO, q>^pu)V xd irdvxa r^i ^iwia-n xnq buvd^€U)^ aöxoö.
Vulgata: „Qui quum sit splendor gloriae et figura substantiae
eins, portans omnia verbo virtutis suae". Jesus Christus ist
der Abglanz seiner (des Vaters) Herrlichkeit und das Ebenbild
seines Wesens und trägt alles durch das Wort seiner Macht.
Demgemäss lehrt das Symbolum Nicaenum: ^esus Christus
est „lumen de lumine", Deus verus de Deo vero" . . . Jesus
Christus ist „Licht vom Lichte", wahrer Gott vom wahren Gott,
einer Wesenheit mit dem Vater.
Die Vorsehung Gottes erhält und regiert die Welt: Kaxd
XÖTOV xöv elKÖxa bei X^ytiv, xövbe xöv KÖa^ov x^ dXriöeiqt bid xf|v
xoO Gcoö T€v^aGai irpövoiav Secundum rationem probabilem
dicendum est hunc mundum re vera divin a Providentia esse
constitutiun. Vernünftigerweise muss man sagen, dass diese
Welt durch die Vorsehung Gottes geleitet wird. (Timaei c. 30 b.)
Libri Sapientiae Salomonis c. XII, v. 13: Oöxe ydp öeö^ dem TrXfiv
aoO, (|» )ki\€i nepi ndvxtüV Vulgata: „Non est alius Deus quam
Tu, cui cura est de omnibus". Nicht ist ein anderer Gott als
Du, welcher Sorge trägt für alles.
'Q^ xip xoO navxö^ dirijLieXoufidvi}! npd^ x^v aurrepiav xai dpexfiv
xoO 8Xou ndvx' iaix auvxexaxM^va, &v xai xö M^po^ €ig buva|Liiv ?KacTxov
xö Tipoof^KOv nd(TX€i Kai Troiei* ^De Legibus" 1. Xc. 9Ö3b. Deus,
qui toti providet, ad salutem et virtutem totius omnia ordinat,
cuius pars quaeque pro viribus, quod sibi convenit, patitur et
agit. Gott, welcher für das All sorgt, hat alles zum Wohle
und Heüe des Ganzen geordnet, von dem auch jeder Teil nach
Kräften das seine leidet und tut.
Die Seele des Menschen ist unsterblich: TTdaa ipuxn
dBdvaxog' xö tdp dei kivtixöv dedvaxov. „Phaedonis" p. 244. Omnis
anima immortalis est ; quod enim semper movetur, sempitemum
est. Jede Seele ist imsterblich ; denn waß sich immer bewegt,
kann nie aufhören.
Wenn aber die Seele unsterblich ist, dann muss die Sorge
für das Heil der Seele eine sehr wichtige Angelegenheit für
den Menschen sein: ETirep f| i|iux^ dOdvaxö^ doxi, dniiieXeia^ bf|
beixai, oöx untp xoO xpövou xouxou ^6vov, dv (p KaXöö^€v xö Znv,
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— 105 -
4XX' öntp ToO TravTÖ^ kqi 6 Kivbuvog vöv bi\ xal böSeiev Sv jnaXiaxa
beivö^ dvai, e! xi^ auxf^g d^€X^|a€lev. „Phaedri'* c. 107 c. k.x. X.;
cfr. Apologiae Socratis c. 30 b. Quum vero anima immortalis
sity cura opus est uti non solum in hoc vitae tempore verum
etiam in omni vita, et periculum maximum esse videtur, si quis
animae suae curam non habeat (vel negligat). Da nun die
Seele unsterblich ist, so muss man dafür Sorge tragen, und
nicht bloss mit Bezug auf das gegenwärtige Leben, sondern
auch in Rücksicht auf das ganze (zukünftige) Dasein; so dass
es scheint, die grOsste Gefahr bestehe darin, wenn jemand das
Seelenheil vernachlässigen wollte i). Die Beweise für die Un-
sterblichkeit der Seele gibt Plato in seinem herrlichen „Phaedon"
c. 15—23; c. 25—34; c. 48-56.
Die Thesis lautet: 'Q^ laxi xe fi i|iuxn dTroeavövxo? xoO dv-
6pu)iT0u Kai xiva biivamv ?x€i Kai cppövricTiv. Phaedonis c. 14 n. 70 B.
Demonstrandum est: Superesse animam post mortem hominis
atque vim aliquam intelligentiamque habere. Es ist zu beweisen,
dass die Seele nach dem Tode des Menschen mit vollem Bewusst-
sein fortlebt, d. h. eine gewisse Kraft zu leben und zu denken
besitzt *)r.
Der erste Beweis basiert auf dem Naturgesetz, gemäss
welchem das Entgegengesetzte auseinander entsteht. Diese
Anschauung hatte namentlich seit Heraklit aus Ephesus (ca. 500
a. Chr.) in der Philosophie eine Bedeutung gewonnen. Durch
diese Annahme gelangte man freilich nur zu dem Resultate,
dass die Seele nach dem Tode des Leibes nicht aufhöre, eine
Existenz zu haben; über die Art jedoch des Weiterlebens der
Seele ist auf diesem Wege nichts zu erfahren. Dieselbe könnte
sich nach dem Tode sogar in dem Zustande völliger Bewusst-
losigkeit befinden. Um diese Lücke auszufüllen, wird der
Satz aus der Platonischen Ideenlehre hinzugenommen, dass
alles Wissen auf Wiedererinnerung beruhe. Daraus lässt sich
*) Evgl. S. Matthaei c. i6, 26: T( x^p ilipeXetxai dv6pujTro(;, käv töv
Köajiov öXov K€pö/|ai3, xfiv hi ipuxi^iv aöxoO Zx\\k\\^^f^\ Quid enim prodest homini,
si Universum mundum lucretur, animae autem suae detrimentum patiatur?
Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner
Seele aber Schaden leidet?
*) Der König Chosroes (Zeitgenosse des Justinian) (527 — 565) liess
den Phaedon ins Persische übersetzen.
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— I06 —
auf eine bewusste, selbständige Existenz der Seele vor ihrer
Verbindung mit dem Leibe schliessen.
Diese beiden Elemente ergeben nun folgenden Schluss:
Aus dem allgemeinen Naturgesetze des Werdens geht hervor,
dass der Zustand der Seele nach dem leiblichen Leben dem-
jenigen gleichartig ist, welcher dem irdischen Leben voraus-
gegangen ist. Gemäss der Ideenlehre ist nun der Zustand der
Seele vor ihrer Verbindung mit dem Leibe ein Leben in der
Anschauung der Ideen: also ergibt sich das gleiche auch für
den Zustand der Seele nach dem Tode. — Cfr. Phaedonis
c. 25—34. Diese Beweisführung ist nach der christlichen
Psychologie wesentlich zu ergänzen. Von einer Existenz der
Seele vor dem Leibe kann keine Rede sein, d. h. eine Prä-
existenz muss ausgeschlossen werden. Dieselbe entsteht viel-
mehr durch einen Schöpfungsakt Gottes, wann der Leib, als
als solcher, entsteht.
Die Seele ist Form, d. h. verwirklichendes Prinzip; der
Leib ist Materie, d. h. passive Potenz des Menschen. Als
Form ist die Seele gleich mit ihrem Dasein wirksam; denn
aktiv zu sein, ist charakteristisch für die Form. Darum wirkt
die Seele schon in ihrem ursprünglichen Sein die Gestaltung
des Leibes. Hieraus folgt, dass sie nicht gewesen sein kann,
solange keine Bildung des Leibes, mit dem sie den einen be-
stimmten Menschen ausmachen soll, stattgefunden hat. Darum
irrt Plato, indem er den Satz aufstellt, die Seele habe schon
vor ihrer Verbindung mit dem Leibe existiert.
Die Seele hat, als entstandene, den Grund ihres Seins
nicht in sich selbst; sie ist daher wie für ihre Existenz, so
auch für ihre Fortdauer auf ein anderes, höheres Wesen, näm-
lich Gott, angewiesen. Allein^ so wie die Seele gesetzt ist,
schliesst sie die Potena (Fähigkeit) sum Nichtsein aus ; und da
sie nach dem Gesetztsein noch fortexistiert, muss geschlossen
werden, dass es der Wille des Schöpfers ist, sie solle für alle
Zukunft fortbestehen, d. h. unsterblich sein. Somit bereitet der
leibliche Tod der gewollten beständigen Fortdauer der Seele
kein Hindernis. Denn obgleich die Seele auch die Form des
Leibes ist, so ist sie doch eine solche Form, welche auch Selb-
ständigkeit (Selbstbestimmung) hat, und in der sie des Leibes
nicht bedarf. In dieser Selbständigkeit aber ist sie befähigt.
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— 107 —
in sich fortzubestehen, auch wenn feie vom Leibe getrennt ist. —
Allerdings befindet sich die Seele dann in einem unvollkommenen
Zustande, wenn sie ohne Leib fort existiert; aber jener Zustand
ist doch kein unmöglichen
Hierzu kommt noch, dass die Seele des Menschen eine
mit Verstand, Vernunft und freiem Willen (Selbstbestimmung)
begabte individuelle geistige Substanz ist (cfr. Genesis c. I, v. 26),
und dass infolge der verkehrten Anwendung dieser Selbst-
bestimmung unserer Stammeltern (durch ein Vergehen) die
Trennung von Leib und Seele (der Tod) als Strafe in die
Welt gekommen ist, so dass alle Menschen sterben müssen,
wie die göttliche Offenbarung uns lehrt. (Cfr. Genesis c. II,
V. 16; c. III, V. 19; ep. ad Romanos c. V., v. 12 sq.) Wenn
nun die Seele im Tode vom Leibe getrennt ist, so kann ihr
Erkennen nicht mehr in der früheren Weise geschehen, weil
bei ihr keine sensitiven Funktionen mehr vorkommen, welche
die Seele nur in ihrer Verbindung mit dem Leibe vollziehen
kann. Sie wird daher nur mehr intellektiv tätig sein. Die
Anregung hierzu bedingt jedoch eine rein geistige Einwirkung,
weil die abgeschiedene Seele ihr Erkennen bloss an geistigen
Erscheinungen fortsetzen kann. Da nun in der Seele die
früheren geistigen Dispositionen zurückgeblieben sind (intellek-
tives Gedächtnis), so besteht in denselben die Möglichkeit fort,
sich an das Vergangene noch zu erinnern. Jene Fähigkeiten
brauchen nur durch entsprechende Anregung wiederaufge-
frischt zu werden, und das Andenken an die ihnen zugrunde
liegenden ehemaligen Vorgänge kehrt zurück. Darum sagte
S. Johannes Berchmans, S. J., vor seinem Hinscheiden: „Die-
jenigen, welche ich auf Erden geliebt habe, werde ich auch
in der Ewigkeit lieben; denn die Liebe stirbt im Tode nicht!"
Zweiter Beweis für die Unsterblichkeit der Seele.
Plato geht hierbei von einem allgemeinen Satze aus,
welcher von weisen Mäiinern der früheren Zeit bereits auf-
gestellt war, dass nämlich Ähnliches nur von Ähnlichem er-
kannt werden kann: das erkennende Subjekt und das erkannte
Objekt müssen gleichartig sein. Dazu kommt noch ein aus
der Ideenlehre stammendes Axiom, dass die menschliche Seele
befähigt ist, das Ewige und Unveränderliche, = die Idee, zu
erkennen. Aus beiden Sätzen aber folgt, dass die Seele ebenso
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— io8 —
ewig sein muss wie die Ideen, welche sie erkennt. Dieser
Beweis enthält alle wesentlichen Elemente des noch heute
geltenden sogenannten metaphysischen Beweises für die Un-
sterblichkeit der Seele. (Phaedonis c. 25 — 34.)
Der ganze Verlauf des Beweises ist in folgenden Worten
skizziert: Oukoöv Toiövbe ti bei finä^ dp^oSai tijj ttoiiij rlva äpa
npcaf^Ktti toOto tö n&Qoq ndoxciv toO biaOKcbdvvuaOai xal uirtp toO
noiou Tivö? bebi^vai |Lif| irdOq aÖTÖ, Ka\ tCJi itoIiu tivi du; xai |Li€Td
TOÖTO aö diTKJK^iiiaaOai, TTÖrepov f\ ipuxri daxiv, xal ^k toutuv OaßßeTv
f| bebi^vai untp iflg fmex^pa^ M'uxfl? ; (78 B).
Recte respondes inquit Cebes: An non tale aliquid, in-
quit, a nobis ipsis sciscitari debemus, cuinam conveniat illa
passio, per quam dissolvi possit: et quid sit metuendum, ne id
patiatur, et secundum quam ejus partem: deinde considerare,
utrum anima sit necne demum ex his animae nostrae gratiae vel
confidere vel timere. Vera loqueris inquit.
Der dritte Beweis hat die logischen Konsequenzen der
Ideenlehre zur Grundlage. Gemäss dem Axiom des unmittel-
baren Widerspruches, gemäss welchem keine Idee die ihr ent-
gegengesetzte aufnehmen kann, und des mittelbaren Wider-
spruches, wonach auch Einzeldinge, in deren Wesen notwendig
das eine Glied des Gegensatzes liegt, dem anderen Gliede des
Gegensatzes unzugänglich ist, schliesst die Seele, welche not-
wendig mit der Idee des Lebens verbunden ist, die dieser Idee
entgegengesetzte, den Tod, aus, d. h. : sie ist unsterblich. Da es
nun keine andere Vernichtung des Lebens gibt, als durch den
Tod^ so ist sie der Möglichkeit des Unterganges enthoben. Zur
Voraussetzung hat dieser Beweis die Identität von Seele und
Leben, welche aber in der griechischen Denk- und Sprech-
weise überhaupt begründet war. (Phaedonis c. 48 — 56.)
''O V öv OdvaTov |Lif| b^xn^ai, ti KaXoO|i€v; 'ABdvaTOV Icpn*
OÖKoOv f| vpux^l oö b^x^Tai edvaTOV Ou* 'AGdvatov äpa f| ipuxn;
*A6dvaT0V Efev, Icpir toOto fitv bfj dTrobebeixöai cpÄnev ^ itä^ bOKcT;
Ktti jLidXa T€ iKttviu^, ü5 ZiÖKpaTe^.
Age jam, quod non subit mortem quomodo appellamus?
Immortale. Et anima quidem non suscipit mortem. Nequaquam.
Est igitur anima immortalis. Immortalis quidem. Age utique
hocne jam demonstratum esse dicemus? an aliter tibi videtur?
Et sufficientissime o Socrates! (Phaedonis 105, e.)
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— 109 —
Plato schrieb in dem „Phaedon" bezeichneten Dialoge
jene Unterredungen nieder, welche Sokrates am Tage seines
Todes im Kreise von Freunden und Anhängern gehalten hat.
Zum Tröste seiner Zuhörer stellte. Sokrates die Behauptung
auf, dass der Tod für einen weisen Mann nicht zu fürchten
ist, weil die Seele nach ihrer Trennung, vom Leibe mit einer
gewissen Kraft und Selbstbewusstsein noch fortlebe, d. h. un-
sterblich sei. Zu diesem Zwecke gab er die oben genannten
drei Beweise für die individuelle Unsterblichkeit jeder Einzel-
seele an.
Hierauf beschreibt er das Leben nach dem Tode.
Jeder Gestorbene wird von seinem Dämon (Schutzgeist)
an die Stätte des Gerichtes geführt. Von der sittlichen Be-
schaffenheit, welche da seine Seele zeigt, hängt sein weiteres
Schicksal ab.
Sodann folgt eine Schilderung der einzelnen Orte, an
welchen sich die Gestorbenen aufhalten müssen. Die oberen
Teile der Welt liegen hoch über der von uns bewohnten Erde ;
sie beginnen da, wo unsere Atmosphäre aufhört und der reine
Äther seinen Anfang hat. In denselben ist alles in einem voll-
kommenen Zustande vorhanden, was bei uns verdorben und
minderwertig ist. In den unteren Teilen der Erde befinden
sich meistens grosse Schlünde und Ströme voll Waisser, Schlamm
und Feuer. Der furchtbarste Abgrund ist der Tartarus mit
dem Urwasser, aus welchem alle Ströme der Unterwelt ent-
springen. — Von diesen sind die grössten: der Oceanus, der
Acheron mit dem acherusischen See, der Pyriphlegethon und
der Kocytus. Wer nun ntittelmässig gelebt hat, büsst zuerst
seine Schuld und erhält dann seinen Lohn am acherusischen
See. Diejenigen aber, welche sehr lasterhaft gelebt haben,
werden in den Tartarus gestürzt, aus dem es keine Wieder-
kehr gibt. (Ewigkeit der HöUenstrafe.) Die sehr Guten ( Voll-
kommenen)^ insbesondere die Philosophen, erhalten ihren Wohn-
sitz auf der höheren Welt in Gemeinschaft mit den seligen
Göttern (Himmelsbürgern).
Hieraus ergibt sich der Schluss, dass man sich im irdischen
Leben, soviel als nur immer möglich, der Tugend und Weis-
heit bestreben müsse, um nach dem Tode in der anderen Welt
ein glückliches Los zu gewinnen.
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— liO —
Das Gericht.
A^T€Tai bk oÖTiuc, ihq dpa TeXeuT^aovta ^Kaaxov 6 ^Käarou
baijüiiüv, öcTTrep Ciövra elX/jxe^ oöxo^ Sy^iv dirixeipei el^ br\ xiva rönov,
ol bei Tou^ <yuXX^T€VTa^ biabiKaaafi^voug el^ "Aibou TTopcpeaöai fiexä
f]Te|iövo^ dK€ivou, lü bf| TTpocTTexaKTai xou^ evB^vbe dxetoe nopeöaai.
xuxövxag b' dK€i, (Lv bei xux€iv, icai jueivavxa?, öv xp^ XP<5vov, äXXo^
beOpo irdXiv f)T€Mibv KOjyiilei dv iroXXaig xpövou Kai jiiaKpaT^ irepiöboiq.
(Phaedonis 107 d.e.)
Ferunt enim quemlibet hinc illuc emigrantem ab eo dae-
moöe, quem vivus sortitus fuerat, in locum quendam duci, ubi
oporteat omnes una coUectos iudicari, atque deinde ad inferos
proficisci eo duce, cui mandatum erat, ut hinc decedentes ad
illa loca traducat, Sortitos vero illic, quae oportebat sortiri,
tempusque debitum commoratos, ab alio quodam duce rursus
huc reduci post multos temporis longosque circuitus^).
Der hl, Paulus sagt: Tou^ fäp Trdvxag fmä^ <pav€puj0fivai
bei f^^^po0G€V xoö ßrjjLiaxo^ xoO XpiaxoC, iva KOiiiarytai iKaaroq xd
bid xoO (Tui^axo^, trpo^ & fnpogev eixe dToOöv, etxe kuköv. (II Cor. 5, 10.)
Vulgata: Omnes enim nos manifestari oportet ante tribu-
nal Christi, ut referat unusquisque propria corporis, prout
gessit, sive bonum sive malum.
Wir alle nämlich müssen vor dem Richterstuhle Christi
erscheinen, damit ein jeder empfange, was er im Leibe (im
irdischen Leben) getan, sei es G«tes, sei es Böses.
Reinigungsort.
Touxujv hk oiirvjq TceqpuKÖxujv, direibdv dcpiKiüvxai oi xeXeuxriKÖxe^
ei^ xöv xÖTtov, Ol 6 baiiiujv ^xaaxov KOjLiiCei, npdixov jifev biebiKdcravxo,
Ol xe KoKwq xai baisix; ßitiaavxeg Kai oi jüiri. Kai rfi ^ev äv böSiuai
liiaux; ßeßiujK^vai, TropeuBevxeq dni xöv Ax^povxa, dvaßdvxe^ 8 bf|
auxoTq öx/JMaxd Icrxiv, eiri xouxiüv dcpiKVOövxai eiq xf|v Xi|livtiv Kai
dKei oIkoOcti xe Kai Kadaipu)]ievoi xüjv xe dbiKimdxuiv bibövxe^ biKa^
dnoXtiovxai, el xig xi ribiKTiKev, xiöv xe euepteaiujv xijLidq cp^povxai
Kaxd xf|v dgiav kaaxo^' Phaedonis c. 113 d.
1) Zu dem Worte öaiiiuiv (daemon) = göttliches Wesen, Schutzgeist,
bemerkt Clemens Alexandrinus 1. Stromatum V. p. yzy: "Airavri baifiujv
dvbpi au|üiTTapaaTaT€t €060^ xevo^^vijj ^uöTaxuiTÖ^; toö ßiou. Omni daemon
•homini assistit simul atque nato dux vitae. Jedem Mensehen steht von
seiner Geburt an ein Schutzgeist zur Seite als Führer durch das Leben.
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— HI -
Quum vero haec ita natura disposita sint, quum in eum
locum defuncti pervenerint, quo daemon unumquemque perdu-
cit, primo illic iudicantur, et qui honeste sancteque, et qui
aliter vixerint. Itaque quicunque in vita quodam modo tenuisse
medium quoddam comperiuntur, Sid Acherontem profecti vehi-
culis, quae unicunque adsunt, conscensis, in paludem perveniunt
Acherusiam: ibique habitant purganturque poenas dantes in-
iuriarum: et quum purificati sunt, absolvuntur, rursusque pro
merito singuli benefactorum praemia reportant.
Ewige Höllenstrafe.
CK b' äv bö5u)(Tiv dvidiui^ fx^iv b\ä xd jucT^en xiBv djiiapTTijLidTUJV,
iepoauXia^ noXXd^ Kai juetaXa^ f^ cpövou^ dbinou^ xai 7rapavö^oug
noXXou^ ae\pfaa\iivo\ f\ äXXa &0a TOiaÖTa xutxdvei övra, toOtou^ bk
f] irpoarJKouaa jucipa ßinxei el^ töv Tdprapov, öBev oöttotc dKßai-
vouaiv. Phaedonis c. 113 e.
Qui vero ob scelerum magnitudinem insanabiles esse
videntur, qui videlicet sacrilegia multa et magna, vel caedes
iniquas, vel alia horura similia perpetraverint, hos omnes con-
veniens sors mergit in Tartarum, unde nunquam egrediuntur.
Belohnung der guten und weisen Menschen.
'H bt Kaeapwq T€ Kai nexpiui^ xöv ßiov bieSeXeoöcJa Kai Huv€|li-
TTÖpUJV Ka\ f)T€|LlÖVU)V GcÄV XUXOOcJa djKTl<T€V xöv auxq ^KdaXT] XÖ1T0V
7Tpo(Tif|Kovxa. Eiaiv bfe ttoXXoi Ka\ Baujiiacrxoi xflg tn? xöttoi, Kai aöxf|
oux€ ota oöxe ocni boEdCexai unö xdiv irepi irn? eiaiwööxujv X^t^iv,
di^ dtu) unö xivo(; Tr^neiaiyiai. Phaedonis c. 108 c.
Qui vero puram moderatamque transegerit vitam deos
socios ducesque nactus ibi habitat, ubi unicunque convenit.
Midta vero sunt mirabiliaque terrarum loca: ipsaque terra
neque talis neque tanta est, qualem aut quantam hi qui de
terra solent disserere existimant, quemadmodura mihi a quodam
persuasum est.
Was Plato den weisen Sokrates über die Unsterblichkeit
der Seele und deren Zustand und Schicksal nach dem irdischen'
Leben im Kreise seiner Jünger vortragen lässt, gehört zu dem
Besten und Tiefsinnigsten, welches wir aus dem klassischen
Altertume besitzen. Unstreitig hat er damit die Gedanken
seines sterbenden Meisters in vollendeter philosophischer Be-
gründung wiedergegeben und so der Nachwelt überliefert, dass
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— 111 —
man eine ideale Vorstellung von dem Tode des Gerechten sich
bilden kann. Die christlichen Anschauungen über die leisten
Dinge des Menschen erhalten durch den Dialog „Phaedon"
eine vernunftgemässe Begründung. (Cfr. Romanos ep. c.
XII, V. 1.)
Bei der ernsten Welt- und Lebensanschauung, welche
Plato in seiner Philosophie kundgibt, lässt sich erwarten, dass
er auch eine würdige und erhabene Tugendlehre aufgestellt
habe. Und dies ist wirklich der Fall. Das wahrhaft Schöne
seiner eigentlichen Ethik bedarf wohl kaum einer besonderen
Beweisführung und Erörterung. Dieselbe hat sich nämlich als
die Blüte der sokratischen Schule einer allgemeinen Anerkennung
zu erfreuen. Tugend, so lehrt Plato, ist Gottähnlichkeit ; die
Tugendhaften sind daher Gottes Freunde und Kinder. Tugend
ist aber auch Gesundheit, Schönheit und Harmonie der Seele.
Wenn Plato das tugendhafte Leben des Gerechten beschreibt,
so glaubt man Anklänge an das zu vernehmen, was in der
hl. Schrift, und besonders bei dem Apostel und Evangelisten
Johannes, als das ewige Leben bezeichnet wird, nämlich, das
Leben der Seele in und mit Gott. (Cfr. Evgl. S. Johannis
c. 17, 3 sq.)
'H dpciri dativ öjLioiujm^ Oeip Kaxd tö buvaxöv. Theaeteti
c. 176 a. Virtus autem est, ut Deo similes pro viribus efficiamur.
(Tugend ist Gottähnlichkeit.) E\q 6aov buvaxöv dvepübrri}) öjiioioO-
aOai e€i|). De republica 1. X, c. 613 a. Die Tugend besteht
darin, soweit es dem Menschen möglich, Gott ähnlich zu werden.
'0 jLifev crüjcppujv eeoicpiXoq- ö^oio? xdp. De legibus 1. IV, c. 716 c.
Sapiens deo amicus est; est enim similis. Der Tugendhafte ist
Gottes Freund; denn er ist ihm ähnlich. Cfr. Ciceronis Tus-
culanarum Disp. 1. V, c. 25, n. 70. TTaibeq Geujv De legibus (1. V,
c. 793 c.) 1. XII, c. 941 b. c. Virtutis cultores Deorum sunt filii.
Die Tugendhaften sind Kinder Gottes. Cfr. S. Johannis Ep. I,
c. 3, V. 1.
'Apexfi \jiky fipa uyieid x^ xi^ av eii] Kai KdXXoq xai €U€2ia v|iuxn^.
De republica 1. IV, c. 444 e. Virtus igitur, ut apparet, sanitas
quaedam est et pulchritudo et bona animi constitutio. Die
Tugend ist daher eine Gesundheit, Schönheit und Harmonie
der Seele. Növ hx\ fXeTeg, 8xi dcrxiv n dpexfi ßouXeaeai xe xdTaOd
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- 113 -
KQi buvaadai; Menonis c. 78 b. Nonne paulo ante dixisti, virtutem
esse bona velle et posse? Dixi equidem. Hast Du nicht kurz
vorher gesagt, die Tugend bestehe darin, das Gute zu wollen
und zu können? Ganz gewiss! Diese Erklärung gilt noch heute.
*H dpexfi TTpcariKci hl Eutt^vci Sf n\r\a\aaa<; Kai mtclq tiD
ÖVTUJ^ övTi, T€VVTi<Taq voOv kgi AXrieeiav, tvoiti T6 Kai dXriOÄ^ Zijiii
Kai tpecpoiTo- De republica 1. VI, c, 490 b. Virtus autem convenit
vi quadam cognata. Qua quuin adhaeserit, seque ei, quod vere
est, miscuerit atque inde re vera intelligentiam veritatemque
genuerit, cognoscet utique verum vereque vivet et aletur. Die
Tugend verbindet sich mit einer verwandten Kraft. Wenn man
sich derselben hingibt und sich mit dem wahrhaft Seienden
(Gott nämlich) vereinigt und daher in der Tat Einsicht und
Wahrheit gewonnen hat, so wird man das Wahre erkennen,
wahrhaft (vollkommen) leben und innerlich gestärkt werden.
Cfr. Evgl. S. Johannis c. 17, 21 und 23; I. Corinthios 6, 17. „ Wer
Gott anhängt, ist ein Geist mit ihm!"'
Die Tugend führt zu Gott; denn sie kommt von Gott.
El bk vOv fiinei^ iv navxi tijj XÖT^ji toutijj KaXuj^ arYir\aa\iiv xe Kai
dX€TO^€V, dperf) Sv ein oötc qpuaei, oöt€ bibaKXÖv dXXä bk Ociqi ixoipq,
napaTlTvo^€vr|, öveu voO, ol^ Sv napatiTViiTai. Menonis c. 99 e.
Si autem nos in omni hac disputatione recte perscrutati sumus,
virtus utique nee doctrina, nee natura nobis aderit: verum
divina sorte, absque mente^ in eum qui illam sortitus fuerit,
influet. Wenn wir nun in dieser ganzen Abhandlung alles
recht erforscht haben, so müssen wir eingestehen, dass die
Tugend weder durch Lehre noch durch natürliche Anlage uns
zukommt; sondern dass sie als göttliches Gnadengeschenk, ohne
unsere Absicht, dem zuteil wird, welcher sie erlangt*).
Die Tugend ist im Grunde genommen zwar nur eine;
*) Die Art und Weise, mit der Plato das Wesen, die Gesinnung und
die Lebensführung des echten Philosophen (des Gerechten) hier und z. B.
De republica 1. VI. c. 485 d. u. a., zeichnet, hat grosse Ähnlichkeit mit
der Schilderung, wie die christlichen Schriftsteller imd Apologeten das
Leben und die Sitten des wahren Christen oft charakterisieren. Cfr.
Cleraentis Alexandrini „Paedagogi" I. I, p. 10 1; lustini Martyris „Ad
Diognetimi" c. 236 sq.; Athenagorae „Legationis'* p. 288 u. a. Die
Gesinnungen, nicht die Kenntnisse sind bei Plato das Wesentliche; er
liebt es, wahre Philosophie mit wahrem Seelen-Adel gleich zu stellen.
Kröll, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. Ä
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— 114 —
nach platonischer Darlegung jedoch entfaltet sie sich in vier
Hauptäste: Tapferkeit, Mässigung^ Gerechtigkeit und Weisheit.
'Avbpia, d. h. die auf Vernunft gegründete Mannhaftigkeit der
Seele, welche gegen alles streitet, was dem Geiste die Herr-
schaft rauben will. De republica 1. IV, c. 442 d., Laches c. 199 b.
Zujq)poaüvii = die besonnene Haltung und Ruhe im Leben der
Gemtitskräfte. De republica 1. IV, c. 442 d. AiKaioauvri: die
wahre Seelenttichtigkeit, wenn jede geistige Kraft nicht mehr,
aber auch nicht weniger tut, als sie tun soll. De republica
1. IV, c. 443 d. locpia: das klare Vernunftbewusstsein von dem
allein Wahren und Guten, welches der Liebe und des Strebens
würdig ist. De republica 1. IV, c. 442 c; vgl. Theaeteti c. 176 c.
Hiermit ist zu vergleichen, was die hl. Schrift im Buche der
Weisheit Salomons c. VIII, v. 7 über die sogenannten „ Vier
Kardinaltugenden^ sagt: Kai ei biKaioauvriv dTaTra ti^, oi ttövoi
TouTTi? €i(Tiv dperai* craj(ppo(Juvr|v t^P kqi cppöviicriv dKbibdcTKei, bixaio-
cruvTiv Kttl dvbpiav, div xP^^^iM^Tcpov oub^v dcrtiv dv ßitu dv0pu)7roiq.
Vulgata: Et si quis iustitiam diligit, labores huius magnas
habent virtutes; sobrietatem enim et prudentiam docet, et iusti-
tiam et virtutem, quibus utilius nihil est in vita hominum.
Wenn jemand Gerechtigkeit liebet, so hat ihre Bemühung grosse
Tugenden zur Folge ; denn Mässigung lehrt sie und Klugheit,
Gerechtigkeit und Mannhaftigkeit ^ über welche hinaus es nichts
Heilsameres gibt im Leben der Menschen. y^Die Gerechtigkeit^,
soweit sie vom Standpunkte des alten Testamentes erreicht
werden konnte, war das Ergebnis „der Führung** durch die
Weisheit Gottes. Sie umfasste die seit den Tagen des Kirchen-
lehrers S. Ambrosius (geboren zu Trier 340, gestorben zu Mai-
land 4. April 397) mit Bezug auf diese Stelle sogenannten vier
Haupt-, oder Kardinaltugenden : Mässigung, Klugheit, Gerechtig-
keit und Starkmut. Cfr. Psalm. Davidis 14, 2 und 3.
Die platonische Definition von der Tugend im allgemeinen
als Fähigkeit, das Gute zu wollen und zu können (vgl. Seite
113flgd) hat in der Sittenlehre (Ethik) eine dauernde Aufnahme
gefunden. Seine Begriffsbestimmung ist für die Kennzeichnung
der christlichen Tugend dahin zu erweiteren, dass dieselbe als
Fertigkeit genannt wird, das Gute zu wollen und zu üben, wie
es dem Gesetze Jesu Christi gemäss und des ewigen Lebens
würdig ist.
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— 115 —
Auch werden die Kardinaltugenden sinngemäss gruppiert
als: Klugheit und Gerechtigkeit, Mässigung und Starkmut.
Die christliche „Klugheit" besteht darin, das Gute nicht
unbesonnen, sondern nach ruhiger Überlegung mit geeigneten
Mitteln auszuführen. ^Recta recte!" Das Gute auf gute Weise!
(Bischof Eberhard von Trier.) S. Franciscus pflegte die Klug-
heit als auriga virtutis (Fuhrmann der Tugend) zu bezeichnen.
„Die Gerechtigkeif* gibt und lässt jedem, was ihm zu-
kommt. „Suum cuique!" Jedem das Seinige!
„Die Mässigung" besteht in der Zügelung der Affekte.
tAr\bi.v axav Thaies von Milet. „Nequid nimis!" S. Henricus
Imperator II (1002—1024.) In keiner Sache zuviel!
„Die Starkmütigkeit" charakterisiert sich als christliche Ent-
schiedenheit und Kraft alle Hindemisse, welche der Tugend ent-
gegen stehen, siegreich zu überwinden. Cfr. I ep. S. Joh. c. 5, v. 4.
Das Buch der Weisheit wurde in dem Zeiträume von
300—200 vor Chr., näherhin gemäss den geschichtlichen An-
deutungen des Kap. 19, v. 4flgd., in den Jahren 222—205 unter
dem Könige Ptolemaeus Philopator zu Alexandrien geschrieben.
Sein Verfasser war ein gotterleuchteter Hebräer, welcher sich
in der griechisch-römischen Philosophie sehr bewandert zeigt.
Er hatte den Zweck, das Volk Gottes gegen die Gefahren,
welche besonders in der epikureischen und stoischen Lebens-
weisheit gelegen waren, zu schützen. In ihren Grund- und
Lehrsätzen sich zwar entgegenstehend, trafen beide aber in
dem Ergebnisse zusammen, die letzten Reste des Glaubens an
eine vergeltende Gottheit und an die Unsterblichkeit der Seele
vernichtet zu haben. Ganz anders waren die Wirkungen der
Schule Piatons (430—348), welche mehr dem Idealen und Posi-
tiven zugekehrt war. Gemäss unserer Darlegung S. 99 f Igd. und
104flgd. verteidigte die Akademie sowohl den Glauben an Gott als
auch an die Unsterblichkeit der Seelen. Daher stand sie den
gläubigen Israeliten sehr nahe, und es ist nicht ausgeschlossen,
dass die sprachliche Fixierung der vier Kardinaltugenden mit
Rücksicht auf die platonische Philosophie durch den Verfasser
des Buches der Weisheit angenommen wurde. Die beider-
seitigen Darstellungen verraten eine grosse Ähnlickeit mit-
einander und gehen die Schriften Piatos der Abfassung des
Buches der Weisheit um 120 Jahre voraus.
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— ii6 —
Gleichwie Plato in seinen Schriften eine edle Darstellung
der Tugend gibt, so unterlässt er auch nicht, das Böse, die
Sündey mit festen Strichen zu zeichnen.
'H KttKia vöaog t€ Ka\ alcjxo^ Kai (i(T0ev€ia xfi^ M^^xfl? ^ariv.
Pfeccatum morbus et deformitas et infirmitas est animae. Die
Sjlnde ist eine Krankheit, Missgestaltung (Hässlichkeit) und
Schwäche der Seele. Piatonis de republica 1. IV, c. 444 e.
Die Sünde entwürdigt den Menschen.
AouXoTrpcnfeq f] KQKia, dXeuOeponpcnfeq bt i\ dpcTrj. Servile quid
e3t nequitia; sed viro libero dignum quid est virtus. Etwas
Kpechtisches ist die Schlechtigkeit; dagegen ist die Tugend
etwas des Freien Würdiges. Piatonis de Alcibiade I, cfr. de
republica 1. IX, c. 579 d; de legibus 1. IX, c. 863 e.
S. Pauli ad Romanos c. VI v. 20: "Oxe t^P boöXoi fJTC ttJ^
otMapTia^, dXeOeepoi fJTC ttj biaKoauvij. Vulgata: Nam quum servi
essetis peccati, liberi fuistis iustitiae. Denn als ihr Knechte
der Sünde wäret, wäret ihr frei mit Bezug auf die Gerechtigkeit.
Aus diesem Grunde kommt die Sünde nicht von Gott.
'Ataöö^ 6 öeö^ ... Kai tOjv \kk\ dTOiOuJV oubeva äXXov aiTiaxeov *
Tiüv bt KttKÜüv äXX' äiia bei Cnieiv id aiiia, fiXX' ou töv Geöv. Pia-
tonis de legibus 1. II, c. 379 c. Deus bonus est . . . et bonorum
quidem solus Deus caussa est dicendus, malorum autem quam-
libet aliam, praeter Deum, caussam quaerere decet. Gott ist
gut — und von dem Guten gibt es keine andere Ursache.
Vom Bösen aber muss man die Ursachen anderswo, nur nicht
in Gott suchen.
Die sinnlichen Begierden veranlassen zum Bösen.
'ETTiOu^iag dXÖTiw? 4Xkou(Jii^ im f^bovd^ xai dpSdOriq dv f]^Tv
"^ ^PXfl ößpi? dmjüvojüidaGTi. Piatonis Phaedri 1. X, c. 301. Quum
libido sine ratione in voluptates feratur atque in nobis dominetur,
haec dominatio insolentia appellatur. Wenn die Begierde un-
vernünftig zu den Lüsten hinzieht und in uns herrscht, so wird
diese Herrschaft als frevelhafter Übermut bezeichnet.
Darum sagt Cicero de senectute 1. XIII, c. 4 : Plato escam
malorum voluptatem appellat. Plato nennt die sinnliche
Begierde eine Speise d^r moralischen Gebrechen. Ebenso de
officiis 1. II, c. 10, n. 11: Voluptates, blandissimae dominae, ma-
ioris partis animos a virtute detorquent. Die sinnlichen Ver-
gnügungen machen als sehr schmeichelnde Gebieterinnen den
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— 117 —
Sinn des grössten Teiles der Menschen von der Tugend
abwendig.
Die Sünde zerrüttet Leib und Seele.
'H dbiKia TÖv fxovTtt jüiaXaCiwriKOV napixovaa Ka\ npög y' ?ti ifSj)
CuüTiKiu ätPWTTVOv. Piatonis de republica 1. X, c. 495. Iniquitas
eum cui inest, valde excitat atque etiam insomnem reddit. Die
Sünde regt den, welcher sie begangen hat, sehr auf und macht
ihn zudem noch schlaflos (durch das böse Gewissen).
Die Sünde raubt die schönsten Freuden.
'Ap' oöv oÖK dvdTKTi Kai f|bovaTg HuveTvai ^€jLllT^^va^ Xuirai?,
eibuüXoiq TTJ^ dXiiOoOq ^bovf]^, Kai dcTKiafpacpTiiii^vai?, vnö Tf\(; Trap'
dXXifjXaq G^aeiwq dTTOXpaivojüi^vai^; ulkttc (Tcpobpoug ^Kat^paq q)aiv6a0ai,
Kai fputaq ^auTuöv XÜTTOVtaq toT^ fiqppomv dvTiKTeiv. Piatonis de
republica 1. IX, c. 586 b.
Hos (iniquos) necesse est voluptates doloribus mixtas
persequi, quae simulacra voluptatis verae et umbrae sunt, usqtie
adeo in vicem doloris comparatione mutua inquinatae, ut et
voluptates et dolores ex ea comparatione vehementiores appa-
reant amoresque ipsarum huiusmodi voluptates rabidos insi-
pientibus pariant.
Mit einer gewissen Nötigung streben die Bösen den Ver-
gnügungen nach, welche mit Schmerzen (Gewissensbissen)
verbunden sind. Diese sind eben nur Trugbilder und wesen-
lose Schatten der wahren Freude. Ja in dem Masse sind die-
selben im gegenseitigen Vergleiche des Schmerzes angesteckt,
dass sowohl die Vergnügen wie die Schmerzen infolge jener
Gegenüberstellung bedeutend zu wachsen scheinen sowie auch
den Unverständigen ein leidenschaftlich erregtes Verlangen
nach jenen Lüsten erwecken.
(Die Folgen von raffinierten Vergnügungen sind erhöhte
und verschärfte Gewissensbeschwerden, und dennoch vermehrt
sich die Begierde nach^verbotenem^Genusse.)
In dieser Weltzeit streitet zwar das Böse mit dem Guten;
Gott aber führt die TugendJ^sum^Siege. TaOxa Trdvra Euvibibv
(flinaiv 6 ßaaiXeöq), ^inTiXovriaaTO neu k€ijli€vov ^Kaaiov tüüv nep&v,
viKoöaav dperfiv firrujfi^vriv bfe KaKiav iv tuj Travti napiyiox jLidXicyT'
Sv Ktti ßqtcTTa Kai fipicrta.
Haec omnia quoniam rex ille noster perspexit, idcirco
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— ii8 —
excogitavit, ubi pars quaeque locata, maxime optime f acillimeque
virtuti victoriam, vitio autem ne vincat, impedimentum in uni-
verso praebere possit. Piatonis de legibus 1. X, c. 904 b.
Alle Verhältnisse durchschauend ordnete unser König
(Gott der Herr) jedem seine Stelle an, damit die Tugend zumeist,
am besten und sehr leicht den Sieg erringe, das Laster da-
gegen, auf dass es nicht (dauernd) die Obmacht gewinne, tiber-
all ein Hindernis finde.
Lohn der Tugend; Strafe der Sünde. De republica 1. 1,
354 a: 'AXXoi ^itv 8 t€ €Ö Ziujv MdKapö^ te Kai eubaijLiujv, 6 be \xi\
TÄvavTia. Qui autem bene vivit, beatus est et felix; qui male,
contra. Wer gut lebt, ist glücklich und selig; wer nicht, das
Gegenteil.
Zum Schlüsse unserer Anführungen von Schrifttexten
wollen wir noch auf die grosse Ähnlichkeit zwischen einzelnen
platonischen und mosaischen Geboten und Verordnungen hin-
weisen.
Den Missbrauch des göttlichen Namens, das Anrufen
Gottes bei der Lüge (falscher Eid u. s. f.) verbieten die plato-
nischen Vorschriften wie die mosaischen.
VeObog )kX\h^\<l Hn^tv, \XX\h' ÖTTCtTIlV, IllTl^^Tl KißbTiXov, T^vo^
dTTiKaXou^evog öeiöv, \ki\it XÖTif), jüirJTe f pytu irpaHeiev, 6 |jif| GeoMiaeaTaTO^
^0€cr6ai iLi^XXuiv. Piatonis de legibus 1. XI,c. 916 e. Nemo diis
invocatis mendacium dicat, aut decipiat, aut adulterare verbo
vel re quidquam audeat, nisi Deo velit odio esse. Niemand
erkühne sich bei Anrufung Gottes eine Lüge zu sagen, oder
Betrug und Hinterlist irgendwie sich zu gestatten, wenn er
sich nicht Gott verhasst machen will.
TTavTUJ^ jifev bf) KaXöv dTriTribeujLia, 6€üjv ^vö^aTa )Lif| xP<^iv€iv
ßqibiuj^, fxovra ib^ l%o\)a\y/ fi|Lia)v ^KdatoTe tä TroXXä o\ nXeiatoi
KttGapÖTTiTÖ^ Te Ktti difveiag xa nepi Toüq öeoug. L. c. c. 917 b.
Aequum profecto est, nomina Deorum non facile iniquinare.
nee ea huc atque illuc devolvere: sed omnia quae ad Deos
pertinent, pure casteque servare. Es ist fürwahr billig, den
Namen Gottes nicht leichtsinnig zu verunehren, noch immer
im Munde zu führen^ sondern alles, was auf Gott Bezug hat,
rein und keusch zu bewahren i).
^) In vorstehender deutscher Übersetzung haben wir den Ausdruck
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— 119 —
Libri Exodi c. 20, 7 : „Non assumes nomen Domini Dei Tui
in vanum; nee enim habebit insontem Dominus eum, qui assump-
serit nomen Domini Dei sui frustra". Nicht gebrauche den
Namen des Herrn, deines Gottes zum Truge; denn der Herr
wird denjenigen nicht ungestraft lassen, welcher den Namen
des Herrn, seines Gottes, eitel (grundlos) anwendet.
Vater und Mutter sind zu ehren.
Piatonis de legibus 1. XI, c. 931 d. Oukoöv blavoT^90J^€v ib?
juiiKpijj TTpÖTcpov eiTroiuiev, ujq oubtv Ttpöq 0eOjv iijuiiiJüTepov fiToX/uia
Sv KTTi(Tai|uie9a Traxpöq Kai TTpoTTdropcg irap€ifi^vu)V PIP?» Kau^T^T€puJV
Tf|v auTrjv buvajuiiv dxoucrduv, oö? öxav dTToXXij xiq, ii/uiaiq T^T^Öev
6 eeöq.
Quapropter existimandum est, ut pauUo ante diximus,
nuUum apud Deos magis honorandum simulacrum habere nos
posse, quam patres et avos senio confectos, matresque similiter,
quibus honoratis Deus gaudet.
9€oi (Dil) = Götter mit der Einzahl Gott wiedergegeben. Zum Wesen
Gottes gehört seine (numerische und metaphysische) Einheit. Es kann
nun darüber kein Zweifel sein, dass Plato an die Einheit Gottes glaubte,
also Monotheist war. Und wenn er von „Göttern" (in der Mehrzahl) redet,
so geschieht dies bloss unter Anlehnung an den herrschenden Sprach-
gebrauch; dieser Ansicht huldigt auch S. Augustinus. Vgl. „De civitate
Dei" 1. IV. c. 24 und c. 31; sowie 1. IX, e. 23, wo er mit Rücksicht auf
den Sprachgebrauch der hl. Schrift: Psalm 49, i; 94, 3; 95, 4; 135, 2
sich also vernehmen lässt: „Ideo inter nos et ipsos (Platonicos) paene
nulla dissensio est, quia etiam in nostris sacris litteris legitur : Deus deonun
dominus locutus est, et alibi : Confitemini Deo deorum et alibi : Rex magnus
super omnes deos." Was nun die Anwendung des Wortes „Götter" angeht,
so scheint zwischen uns und den Platonikem kaum ein Unterschied zu
sein, da es auch in unseren hl. Schriften gesagt wird: „Der Gott der
Götter hat gesprochen", und femer: „Preiset den Gott der Götter!"; ebenso
an einer anderen Stelle: „Gott ist ein grosser König über alle Götter."
Christus selbst wendet diese Bezeichnung an. Er sprach zu den Juden:
„Ist es nicht in euerem Gesetze geschrieben: Ich habe gesagt: Götter
seid ihr"! Wenn er nun jene als „Götter" angeredet hat, an welche das
Wort Gottes erging, und nicht gelöst werden kann die Schrift; welchen
nun der Vater geheiligt und gesendet hat in die Welt, von dem sagt ihr:
„du lästerst Gott", weil ich gesprochen habe: „Sohn Gottes bin ich"!
Evgl. S. Johannis c. X. v. 34 — 37. Vgl. Numeri c. XI. v. 16 — 25; Psalmi
Davidis 81, 6.
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— T20
Wir müssen nun der Ansicht sein, gemäss dem, was wir
kurz vorher gesagt haben, dass wir nächst Gott kein ehrwür-
digeres Heiligtum besitzen können als Vater und Mutter, sowie
altersschwache Grosseltem; wenn wir diese in der rechten
Weise ehren, so freut sich Gott.
Libri Exodi c. 20, 12: „Honora patrem tuum et matrem
tuam, ut sis longaevus super terram quam Dominus Deus dabit
tibi!" Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange
lebest in dem Lande, welches der Herr dein Gott dir geben wird
• Auch die älteren Leute soll man ehren.
"Qbe oöv xpn 7T€pi Tiöv TOiouTUJV 7rdvTa fivbpa Ka\ iraiba xai
fuvaiKa dei biavoeicrOai, töv TipecTßuTepov ib^ ou cT^lKp^J toO veuü-
T^pou iCTi irpecTßeuöjuievov, fv xe GecicTi xai iv dv9pa)7TOi^ loTq jieXXoucTi
aditeaOai Ka\ eöbaijuioveTv. De legibus 1. IX, c. 879 c.
Oportet igitur omnes homines mulieres simul atque viros,
adolescentes ac senes, ita de his semper existimare: Seniorem
non parvo intervallo iunioribus praeponendum esse, et apud
Deos et apud homines, qui victuri sint feliciter.
Es ist notwendig, dass alle Menschen, Frauen wie Männer,
Jünglinge wie Greise folgenden Grundsatz annehmen: ein Älterer
ist einem Jüngeren in nicht geringem Masse vorzuziehen sowohl
bei Gott als auch bei Menschen, die wahrhaft glücklich sein
wollen.
Libri Levitici c. 19, 32: „Coram cano capite consurge et
honora personam senis: et time Dominum Deum tuum. Ego
sum Dominus!" Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen
und die Person des Alters sollst du ehren: und fürchten sollst
du deinen Gott und Herrn! Ich bin der Herr!
Grenzverrückungen werden strenge untersagt.
Kai iäv q)UT€uuJV \xr\ dTrcXeiTn) tö ii^Tpov xiliv toö tcitovo^
XUipiuiv, KttOdirep eXpryzai Kai iroXXoiq vo^o9€Ta^ kava»? ZriiiicucTeu).
Si quis in plantando mensuram (limites) vicini agrorum non
observaverit, ita plectatur uti a plerisque legumlatoribus suffici-
enter dictum est. Piatonis de legibus 1. VIII, c. 843 e. Wenn
jemand beim Pflanzen den Flächeninhalt der Äcker seines Nach-
bars nicht belassen hat, d. h. über die gezogenen Grenzen
hinaus gesät hat, so muss er eine Strafe erleiden, wie solches
von den meisten Gesetzgebern in hinreichender Weise fest-
gestellt ist.
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Fünftes Buch Moses Kap. 19, 14: „Non assumes neque
transfei'es terminos proximi tui, quos fixerunt priores in posses-
sione tua, quam Dominus Deus tuüs dabit tibi in terra, quam
accep^ris possidendam". Entferne und verrücke nicht die Grenz-
steinfe deines Nächsten, welche die Vorfahren gesetzt haben an
deinfem Besitze, welchen der Herr, dein Gott dir geben wird
in dem Lande, welches du zum Eigentume erhältst.
Ibidem c. 27, 17: „Maledictus sit, qui transfert terminos
prbximi sui; et dicet omnis populus: Amen!" Verflucht sei,
wer die Grenzsteine seines Nächsten verrückt ! Und alles Volk
soll sagen: Amen! (So geschehe es!)
Diebe müssen den verursachten Schaden ersetzen.
BXäßriv fjv fiv Tiva KaTaßXdvpij, TrdvTUjq auXriv dircTiv^TUJ. De
legibus 1. IX, c. 864 d e. Damnum si quis (furando aut rapiendo
etc.) intulerit, simplex omnino restituat. Wenn jemand einen
Schaden angerichtet hat, (durch Stehlen, Rauben, Betrügen u. s. f.),
so ersetze er denselben ohne Ausnahme, d. h. vollständig.
Zweites Buch Moses Kap. 22, 1-— 4: „Si quis furatus fue-
rit . . . et non habeat, quod pro furto reddat, ipse renundabitur.
Wenn jemand gestohlen hat (Ochs oder Schaf u. s. f.) und be-
sitzt nicht so viel, als für den Diebstahl als Schadenersatz zu
leisten ist, so werde er selbst verkauft.
Wucherzinsen sind verboten.
'H bk KTfim^, x^p'K toO KXrjpcu, TrdvTUJV Trdcra Iv iif» qpavepip
TeTpd<peuj Ttapd (puXaHiv dpxoucTiv, olq äv 6 vöjuio^ TtpocTTd^ij' öttoj^
äv ai biKOi Tiepi TtdvTUJv, öcrai elq xpr]\xaTa pdbiai le Kai iBcri crqpöbpa
aatpexq. De legibus 1. V, c. 743 a.
Quaecumque vero possident ultra sortem, apud magistratum,
horum custodem a lege constitutum, aperte scribantür, ut omnia
de pecuniis iudicia facilia sint et valde clara.
Alles, was die Bürger über das zugestandene Los (Zins-
mass) hinaus besitzen (sich erworben haben), soll bei den Staats-
beamten, welche für diese Angelegenheiten als Wächter gesetz-
lich angestellt sind, deutlich aufgeschrieben werden, damit alle
Urteile in Geldsachen leicht und verständhch seien.
Drittes Buch Moses Kap. 25, 35—39: „Si frater tuus atte-
nuatus fuerit . . . ne recipias usuras ab eo, nee amplius, quam
dedisti. Pecuniam tuam non dabis ad usuram et frugum abun-
dantiam non exiges. (Cfr. 1. Deuteronomii c. 23, 19; Ezechielis
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18, 13.) Wenn dein Bruder arm geworden ist, so nimm von
ihm keine Zinsen, und nicht mehr, als du ihm gegeben hast . . .
Dein Geld sollst du ihm nicht auf Wucher leihen, und nicht
fordern den Überschuss an Früchten.
Kinder sollen nicht für die Vergehungen der Väter
btissen.
'Evi bi XÖTijj, iraipö^ öveibri Kai Timjjpia^ Ttaibuiv juiribevi Huve-
TteaOai. De legibus 1. IX, c. 856 c. Ut breviter autem dicam :
peccata patris non luant filii! Mit einem Wort: Für die Sünden
des Vaters dürfen nicht die Kinder leiden!
Fünftes Buch Moses Kap. 24, 16: „Non occidentur filii pro
patribus, sed unusquisque pro peccato suo morietur!" (Vgl.
IV. Regum 14, 6; II. Paralip. 25, 4.) Kinder sollen nicht an-
statt ihrer Väter getötet werden, sondern jeder sterbe für seine
eigene Sünden! — Die platonischen Verordnungen über Tot-
schlag und Verwundungen haben mit den diesbezüglichen Ge-
setzen des Moses sehr vieles gemein. Man vergleiche die be-
treffenden Abschnitte de legibus 1. IX, c. 865 bis zu Ende, und
1. Exodi c. 21, 12 u. folgende.
Auch religiöse Feste^ welche zugleich auch Volksfeste sein
sollen, ordnet Plato wie Moses an. De legibus 1. VIII, c. 828
u. folgende; vgl. 1. Levitici c. 23 u. Deuteronomii c. 16. Die
Kirchen- Schriftsteller : Clemens Alexandrinus „Stromatum" 1. IV,
Pag. 394, und Eusebius „de praeparatione evangelica" 1. XII,
c. 19 weisen darauf hin, dass Plato wie Moses, bei seinen
Einrichtungen sich zumeist auf himmlische Vorbilder beziehe.
Zudem erwähnen dieselben noch, dass Plato gleichwie
Moses das Volk in swölf Stämme eingeteilt habe. De legibus
1. VI, c. 760, b; Eusebius 1. c, 1. XII, c. 47. Auch stellen sie
die Republik des Plato der mosaischen Theokratie ziemlich
nahe und vergleichen sie mit derselben. Clementis Alexan-
drini 1. c, 1. I, c. 251, a; Eusebii 1. c, 1. IX, c. 6 usw.
Nachdem wir nun die Werke Piatons durchforscht haben,
kommen uns dieselben wie ein majestätischer, antiker Tempel
vor: Phaedrus, Gorgias und Protagoras ziehen als tüchtige
Werkmeister aus, welche den Boden säubern und den Grund
aufgraben. Phaedrus gibt auch einen Blick auf die schöne
Zeichnung des Ganzen. In Theaetetus, Parmenides und Sophista
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— 123 —
erheben sich die festen Strebepfeiler und Bogengewölbe.
Kratylus sorgt für die akustischen Verhältnisse. Durch
Philebtis und das Gastmahl werden die inneren Räume würdig
abgeteilt und ausgeschmückt. Phaedon richtet den Opferaltar
zu (Unsterblichkeit der Seele und die vier letzten Dinge des
Menschen). Die Republik versammelt die Gemeinde im Heilig-
tum. Mit Timaeus und Kritias steigt das Ganze abgerundet
und vollendet zum Himmel auf, während über dem Atrium
als Inschrift die Worte stehen : ToO ycip Kai T^voq i(5)kiv. Namque
ipsius etiam genus sumus! Denn wir sind ja seines Ge-
schlechtes! Cfr. Arati <t>alvo^€vu)v v. 5; Pindari Ncfjt^iwv n. 6;
Actus Apostolorum c. 17, 28.
Aus unseren Darlegungen wird sich ergeben, dass in den
Schriften Piatons manche gute und nützliche Anordnung nieder-
gelegt ist, welche das Wohl der Menschen bezweckte. Ein
reineres Erkenntnislicht als das der platonischen Philosophie
in bezug auf das Ewige und Erhabene hat dem klassischen
Altertume nicht geleuchtet. Aber das Heil des Lebens selbst
zu bewirken, war diesem Lichte nicht gegeben. (Cfr. Evgl.
S. Johannis c. 1, 4.) Deswegen hat das mit Schmach bedeckte
Kreuz auf Golgatha den grossen Vorzug, eine vollkommenere
Theodizee zu sein, als selbst eine von Gott durchstrahlte Welt
in der Auffassung jenes griechischen Weisen. Haben wir nun
schon vieles unseren christlichen Anschauungen Zusagende in
seinen Werken erkannt, so erübrigt noch, auch das wenige
vom Christentum Abweichende in denselben zu besprechen.
Denn Plato war noch ein Heide und lebte im vierten Jahr-
hundert vor Christus.
Zunächst berührt es seltsam, dass er der Obrigkeit seiner
Zeit zur Erreichung eines guten Zweckes direkt anempfiehlt,
sich einer bewussten Unwahrheit (der Lüge) zu bedienen,
während er diese Handlungsweise den griechischen Bürgern
streng untersagt. Cfr. Piatonis de republica 1. III, c. 389, b. —
Sodann hält er es für gut, schwächliche Kinder auszusetzen,
damit der Volksstaat durch die Pflege derseben nicht belastet
werde. Bei dieser Gelegenheit unterlässt er es nicht, den
Archonten zum Nutzen der Untergebenen häufig Lug und Trug
anzuraten. (Fides graeca!) De republica 1. V, c. 459, d. e.
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- 124 —
Um aber gerecht zu urteilen, müssen wir hinzufügen, dass
jene Verordnungen nicht so sehr dem Geiste des Plato ange-
hören, als vielmehr den Sitten des griechischen Volkes ent-
sprachen, welches nur starke und kräftige Bürger haben wollte.
Plutarch erzählt in der Vita Lycurgi c. 16, dass es in Sparta
Gesetz und Herkommen war, schwächliche Kinder (auf dem
Berge Taygetus) auszusetzen.
Gleich der Strenge und Härte der stoischen Vorschriften
duldete auch die Sittenlehre der Akademie Piatons keinerlei
Schmerz und Klage über den Tod geliebter Angehörigen. De
republica 1. III, c. 387, e; 1. X, c. 605, d. e. Diese zum Teil
unnatürliche Verleugnung solcher Empfindungen stand bei den
Griechen in hohem Ansehen. So z. B. wurde Pericles sehr
gerühmt wegen der Affektlosigkeit, welche er bei den Todes-
fällen seiner Lieben bewies. Als er, seinem verstorbenen
Sohne Paralus die Totenkrone auf die erblasste Stime
drückend, sich der Tränen doch nicht enthalten konnte, wird
ausdrücklich bemerkt, es sei das einzige Mal in seinem Leben
gewesen, dass er sich vom Schmerze habe überwältigen lassen.
Cfr. Plutarchi vita Periclis c. 36 sowie ep. ad Romanos c. I,
V. 30 und 31.
Ausserdem beleidigt es unser christliches Empfinden,
wenn Plato für die Kriegerkaste eine Frauengemeinschaft an-
ordnen will. De republica 1. V, c. 457, c. und folgende. Im
Jahre 1821 wurde auf der Insel Kreta (Candia) das Bruchstück
einer Geschichte Lybiens von Eumalos aufgefunden, in welcher
dieser Schriftsteller erzählt, bei den Atlantiden habe wirklich
eine Güter- und Weibergemeinschaft bestanden.
Wie alle Griechen war Plato stolz auf Hellas und ver-
achtete die Barbaren. De republica 1. V, c. 469, b; c. 470,
c. u. s. f.
Die Sklaverei will er in seiner Republik bestehen lassen ;
jedoch empfiehlt er eine mildere Behandlung der hartgedrückten
Menschen, wenn sich dieselben würdig zeigen. De legibus
1. VI, c. 776, c. d. — Cfr. Ciceronis „de officiis" 1. I, c. 13, n. 9.
Während Plato im grossen und ganzen das Gute und
Edele verteidigt, tritt das, was an ihm zu tadeln ist, nur in
Einzelheiten hervor — etwa wie an einem frischen und grünen
Baume dennoch hier und da ein dürrer Zweig sich findet.
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- 125 -
Wegen der grossen Vorzüge, welche die platonische
Philosophie unstreitig besitzt, wurde unter der Regierung des
Papstes Clemens VIII. (1592—1605) der Antrag gestellt, die-
selbe in den höheren Lehrkursus förmlich aufzunehmen.
Kardinal Bellarmin (1542—1621) hierüber zu Rate gezogen,
erblickte darin eine Gefahr für die Studierenden. Sein Gut-
achten lautete : Weil die platonische Philosophie der christlichen
Theologie am nächsten komme, und daher sehr geeignet sei,
die Gemüter derer anzuziehen, welche das Christliche suchen,
so werde sie viele von weiterem Vordringen abhalten. Cfr.
Malinkrotius „de summo bono", p. 4; sowie Fabricius „biblio-
thecae graecae" 1. III, c. 151, editio Harless.
Ähnlicher weise hatte schon S. Augustinus sich geäussert:
„Nam si primo sanctis litteris informatus essem ... et postea
in illa (Piatonis) volumina incidissem, fortasse aut abripuissent
me a solidamento pietatis, aut si in affectu quem imbiberam
perstitissem, putarem etiam ex Ulis libris eum posse concipi,
si eos solos quisque didicisset." Confessionum 1. VII, c. 20.
Augustinus dankt Gott, dass er zuerst die Schriften Piatos,
und hierauf das Evangelium habe kennen lernen; denn wäre
es umgekehrt der Fall gewesen, so würde er von dem festen
Grunde der Frömmigkeit abgezogen, oder doch zu der Meinung
gekommen sein, man könne zur christlichen Frömmigkeit ge-
langen, auch wenn man nichts anderes als diese Bücher habe.
Obgleich er als Christ gegen seine früheren Zunftgenossen in
der Waffenrüstung Gottes auftreten musste, so gestand er doch
immer zu, dass die Platoniker unter allen Heiden dem Christen-
tum am nächsten ständen, und dass sie nur wenige Worte und
Meinungen zu ändern brauchten, um wirkliche Christen zu
werden. Cfr. „de vera religione" 1. IV, c. 7: „Platonici paucis
mutatis verbis atque sententiis christiani fierent."
Wenn nun in der heutigen Welt sich die Überzeugung
Bahn bricht, es gehöre zur Würde der menschlichen Natur,
ein gewisses Streben zu Gott an den Tag zu legen, so zieht
man es aber meistens vor, auf platonischen Geistesschwingen
sich zu dem Göttlichen in der Idee zu erheben, als in stiller
Treue Christus, dem Herrn, nachzufolgen und das Kreuz der
Selbstverleugnung nachzutragen. Denn wie nah auch immer
die Theologie und Weltanschauung Piatos an die christliche
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— 126 —
herantritt, so fehlt ihr doch das eigentlich Kernhafte und Be-
lebende, der wirkliche Herzschlag des Christentums,
nämlich die Person und Tat, oder das Leben und Leiden des
göttlichen Erlösers. — Eine Tatsache kann von niemand geleugnet
werden, dass nämlich unser Evangelium Jesu Christi, obgleich
es in Bezug auf sprachliche Vollendung und glänzende Dar-
stellung den platonischen Schriften allerdings weit nachsteht,
aber, getragen durch den fortwährenden Beistand des Herrn,
auch das Schönste und Erhabenste, was die vorchristliche Welt
in der Philosophie der Akademie zutage förderte, bis zur
Gegenwart siegreich überdauert hat, und durch die Gründung
einer Weltkirche in seinen Erfolgen tief unter sich erblickt. Cfr.
Evgl. S. Matthaei c. 28, 20; und ep. II ad Corinthios 1, 18 — 30.
4. Anhang.
Der Nachruf, welchen Cornelius Tacitus seinem Schwiegervater
Agricola widmete.
Cnaeus Julius Agricola wurde im Jahre 40 n. Chr. zu
Forum Julii (Fr6jus in der Provence) geboren. Sein Vater
Julius Graecinus gehörte zum Senatorenstande. Agricola wurde
zur Ausbildung nach Massilia (Marseille) geschickt und leistete,
als Suetonius Paullinus Präfekt von Britannien (England) war,
daselbst seine ersten Kriegsdienste. Unter dem Kaiser Vespasian
stieg er rasch, wurde Konsul und Statthalter in Britannien.
Nach siebenjähriger erfolgreicher Tätigkeit wurde er aus der
Provinz abberufen. Bei seiner Heimkehr fand er statt der ver-
dienten Auszeichnung bei dem Kaiser Domitian einen kühlen
Empfang und kränkendes Misstrauen. Tief verletzt entsagte
er allen Ehrenstellen und zog sich in das Privatleben zurück.
Seine einzige Tochter hatte er im Jahre 77 mit dem Sach-
walter Cornelius Tacitus vermählt, welcher inzwischen zur
Praetur vorgerückt war. Zunächst hatte die Entfremdung
zwischen Domitian und Agricola für den Schwiegersohn des
letzteren keine nachteiligen Folgen. Doch mag Tacitus, als
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— 127 —
er kurze Zeit nach der Praetur mit seiner Gemahlin Rom ver-
liess, um dienstliche Stellung in einer Provinz zu tibernehmen,
erwogen haben, es sei unter diesen Umständen für ihn am
besten, der Hauptstadt fern zu bleiben. Während dieser Ab-
wesenheit erhielt er im Jahre 93 n. Chr. die Nachricht von
dem Tode des Agricola, welcher durch Gift erfolgte, wie ver-
mutet wurde. Dio Cassius „Rerum Romanarum" 1. 66, 20
sagt: „Endlich wurde er (Agricola) von Domitian gemordet."
Einige Zeit nachher kehrte Tacitus nach Rom zurück,
hielt sich aber, soviel als möglich, von öffentlicher Tätigkeit
fern, um nicht den Argwohn und Zorn des Mächtigen zu
reizen. Als zwei Jahre später (96) Domitian ein gewaltsames
Ende gefunden hatte, folgte auf ihn die milde Regierung des
Nerva (96—98). Tacitus erhielt jetzt die höchste Ehrenstelle,
nämlich das Konsulat, und zugleich eine günstige Gelegenheit,
dem gerechten Zorn über die Schmach der letzten Jahre einen
öffentlichen Ausdruck zu geben. Zu Anfang des Jahres 98 er-
schien die „Julii Agricolae Vita", eine Biographie seines
Schwiegervaters Agricola, als Erstlingsfrucht der historischen
Tätigkeit des Tacitus. Dieselbe umfasst 46 Kapitel, in welchen
dessen Herkunft, seine amtliche Tätigkeit und Erfolg« in Bri-
tannien sowie das Land selbst in erster Linie geschildert
werden. Nur kurz sind die Familienverhältnisse und der
Charakter dieses echten Römers von altem Schrot und Korn
behandelt. Das letzte Kapitel aber enthält einen Nachruf für
den so tapferen und edlen Mann, welcher uns Christen durch
seinen pietätvollen Inhalt besonders sympathisch ist. Derselbe
lautet also:
Si quis Piorum manibus locus, si, ut sapientibus placet,
non cum corpore exstinguuntur magnae animae : placide quiescas
Agricola, nosque, domum tuam, ab infirmo desiderio et mulie-
bribus lamentis ad contemplationem virtutum tuarum voces,
quas neque lugeri neque plangi fas est! Admiratione te potius
et immortalibus laudibus et, si natura suppeditet, aemulatu
decoremus. Is verus bonos, ea conjunctissimi cujusque pietas,
id filiae quoque uxorique praeceperim, sie patris sie mariti
memoriam venerari, ut omnia facta dictaque ejus secum revol-
vant, formamque ac figuram animi magis quam corporis com-
plectantur. Non quia intercedendum putem imaginibus, quae
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marmore aut aere finguntur: sed ut vultus hominum, ita simu-
lacra vultus imbecillia ac mortalia sunt; forma autem mentis
aeterna: quam tenere et exprimere non per alienam materiam
et artem, sed tuis ipse moribus possis. Quidquid ex Agricola
amavimus, quidquid mirati sumus manet mansurumque est in
animis hominum, in aeternitate temporum, fama rerum. Nam
multos veterum, velut inglorios et ignobiles, oblivio obruet:
Agricola posteritati narratus et traditus,
superstes erit.
Gibt es für die abgeschiedenen Seelen frommer Menschen
eine Stätte ; gehen nach der Ansicht unserer Weisen die grossen
Seelen mit dem Körper nicht zugrunde ~, dann, Agricola,
ruhe im Frieden! — Uns aber, dein Haus, rufe von kraftloser
Sehnsucht sowie von unmännlicher Klage zur Betrachtung
deiner Tugenden, die weder zu betrauern noch zu beklagen
gestattet ist. Durch Bewunderung vielmehr, durch unsterb-
liche Lobpreisung, und soweit es die menschliche Natur ver-
mag, durch Nachahmung lass uns dich ehren. Hierin besteht
die wahre Verehrung und die fromme Liebe derer, welche dir
am engsten verbunden sind. Und das möchte ich der Tochter
sowie der Gattin auch empfehlen, in der Weise das Andenken
des Vaters und des Gatten zu heiligen, dass sie alles, was er
getan und geredet hat, sich wieder ins Gedächtnis rufen, und
so mehr das Bild seines Geistes, als das. seiner äusseren Ge-
stalt umfassen. Nicht als ob ich gegen Bildnisse aus Marmor
und Erz gestaltet mich erklären sollte ; aber wie das Menschen
Antlitz selbst, so sind auch seine Abbildungen hinfällig und
vergänglich; ewig nur ist das Bild des Geistes, welches fest-
zuhalten und darzustellen, nicht fremder Stoff und Kunst,
sondern nur der sittliche Gehalt des eigenen Lebens vermag
Alles, was wir an Agricola geliebt und bewundert haben, das
lebt jetzt und immerdar im Herzen der Menschen, in der
Ewigkeit der Zeiten, im Ruhme der Weltgeschichte fort. Denn
mag auch viele der Alten als ruhmlos und unbekannt die Ver-
gessenheit in Schatten stellen; Agricola hingegen wird, durch
meine Darstellung der Nachwelt überliefert, unsterblich sein!" —
Hiermit ist zu vergleichen was Cicero in seiner Rede pro
Archia poeta c. 24 erwähnt: „Alexander quum in Sigeo ad
Achillis tumulum adstitisset, O fortunate, inquit, adolescens.
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— 129 —
qui tuae virtutis Homerum praeconem iiiveneris!** Nachdem
Alexander im sigäischen Gefilde an dem Grabe des Achilles
gestanden hatte, sagte er: „O du glücklicher Jüngling, der du
einen Homer als Lobredner deiner Tapferkeit gefunden hast!" —
(Ilias.)
Der kötiigliche Sänger David verkündigt: ^In memoria
aeterna erit justusl** Pslm. 111,6.
Im ewigen Andenken wird sein der Gerechte!"
5. Anhang.
Der Lobgesang des Cleanthes.
Wenn der Römer Cornelius Tacitus in der Lebensbeschrei-
bung des Agricola uns durch grosse Pietät gegen seine Familie
erfreut, so entzückt uns der Grieche Cleanthes nicht minder
durch einen würdigen Ausdruck seiner Gottesverehrung,
Cleanthes, um 300 vor Christus in Assus (Kleinasien) ge-
boren, war gemäss der Überlieferung zuerst ein Wasserträger.
Als aber späterhin das Verlangen nach höherer Lebens-
stellung sich in ihm regte, so bemühte er sich um die Freund-
schaft des Philosophen Zeno, welcher damals zu Athen in der
Stoa seine Lehrvorträge hielt. Von dieser gemalten Säulen-
halle ((TTod 7toik(Xti) erhielt Zenos Schule ihre Bezeichnung.
Cleanthes fand eine gute Aufnahme und wurde der angesehenste
Schüler und Nachfolger seines Meisters. Der berühmte stoische
Philosoph Chrysippus verdankte ihm seine Ausbildung. (Cfr.
Ciceronis „Academicorum" 1. II, c. 75 u. 87.)
Von den Schriften des Cleanthes ist uns ein hymnus in
Jovem Optimum Maximum (ö^voq elq Aia) erhalten, welchen wir
mitteilen wollen:
'AXXd Zeö, Travbujpe, KcXaiveqp^q, dpxiK^potuve,
'Av9pa)7TOu? eipucTcrai dTreipccTÜvTiq dirö XuTpfjq,
"Hv crt, Trdxep, cTK^bacrov vpuxnq fiTTO, böq bk Kupfia«i
fviU^Tl^, fj m(TUVO^ CTll blKTl^ fJt^Ttt TTttVia KUßcpvqlq,
"Gqpp' Sv Ti|iTiö^VT€^ d^€ißu)|i€CTed ae xiii^,
KröU, Die Beziehungen des klass. Altertums zu den hl. Schriften. 9
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— ISO -
*Y^voOvT€q xa aä fpya biiivcKi^, u)^ dir^otKC
0VT1TÖV iövt', inA oÖT€ ßpOTOi^ T^P«? fiXXo Ti iieTCov
OÖT€ 9601^, f[ KOlvöv dei vojuiov tv Wkij Ö^V€TV*).
At Deus altisonand, quem nunquam dona fatigant,
Mortales miseratus, ab alto errore revulsos,
Eripe, quem, Pater, expelle ac da apprehendere posse,
Consilium, quo, macte, orbis moderaris habenas.
Sic tua dona, Tibi^ referemus cuncta vicissim
Usque tuae memores laudis: mortalibus haud est
Majus enim, aut superis munus, quam pandere in aevum,
lustitiamque sequi Legis, quae est omnibus una.
Du, der du alles gibst, befreie die Menschen vom schweren
Wahne, nimm die Wolke von ihren Seelen, o Vater,
Dass sie die Weisheit erfassen, nach der du billig und sicher
Alles regierst, damit wir, denen du Ehre gegönnt hast,
Wieder dich ehren und dich in deinen Taten besingen,
Wie's dem Sterblichen ziemt; denn weder auf Erden noch
jenseits
Gibts ein höheres Los, als ewig und ewig des Weltalls
Ordnung, die alles umfasst, mit würdigem Lobe zu preisen!
6. Anhang.
Stimme des Orpheus.
Gemäss den Forschungen des Benediktiners P. Willibald
FreymtiUer, Programm zu Metten (Bayern) S. 13 u. flgd., gehört
der Sänger Orpheus einer geschichtlichen Zeit an und ist
etwa nach Homer und vor Hesiod zu setzen. Als sein ver-
mulliches Vaterland wird Palaestina bezeichnet, woselbst Ge-
sang und Zitherspiel seit den Tagen der Patriarchen in Übung
waren. Von da ausgehend zog er über Thrazien nach Griechen-
^) Cleanthis hymnum in Jovem graece edidit et notis illustravit Frie-
dericus Guilelmus Sturz. Editionem noväm auctiorem curavit I. F. L T.
Merzdorf. Lipsiae, sumptibus Roberti Friese 1835. KX€<iveou(; öinvoq €U Aia.
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- 131 —
land, in welchem er durch seine musikalischen Leistungen bei
dem noch ungebildeten Volke einen fast wunderbaren Erfolg
hatte. Steine und Bäume sollen belebt, wilde Tiere besänftigt
worden sein; sicher aber ist es, dass unter seinem Einflüsse
die Sitten der Menschen sich veredelten. Ihm werden auch
verschiedene religiöse Hymnen zugeschrieben, aus denen
Justinus M. in seiner „Ermahnung an die Griechen" nach-
stehende Strophe anführt:
El? hi, AÖTOV 0€Tov ßXevpaq toutiu Ttpocrebpeue,
10UVUJV KpabiTiq voepöv kuto?, €u V dTT^ßaive
'ATpaTTlTOÖ, JUIOOVOV b' JcTTOpa KÖCTjulOU avaKTtt.
(Justini M. „Cohortationis ad Graecos" n. 14, Edit. Otto I, p. 50.)
Aspice Verbum a coelo sisque totus in illo,
Cordis alendo profundum elige rectum
Callem oculosque tuos in ducem erige terrae!
Schau auf das göttliche Wort, beschäftige eifrig mit ihm dich !
Lenkend die geistige Tiefe des Herzens, betrete den guten
Pfad, und richte den Blick allein auf den Herrscher des
Weltalls!
Diese Stelle ist um so interessanter, als in ihr zum ersten-
mal sich der Ausdruck und der Begriff" des Logos, als des
persönlichen Wortes Gottes, geschichtlich nachweisen lässt.
Von Neueren (z. B. Delitzsch u. s. f.) werden diese Verse
dem jüdischen Philosophen Aristobulos (170—150 vor Christus)
unter Ptolemaeus VI. Philometor zugeschrieben.
Wir Christen singen bei Kerzenschein, unter Weihrauch -
wölken, Glockenklang und Orgelton:
^Wir sind im wahren Christentum,
O Gott, wir danken dir!
Dein Wort, dein Evangelium,
Gläubig bekennen wir!"
^Te Deum laudamus: Te Dominum confitemur!" Hymni
S. Ambrosii et S. Augustini, Ecclesiae Patrum et Doctorum.
Cfr. Pslm. Davidis 40, 14.
Fiat! Es geschehe!
„Jesus Christus ist derselbe: gestern, heute
und in Ewigkeit!" Ad Hebraeos 13, 8.
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Inhalt des IL Bandes.
Seite :
Vorwort zur zweiten Auflage V — XIV
Aussprüche der hl. Schrift und der alten Klassiker.
1. Arbeit und Mühe ist allen Menschen beschieden . . . i — 2
2. Die Sinne des Menschen sind zum Bösen geneigt ... 2
3. Die Hinfälligkeit des irdischen Lebens 2 — 4
4. Erlösung aus diesen Beschwerden 4 — 6
5. Gott bedarf der menschlichen Hilfe nicht 6
6. Der leidende Gerechte ein Vorbild 6 — 9
7. Erwartung eines Erlösers . 9 — 17
8. Das Edikt des Kaisers Augustus 17 — 20
9. Die Heimat des Messias 20 — 21
10. Der Kindermord zu Bethlehem 21 — 22
11. Philo Alexandrinus über den Heiland 22 — 24
12. Flavius Josephus berichtet von Christus 24 — 28
13. Suetonius über Christus und die Christen 28 — 30
14. Die Ahnungen des Cicero von der Aufgabe des Evangeliums 31 — 33
15. Tacitus erzählt über Christus und die Christen .... 33 — 36
16. Das Zeugnis des Plinius Junior 36 — 50
17. Tacitus und die Juden; Bericht über Palästina .... 50 — 66
18. Der Untergang des Kapitolinischen Tempels zu Rom und
des jüdischen Tempels in Jerusalem 66 — 71
19. „Saxa loquuntur!" Die Steine reden! Die Auffindung der
Gruppe des Laokoon xmd deren Bedeutung für die christ-
liche Welt- Anschauung 71 — 73
20. Die iajesus Christus vollbrachte Erlösung 73 — 74
Beilagen.
1. Anhang.
Die Beziehungen der griechischen Eleusinien zu dein jü-
dischen Laubhüttenfeste 75 — 86
2. Anhang.
Der Feldzug des Sennacherib gegen Judäa . . . ^ ^^6 — 93
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— 133 —
Seite:
3. Anhang.
Die Schriften Piatos und ihr Verhältnis zu den Büchern
des Alten Testamentes 94 — 126
4. Anhang.
Der Nachruf, welchen Cornelius Tacitus seinem Schwieger-
vater Agricola widmete 126 — 129
5. Anhaag.
Der Lpbgesang des Cleanthes 129 — 130
6. Anhang.
Stimme des Orpheus 130 — 131
Beschäftigung, die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstört,
Die zu dem Bau der Ewigkeiten
Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,
Doch von der grossen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.
Schiller.
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KröU M., Die Beziehungen des klassischen Altertums
zu den hl. Schriften des Alten und Neuen Testa-
mentes. 1. Bd. Bonn, Georgi. 2. Aufl. 1907.
Das vorliegende Werk erschien zum erstenmal 1901 für die Freunde
antiker Literatur, „um der studierenden Jugend bei Lesung der heidnischen
Klassiker eine Führung zu bieten, haben wir Tatsachen und Personen sowie
Aussprüche derselben mit der hl. Schrift verglichen. Auf diese Art erkennen
wir, dass die Weisheit der alten Völker ein Licht war, welches Gott zu
deren Erleuchtung und Leitung angezündet hatte, damit auch 'sie den Weg
zur vollen Wahrheit im kommenden Christentum finden könnten. . . Dass
die religiösen Überlieferungen aller Völker mehr oder minder klar die
Grundwahrheiten und Hauptsachen der Uroffenbarung enthalten, kann
keinem Zweifel imterliegen." (S. VII und XI.)
Es war dem eifrig sammelnden und vergleichenden Verfasser vergönnt,
schon jetzt eine 2. Aufl. des Buches zu veranstalten, die völlig umgearbeitet
und vielfach vermehrt ist. Nach einem grundlegenden allgemeinen Teil
(S. I —82) über die Uroffenbanmg, Entstehung des Heidentums und die
Bedeutung der hl. Schrift werden die Beziehungen zwischen Bibel und
klassischem Altertum an einzelnen Beispielen vorgeführt und auf ihre Bedeu-
tung geprüft (S. Ö3 — 231): Schöpfungsbericht, Engelsturz, Sündflut, Himmels-
besuch bei Abraham und Sara — Philemon imd Baucis, Seila — Iphigenia,
Samson — Herkules, Tobias — Telemach u. a. Der biblischen Erzählung ist
der griechische oder lateinische Text nebst einer recht guten metrischen
Übersetzung beigegeben und jedesmal festgestellt, welche Beziehung oder
Abhängigkeit zwischen beiden obwaltet. — Ob gerade alle Aufstellungen
ausnahmslos haltbar und gesichert sind, möge dahingestellt bleiben; aber
jedenfalls ist es ein Buch voller Anregung und Belehrung, und wenn
Referent es beurteilen darf nach dem nachhaltigen Eindruck, den einst in
seiner Gymnasialzeit Lückens Traditionen des Menschengeschlechtes auf
ihn gemacht haben, so verspricht er sich eine ähnlich heilsame Einwirkung
dieses Werkes auf die studierende Jugend und alle gebildeten Laien, die
für religionsgeschichtliche Fragen Interesse haben.
Trier. Professor F. Hüllen.
Verfasser ist katholisch, folgt der traditionellen Apologetik und Schrift-
behandlung seiner Konfession, doch mit grossem Fleiss und achtungswerter
Gelehrsamkeit, in 2. Aufl. mit Polemik gegen die Vorträge über Babel und
Bibel von Delitzsch. Teil I als grundlegender oder allgemeiner ist teils
rein apologetisch in den Abschnitten Uroffenbarung (bis S. 6) und Ent-
stehung des Heidentums (bis S. 23), teils kirchenhistorisch über die Be-
schäftigung der Theologie mit den alten Klassikern (bis S. 54), teils isagogisch
über die Bibel, zunächst den Pentateuch als gehörig zu deA besten und
ältesten Büchern der Welt (bis S. 82). Teil II als spezieller bringt Paral-
lelen zu zwölf biblischen Geschichten: Schöpfimg (bis 114), Engelsturz
(bis 131), Flut (bis 148), Engelbesuch bei Abraham (bis 158), Josuas langer
Tag (bis 166), Rieht. 21, 15 f. (bis 173), Jephtes Tochter (bis 189), Samson
(bis 197), Uriasbrief (bis 206), Tobias (bis 212), Achior (bis 218), Daniel
(bis 22y), Alles ist religionsgeschichtlich sehr interessant und beachtenswert,
viele Parallelen freilich verschiedener Deutimg fähig.
Gütersloh. Gloatz-Dabrun.
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Nous aurions desire pouvoir rendre compte des deux vplumes de
cet ouvrage. Le secönd ne nous ayaat pas encore ete adresse, il est ä
croire qu'il n'a pas encore paru: on le comprend d'ailleurs salis peine,
Tauteur etant eure ä Hönningen et se devant avant tout ä son ministere
professionnel. II n'en a que plus de merite d'utiliser ainsi ses rareis loisirs
et d'avoir garde, sous le poids de ses soucis pastoraux, un goüt aussi vif
pour les speculations litteraires. On notera avec plaisir que Touvrage en
est ä sa seconde edition.
Ne pouvant encore apprecier Tensemble d*une oeuvre, sur la väleur
de laquelle il est si facile de se meprendre, nous nous contenterons d'en
indiquer exactement le contenu et de soumettre quelques courtes obser-
vations ä Tauteur.
A premiere vue, le titre du livre parait un peu vague: sous ce
rapport, il a quelque chose de la fa^on antique ou plutöt moyenägeuse,
j'allais dire mystique, dont Touvrage a ete con9u et compose. Mais Tintro-
duction dissipe rapidement cette premiere impression, et il suffira d'en
citer quelques lignes pour avoir une idee tout ä fait nette du plan et du
dessein de l'auteur (p. XIX — XX):
„Um den Gedankengang unseres "Buches kurz anzugeben, so sei
^ bemerkt, dass wir zuerst die allen Völkern bis zu ihrer Trennung auf der
Ebene von Seftaar gemeinsame Uroffenbanmg besprechen, welche späterhin
von Moses auf Befehl Gottes in ihrer Reinheit und Unversehrtheit nieder-
geschrieben wurde.
Wir gehen dann zur Entstehung des Heidentiuns über, in welchem
sich die hl. Überlieferungen der Vorzeit allmählich verdunkelten und in
Mythen und Fabeln auflösten; so dass nur mehr einzelne Bruchstücke
derselben im Gedächtnisse der Völker zurückblieben.
Hierauf legen wir die Bemühungen der Theologie (der christlichen
Kirche) dar, um den noch vorhandenen Resten und Trümmern der alten
Traditionen nachzuspüren, sowie die klassische Literatur des antiken Heiden-
tums zu sammeln und praktisch zu verwerten.
Daran knüpft sich eine Vergleichung der hl. Schriften des Alten
Bundes (zunächst der fünf Bücher Mosis) mit den Erzeugnissen der antiken
Literatur in bezug auf das Alter ihrer Entstehung und die Wertschätzung
ihres gegenseitigen Inhaltes.
Dieses bildet den grundlegenden oder allgemeinen Teil unserer Arbeit.
Es folgt nun der zweite oder spezielle Teil, in welchem an mehreren
Beispielen (biblische Tatsachen und »^Personen betreffend) die einzelnen
Beziehungen zwischen Bibel und klassischem Altertume in geschichtlicher
Reihenfolge vorgeführt und auf ihre Bedeutung geprüft werden.
Es werden sich nun im Laufe der Darstellung gewisse Berührungs-
punkte ergeben: in literarischer, stofflicher, idealer und geschichtlicher
Beziehung, die gegenseitig abzuwägen und gemäss ihrem Werte genauer
zu besprechen sind.
Es handelt sich daher um die Beantwortung nachstehender Fragen :
I. Sind es Beziehungen der Abhängigkeit, sei es nach der literarischen
oder bloss stofflichen Seite hin?
II. Sind es Beziehungen der Beeinflussung des klassischen Schriften-
tums durch biblische Ideen, oder umgekehrt?
HL Sind es Beziehungen der religiösen Beeinflussung des Heiden-
tums durch die hl. Schrift oder durch die Überlieferung ihres Inhaltes?
IV. Sind es Beziehungen der geschichtlichen Parallelbezeugung?
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Mit diesen prinzipiellen Unterschieden haben wir zugleich auch die
leitenden Grundsätze unserer Abhandlung dargelegt, und werden an den
einzelnen Beispielen darauf hinweisen, unter welche der angeführten Kate-
gorien dieselben einzureihen sind. Unser Verhalten wird dabei zumeist
ein referierendes sein."
Tel est ce livre de bonne foi.
Autant qu'on peut en juger par cette premiere partie, le plan a ete
templi et, si Ton peut regretter aue Tauteur n*ait pas eu ä sa disposition
rous les instruments de travail necessaires, on n'en reconnaitra pas moins
que le livre est suggestif et se lit volontiers. Comme recueil de textes
antiques et sacres, il servira beaucoup aux eures et predicateurs, notamment
dans les petites paroisses catholiques de langue allemande, auxquelles il
est principalement destine.
Nous souhaitons que le second volume soit muni d'index et de
tables de references, multiples et tres detailles, qui decupleront surement
Futilite pratique de Touvrage entier.
M61aages de la Facult^ Orientale III. ä Beyrouth, Syrie.
(Morgenland.) Prof, P. L, Ronzevalle, S. J.
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Corrigenda zu dem II. Bande.
Seite VI, Zeile 12 von unten, lies: Proph., für Preph.
XIII, „ 19 von unten, lies: Quidam sortiti für Quidams ortiti.
3, „ 6 von oben, lies: Pullulans, statt Pullubans.
II, „ 9 von unten, streiche man ein Wort: in.
52, „ 20 von unten, lies: propiora, statt proprioria.
99, „ 6 von oben, lies: „Stromatum" statt „Stromatoum".
126, „ 13 von oben, lies: ep. I ad Corinthios, für II ad Corinth.
u. s. f.
Andere kleinere Versehen wolle der gütige Leser selbst verbessern.
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YC 10056
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